Teil 2 unserer Reihe zu den Auswirkungen des Rassismus der (ehemaligen) 'Groß'-Parteien setzt sich mit der doch nicht so unbegrenzten Reisefreiheit innerhalb der EU auseinander, sowie mit der Intensivierung von Überwachung und Kontrollen aufgrund eines angeblichen "Notstandes".
Schengen: Doch nicht unbegrenzte Reisefreiheit
Den Privilegierten wird nahezu unbegrenzte Reisefreiheit versprochen, wenngleich viele Einschränkungen diese Reisefreiheit begrenzen. So ist der (dauerhafte) Aufenthalt für EU-Bürger_innen in anderen EU-Staaten meist an Erwerbsarbeit oder Ausbildung gekoppelt, Abschiebungen oder Ausweisungen von EU-Bürger_innen sind keine Seltenheit. Die Argumentation mit angeblichen Bedrohungen, wie wir sie u.a. im Rahmen vieler Proteste gegen EU-Gipfel oder Treffen der Wirtschaftseliten oder in Zusammenhang mit meist großen Sportveranstaltungen beobachten können (Anmerkung: Der Anti-Terror-Diskurs spielt eine zunehmend wichtigere Rolle, auf die hier nicht eingegangen wird), dient der Einschränkung der Reisefreiheit. Beispielsweise z.B. über eine temporäre Meldepflicht bei den lokalen Polizeibehörden, die über den Zeitraum von Großveranstaltungen verhängt wird, um die Mobilität der Betroffenen massiv einzuschränken. Weitere Kontrollmechanismen sind sogenannte "schwarze Listen" bzw. :: Datenbanken, in denen Personen aufgelistet werden, denen ein "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" unterstellt wird. Diese Listen werden innerhalb des Schengenraumes meist in Verbindung mit temporären Grenzkontrollen unter anderem dazu genutzt, um bestimmten Personen die Überquerung von Grenzen zu verweigern.
Wozu dann die Diskussion um Grenzkontrollen? Es geht dabei vorwiegend um die Aufrechterhaltung des freien Warenverkehres, eine der Grundfreiheiten der EU. Die Grenzen sind "offen", damit der Transport von Gütern möglichst problemlos und schnell funktioniert, während die Reisefreiheit für Menschen mehr und mehr eingeschränkt wird. Politiker_innen in etlichen EU-Mitgliedsländern sprechen sich für Grenzkontrollen aus, denn mit ihrem rassistischen Weltbild ist Reisefreiheit nur schwer vereinbar - vor allem wenn diese Freiheit für Menschen gilt, die der rassistischen Einteilung der Menschen entsprechend zu den Unterprivilegierten zählen. Diesen Menschen soll die Reisefreiheit verwehrt werden, lediglich jenen die "gebraucht werden" soll die Einreise gestattet werden, sobald ihr Nutzen für die Privilegierten - meist weiße Europäer_innen - nicht mehr groß genug ist, sollten sie wieder gehen.
Dass dies in einer freien Gesellschaft so nicht funktionieren kann, sollte allen klar sein, doch ein rassistisches System ist niemals frei, denn solange auch nur eine Person aufgrund dieser Ideologie und der damit verbundenen Gesetze eingesperrt ist, kann nicht von Freiheit gesprochen werden! Deshalb ist der Kampf gegen Internierung und Abschiebungen so wichtig. Und es wird immer mehr erforderlich, den Blick auf die Grenzen und das damit verbundene Regime zu werfen. Denn entlang der Grenzen, im Äußeren wie im Inneren, entstehen mehr und mehr Gefängnisse, die den Behörden helfen, ihre Ausgrenzungspolitik praktisch umzusetzen. Denn was tun, wenn Menschen ohne Papiere bei Kontrollen aufgegriffen werden? Die einfachste Möglichkeit wäre, sie weiter reisen zu lassen. Da ihnen diese Freiheit jedoch verwehrt - und auch innerhalb der EU bzw. im Schengenraum mehr und mehr eingeschränkt wird - sehen es die Schreibtischtäter_innen als notwendig an, sie zu internieren; zumindest bis zur Abschiebung. Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Hinweis, dass Grenzkontrollen im Schengenraum trotz des Wegfalles der direkten Kontrollen der Binnengrenzen auf der Tagesordnung stehen.
Die Intensivierung von Überwachung und Kontrollen
Das Schengener Vertragswerk sieht jede Menge "Ausgleichsmaßnahmen" (AGM) vor, die die :: Kontrollen an den Grenzstellen ergänzen bzw. ersetzen. So werden der Grenzraum, Autobahnen, Schnellstraßen, Bahnhöfe und sogar Wiener U-Bahnstationen zu Kontrollpunkten. An all diesen Orten werden verschärfte Kontrollen durchgeführt, meist nach rassistischer Selektion. Um diese praktisch umsetzen zu können, wird der Blick der Wächter_innen extra trainiert - meist im Rahmen der polizeilichen oder militärischen Ausbildung.
In Folge der Migrationsbewegungen im Jahr 2015 führten mehrere Staaten Kontrollen an Binnengrenzen ein. Diese Kontrollen an den "offenen" Grenzübergängen sind laut Schengener Übereinkommen in bestimmten (Ausnahme)Situationen gestattet. Eine Grundlage bildet Artikel 29 des Schengener Grenzkodex, der die Möglichkeit für Kontrollen vorsieht, wenn die Sicherung der EU-Außengrenze nicht gewährleistet ist. Nach Artikel 29 ist eine dreimalige Verlängerung der Kontrollen um jeweils sechs Monate möglich, also insgesamt maximal zwei Jahre - so lange könnten die Grenzkontrollen laut EU-Recht bestehen bleiben, erst danach müssten etwaige gesetzliche Änderungen erfolgen. Die EU-Kommission will, dass der freie Warenverkehr nicht so lange behindert wird und beabsichtigt, die Grenzkontrollen im Schengen-Raum im November zu beenden. Wie sich die Situation an den Binnengrenzen entwickeln wird, ist aber zu jetzigem Zeitpunkt schwer abzuschätzen.
So wie die Kontrollen der Binnengrenzen zeitlich befristet sind, sollten sie nicht willkürlich angewendet werden. Aus der Praxis wissen wir jedoch, dass es gerade die Willkür der kontrollierenden Beamt_innen ist, die über die Gewährung der Einreise entscheidet - oft in Verbindung mit "Befehlen von Oben", mit denen ganze Personengruppen am Grenzübertritt gehindert werden sollen. Dass dies einen massiven Eingriff in die angeblichen Grundfreiheiten der EU darstellt, ist bekannt, wird im öffentlichen Diskurs aber kaum als Problem wahrgenommen, sondern als legitime Maßnahme zur "Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung" akzeptiert; zum "Wohle der Allgemeinheit".
Daraus ist klar ersichtlich, dass die Reisefreiheit nicht für alle(!) Menschen gilt. Es geht bei den Diskussionen um Grenzkontrollen innerhalb der EU darum, den freien Warenverkehr aufrecht zu erhalten, wie es sich bei der Diskussion rund um den Brenner zeigt. Wurde von den Mitgliedstaaten der EU am 12. Mai 2016 die Fortsetzung der Grenzkontrollen in den Schengenstaaten Deutschland, Dänemark, Norwegen, Österreich und Schweden für weitere sechs Monate gebilligt, ist der Brenner davon dezidiert ausgenommen. Zu wichtig ist seine Funktion für den Transit von Waren von Süd nach Nord und Nord nach Süd.
Ob am Brenner nun direkt an der Grenze oder davor und danach kontrolliert wird, ändert nichts an der Tatsache, dass die in Spielfeld (Steiermark) seit vergangenem Jahr getesteten Kontrollen am 1. Juni 2016 an weiteren Stellen eingeführt werden: In Nickelsdorf und Heiligenkreuz (Burgenland), in Thörl-Maglern (Kärnten) sowie möglicherweise am Brenner (Tirol). In der Folge sind die als "Grenzmanagement" bezeichneten baulichen Maßnahmen an den Übergängen in Bad Radkersburg und Langegg (Steiermark), dem Karawankentunnel, in Lavamünd und Bleiburg-Grablach (Kärnten) sowie in Sillian und am Nauders-Reschenpass (Tirol) geplant. Unabhängig von den baulichen Maßnahmen werden viele grenzüberschreitende Autobahnen und Bahnstrecken seit langem verstärkt kontrolliert. Diese Kontrollen werden mithilfe des Einsatzes von mehr Personal und der Zusammenarbeit mit dem Bundesheer intensiviert. In Burgenland wurde am 25. April 2016 mit temporären Grenzkontrollen begonnen. Um 8:00 Uhr morgens wurde die Ostautobahn (A4) am Grenzübergang Nickelsdorf auf eine Spur reduziert und die Fahrzeuge mussten im Schritttempo die Kontrollstelle passieren.
Der Auf- bzw. Ausbau der Grenzkontrollstellen wird nur teilweise von Protesten begleitet, wie u.a. :: am Brenner, wo es bereits zu mehreren Demonstrationen und :: Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.
Eine Alpenrepublik im Ausnahmezustand
Die Einführung von Kontrollen an Österreichs EU-Binnen- bzw. Schengengrenzen ist laut der Stellungnahme von Agenda Asyl zur geplanten Änderung von Asyl- und Fremdenpolizeigesetz "unter bestimmten Voraussetzungen, konkret bei Vorliegen 'außergewöhnlicher Umstände', wodurch 'die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht' sind (vgl. Art 23 Abs 1 Schengener Grenzkodex), erlaubt. Die Materialien zum Gesetzesentwurf bemühen in diesem Zusammenhang eine Stellungnahme der Europäischen Kommission, in der die Einführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen durch Österreich und Deutschland als 'angemessene Antwort auf die Gefährdung' betrachtet wird, 'die für die innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung festgestellt wurde und die sich aus dem ungeordneten Zustrom einer außergewöhnlich hohen Zahl von Personen' ergeben habe".
Im Namen von "Ordnung und Sicherheit" wird argumentiert und kontrolliert. So steht der Aufbau des "Grenzmanagement", wie die militärisch betreuten Kontrollgitter und -käfige an den Grenzen genannt werden, in direktem Zusammenhang mit einer Novelle des Asyl- und Fremdenrechts.
Die hohe Anzahl an Flüchtlingen und Migrant_innen sei nicht verkraftbar, ist immer wieder von Schreibtischtäter_innen zu hören oder in Zeitungen zu lesen. Noch einmal so viele wie im Jahr 2015 könne Österreich nicht aufnehmen. Die Bilder von durch Europa wandernden Migrant_innen und Flüchtlingen werden dazu genutzt, um einen "Notstand" herbeizureden.
Obwohl sich der Diskurs um Grenzen und Kontrollen vor allem rund um das Thema Sicherheit dreht, sei der "Notstand" explizit nicht (nur) in Hinblick auf eine sicherheitspolizeiliche Bedrohung zu sehen, sondern gelte auch für den Fall, in dem öffentliche Dienste nicht aufrechterhalten werden können. Aktivist_innen, die unter dem Motto :: Asylrechtverschärfung stoppen gegen die Gesetzesnovelle mobil machen, stellten in diesem Zusammenhang fest: "Wenn also nicht genügend Wohnraum, Schul-, Kindergarten- oder Arbeitsplätze vorhanden sind, wenn Integrationsmaßnahmen nicht durchgeführt werden können oder wenn der soziale Zusammenhalt und das Sicherheitssystem gefährdet erscheinen, gilt die 'öffentliche Sicherheit und Ordnung' als gefährdet. Und wann dies gegeben ist, entscheidet die Regierung selbst. Dabei reicht es aus, dass dieser 'prognostiziert' wird."
Die Agenda Asyl interpretiert das Gesetzesvorhaben in Zusammenhang mit der Ausrufung eines "Notstandes" ähnlich: "Der geplante Entwurf spricht davon, dass die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates feststellt, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sind. Wann die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet ist, wird im Gesetzesentwurf nicht näher konkretisiert. Es werden keine Kriterien genannt, die - die im Gesetz genannte - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit indiziert.
Lediglich in den Erläuterungen wird auf die gewaltigen Herausforderungen des letzten Jahres Bezug genommen."
Begleitet werden die Gesetzesverschärfungen, die für Flüchtlinge und Migrant_innen gelten, von einer massiven Hetze in Medien und sozialen Netzwerken. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht näher mit dem :: Rassismus in Medien auseinander setzen, sondern einen Blick auf die Funktion des institutionalisierten Rassismus werfen.
Mehr dazu im dritten Teil unserer Artikelreihe:
:: Wegbereiter des Faschismus: Der Rassismus der 'Groß'-Parteien - Teil 3.