Quellenangabe:
Flammen für die Freiheit! (vom 02.10.2018),
URL: http://no-racism.net/article/5473/,
besucht am 21.12.2024
[02. Oct 2018]
Am 14. September 2018 brannte es in einer Zelle von sechs Gefangenen im Abschiebe- gefängnis am Hernalser Gürtel in Wien. Laut Medienberichte wiesen sie in einem Brief auf ihre Perspektiv- losigkeit hin und leisteten Widerstand gegen die Bedingungen in Schubhaft und drohende Abschiebungen.
Sie sahen keine andere Möglichkeit, auf ihre Situation aufmerksam zu machen - und leisteten Widerstand gegen die Bedingungen in Schubhaft und die drohenden Abschiebungen. Trotz ihrer teilweise schweren Verletzungen wurden sie nach Aufenthalt im Krankenhaus in Untersuchungshaft überstellt. Nun wird ihnen Mordversuch und Gemeingefährdung vorgeworfen.
In Abschiebegefängnissen, wie dem Polizeianhaltezentrum (PAZ) Hernals, werden Menschen "im Ermessen der Polizei" inhaftiert, wenn sie über keine gültigen Aufenthaltspapiere verfügen bzw. ihre Abschiebung bevor steht. Es bedarf keines richterlichen Beschlusses für die Verhängung von Abschiebehaft - und es ist sehr schwer, dagegen Rechtsmittel einzulegen. Die Schubhaft ist keine Strafhaft, sondern eine Verwaltungshaft, die offiziell dazu dient, eine Abschiebung durchführen zu können. Viele Menschen werden allerdings inhaftiert, obwohl die Abschiebung nicht durchführbar ist und keine Abschiebepapiere vorliegen. Der Grund für die Haft sind meist fehlende oder abgelaufene Papiere. Deshalb wird Schubhaft auch als "Haft ohne Delikt" bezeichnet.
Auf die Bedürfnisse der Schubhäftlinge wird so gut wie keine Rücksicht genommen - ihnen wird der Aufenthalt - und somit das Existenzrecht abgesprochen. Viele in Schubhaft Gefangene sind isoliert und haben keine Ahnung, warum sie inhaftiert sind und wie lange der Freiheitsentzug dauert. Dazu kommt die Gefahr der drohenden Abschiebung. All das ist Grund für zahlreiche Widerstandshandlungen in Schubhaft. Viele Gefangene setzen ihre Gesundheit bzw. ihr Leben aufs Spiel, weil ihnen der Einsatz ihres Körpers als einzige Möglichkeit bleibt, gegen die Haft und die drohende Abschiebung zu protestieren und für ihre Freiheit zu kämpfen. Die Nicht-Erfüllung von Träumen, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, die Motive sind wohl individuell verschieden.
Die Bedingungen in Schubhaft wurden in der Vergangenheit immer wieder kritisiert. Widerstand in unterschiedlichsten Formen steht auf der Tagesordnung: Hungerstreiks, Selbstverletzungen, Selbstmordversuche sind keine Seltenheit. Immer wieder kommt es zu Ausbruchsversuchen - die nicht selten erfolgreich sind. Doch all das ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, weil die Behörden versuchen, die Vorgänge hinter Gittern möglichst nicht nach draußen dringen zu lassen. Zahlreiche Berichte ehemaliger Gefangener zeigen auf, warum dies so ist: Gewalt und Misshandlungen gegen Häftlinge gehören in Abschiebegefängnissen zum Alltag. Da sich die Gewalt der Täter*innen gegen Menschen richtet, die einem rassistischen Weltbild zufolge "weniger wert" sind, erscheint ihnen ihr gewalttätiges Verhalten legitim. Sie berufen sich dabei auf die Vollstreckung von Gesetzen, denen die Anwendung staatlicher Zwangsgewalt zugrunde liegt.
Trotz zahlreicher kritischer Berichte zur Situation in Schubhaft ist kaum bekannt, was wirklich hinter den grauen Mauern geschieht. Nur jene, die dort inhaftiert sind bzw. dort arbeiten können Auskunft darüber geben. Menschen, denen jegliche Rechte entzogen werden und die alltäglicher rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind, haben meist keine Möglichkeit, mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Gefangenen selbst erhalten nur selten die Möglichkeit, über ihre Erfahrungen zu berichten - und ernst genommen zu werden.
In der brennenden Zelle im PAZ Hernalser Gürtel befanden sich fünf Männer aus Afghanistan und einer aus dem Iran. Insbesondere zu Afghanistan ist bekannt, was eine Abschiebung in das von militärischen Auseinandersetzungen gezeichnete Land bedeutet: Zurückgebracht zu werden in Unsicherheit und Krieg. Ein kürzlich :: vom UNHCR veröffentlichter Bericht belegt, dass es in Afghanistan keine internen Flucht- oder Schutzalternativen gibt. Insbesondere nach Afghanistan Zurückgeschobene sind bedroht, da weder familiäre Netzwerke noch der Staat ein menschenwürdiges Überleben sicherstellen können. In der Hauptstadt Kabul, die von österreichischen Behörden und Gerichten häufig als sichere innerstaatliche Fluchtalternative bezeichnet wird, ist für viele Menschen nicht einmal die Versorgung mit den lebensnotwendigsten Gütern und sauberem Wasser gegeben. Auch die Möglichkeit, in bewaffnete Auseinandersetzungen oder Anschläge zu geraten ist sehr hoch. Laut UNHCR ist der Alltag in Kabul lebensgefährlich.
Wenn Menschen eine drohende Abschiebung als Gefährdung der eigenen Sicherheit empfinden und keinen anderen Ausweg sehen, als einen Akt des Widerstandes zu setzen, der sie selbst in Gefahr bringt, dann sollte ihnen Respekt entgegengebracht werden. Doch die Behörden sehen dies anders. Widerstand wird als Verstoß gegen ihre Gesetze gewertet, kriminalisiert und zur Straftat erklärt (siehe dazu auch den :: Fluchthilfeprozess).
Am 16. September wurde nach der Einvernahme eines 31-jährigen Beteiligten berichtet, dass der Brand aus Protest gelegt wurde (Die Presse). Vier der Gefangenen waren zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Krankenanstalt entlassen, einer befand sich nach wie vor auf der Intensivstation, und einer im Normalaufenthalt im Krankenhaus. Laut Medienberichten bestand keine Lebensgefahr mehr. Die Leute wurden vom Krankenhaus direkt in die Justizanstalt Josefstadt gebracht und in Untersuchungshaft genommen.
Einmal mehr wird ein Vorfall, der eigentlich eine kritische Reflexion hervorrufen sollte und kein gutes Licht auf die Schubhaft insgesamt wirft, instrumentalisiert. Die Medienberichte basieren auf ungesicherten Informationen. Der Brief, das einzige vorliegende Schriftstück der nun Angeklagten, aus dem die Motivation für die Brandstiftung hervorgehen könnte und der wohl die Bedingungen in Schubhaft kritisiert, wurde nicht veröffentlicht - aber viel über die Tat spekuliert und eine Vorverurteilung der sechs widerständigen Schubhäftlinge vorgenommen. Ihnen wird das Motiv einer Straftat unterstellt; sie werden kriminalisiert, weil sie auf ihre hoffnungslose Situation aufmerksam machen wollten – eine Situation, die geprägt ist von massiver staatlicher Zwangsgewalt zur Durchsetzung von Haft und Abschiebung.
Dass Abschiebungen selbst oftmals nicht rechtmäßig durchgeführt werden und sich die Behörden dabei nicht an ihre eigenen Gesetze halten, ist bekannt. Und auch im vorliegenden Fall dürfte einiges ungereimt sein. So teilte am 21. September der Anwalt eines der nun Angeklagten mit, dass die geplante Abschiebung seines Klienten rechtswidrig gewesen wäre - und die Angeklagten deshalb freizusprechen seien. Es handle sich hier um eine Ausnahmesituation, in der es durchaus aus Verzweiflung zu drastischen Maßnahmen kommen könne (siehe oe24.at).
Dies passt in die :: "koloniale Kultur der Abschiebungen", die das Denken der Behörden (mit)bestimmt. Menschen wird eine "Gefährdung der Gemeinschaft" unterstellt, als Rechtfertigung dafür, dass sie wie im Beispiel Afghanistan in Kriegsgebiete abgeschoben werden, wo ihre Sicherheit nicht garantiert ist. Wenn sie sich dagegen wehren, dann wird massive Gewalt eingesetzt, um sie zu zwingen, das Land zu verlassen; sowohl psychische als auch physische Gewalt. Gegen Menschen, die hier sind, weil sie sich eine (neue) Lebensperspektive schaffen und nicht in die Perspektivlosigkeit abgeschoben werden wollen. Dieses Vorgehen stellt einen massiven Eingriff in die Grundfreiheiten aller Menschen auf Existenz dar.
Dabei ist wichtig festzuhalten, dass es sich hier um keinen Einzelfall handelt, sondern um eine Systematik, die das Existenzrecht von Menschen von Papieren abhängig macht. Ob ich lohnarbeiten darf oder nicht, ob ich mich frei bewegen kann oder nicht, ob ich eine Wohnung oder eine Bankomatkarte bekomme, ... Für die meisten Menschen ganz selbstverständliche Dinge werden anderen verwehrt bzw. nicht zugestanden. Der Neid geht so weit, dass sogar der Besitz eines Smartphones als Indiz für eine fehlende Schutzbedürftigkeit dient. Dabei ist die Freiheit auf Kommunikation eine grundlegende Freiheit, ebenso wie die Meinungsfreiheit. Und wenn diese Grundfreiheiten einmal in Frage gestellt sind, dann ist der Weg in eine Gesellschaft geebnet, in der diese Freiheiten nicht mehr gewährt werden. Und dies betrifft alle Menschen.
In Haft können Freiheiten nicht nur entzogen werden, Haft stellt den Entzug der Freiheit am deutlichsten dar: Ein Leben hinter Gittern! Im Fall von Geflüchteten und Migrant*innen in Europa ein Leben hinter Gittern und Zäunen. Und dort kommt es immer wieder und überall zu :: Aufbegehren und Rebellionen - und in der Folge oft zur Kriminalisierung der Rebellierenden.
Die sechs Gefangenen aus dem PAZ Hernals sind ein Fall aus unzähligen Versuchen, Widerstand von geflüchteten Menschen zu Kriminalisieren. So ist das Verfahren gegen die :: Röszke 11 und :: Ahmed H. in Ungarn die beispielhafte Verknüpfung von Rassismus und sogenannter Terrorismusbekämpfung, die insbesondere muslimische Migrant*innen unter Generalverdacht stellt und politische Proteste und ausgeschlossene Personengruppen kriminalisiert. Weitere Fälle sind die :: Moria 35 in Griechenland, die :: Stansted Defendants in England, die :: Harmanli 21 in Bulgarien oder die :: Donauwörth 32 in Bayern.
All diese Beispiele machen deutlich, wie jene Akteur*innen systematisch kriminalisiert und bestraft werden, die gegen Grenzregime, Zäune, Gitter und staatliche Gewalt gegen Migrant*innen Widerstand leisten.
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