Wiederaufnahmeprozess gegen Sabinus am 03.09.2002
(4. Prozesstag)
Bericht von GEMMI
Die Zeugin
Die einzige Belastungszeugin des ganzen Prozesses ist diesmal anwesend.
Sie bleibt bei ihrer früher gemachten Aussage - sie hätte auch
die Möglichkeit einer Entschlagung gehabt, wird sie von Richter Rothmeier
hingewiesen.
Der Richter verliest aus den Akten die bei der Polizeivernehmung gemachte
Aussage der Zeugin: Sie habe bei einer U-Bahnstation Drogen von Sabinus
und einem Freund gekauft; es handle sich um eine Menge von 30 Gramm; auf
Fotos habe sie ihn erkannt, seinen Namen habe sie aber nicht nennen können.
Auf die Frage, ob die Zeugin damals bei der Polizei gelogen habe, antwortet
sie mit Nein. Auf die Frage, ob es eine Gegenüberstellung gegeben
habe, sagt die Zeugin, sie wisse es nicht mehr, weil das zu lange her
sei. Als der Anwalt nachfragt, warum sie dann bei ihrer Aussage von damals
bleibt, interveniert der Richter und erklärt, dass man sich an eine
Lüge immer erinnern müsse - wegen des `schlechten Gewissens´
- auch wenn man sonst nichts mehr wisse. Die Frage des Anwalts bleibt
unbeantwortet.
Auf die Frage, ob die Zeugin den Sabinus jetzt erkenne, sagt sie, sie
könne sich nicht erinnern. Worauf der Richter aufklärt, dass
es eine Lüge sei, etwas nicht zu sagen, obwohl man davon weiss. Die
Zeugin erinnert sich nun doch daran, den Sabinus bei der letzten Verhandlung
gesehen zu haben.
Als der Anwalt sie nach der gekauften Menge Drogen befragt, verweist sie
darauf, dass es sich `wahrscheinlich´ um die vom Richter verlesene
Menge (30 g) gehandelt habe. Der Anwalt macht auf den Widerspruch aufmerksam,
dass die Zeugin bei der Verhandlung am 23.5. ausgesagt hat, die Menge
von 25-30 g könne nicht stimmen, es sei viel weniger gewesen. Heute
erinnert sie sich dennoch nicht mehr an die Menge, aber bleibt bei ihrer
Aussage bei der Polizei.
Auch an andere Dinge - etwa den Zeitraum, in dem sie Drogen gekauft habe,
ihr persönliches Verhältnis zu Sabinus und seinem Freund - könne
sie sich nicht mehr erinnern.
Sabinus meldet sich zu Wort und stellt - trotz versuchtem Einwand dagegen
seitens des Richters - selbst Fragen an die Zeugin. Er will wissen, wieoft
sie in der Wohnung seines Freundes gewesen sei. Sie sagt, sie könne
sich nicht erinnern. Sabinus sagt, es ist ein Widerspruch, wenn sie sicher
behaupte, von ihnen beiden Drogen gekauft zu haben, aber sich nicht mehr
erinnern könne, ob sie in der Wohnung gewesen sei. Er sagt, er habe
sie dort mehrmals getroffen und er bezweifelt, dass sie dort Drogen genommen
habe. Sabinus wiederholt noch einmal, dass er nicht daran glaubt, dass
die Zeugin damals drogenabhängig gewesen sei.
Weitere Fragen werden gestellt, die Zeugin kann sich aber an nichts mehr
erinnern. Schliesslich erklärt der Richter sein volles Verständnis
dafür, dass das Gedächtnis der Zeugin nachgelassen habe, aufgrund
der langen Dauer des Verfahrens - damit ist die Befragung der Zeugin beendet.
1)
Der Mythos von der unverständlichen Sprache und ein widersprüchlicher
Übersetzer
Es geht jetzt um ein abgehörtes Handygespräch. Der Richter
sagt, dass dieses vom diplomierten und beeideten Ibo-Dolmetscher Douglas
Idehen zum Teil übersetzt worden ist. Der Anwalt erwidert, dass die
Gesprächssequenz wieder nur sinngemäss - und nicht wortwörtlich
- übersetzt wurde. Er führt aus, dass der OGH gerade darauf
hingewiesen hat, dass eine wortwörtliche Übersetzung unmittelbar
gemacht werden muss. Der Anwalt erklärt, dass das vor allem deshalb
wichtig ist, weil hier dem Sabinus angeblich geführte Gespräche
zugeordnet werden, die er nicht geführt haben kann, weil er zum betreffenden
Zeitpunkt im Gefängnis war. 2)
Aber den Richter scheint das nicht aus der Ruhe zu bringen: `Das ist halt
nicht ordentlich gemacht worden, so wie ich es wollte.´ Schliesslich
greift er zum Telefon, in der Annahme, dass die von ihm angeforderte wörtliche
Übersetzung inzwischen doch schon angekommen sein könnte. Dann
kommt er aber zu dem Schluss, dass das wichtigste sei, dass es sich um
einen anerkannten Dolmetscher handle - sonst könne sich das Verfahren
auch noch Jahre hinziehen, meint der Richter. 3)
Die Staatsanwältin schaltet sich ein und lässt das Gericht wissen,
dass es bei der Sprache Ibo gar nicht anders möglich sei, als sinngemäss
zu übersetzen, weil es `500 Bedeutungen´ gäbe. Das sei
in unzähligen `Operation Spring´ und `Easy´-Verfahren
hinlänglich bewiesen worden, behauptet sie. Der Richter zitiert aus
einem Akt verschiedene Worte, die angeblich aus Gesprächen in Ibo
stammen und unterstreicht dann die Annahmen der Staatsanwaltschaft: `Man
kann halt Unterschiedliches herauslesen.´
Der Anwalt besteht allerdings darauf, dass es nicht Aufgabe eines Dolmetschers
ist, zu interpretieren, das bleibt immer noch gerichtliche Beweiswürdigung.
Dass der anerkannte Dolmetscher des Gerichts das offensichtlich anders
sieht, belegt der Anwalt mit einem Beispiel: Der Dolmetscher übersetzt
ein Gespräch mit einem `unbekannten SA´, was für Suchtgiftabnehmer
stehen soll - der Anwalt stellt die berechtigte Frage, woher er das denn
wissen könne? Der Richter versucht es damit zu rechtfertigen, dass
die Stimme nur schwer zu erkennen sei, wie das Institut für Schallforschung
festgestellt habe. Plötzlich erkennt die Staatsanwältin, dass
`SA´ ja eigentlich für `Schwarzafrikaner´ stehe, und
das sei in tausenden von Akten so: `Das erkennt man messerscharf, weil
er wahrscheinlich Ibo gesprochen hat.´ 4)
Jahrelang ignorierte Anträge der Verteidigung
Während der Anwalt sämtliche Anträge aufrechterhält,
spricht sich die Staatsanwältin `pauschal dagegen aus´, weil
sie eigentlich nichts über die Anträge weiss, wie sie dann doch
zugeben muss, denn das ist ihre erste Hauptverhandlung in diesem Verfahren.
Der Richter behauptet nun, dass die zwei von der Verteidigung zur Ladung
angesuchten Zeugen, nicht auffindbar seien. Der Anwalt wendet ein, dass
der Antrag auf Ladung des einen Entlastungszeugen immerhin bereits im
März 2000 gestellt wurde. Der sonst eher still beisitzende Richter
sieht sich deshalb zu einer empörten Wortmeldung veranlasst: `Er
ist nicht greifbar! Haben Sie das nicht verstanden?´
Auch der zweite Zeuge sei nicht auffindbar, behauptet der Richter. Auch
hier wendet der Anwalt ein, dass der Antrag zur Ladung vor mehr als zwei
Jahren gestellt wurde: `Wenn er jetzt nicht greifbar ist, dann ist das
beweiszuwürdigen, weil hier Entlastungsanträge ignoriert wurden!´
Der Richter spricht dann von den Videosequenzen - das Gericht könne
sich nicht auf deren Qualität verlassen. 5)
Aus dem selben Grund (schlechte Qualität der Aufnahme) sei auch eine
Stimmanalyse nicht möglich. Eine Schriftprobe, die der Anwalt zur
Überprüfung der wirklichen Sprachkenntnisse des Dolmetschers
zu Recht gefordert hat (Prozessbericht
vom 5. Juli 2002), hält der Richter für nicht relevant,
ohne das zu begründen. Stattdessen lässt er uns an seinem scheinbar
umfassenden Wissen über die Sprache Ibo teilhaben: Eine wörtliche
Übersetzung sei schwierig, weil jeder Dolmetscher seine eigene Art
habe, zu übersetzen. Eine wörtliche Übersetzung sei daher
`ein Kauderwelsch´. Es komme vielmehr auf die `Ton-Nuancen´
an und nicht auf das Wort. 6)
Nach einer Beratungspause des Gerichts wird dem Anwalt die Frage gestellt,
ob er im Falle der Vorlage einer Übersetzung auf die direkte Befragung
des Dolmetschers verzichten würde. Die Verteidigung verzichtet auf
eine Beiziehung, fordert aber eine Stellungnahme des Dolmetschers zu Fragen
über die Sprache Ibo, also den Dialekten und den unterschiedlichen
Bedeutungen und Verwendungsarten von Wörtern, die Auswirkung von
Betonungen auf den Sinn, die Bildlichkeit der Sprache. Der Anwalt unterstreicht,
dass bereits in der letzten Hauptverhandlung diesbezüglich ja sehr
deutliche Widersprüche aufgetaucht sind.
Plötzlich eröffnet uns der Richter, dass der Dolmetscher Idehen
ihm eine Nachricht zukommen hat lassen, und zwar scheinbar während
die Verhandlung im Gange war, in welcher Idehen feststellt, dass sämtliche
Worte in Ibo seien. Auch bedeute das Wort `eke´ soviel wie `Pythonschlange´,
im übertragenen Sinne aber `Bulle´, also Polizei. Daraufhin
die nicht unwichtige Frage des Richters: `Gibt es eigentlich ein Wörterbuch
in Ibo?´ - `Der (Richter) Dr. Mende besitzt eines.´ antwortet
die Staatsanwältin.
Der Richter entscheidet auf Vertagung der Verhandlung auf unbestimmte
Zeit. Es hänge davon ab, wann der Idehen eine Übersetzung liefere
- Idehen selbst meine, in 14 Tagen könne er damit fertig sein, daher
sei mit einer Verhandlung in drei Wochen zu rechnen. Der Richter wiederholt,
dass der Idehen qualifiziert sei, deshalb müsse man als gegeben nehmen,
was er übersetze. Richter Rothmeier schickt noch eine Warnung an
die Verteidigung: `Irgendwann werden uns die Ibo-Dolmetscher ausgehen,
wenn Sie auf die wörtliche Übersetzung
bestehen!´ - was auch als Drohung ausgelegt werden kann. Die in
Frage gestellte Qualifikation des Dolmetschers wird dadurch jedoch nicht
belegt. Im Gegenteil, der Anwalt bringt ein neues Beispiel: Es könne
doch nicht sein, dass bestimmte Gesprächsstellen vom Dolmetscher
nicht übersetzt werden, nur weil der Herr Idehen sie als `belanglos´
einstufe.
Die Staatsanwaltschaft bezieht abschliessend noch einmal Position und
meint die Behauptungen des Gerichts stützen zu können: Es sei
gerichtsbekannt, dass ein Wort gleich fünf oder sechs Bedeutungen
habe, dies sei in den `Operation Spring-´ und `Easy´-Verfahren
belegt worden. Daher sei `eine wortwörtliche Übersetzung sinnlos´.
[Ende des 4. Verhandlungstages bzw. des 6. Verhandlungstages seit Dezember
1999 aus der Sicht von Sabinus]
Anmerkungen zu den facts
1) Es sei an dieser Stelle auf das erwähnte Verfahren am 23.5.2002
hingewiesen: Bei der damaligen Befragung der Zeugin verwickelte sie sich
bei der angeblichen Drogenmenge in Widersprüche zu ihrer Aussage
bei der Polizei. Warum das so ist, darauf deuten vielleicht die Fragen
des Anwalts damals: Mehrmals befragte er die Zeugin nach den Umständen
der Einvernahme bei der Polizei - ihre Antwort darauf war überzeugend
und lässt die Schlussfolgerung zu, dass sie unter starkem Druck von
aussen gestanden hat. Viele Fragen, mit denen Sabinus belastet wird, hat
sie auch am 23.5. mit `Ich weiss nicht mehr, das ist lange her´
beantwortet. Auf die Frage des Anwalts, ob sie beim Polizeiverhör
`fertig war´, hat sie mit einem eindeutigen Ja! geantwortet.
2) In der Begründung des OGH vom 21.11.2000 zur Wiederaufnahme des
Verfahrens wegen Verfahrensmängel war das einer von vielen Beweisanträgen
der Verteidigung, die vom damaligen Richter Stockhammer einfach ignoriert
wurden. Das erste Verfahren endete mit der Verurteilung von Sabinus zu
5 Jahren Knast am 9.3.2000.
3) Zum Zeitraum: Sabinus wurde im Rahmen von `Operation Spring´
am 27.5.1999 verhaftet und sitzt seither in U-Haft.
4) Sabinus kommt aus Liberia und spricht kein Ibo
5) Auch das ist ein wichtiger Punkt im OGH-Bescheid, denn der damalige
Richter hatte offenbar keinen Zweifel an der `Qualität´, weshalb
er auch im ersten Prozess auf eine Vorführung gänzlich verzichtet
hat.
6) Es stellt sich nun die Frage, warum es möglich war, dass soviele
Menschen aufgrund von, ihnen zugeschriebenen, abgehörten Gesprächen
zu jahrelangem Kerker verurteilt worden sind, wenn sich jetzt herausstellt,
dass diese Gespräche doch eigentlich in einem für Gericht und
Polizei unverständlichen `Kauderwelsch´ geführt worden
sein sollen.