Quellenangabe:
Hintergründe zu Massenvorladungen - Papierbeschaffung für Abschiebungen (vom 17.02.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2821/,
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[17. Feb 2009]
Die Behörden benötigen zur Durchführung von Abschiebungen "Heimreise- zertifikate" bzw. eine Bestätigung der StaatsbürgerInnenschaft. Immer öfter werden dazu fragwürdige Sammelanhörungen mit VertreterInnen aus den vermeintlichen Herkunftsstaaten organisiert.
Am 09. Feb 2008 demonstrierten ca. 100 Menschen gegen eine mögliche Massenabschiebung, da 20 Menschen aus dem Verein "Ute Bock" für den selben Termin eine Vorladung in die Rossauer Kaserne bekommen hatten.
(:: Aufruf :: Bericht :: Kurzbericht 1 :: 2 :: 3 :: Audiobericht)
Eine Delegation aus Gambia war auf Kosten/Einladung des Innenministeriums nach Wien gekommen, um die Identität von über 30 Menschen ohne Pass zu klären. Sinn dieser Aktion sei es, "allfällige weitere Maßnahmen zu erleichtern", so der Ministeriumssprecher Rudolf Gollia. 10 Menschen wurden bereits vorher in Gewahrsam genommen. Von den 20 weiteren Menschen erschienen bloß 4.
Bei dieser Identitätsfeststellung waren 4 Delegierte aus Gambia, 2 Beamte des Innenministeriums und eine Dolmetscherin anwesend. Die Anwälte der Flüchtlinge wurden erst nach längeren Verhandlungen vorgelassen. Am Abend waren alle Menschen wieder frei.
Auch am Dienstag, 10. Feb 2009 gab es ähnliche Vorladungen. Dieses mal wurden die Anwälte nicht vorgelassen, was mit den betroffenen Männern passierte, ist ungewiss. Dies war offensichtlich kein Einzelfall. Rudolf Gollia wird in einem Standard-Artikel eine Woche vor dieser Aktion so zitiert: "Dass das Ministerium eine NGO mit der Rechtsberatung in Schubhaft und Asylverfahren beauftragen muss, sei "ein Dilemma": "Der Staat muss dafür sorgen, dass jemand gegen ihn selbst berät." Auch wenn unklar ist, ob das Innenministerium wirklich eine Massenabschiebung oder Internierung plante, so zeigte der Protest am Montag doch, wie wichtig und erfolgreich Widerstand sein kann.
(:: Innenansicht der Vorladungen :: Standard-Artikel)
Solche Massenvorladungen zur Feststellung des Staatsangehörigkeit sind nichts ungewöhnliches, zumindest nicht in Deutschland und anderen EU-Ländern. Dadurch, dass es EU-weit immer schwieriger wird, Asyl zu bekommen, müssen Flüchtlinge immer neue Schlupflöcher suchen, um ihre Rechte gelten machen zu können. Hierzulande ist es vor allem die Drittstaatenregelung, die besagt, dass Menschen, die über ein sicheres Drittland kommen, kein Recht auf Asyl wegen politischer Verfolgung haben, und so das Menschenrecht auf Asyl (alle Nachbarländer Österreichs sind "sichere Drittstaaten" bzw. :: "Dublinstaaten") de facto außer Kraft setzt. Menschen, die dennoch um dieses Recht ansuchen, sind oft gezwungen, ihre Reisedokumente verschwinden zu lassen. Die Behörden müssen sich so immer abwegigere Wege ausdenken, um Identitäten feststellen und Abschiebungen legal durchführen zu können.
Diese Massenvorladungen sind aus vielerlei Hinsichten abzulehnen: Zum einen ist es praktisch unmöglich, die StaatsbürgerInnenschaft eines Menschen zu beweisen. Laut dem Leiter der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund wird von den Delegationen "aufgrund der Aussprache und der Gesichtsform" über die Staatsangehörigkeit entschieden. So wird der Willkür Tür und Tor geöffnet. So wurde vor kurzem in Möhlau/Doofland ein Fall eines Beniners bekannt, der von der Abschiebung nach Nigeria bedroht war. Manche Delegationen haben außerdem einen sehr zweifelhaften Ruf. Es gibt dabei auch einen starken Druck seitens der EU.
Andererseits ist es für Menschen, die vor staatlicher Verfolgung geflohen sind, extrem belastend, plötzlich wieder - in der vermeintlichen Sicherheit - von VertreterInnen dieses Regimes befragt werden. Dazu kommen noch die Begleitumstände - die Haft ohne Grund, die Ungewissheit, das Ausgeliefertsein. Im konkreten Fall wurden auch Flüchtlinge mit offenen Asylverfahren vorgeladen -wurde da angenommen, dass die sowieso abgelehnt werden?
(:: Dubiose Delegation aus Guinea :: Druck der EU :: Beniner soll nach Nigeria :: Vorführung zum Anschein der Rechtmäßigkeit)
Gambia ist ein Staat, in dem es möglich ist, dass unliebsame Menschen spurlos verschwinden. Es gibt praktisch keine Pressefreiheit, MenschenrechtsverteidigerInnen und JournalistInnen sind von willkürlicher Inhaftierung, Folter und Schikanen durch die Sicherheitskräfte bedroht. Dabei kommt es immer wieder zu exzessiven Gewalteinsätze von Soldaten und Sicherheitskräften. Im April 2000 starben bei einer StudentInnendemonstration 14 Menschen. Im Jahr 2005 wurden 44 ghanesische Flüchtlinge ermodert - wahrscheinlich auf Befehl des Staatsoberhauptes Jammeh. Dieser machte zuletzt im Mai 2008 Schlagzeilen, als er "Schwule, Drogendealer, Diebe und andere Kriminelle" drohte, in 24 Stunden das Land zu verlassen oder die Konsequenzen zu tragen.
(:: Homophobie :: Länderberichte Gambia :: Wikipedia :: AI-Report 2008 :: exzessive Gewalt)
In diesem Bericht wird Ministeriumssprecher Rudolf Gollia mehrfach namentlich genannt. Die Linkswende macht vor allem die Innenministerin Maria Fekter für die Situation verantwortlich. Tatsächlich waren die InnenministerInnen vor ihr um nichts besser. Und einE SprecherIn ist nur ein Sprachrohr. In einem gesellschaftlichen Klima, in dem (im Wahlkampf) von praktisch allen Parteien noch mehr und härtere Abschiebungen gefordert werden, in der Fremde als Bedrohung gesehen und AsylwerberInnen mit Kriminalität assoziiert werden, in der der Hass auf alles Andere sich auf Häuserwänden verewigt, in der Neonazis Hand in Hand mit der bürgerlichen Mitte auf der Straße marschieren und im Parlament abstimmen, in einem solchen Klima kann eine demokratisch legitimierte Innenministerin fast nur rassistische Aktionen setzen.
Desshalb ist es wichtig, auf allen Ebenen antirassistisch zu agieren: duch Demonstrationen, direkte Aktionen, bei Diskussionen im FreundInnenkreis, durch Eingreifen bei rassistischen Sprüchen, durch antirassistische Stadtbildgestaltung, durch Überwindung der Mauer im Kopf zwischen "MehrheitsösterreciherInnen" und "AusländerInnen", ...
Dieser Artikel erschien zuerat am 12. Feb 2009 auf :: at.indymedia.org, hier bearbeitet von no-racism.net.