Im folgenden ist ein Newsletter der schwedischen Gruppe Motkraft ("Gegenkraft",
www.motkraft.net)
dokumentiert. Motkraft besteht seit über drei Jahren und versteht sich
laut Eigenangaben als Nachrichtendienst für die außerparlamentarische
Linke und möchte ein Forum für Organisationen, Netzwerke und Aktionsgruppen
sein, die selbst über ihre Tätigkeiten dort berichten und schreiben können.
Bitte beachtet den Solidaritätsaufruf am Schluss!!!
Inhalt:
1. Schweden spricht härteste Urteile
aus ....
2. Dänemark will Strafmass bei Straßenprotesten
erhöhen ....
3. Urteil gegen Infozentrale widerspricht
Europakonvention ....
4. Untersuchung wegen Polizeischüsse
erneut eingestellt ....
5. Freigesprochener Däne erhält Entschädigung
....
6. Schwedische TV-Sendung hilft bei
Polizeiermittlung ....
7. Polizist wegen Meineid angezeigt
....
8. Solidarität mit den Verhafteten!
9. Übersicht über Urteile und Anklagen
....
Es scheint, dass wir im Tagesgeschehen niemals Klarheit in das Agieren
der Obrigkeit, besonders der Polizei, während des EU-Gipfels in Göteborg
erhalten werden. Es hat sich als unmöglich erwiesen, die Polizei für das
Göteborggeschehen juristisch anzuklagen. Ermittlungsverfahren zu dem Vorgehen
gegen die Versammlung in der Hvitfeldska Gymnasium sind eingestellt und
die Polizei hat bis heute nicht das "Waffenversteck" vorzeigen können,
das als Grund für die Stürmung genommen wurde. Die Ermittlungen wegen
der Schüsse auf Reclaim the City auf dem Vasaplatz sind eingestellt, obwohl
es Bildbeweise gibt, die zeigen, dass die Polizisten nicht in Notwehr
geschossen haben. Die einzigen Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamten,
die noch laufen, sind wegen dem Vorgehen gegen das Schillerska Gymnasium,
bei dem Jugendliche nachts in Unterwäsche auf dem Schulhof liegen mussten,
und wegen dem Verfälschen von Beweismaterial im Rahmen der Schüsse gegen
Demonstranten, da Sprechchöre in das Bildmaterial eingefügt wurden, um
den Eindruck zu vermitteln, dass die Polizei unter starken Druck stand
und in Notwehr handelte. Es steht außerdem fest, dass keine höheren Polizeichefs
sich für das katastrophale Agieren der Polizei verantworten müssen. Stattdessen
wartete das Göteborgkomitee, das von Ingvar Carlsson geleitet wird, mit
Vorschlägen auf, wie die Befugnisse der Polizei ausgeweitet werden sollen.
[Anm.: Das Göteborgkomitee ist ein staatlicher Untersuchungsausschuss,
der sich mit den Ursachen der Göteborggeschehen beschäftigt und die Rolle
der Polizei, der Medien, der Politik und der Demonstranten hierbei untersucht.]
Aber während das Agieren der Obrigkeit im Schatten verschwindet, wird
ein anderes konspiratives Bild der Göteborggeschehen durch die Polizei
und den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ausgemalt. Alle Gerichtsurteile
basieren darauf, dass die Krawalle in Göteborg geplant und von AktivistInnen
geleitet sein sollen. Das skizzierte Bild besteht aus einer "Krawallorganisation"
mit Koordinationszentralen, Späher und genaustens geplanten Überfällen.
Zu den Krawallen zählen die Gerichtshofe die Ereignisse rund um das Hvitfeldska
Gymnasium am 14. Juni, auf der Avenyn und am Vasaplatz am 15. Juni samt
der Ereignisse auf dem Järntorget und an dem Schillerska Gymnasium am
16. Juni. Alle, die in Göteborg waren, wissen, wie wahnsinnig diese Behauptungen
sind. Auffallenden war vielmehr wie willkürlich das Vorgehen der Polizei
war und dass es alle Organisationen, die in Göteborg waren, gleich hart
traf. Weder die Versammlung auf dem Järntorget noch das Schillerska waren
gewalttätige Zusammenkünfte, ausgeschlossen dem Vorgehen der Polizei gegen
eine friedliche Demonstration und gegen eine Schule voller schlafender
Demonstranten. Die Infozentrale, die vor Gericht als "Koordinationszentrale"
bezeichnet wurde, die die Ausschreitungen koordiniert haben sollen, wurde
bereits in der Nacht zwischen dem 14. und 15. Juni gestürmt - lange bevor
die schlimmsten Krawalle stattfanden. Es ist auch erwähnenswert, dass
die Ausschreitungen vor der Hvitfeldska, auf der Avenyn und dem Vasaplatz
spontan ausbrachen, nachdem die Polizei die Demonstranten einkesselte
um Massenverhaftungen durchzuführen. Obwohl die "Koordinationszentrale"
ausgeschaltet war, obwohl das Mobiltelefonnetz nicht funktionierte, obwohl
eine hundertstellige Anzahl Demonstranten verhaftet und Demonstrationsmaterial
in der Hvitfeldska beschlagnahmt wurde, gelten diese Krawalle als geplant
und gesteuert, also als besser organisiert als die Polizei selbst, dessen
Koordinierung im großen Rahmen am 15. Juni zusammenbrach. Die Urteile
in Göteborg folgen einem deutlichen Muster: Die Personen, die verurteilt
wurden, haben mit der Motivation gehandelt, es handele sich um drei Tage
gewalttätigen Aufruhr. Mehrere wurden kollektiv verurteilt, ohne dass
das Gericht versucht hat, aufzuzeigen was genau ihre Taten waren. Die
Urteile folgten einer konstruierten "Organisationsstruktur": Zuerst wurden
"Steinewerfer" verurteilt, dann "Anführer" auf der Straße und später die
"Koordinationszentrale". Die Strafe für gewalttätigen Aufruhr wurde von
einigen Monaten auf 1-2 Jahren Haft erhöht.
Lange war es still um diese Rechtsbeugungen, was viele dieser Urteile
faktisch sind. Allein einige Stimmen, wie die des Journalist Erik Wijk
und des Professor Dennis Tölborg, haben protestiert, ausgenommen den an
Göteborg beteiligten Organisationen. Aber jetzt fängt der Wind an sich
zu drehen. Am 27. Februar widmete sich der Radiosender "Sveriges Radio"
einen ganzen Tag lang der Diskussion über die Göteborgurteile, was von
Artikeln in mehreren großen Zeitungen gefolgt wurde. In der Tageszeitung
"Dagens Nyheter" warnte Hans- Gunnar Axberger, Dozent für Straffrecht,
davor, dass "das Rechtssystem seine Erfolglosigkeit die öffentlich Ordnung
aurechtzuerhalten damit ausgleicht, junge Menschen schonungslos zu bestrafen."
Ihm folgten viele andere, die sich der Kritik anschlossen.
Zur Zeit warten wir darauf, dass mehrere Fälle vor dem Höchsten Gerichtshof
verhandelt werden sollen. Der erste Fall bezieht sich auf das Strafmass
für einen jungen Mann wegen Steinwurf. Wahrscheinlich wird auch der Fall
um die sogenannte "Koordinationszentrale" vor dem Obersten Gerichtshof
landen. Gleichzeitig sitzen mehrere Person im Knast oder warten darauf,
ihre Haftstrafe anzutreten. [Anm.: Angesichts der überfüllten Knäste,
ist es in Schweden nicht unüblich, dass es "Wartezeiten" in Freiheit auf
Haftstrafen gibt.] Wir haben in dieser Ausgabe unseres Newsletters einiges
an Informationen um die Göteborgurteile zusammengestellt. Jetzt bedarf
es, dass alle Personen und Organisationen ihre Kritik an den Übergriffen
in Göteborg öffentlich machen. Lasst sie nicht eine repressiveren Staatsapparat
schaffen, sondern nutzt die Gelegenheit, um die Positionen der Volksbewegung
(und damit die der Demokratie) voranzubringen! Des weiteren, vergesst
nicht die Schlagworte, die 1992 in Los Angeles aufkamen: Ohne Gerechtigkeit,
kein Frieden!
[die Redaktion von Motkraft]
1. SCHWEDEN SPRICHT HÄRTESTE URTEILE AUS
Schweden hat die härtesten Urteile gegen die Proteste der globalisierungskritischen
Bewegung ausgesprochen. Das zeigt eine Studie, die der Radiosender "Sveriges
Radio" am 27. Februar präsentierte. "Sveriges Radio" hat die Krawalle
in Seattle 1999, Nizza und Prag 2000 samt Göteborg und Genua 2001 verglichen.
In Göteborg haben 31 Personen Gefängnisstrafe wegen gewalttätigen Aufruhr
erhalten, wobei die durchschnittliche Haftlänge bei fünfzehn Monaten liegt.
In Prag wurde niemand wegen Aktionen gegen das Weltbanktreffen zu Gefängnis
verurteilt, aber 16 Personen erhielten Bewährungsstrafen. Während des
EU-Gipfeltreffens in Nizza wurden zwei Personen zu Gefängnis verurteilt,
zu je einem Monat. In Genua sind noch keine Urteile gefallen.
2. DÄNEMARK WILL STRAFMASS BEI STRASSENPROTESTEN ERHÖHEN
Dänemarks Justizministerin Lene Espersen hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt,
der vorsieht, die Strafe für gewalttätigen Aufruhr und Straßenunruhen
zu verdreifachen bevor das Land den EU-Vorsitz im Sommer übernehmen wird.
Die Höchststrafe liegt heute bei 6 Monaten, aber die Justizministerin
möchte dem schwedischen Beispiel folgen und es auf 1,5 Jahre erhöhen.
Der Gesetzesentwurf wurde von Kopenhagens Polizeichefin Hanne Bech Hansen
begrüßt. Sie hofft, dass die Polizei diejenigen, die mit Steinen in der
Hand stehen, und diejenigen, die dahinter stehen, ergreifen und anklagen
kann.
Mehrere Organisationen kritisieren den Entwurf und warnen davor, dass
der gesetzlich garantierte Protest kriminalisiert werden soll. Kopenhagen
wird im Dezember 2002 Gastgeber des EU-Gipfeltreffens sein. Es haben sich
bereits Bündnisse gebildet, die die Gegenaktivitäten organisieren werden.
Die Aufteilung ähnelt der, wie sie in Göteborg 2001 war. Die Initiative
für ein anderes Europa (vergleichbar mit der Göteborgsaktion) plant eine
Großdemonstration, "Stop Unionen" versammelt die EU- Kritischen und das
Forum "Stop Volden" (Stoppt die Gewalt) organisiert ein großes Treffen
ähnlich dem "Fritt Forum" (Freies Forum) in Göteborg.
3. URTEIL GEGEN INFOZENTRALE WIDERSPRICHT EUROPAKONVENTION
Suzanne Wennberg, Professorin für Strafrecht an der Universität Stockholm,
behauptete in der Zeitung des Gewerkschaftsdachverbandes LO am 1. März,
dass die Urteile gegen die sogenannte Koordinationszentrale der Europakonvention
widerspricht. Am 8. Februar wurden acht Jugendliche in Göteborg vor dem
Landesgericht wegen Beihilfe zu den gewalttätigen Ausschreitungen während
des EU-Gipfels verurteilt. In der sogenannten Koordinationszentrale fand
das Gericht, dass die Jugendlichen gemeinschaftlich in einer Organisation
tätig waren, die Angriffe auf die Polizei zum Zweck hatte. Sie wurden
zu zwei Jahre Haft verurteilt, wobei die Haftlänge im Einzelfall variiert.
Suzanne Wennberg, Professorin in Strafrecht, richtet scharfe Kritik an
das Kollektivurteil und verlangt eine Berufung vor dem Obersten Gerichtshof.
"Mit dem Fazit in den Händen wissen wir, dass es zu einer Anzahl gewaltsamer
Auseinandersetzungen in Göteborg am 14. Juni 2001 in Zusammenhang mit
dem EU-Gipfeltreffen kam. Aber die Frage ist, ob man es in den Tagen vorher
hätte wissen können. Ist es so sicher, dass alle verurteilten Personen
von Anfang an ein stilles Einverständnis eingingen, gewalttätigen Aufruhr
anzustiften, ein Vergehen, dass voraussetzt, dass eine Menschenmenge gemeinschaftlich
gegen Personen oder Eigentum vorgeht? Wird die Frage verneint, so fällt
die Vorwurf der Beihilfe. Das Handeln des Einzelnen muss als eigene Erscheinung
beurteilt werden, welches notwendigerweise voraussetzt, dass man unterscheiden
können muss, was der Einzelne getan hat", schreibt Wennberg.
Wennberg konstatiert, dass es ein beunruhigende Tendenz innerhalb des
Rechtssystems gibt, Personen gruppenweise zu verurteilen ohne klarzuhaben,
was die Mitschuld des Einzelnen beim Vergehen gewesen sein soll, wie es
die Europakonvention verlangt (art. 6 p. 3a). Sie sieht einen Vergleich
zu dem Denken der Kirche vor der Einführung der modernen juristischen
Sichtweise. Im heutigen Rechtswesen muss die Grundlage der Strafe das
Vergehen sein, nicht der Wille zu Verbrechen. Jetzt scheint es so, dass
eine Rückkehr zu der früheren religiösen Sichtweise im kommen ist. "Ausschlaggebend
ist nicht, was das Individuum gemacht hat, sondern mit welchen Plänen
oder stillschweigenden Einverständnissen er sich liiert hat." Das führe
zu einer Kollektivierung der Strafverantwortlichkeit, da die Urteile von
Gleichmacherei ausgehen.
"Stattdessen wird hervorgehoben, sie hätten Straftaten "gemeinschaftlich
und im Einvernehmen" oder "zusammen und im Einverständnis" begangen. Wenn
irgendwelche dieser Phrasen benutzt werden, sollte die Aufmerksamkeit
gesteigert werden. Jeder Einzelne der Verdächtigten soll zusammen mit
den übrigen gehandelt haben, entweder nach einem im Voraus aufgestellten
Plan oder im Einzelfall in voller Übereinstimmung mit dem, was andere
getan hätten. Sobald dieser Ausgangspunkt festgestellt wird, wird das,
was jeder einzelne dann getan hat, nahezu nebensächlich. Es wird auf die
Gesamtheit fokussiert, so dass die einzelnen Täter unsichtbar werden.
Die Taten werden oft in der Passivform formuliert: es wurden Nachrichten
herausgegeben, ein Feuer wurde veranlasst und so weiter", schreibt Wennberg.
4. UNTERSUCHUNG WEGEN POLIZEISCHÜSSE ERNEUT EINGESTELLT
Es wird keine Anklagen gegen die Polizisten, die am Vasaplatz in Göteborg
während des EU-Gipfeltreffens diesen Sommer geschossen haben, geben. Der
Staatsanwalt Björn Ericson hat beschlossen, zum zweiten Mal die Ermittlungen
wegen der Polizeischüsse einzustellen. Er begründet dies damit, dass er
nicht das Filmmaterial des belgischen Kameramannes Daniel Demoustiers
erhalten konnte, dass im schwedischen Fernsehen gezeigt wurde. Der Film
zeigt, dass die Polizisten sich nicht in einer bedrängten Situation befanden,
sonder dass de Straße recht menschenleer war und die Polizisten den Rücken
frei hatten als sie auf Hannes Westberg schossen.
Der Kontakt des Staatsanwaltes mit Demoustiers erfolgte durch Juristen
des TV-Sender ITN (Independent Television News, Großbritanniens zweit
größter Sender nach BBC). Der Staatsanwalt erhielt zuerst Kassetten mit
den zusammengeschnittenen Bericht. Ericson bat um die ungeschnittenen
Originalbilder, aber behauptet, dass die Juristen des Senders sich weigerten
diese ihm zu schicken. Demoustiers behauptet seinerseits, dass das Band
bei ihm lag und auf den Staatsanwalt wartete, doch dieser es nicht schaffte,
bei ihm anzurufen um die Bänder zu erhalten.
Gegenüber der Zeitung "Göteborgsposten" erklärt der Bereitschaftspolizist
Stefan Johannesson aus Göteborg, der am Vasaplatz schoss, dass er erleichtert
über die Einstellung der Ermittlungen sei. Aber er gibt im Nachhinein
zu, dass er zu einer fehlerhafte Einschätzung kam als er das Feuer eröffnete.
"Als wir die ersten Schüsse abgaben, waren wir vollkommen einsam. Danach
war eine Zwischenperiode, in der wir von der Bedrohung, die wir als größte
empfanden, eingenommen waren. Man kann im Nachhinein sehen, dass wir nicht
zu der richtigen Einschätzung kamen, da der Polizist, der den Stein am
Kopf abbekam, diesen aus einer anderen Richtung bekam," sagt Stefan Johannessson
der Zeitung.
5. FREIGESPROCHENER DÄNE ERHÄLT ENTSCHÄDIGUNG
Einem dänischen Aktivisten wurde 40 000 schwedische Kronen (ca. 4 380
EUR) als Entschädigung zugesprochen, da er während des EU-Gipfeltreffen
inhaftiert wurde. Der Aktivist war unter einer Gruppe von fünf Personen,
die in einer Wohnung in Göteborg festgenommen wurden. Die Polizei hatte
die Fünf aus Dänemark überwacht und in der Wohnung fand die Polizei eine
Liste mit Zivilautos, mit denen die Polizei die fünf Dänen verfolgt hatten.
Die Polizei ging schnell vor und erklärte, dass die Dänen geplant hätten,
ein Kraftwerk zu sprengen und der schweren Sabotage verdächtig werden.
In der Gerichtsverhandlung wurden die Anklagepunkte auf Vorbereitung zur
schwere Körperverletzung und schwere Sachbeschädigung gesenkt, aber die
fünf wurden bereits in erster Instanz freigesprochen.
Der Aktivist erhielt eine besonders hohe Entschädigung, da er besonders
hart von der Medienhetze betroffen war und er mit voller Namensnennung
in der dänischen Presse vorgeführt wurde. In Schweden schrieb unter anderem
die Tageszeitung "Aftonbladet" in einem Artikel, dass die Dänen mit einem
Granatwerfer aufgegriffen wurden, was eine reine Lüge ist.
6. SCHWEDISCHE TV-SENDUNG HILFT BEI POLIZEIERMITTLUNG
Die Sendung "Efterlyst" (Nachgeforscht) des Fernsehsenders TV3, erhielt
am 14. Februar die Telefonzentrale durch Anrufe, die Polizeibeamte wegen
Gewalttätigkeiten melden wollten, blockiert. "Efterlyst" kündigte auf
der eigenen Homepage an, in der Sendung aufzuzeigen, wie die Göteborgkrawalle
organisiert wurden. Aus diesem Beitrag wurde nichts. Stattdessen wurden
die Gesichter von vier Personen gezeigt und die Zuschauer dazu aufgefordert,
anzurufen und Hinweise zu der Identität der Personen abzugeben. Und freilich
riefen Menschen an, doch es waren nicht die Hinweise, die die Programmleitung
sich erhofft hatten. Der Programmleiter Hasso Aro trat während der Liveübertragung
vor die Kamera und erklärt, dass dies das erste Mal sei, dass die Sendung
der Sabotage ausgesetzt sei. Die Polizei verlautbarte, dass nur für zwei
der vier Personen einigermaßen sichere Hinweise eingingen.
Es ist geschmacklos, wenn nach Göteborg verurteilte Personen in den Zeitungen
vorgeführt werden. Noch absurder ist es, wenn Personen, die nur verdächtig
werden an Ausschreitungen teilgenommen zu haben und noch nicht verurteilt
oder verhört wurden, im Fernsehen und auf Webseiten mit Fotos vorgeführt
werden.
Es ist schwer zu meinen, der Zweck des Berichtes von "Efterlyst" sei es
wirklich, Personen wegen der Krawalle zu ergreifen. Stattdessen beinhaltete
der Bericht, die Schüsse der Polizei auf Demonstranten zu legitimieren
und zu zeigen, wie sehr die Polizei versucht hat, Steinewerfer festzustellen
und zu verhaften.
[Anm.: Die Sendung "Efterlyst" lässt sich mit "Aktenzeichen XY-ungelöst"
vergleichen und wird in Zusammenarbeit mit der schwedischen Kripo produziert.
In der Sendung werden ungelöste Verbrechen wie Morde, schwere Raubüberfälle
und Sexualdelikte behandelt und die Zuschauer können telefonisch Hinweise
zu den Verbrechen abgeben. Das in dem Beitrag zu den Göteborgkrawallen
vorgestellte Filmmaterial wurde von der Polizei überlassen. Zwei der in
der Sendung gezeigten Personen konnten durch Hinweise an die Polizei ermittelt
werden. Ihnen droht jetzt der Prozess. Auf der Webseite der Sender wurden
die Bilder der beiden unkenntlich gemacht. Die Polizei ging davon aus,
dass alle vier gesuchten Personen in Schweden ansässig sind.]
7. POLIZIST WEGEN MEINEID ANGEZEIGT
Ein zwanzigjähriger Stockholmer, der zu 2,5 Jahren Haft wegen Anstiftung
zu gewalttätigen Aufruhr verurteilt wurde, zeigte am 23. Februar einen
Polizeibeamten wegen Meineid an. Der Polizist hat vor Gericht bezeugt,
dass der Zwanzigjährige auf einem öffentlichen Treffen im Vorfeld des
EU-Gipfels Streit angedroht habe, falls irgendwelche "verfluchten Bullen"
behindern würden, und dass dieser "aggressiv im Tonfall war". Jetzt deckt
ein ungeschnittener Film von besagten Treffen auf, dass nichts davon wahr
ist.
Der Anwalt Stig Centerwall, der Vertreter des Zwanzigjährigen, kommentiert:
"Das Landesgericht hat sehr viel Gewicht auf die Aussage des Polizisten
gelegt und dabei besonders darauf, dass es Streit geben sollte, falls
irgendwelche "verfluchten Bullen" eingreifen. Aus dieser Falschaussage
zieht das Gericht den Schluss, dass mein Klient im Voraus Gewalttaten
geplant habe. Das zeigt zusammenfassend, dass man in den Göteborgsprozessen
bereit ist, welche Methode auch immer anzuwenden, nur weil man wenig gemocht
hat, was im Zusammenhang mit den EU- Gipfeltreffen passiert ist."
Erik Wijk, Verfasser (u.a. des Buches "Göteborgkravallerna") meint: "Ohne
Schuld in der Frage des Meineids vorwegzugreifen, ist es offensichtlich,
dass der Polizeizeuge mit Falschaussagen den Zwanzigjährigen dämonisiert
hat. Die Aussagen führten zu ernsthafte Konsequenzen, da das Gericht diese
als Grund für eine sehr strenge Strafe nehmen."
Der Zwanzigjährige schreibt selbst in der Anzeige: "Es sollte beachtet
werden, dass [der Polizeizeuge] unmöglich das verstanden haben kann, was
er ausgesagt hat, weswegen er eine böswillige Absicht gehabt haben muss,
als er seine Aussage vor Gericht gemacht hat." Der Zwanzigjährige ist
zu zwei-einhalb Jahren Haft wegen Anstiftung zum gewalttätigen Aufruhr
im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel in Göteborg verurteilt worden. Er hat
weder Steine geworfen noch irgendeine andere Gewalthandlung begangen.
Er ist allein deswegen verurteilt worden, dass er am Donnerstag, den 14.
Juni, auf eine Anhäufung von Menschen eingewirkt hat, sie sollten sich
zum Hvitfeldska Gymnasium begeben, wo die Polizei ca. 500 Demonstranten
und Konferenzteilnehmer eingekesselt hatte.
In dem Urteil wurde dem Zwanzigjährigem Kontakte zu der sogenannten "Koordinationszentrale"
unterstellt, bei der acht Jugendliche zu Haftstrafen um die zwei Jahre
wegen Beihilfe zum gewalttätigen Aufruhr verurteilt wurden. Im Prozess
gegen diese Zentrale neulich fiel dennoch der Wirkungszusammenhang zwischen
der Zentrale und dem Zwanzigjährigem durch, aber dies geschah lange nachdem
das Urteil gegen den Zwanzigjährigen rechtskräftig wurde.
Ein zentraler Beweis gegen den Zwanzigjährigen bei Landesgericht ist die
Zeugenaussage, die jetzt Gegenstand der Anzeige ist. Sie ist zentral im
Urteil, da es als bewiesen gilt, dass der Zwanzigjährige seit langer Zeit
verbrecherische Taten geplant habe. Das ist von großer Bedeutung für das
außergewöhnlich hohe Strafmass - 2,5 Jahre Haft. Der Polizeizeuge war
in Zivilkleidung und beschattete den Zwanzigjährigen während eines Kneipenabends
in einem Lokal der Studierendenvertretung am 14. Mai 2001. Es war eine
öffentliche Veranstaltung bei dem ein Anzahl Person die Pläne für das
EU-Gipfeltreffen vorstellten, unter anderem der Zwanzigjährige als Repräsentant
für "Globalisering Underifrån" (Globalisierung von unten). Nachdem das
Urteil gegen den Zwanzigjährigen rechtskräftig wurde, hat das Landesgericht
das Recht genutzt und die Tonbandmitschnitte der Hauptverhandlung vernichtet.
Aber die Urteilsbegründung des Landesgerichts beinhaltet Auszüge aus der
Zeugenaussage: "NN stellte sich als Repräsentant für Ya Basta vor und
er informierte, dass mehrere hundert Mitglieder dieser Organisation aus
anderen Ländern in Europa nach Göteborg kommen würden um einen Durchbruch
in das EU-Gipfeltreffen durchzuführen. NN war aggressiv im Tonfall und
rief zum Kampf auf. Er sprach aus, dass es Streit geben würde, falls irgendwelche
"verfluchten Bullen" sie daran hindern würden." Der Ausdruck "verfluchte
Bullen" ist also ein direktes Zitat aus der Aussage des Polizeibeamten.
Dass das Landesgericht die Aussage des Polizeibeamten nicht missverstanden
hat, geht aus der eigenen Pressemitteilung des Polizisten vom 15. Mai
hervor: "[Der Zwanzigjährige] gibt an, dass er in der Organisation Ya
Basta tätig sei. Deren Ziel ist es während des EU-Gipfels, dass sie in
das Messegebäude eindringen WERDEN um die Teilnehmer des Gipfel zu treffen.
Falls "irgendwelche verfluchten Bullen" versuchen werden, sie daran zu
hindern, so gibt es Streit. Ya Basta denkt nicht daran, sich hindern zu
lassen." Der Polizeibeamte notiert zum Schluss: "Hinzufügen lässt sich,
dass die Ausführungen [des Zwanzigjährigen] ziemlich aggressiv waren."
Der Polizist bekräftigt sein Aussage selbst in einem Polizeiverhör am
9. August 2001: "X regte sich auf, dass [der Zwanzigjährige] so aggressiv
war. [Der Zwanzigjährige] sagte, dass "wenn irgendwelche verfluchten Bullen
uns hindern", so gibt es Streit, oder möglicherweise sagte [der Zwanzigjährige]
Krieg." [Anm.: Die schwedischen Wörter für Krieg und Streit liegen phonetisch
nahe beieinander]
Nach den Prozess tauchte jetzt ein Video auf, das die Ausführungen des
Zwanzigjährigen in der Gesamtheit ohne Abbruch wiedergibt. In der selben
unabgebrochenen Sequenz ist ebenfalls der Polizeibeamte deutlich zu sehen,
als er sich aufrichtete. Eine Verwechslung von verschiedenen Treffen kann
also nicht möglich sein. Aus dem Film geht folgendes deutlich hervor:
- dass der Zwanzigjährige Globalisering Underifrån repräsentiert (also
nicht Ya Basta), - dass er Pläne von einem gewaltfreien Durchbruchversuch
in das EU- Gipfeltreffen präsentiert, die vollkommen öffentlich waren
und in verschiedenen großen Medien präsentiert wurden, - dass er NICHT
Gewalt befürwortet oder zum Streit oder Krieg aufruft, - dass er gegenteilig
betont, dass die Vorgehensweise "sicher", "ruhig" und "spaßig" sein soll,
- dass er vor allem NICHT den Ausdruck "verfluchte Bullen" verwendet,
- dass er mit seiner lockeren und lächelnden Art und seiner ruhigen Stimmlage
NICHT in irgendeiner Bemerkung als aggressiv bezeichnet werden kann.
Im Fall des Zwanzigjährigen kommen noch folgende ernsthafte Komplikationen
hinzu: - dass die Tat, für die der Zwanzigjährige verurteilt wurde -Menschen
dazu aufgefordert, sich zur Hvitfeldska zu begeben- von hunderten anderen
Mitbürgern auf Göteborgs Straßen am 14. Juni 2001 begangen wurde. So haben
z.B. sich neulich über 60 Personen selbst bei der Polizei angezeigt, da
sie genau dieses Vergehen begangen haben. Diese Selbstanzeigeaktion hat
zum Zweck, das Selbstverständliche in dieser Handlung, für die viele Menschen
zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, zu beleuchten. - dass die Verteidigung
(der Anwalt Centerwall) der Zugang zu den Filmen der Polizei mit Relevanz
für dieses Verfahren verweigert wurde. Dieses Verfahren wird in Kürze
am Europäischen Gerichtshof vorgelegt. - dass, wie gesagt, der konkrete
Zusammenhang zwischen der sogenannten Koordinationszentrale und dem Zwanzigjährigen
in der Verhandlung gegen die Zentrale durchfiel. Dies geschah aber nachdem
das Urteil gegen den Zwanzigjährigen rechtskräftig wurde und würde allein
Grund genug für eine Neuverhandlung sein.
[Anm.: Es sieht so aus, dass die Selbstanzeigen der couragierten BürgerInnen
zu keinen Ermittlungsverfahren führen werden. Die ersten Rückmeldungen
der Behörden mit dem Inhalt, ein Ermittlungsverfahren werde nicht eröffnet,
liegen bereits vor. Das ist für "TäterInnen" zwar beglückwünschenswert,
macht aber die bestehenden Urteile noch absurder.]
8. SOLIDARITÄT MIT DEN VERHAFTETEN!
Die Anklagen wegen der Göteborgkrawalle beginnen jetzt abzuflauen. Aber
trotzdem werden Personen verhaftet und wegen Aufruhr angeklagt nachdem
sie auf Bildern identifiziert wurden. Als Beweismaterial reichen Bilder
bei weitem nicht aus, aber leider haben mehrere Personen gestanden, dass
sie auf den Bilder sind. Oft hat die Polizei "unschuldige" Bilder gezeigt,
auf denen Aktivisten unmaskiert waren und nichts illegales gemacht haben.
Als die Personen bestätigt haben, dass sie auf den Bildern sind, wurden
weiter Fotos hervorgeholt und nach und nach in Richtung einer Anklage
gearbeitet.
Mehrere von denen, die in Göteborg verurteilt wurden, werden in nächster
Zeit eingeknastet werden, oder sitzen bereits drinnen. Sie brauchen Unterstützung.
Die Soligruppen arbeiten an der Prozessbegleitung der Verhafteten. Die
Gruppe "Anarkistiska Svarta Hammaren / Anarchist Black Cross" (ASH/ABC)
übernimmt dann und sieht zu, dass die Inhaftierten im Knast unterstütz
werden. Helft mit und spendet Geld, Bücher oder schreibt Briefe!
Soligruppe in Göteborg: Solidaritetsgruppen c/o Syndikalistiskt Forum
Box 7267 402 35 Göteborg Tel +46 - 733-16 42 96 solidaritetsgruppen@hotmail.com
Soligruppe in Stockholm: Tel +46 - 737-53 20 60 solidaritetsgruppen_sthlm@hotmail.com
ASH/ABC: ashstockholm@hotmail.com
Spendenkonto: Kontinh.: Nisse Lätts Minnesfond Postgiro oder Bank Service:
00506 Stockholm, Schweden Konto: Swiftcode: pgsisess 276 02 - 2 Gebt bitte
als Vermerk an, ob das Geld an die Soligruppe oder das ABC gehen soll
("Solidaritetsgruppen" oder "ASH/ABC").
[Anm.: Der von dem Journalist Erik Wijk verfasste "Aufruf für Gerechtigkeit"
kann auch von Menschen außerhalb Schwedens unterzeichnet und unterstützt
werden, also tut dies auch als Organisation, Gruppe oder Einzelperson,
wenn ihr euch mit den Forderungen identifizieren könnt. Ihr findet den
Aufruf in deutscher Übersetzung hier
oder auf www.manifest.se/upprop]
9. ÜBERSICHT ÜBER URTEILE UND ANKLAGEN
Stand 13.02.2002
Anzahl Anklagen: 33 Anzahl Angeklagte: 58 Anzahl abgeschlossener Prozesse:
13 (9 gefällte Urteile, 4 Freisprüche) 44 Urteile: 30 Haftstrafen, 1 geschlossener
Jugendarrest, 3 gemeinnützige Arbeit, 1 Tagessätze, 1 soziale Betreuung,
8 Freispruch Gefängnisstrafe ergibt im Durchschnitt 1 Jahr 3 Monate. Für
Personen über 18 Jahre liegt die kürzeste Strafe bei 5 Monaten. Höchste
Strafe ist 2 Jahre 6 Monate. Ca. 80% der Angeklagten sind Männer. Herkunft
der Angeklagten: 18 Göteborg, 22 restliches Schweden, 13 Dänemark, 3 Deutschland,
1 Italien, 1 England
ZU BEACHTEN! Dies ist eine Zusammenstellung aller Anklagen, die erhoben
wurden und im Zusammenhang mit dem EU-Gipfeltreffen stehen. Nicht alle
oben genannten sind explizit AktivistInnen oder Linke.
[die Solidaritätsgruppe in Göteborg]
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