Bericht vom 4. Prozesstag im Verfahren gegen Sabinus, Gefangener der "Operation Spring"
24.09.2002
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Bericht vom Verfahren gegen Sabinus 05.07.2002


Bericht vom Verfahren gegen Sabinus 04.07.2002



Schwerpunkt zur "Operation Spring" auf www.no-racism.net
 
Wiederaufnahmeprozess gegen Sabinus am 03.09.2002
(4. Prozesstag)

Bericht von GEMMI

Die Zeugin

Die einzige Belastungszeugin des ganzen Prozesses ist diesmal anwesend. Sie bleibt bei ihrer früher gemachten Aussage - sie hätte auch die Möglichkeit einer Entschlagung gehabt, wird sie von Richter Rothmeier hingewiesen.
Der Richter verliest aus den Akten die bei der Polizeivernehmung gemachte Aussage der Zeugin: Sie habe bei einer U-Bahnstation Drogen von Sabinus und einem Freund gekauft; es handle sich um eine Menge von 30 Gramm; auf Fotos habe sie ihn erkannt, seinen Namen habe sie aber nicht nennen können.
Auf die Frage, ob die Zeugin damals bei der Polizei gelogen habe, antwortet sie mit Nein. Auf die Frage, ob es eine Gegenüberstellung gegeben habe, sagt die Zeugin, sie wisse es nicht mehr, weil das zu lange her sei. Als der Anwalt nachfragt, warum sie dann bei ihrer Aussage von damals bleibt, interveniert der Richter und erklärt, dass man sich an eine Lüge immer erinnern müsse - wegen des `schlechten Gewissens´ - auch wenn man sonst nichts mehr wisse. Die Frage des Anwalts bleibt unbeantwortet.
Auf die Frage, ob die Zeugin den Sabinus jetzt erkenne, sagt sie, sie könne sich nicht erinnern. Worauf der Richter aufklärt, dass es eine Lüge sei, etwas nicht zu sagen, obwohl man davon weiss. Die Zeugin erinnert sich nun doch daran, den Sabinus bei der letzten Verhandlung gesehen zu haben.
Als der Anwalt sie nach der gekauften Menge Drogen befragt, verweist sie darauf, dass es sich `wahrscheinlich´ um die vom Richter verlesene Menge (30 g) gehandelt habe. Der Anwalt macht auf den Widerspruch aufmerksam, dass die Zeugin bei der Verhandlung am 23.5. ausgesagt hat, die Menge von 25-30 g könne nicht stimmen, es sei viel weniger gewesen. Heute erinnert sie sich dennoch nicht mehr an die Menge, aber bleibt bei ihrer Aussage bei der Polizei.
Auch an andere Dinge - etwa den Zeitraum, in dem sie Drogen gekauft habe, ihr persönliches Verhältnis zu Sabinus und seinem Freund - könne sie sich nicht mehr erinnern.
Sabinus meldet sich zu Wort und stellt - trotz versuchtem Einwand dagegen seitens des Richters - selbst Fragen an die Zeugin. Er will wissen, wieoft sie in der Wohnung seines Freundes gewesen sei. Sie sagt, sie könne sich nicht erinnern. Sabinus sagt, es ist ein Widerspruch, wenn sie sicher behaupte, von ihnen beiden Drogen gekauft zu haben, aber sich nicht mehr erinnern könne, ob sie in der Wohnung gewesen sei. Er sagt, er habe sie dort mehrmals getroffen und er bezweifelt, dass sie dort Drogen genommen habe. Sabinus wiederholt noch einmal, dass er nicht daran glaubt, dass die Zeugin damals drogenabhängig gewesen sei.
Weitere Fragen werden gestellt, die Zeugin kann sich aber an nichts mehr erinnern. Schliesslich erklärt der Richter sein volles Verständnis dafür, dass das Gedächtnis der Zeugin nachgelassen habe, aufgrund der langen Dauer des Verfahrens - damit ist die Befragung der Zeugin beendet. 1)

Der Mythos von der unverständlichen Sprache und ein widersprüchlicher Übersetzer

Es geht jetzt um ein abgehörtes Handygespräch. Der Richter sagt, dass dieses vom diplomierten und beeideten Ibo-Dolmetscher Douglas Idehen zum Teil übersetzt worden ist. Der Anwalt erwidert, dass die Gesprächssequenz wieder nur sinngemäss - und nicht wortwörtlich - übersetzt wurde. Er führt aus, dass der OGH gerade darauf hingewiesen hat, dass eine wortwörtliche Übersetzung unmittelbar gemacht werden muss. Der Anwalt erklärt, dass das vor allem deshalb wichtig ist, weil hier dem Sabinus angeblich geführte Gespräche zugeordnet werden, die er nicht geführt haben kann, weil er zum betreffenden Zeitpunkt im Gefängnis war. 2)
Aber den Richter scheint das nicht aus der Ruhe zu bringen: `Das ist halt nicht ordentlich gemacht worden, so wie ich es wollte.´ Schliesslich greift er zum Telefon, in der Annahme, dass die von ihm angeforderte wörtliche Übersetzung inzwischen doch schon angekommen sein könnte. Dann kommt er aber zu dem Schluss, dass das wichtigste sei, dass es sich um einen anerkannten Dolmetscher handle - sonst könne sich das Verfahren auch noch Jahre hinziehen, meint der Richter. 3)
Die Staatsanwältin schaltet sich ein und lässt das Gericht wissen, dass es bei der Sprache Ibo gar nicht anders möglich sei, als sinngemäss zu übersetzen, weil es `500 Bedeutungen´ gäbe. Das sei in unzähligen `Operation Spring´ und `Easy´-Verfahren hinlänglich bewiesen worden, behauptet sie. Der Richter zitiert aus einem Akt verschiedene Worte, die angeblich aus Gesprächen in Ibo stammen und unterstreicht dann die Annahmen der Staatsanwaltschaft: `Man kann halt Unterschiedliches herauslesen.´
Der Anwalt besteht allerdings darauf, dass es nicht Aufgabe eines Dolmetschers ist, zu interpretieren, das bleibt immer noch gerichtliche Beweiswürdigung. Dass der anerkannte Dolmetscher des Gerichts das offensichtlich anders sieht, belegt der Anwalt mit einem Beispiel: Der Dolmetscher übersetzt ein Gespräch mit einem `unbekannten SA´, was für Suchtgiftabnehmer stehen soll - der Anwalt stellt die berechtigte Frage, woher er das denn wissen könne? Der Richter versucht es damit zu rechtfertigen, dass die Stimme nur schwer zu erkennen sei, wie das Institut für Schallforschung festgestellt habe. Plötzlich erkennt die Staatsanwältin, dass `SA´ ja eigentlich für `Schwarzafrikaner´ stehe, und das sei in tausenden von Akten so: `Das erkennt man messerscharf, weil er wahrscheinlich Ibo gesprochen hat.´ 4)

Jahrelang ignorierte Anträge der Verteidigung

Während der Anwalt sämtliche Anträge aufrechterhält, spricht sich die Staatsanwältin `pauschal dagegen aus´, weil sie eigentlich nichts über die Anträge weiss, wie sie dann doch zugeben muss, denn das ist ihre erste Hauptverhandlung in diesem Verfahren.
Der Richter behauptet nun, dass die zwei von der Verteidigung zur Ladung angesuchten Zeugen, nicht auffindbar seien. Der Anwalt wendet ein, dass der Antrag auf Ladung des einen Entlastungszeugen immerhin bereits im März 2000 gestellt wurde. Der sonst eher still beisitzende Richter sieht sich deshalb zu einer empörten Wortmeldung veranlasst: `Er ist nicht greifbar! Haben Sie das nicht verstanden?´
Auch der zweite Zeuge sei nicht auffindbar, behauptet der Richter. Auch hier wendet der Anwalt ein, dass der Antrag zur Ladung vor mehr als zwei Jahren gestellt wurde: `Wenn er jetzt nicht greifbar ist, dann ist das beweiszuwürdigen, weil hier Entlastungsanträge ignoriert wurden!´

Der Richter spricht dann von den Videosequenzen - das Gericht könne sich nicht auf deren Qualität verlassen. 5)
Aus dem selben Grund (schlechte Qualität der Aufnahme) sei auch eine Stimmanalyse nicht möglich. Eine Schriftprobe, die der Anwalt zur Überprüfung der wirklichen Sprachkenntnisse des Dolmetschers zu Recht gefordert hat (Prozessbericht vom 5. Juli 2002), hält der Richter für nicht relevant, ohne das zu begründen. Stattdessen lässt er uns an seinem scheinbar umfassenden Wissen über die Sprache Ibo teilhaben: Eine wörtliche Übersetzung sei schwierig, weil jeder Dolmetscher seine eigene Art habe, zu übersetzen. Eine wörtliche Übersetzung sei daher `ein Kauderwelsch´. Es komme vielmehr auf die `Ton-Nuancen´ an und nicht auf das Wort. 6)
Nach einer Beratungspause des Gerichts wird dem Anwalt die Frage gestellt, ob er im Falle der Vorlage einer Übersetzung auf die direkte Befragung des Dolmetschers verzichten würde. Die Verteidigung verzichtet auf eine Beiziehung, fordert aber eine Stellungnahme des Dolmetschers zu Fragen über die Sprache Ibo, also den Dialekten und den unterschiedlichen Bedeutungen und Verwendungsarten von Wörtern, die Auswirkung von Betonungen auf den Sinn, die Bildlichkeit der Sprache. Der Anwalt unterstreicht, dass bereits in der letzten Hauptverhandlung diesbezüglich ja sehr deutliche Widersprüche aufgetaucht sind.

Plötzlich eröffnet uns der Richter, dass der Dolmetscher Idehen ihm eine Nachricht zukommen hat lassen, und zwar scheinbar während die Verhandlung im Gange war, in welcher Idehen feststellt, dass sämtliche Worte in Ibo seien. Auch bedeute das Wort `eke´ soviel wie `Pythonschlange´, im übertragenen Sinne aber `Bulle´, also Polizei. Daraufhin die nicht unwichtige Frage des Richters: `Gibt es eigentlich ein Wörterbuch in Ibo?´ - `Der (Richter) Dr. Mende besitzt eines.´ antwortet die Staatsanwältin.
Der Richter entscheidet auf Vertagung der Verhandlung auf unbestimmte Zeit. Es hänge davon ab, wann der Idehen eine Übersetzung liefere - Idehen selbst meine, in 14 Tagen könne er damit fertig sein, daher sei mit einer Verhandlung in drei Wochen zu rechnen. Der Richter wiederholt, dass der Idehen qualifiziert sei, deshalb müsse man als gegeben nehmen, was er übersetze. Richter Rothmeier schickt noch eine Warnung an die Verteidigung: `Irgendwann werden uns die Ibo-Dolmetscher ausgehen, wenn Sie auf die wörtliche Übersetzung
bestehen!´ - was auch als Drohung ausgelegt werden kann. Die in Frage gestellte Qualifikation des Dolmetschers wird dadurch jedoch nicht belegt. Im Gegenteil, der Anwalt bringt ein neues Beispiel: Es könne doch nicht sein, dass bestimmte Gesprächsstellen vom Dolmetscher nicht übersetzt werden, nur weil der Herr Idehen sie als `belanglos´ einstufe.
Die Staatsanwaltschaft bezieht abschliessend noch einmal Position und meint die Behauptungen des Gerichts stützen zu können: Es sei gerichtsbekannt, dass ein Wort gleich fünf oder sechs Bedeutungen habe, dies sei in den `Operation Spring-´ und `Easy´-Verfahren belegt worden. Daher sei `eine wortwörtliche Übersetzung sinnlos´.
[Ende des 4. Verhandlungstages bzw. des 6. Verhandlungstages seit Dezember 1999 aus der Sicht von Sabinus]

Anmerkungen zu den facts

1) Es sei an dieser Stelle auf das erwähnte Verfahren am 23.5.2002 hingewiesen: Bei der damaligen Befragung der Zeugin verwickelte sie sich bei der angeblichen Drogenmenge in Widersprüche zu ihrer Aussage bei der Polizei. Warum das so ist, darauf deuten vielleicht die Fragen des Anwalts damals: Mehrmals befragte er die Zeugin nach den Umständen der Einvernahme bei der Polizei - ihre Antwort darauf war überzeugend und lässt die Schlussfolgerung zu, dass sie unter starkem Druck von aussen gestanden hat. Viele Fragen, mit denen Sabinus belastet wird, hat sie auch am 23.5. mit `Ich weiss nicht mehr, das ist lange her´ beantwortet. Auf die Frage des Anwalts, ob sie beim Polizeiverhör `fertig war´, hat sie mit einem eindeutigen Ja! geantwortet.

2) In der Begründung des OGH vom 21.11.2000 zur Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Verfahrensmängel war das einer von vielen Beweisanträgen der Verteidigung, die vom damaligen Richter Stockhammer einfach ignoriert wurden. Das erste Verfahren endete mit der Verurteilung von Sabinus zu 5 Jahren Knast am 9.3.2000.

3) Zum Zeitraum: Sabinus wurde im Rahmen von `Operation Spring´ am 27.5.1999 verhaftet und sitzt seither in U-Haft.

4) Sabinus kommt aus Liberia und spricht kein Ibo

5) Auch das ist ein wichtiger Punkt im OGH-Bescheid, denn der damalige Richter hatte offenbar keinen Zweifel an der `Qualität´, weshalb er auch im ersten Prozess auf eine Vorführung gänzlich verzichtet hat.

6) Es stellt sich nun die Frage, warum es möglich war, dass soviele Menschen aufgrund von, ihnen zugeschriebenen, abgehörten Gesprächen zu jahrelangem Kerker verurteilt worden sind, wenn sich jetzt herausstellt, dass diese Gespräche doch eigentlich in einem für Gericht und Polizei unverständlichen `Kauderwelsch´ geführt worden sein sollen.



Unterstützungsgruppe
für die Gefangenen der "Operation Spring":

GEMMI - Gesellschaft für Menschenrechte von Marginalisierten und MigrantInnen
   
 

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