Quellenangabe:
10 Jahre Volxtheater (vom 15.09.2004),
URL: http://no-racism.net/article/948/,
besucht am 21.11.2024
[15. Sep 2004]
Wir dokumentieren einen Text von Gini Müller, der anlässlich des zehnten Geburtstags des Volxtheaters entstanden ist. Im September 1994 wurde das Projekt in Wien initiiert.
Vor zehn Jahren wurde das VolxTheater ausgerufen und gegründet. Im September 1994 fand die erste Premiere, die "Dreigroschenoper" von Bertold Brecht, "eine Oper von "Bettlern für Bettler", im Ernst Kirchweger Haus, im 10. Wiener Gemeindebezirk statt.
Autonome politische Gruppen, AnarchistInnen und KurdInnen besetzten 1990 die ehemalige Wielandschule, die davor jahrelang leer stand und sich im Besitz der KPOe befand, und begannen das eroberte Haus als alternatives politisch-radikales Kultur- und Wohnprojekt zu nutzen. Die ehemalige Revue-Bühne des Wielandtheaters im Keller des Hauses, wurde würdig mit Brecht, vom "VolxTheater Favoriten", reanimiert. Auf Wiener Volktheatertradition bezog man/frau sich dabei nur bedingt, das X im Volx wurde gegenkulturell gesetzt und begriffen. HausbewohnerInnen und andere theaterinteressierte politische AktivistInnen entschieden sich dafür, Theater als politisches Ausdruckmittel des Aktivismus anzueignen. Es ging dabei nicht so sehr um einen grossen kuenstlerischen und professionellen Anspruch, sondern darum kollektiv zusammenzuarbeiten, sich auch mittels Theater politisch auszudrücken, und einfach den Spass am Agieren zu betonen:
"volXtheater. Leute, die Theater machen wollen.Volxtheater als kollektives, nicht hierarchisches Konzept, ob im Saal oder auf der Strasse. Theater von Unten, aus dem Kopf, dem Bauch, dem Arsch, der Faust, aus jeder kleinen Zehe und aus voller Brust! Nach Möglichkeit immer knapp unter der Gürtellinie, bar jeglicher Moral und dennoch voller Wut....."
(http://no-racism.net/volxtheater/_html/vktfset.htm)
Aus politischem Selbstverstaendnis heraus sind auch die Dogmen abzuleiten, die bis heute gelten: keine RegisseurInnen, keine Bezahlung, möglichst kollektive Entscheidungsfindung, offener Gruppenanspruch; politische Ausrichtung: anti-rassistisch, anti-sexistisch, anti-nationalistisch. Dementsprechend konflikt- und auseinandersetzungsreich verlaufen auch seit jeher die kollektiven Proben- und Organisationsprozesse. Volxtheater arbeitet und spielt immer am Rande der Selbstzerfleischung über Sinn und Zweck des eigenen politischen Handelns. Die (gespielte) Kokettierie mit Kunst führt nur allzuoft zum Verdacht des politischen Verrats. Zwischen den stühlen von Kunst und Politik zu sitzen zermÃŒrbt die Seele und die Glieder mit performativer Gewalt.
Dem grossen überraschungserfolg der "Dreigroschenoper" folgten weitere politische "Opern" bzw. Theaterauffuehrungen im repräsentativem Rahmen der nunmehr autonomen Bühne, deren integraler Bestandteil Musik als weiteres Ausdruckmittel ist: Kleists Penthesilea (eine "Hundsoper"), H. Müllers Auftrag ("Trip-Hop Oper") und die Aktionsoperette "Schluss mit lustig" sind u.a als weitere AufFührungen im Zeitraum von 1996 -1999 zu nennen, geprobt und diskutiert wurde dafür meist jeweils bis zu einem Jahr. Ausdrucksformen von VolxTheater beschränkten sich aber von Anfang an nicht nur auf stücke im Theaterraum. Die Verbindung von "direct action" und Aktivismus ist politisches Selbstverständniss und manifestierte sich u.a. in "Einsätzen" gegen Militärparaden (zb. 1995, "Sterben am Ring", 1999 "Neubewertung", Sammelaktionen für Wehrdienstverweigerer usw.), und speziell in Strassentheateraktionen gegen die Österreichische und europaeische Flüchtlingspolitik (1996 Flucht aus Transdanubien, siehe http://no-racism.net/volxtheater). Die Musik-Connection fand verstärkt weiter Ausdruck in Volx-Core-projekten, Chanson- und Liederabenden und temporären Bandprojekten.
Die Zusammensetzung von VolxTheater erstreckte sich zuerst vor allem auf das "EKHaus" -Umfeld, erweiterte und veränderte sich aber mit den Jahren und Projekten. Bis 2000 fanden die zumeist wöchentlichen Organisationsplena im EKH statt, mit no-racism.net/Plattform Vernetzung und nobordertour-Schwerpunkten verlagerten sich die kollektiven Sitzungen in die räume der Burogemeinschaft Schottengasse. Auch der Regierungswechsel und die daraus resultierende Protest- und Widerstandsbewegung (virtuell und im öffentlichen Raum) hatten Einfluss auf Aktions- und Themenentwicklung. Der Fokus auf anti-rassistische Arbeit ergab sich aus langjähriger Erfahrung von VolxTheater-AktivistInnen in politischen Zusammenhängen, dem Zusammenleben mit MigrantInnen im EKHaus und WGs und Arbeit in Beratungsstellen. Die "Plattform für eine Welt ohne Rassismus", die in Folge der Ermordung von Marcus Omofuma 1999 als Aktionsplattform von MigrantInnen und politischen anti-rassistischen Gruppen gegründet wurde, leistete bis zu ihrer Auflösung im Jahr 2003 wichtige Arbeit, speziell was Austausch und weitere Vernetzung betrifft. Hier genauso wie im VolxTheater trafen verschiedenste ExpertInnen aufeinander, was in viele Aktionen und Kampagnen, aber auch zu permanenten Konflikten über Inhalte, Methoden, Strategien und Begriffen führte. Speziell Debatten über Sexismus hatten sowohl in der Plattform, als auch im VolxTheater Sprengpotential.
Der Druck des Handelns unterdrückt oft genug notwendige Reflexionen und Infragestellungen, löst aber auch in Folge gemeinsame Versuche politischen Tuns auf. Neue kollektive Zusammenschlüsse entwickeln sich, doch Konfliktdimensionen und Macht spielen omnipräsent weiter.
Nachdem sich Leute von no-racism.net und VolxTheater mit noborder-AktivistInnen international zu vernetzen begannen, wurde erstmals zur VolxTheaterkarawane - noborder-nonation-tour 2001 aufgerufen: "For freedom of movement and freedom of communication" wurden als inhaltliche Slogans und Motti konkret in den Vordergrund gestellt. Damit verabschiedete sich das VolxTheater vorerst komplett vom Bühnenraum und stieg in Autos und Busse um globalisierungskritischen Protest mit Theater- und Medienaktivismus zu verbinden. VolxTheater wurde ein konkreter "Aktionsarm" von anti-rassistischen Netzwerken wie no-racism.net, noborder.org, und vernetzte und internationalisierte sich speziell in den Sommerprojekten von 2001-2003. (Siehe
2001: http://no-racism.net/nobordertour,
2002/03/04: http://no-racism.net/noborderlab).
Das erste Karawanenprojekt endete bekanntlich mit der Inhaftierung in Genua, wodurch das VolxTheater unerwartete Medienpräsenz erlangte, und die Frage nach "Machen die nun Theater oder linksradikale Politik?" in aller Öffentlichkeit der Kulturnation Österreich diskutiert wurde. Den internen Konflikt, den die erste Volxtheaterkarawane und im speziellen die Genua-Repression auslöste überwand das Kollektiv bis heute nicht und veränderte es erneut.
Das mobile Projekt entwickelte sich in den Jahren von 2002-04 (unter verschiedenen noborder Logos) im Gebrauch von politischen Theater- und Medienaktivismus, gleichzeitig steht sie für viele weiterhin symbolisch fuer ein Beispiel von Polizeirepression, welche das Logo des Black Block zu definieren versucht, um es zu kriminalisieren. In Genua haben heuer die ersten Prozesse gegen 26 ItalienerInnen angefangen und weitere sollen folgen. Wellen von Verhaftungen und der Repression in Italien erreichen eine neue aber auch sich wiederholende Qualität. Die Folgen des G8 Gipfel kommen erst langsam zum Vorschein. Der Prozessausgang im Fall VolxTheater ist nachwievor offen, es wird darüber vielleicht im Herbst 2004 entschieden. (siehe mehr infos zu Genua:
http://no-racism.net/noborderlab/news_ueb.php?rubrikid=13)
Was meint VolxTheater nach 10 Jahren? Es wird sicherlich kein grosses Jubilaeum gefeiert werden, denn es ist keinesfalls eine Erfolgsgeschichte, sondern eher ein permanenter, schwieriger (aber auch leidenschaftlicher) Prozess der Eigendefinition, der nach 10 Jahren mehr denn je Fragen ueber den Sinn des eigenen Tuns aufwirft. "Handlungstheater" als spezifischer Gebrauch von politischen Aktivismus kann eine widerständige Macht sein, indem es beispielsweise staatlich gewaltsame Performative, Repräsentationssettings und seine Herrschaftsmechanismen aufdeckt und subversiv bespielt. Ein prekäres Unterfangen, wie viele Erfahrungen gezeigt haben, denn die Ansprüche und die Realität klaffen oft weit auseinander. Der Rest liegt dann zumeist in kreativem Scheitern. Theater als Teil und Strategie von politischer Arbeit und Aktivismus beinhaltet die ständige Entwicklung und den Aufbau von Netzwerken und Beziehungen, die sich nicht nur auf eine kleine linke Politszene beschränken lassen. In diesem Sinn meint die immanente Verbindung von Theater/Politik und Aktivismus das Potential der unmittelbaren Praxis situativen Lernens.
Der Anspruch liegt neben einem politisch erweiterten Theaterbegriff wesentlich im kritischen sozialen Tun und einem möglichen subversiven und progressiven Handeln als solchem. Im Kontext des Anti-Rassismus geht es dabei vorrangig sicherlich nicht um Theater, sondern um Sozial- und Kulturarbeit, die nach kritischer solidarität, Offenheit, Respekt, Reflexion und Konfliktbewältigung verlangt. Der Druck zu Handeln unterdrückt oft das reflektierte Tun, und das Wollen am Miteinander, die es zum politisch offensiv Sein auch braucht. Die Kapazitäten sind immer zu gering, Faktoren der Zusammenarbeit und Beziehungsfähigkeiten oft genug nicht gegeben. VolxTheater als prekäres, nie funktionierendes Kollektiv und (im besten Fall) subversives Ausdrucksmittel bedeutet für viele, die wissen, warum es gut und wichtig ist, durchwegs Verschiedenes in Setzung von Prioritäten, Inhalten und Aktivitäten. Da in den letzten 10 Jahren viele Menschen kurz oder lang mit VolxTheater auf verschiedenste Arten in BerÃŒhrung kamen, prägte dies die Fluktuation, Veränderung und Meinungsvielfalt, aber auch die intern brennenden Feindschaften und Verräteranschuldigungen. Dementsprechend viele ausgetragene und nichtausgetragene Dramen und Konflikte sind im theatral-politischem Netzwerk vorhanden und wirken auf dieses, doch alle ersehnen vielleicht herrschaftsfreie Selbstorganisation.
Judith Butler verstand unter performativer Subversion eine "ver-queerte" Möglichkeit Repräsentationen und Machtbeziehungen in Frage zu stellen, ihre Kontexte zu verschieben und durch das eigene queere Tun Anspruch zu erheben, zu fordern. Die Frage nach dem Vermögen von politischem Theateraktivismus und performativer Subversion zu stellen, heisst aber auch wesentlich auf ein angemessenes konfliktives Miteinander zu achten, mit Betroffenen von Repression, wie MigrantInnen verstärkt zusammen zuarbeiten und dabei eben nicht Theater zu spielen.
10 Jahre VolxTheater heisst, dass "wir" nachwievor "fragend voranschreiten" und dabei über die richtigen Mittel des Tuns nicht besser als zu Anfang bescheid wissen, aber noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass Veränderung durch politisches Tun möglich ist.