Quellenangabe:
Ereignisse im und ums Mittelmeer - Teil 3 (vom 02.07.2018),
URL: http://no-racism.net/article/5375/,
besucht am 21.11.2024
[02. Jul 2018]
Die Politiker_innen scheinen vor nichts mehr zurück zu schrecken. Blockaden von Rettungsschiffen bei gleichzeitiger Hetze gegenüber diesen stehen auf der Tagesordnung. Die Gesellschaften Europas sind gespalten. Denn viele sind nicht einverstanden mit dieser mörderischen Politik - und protestieren lautstark dagegen. Berichte von 21. bis 30. Juni 2018.
Nachdem die Aquarius am Anlegen in Italien und Malta gehindert und zu einer langen Fahrt nach Spanien gezwungen wurde, um die aus Seenot Geretteten in einen sicheren Hafen zu bringen, trifft es in der Folge die Mission Lifeline, die im Mittelmeer festsitzt und von verschiedensten Seiten torpediert wird. All diese inhumanen Maßnahmen scheinen nicht ohne Grund zu sein: Die rassistischen Kräfte Europas, angetrieben von rechts-rechten und faschistischen Hardliner_innen, planen eine weiter Abschottung Europas. Menschenleben scheinen dabei keinen Wert zu haben - warum sonst wird die Seenotrettung im Mittelmeer mehr und mehr unterbunden? Die Konsequenz dieser Politik sind hunderte Tote allein innerhalb weniger Tage.
Die folgenden chronologischen Meldungen zur Situation im zentralen Mittelmeer vom :: Blog der Forschungsstelle Flucht und Migration (FFM) bzw. von den Webseiten verschiedener Rettungsorganisationen, geben einen Einblick in die Entwicklungen der Grenzregime im und rund um das Mittelmeer.
Die folgende Meldung der FFM zeichnet kein gutes Bild für die Zukunft Europas. Doch kann sie als Aufruf verstanden werden, nicht tatenlos zu bleiben, sondern ein Europa von Unten zu schaffen, in dem Menschenleben wieder zählen - unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion usw. Und mittlerweile entstehen quer durch Europa neue Initiativen, die eine Ende der rassistischen Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik Europas fordern.
Seehofer startet durch, und Salvini weist nicht nur die Rettungsschiffe der NGOs ab, sondern will jetzt auch die Roma im Land zählen lassen (wie sein Freund Berlusconi :: vor 10 Jahren, Anm. no-racism.net). Europa gerät in Turbulenzen, wie man sie sich noch vor kurzem kaum hat vorstellen können. Die polnische Entwicklungen und noch Orbáns zweiter Sieg schienen weit in der Peripherie statt zu finden.
Gegenüber dem beharrlichen Angriff rechtspopulistischer Medien und einer mit bestürzender Geschwindigkeit sich formierenden Rechten scheint die deutsche Willkommenskultur sich aufzulösen. Inzwischen treibt nicht mehr „das Volk“ die politische Klasse vor sich her, sondern eine energische und intelligente Maschinerie transformiert die Gesellschaft. Die mehrheitliche Ablehnung von Abschiebungen ist in den Umfragen deutlich ins Gegenteil gekippt. Wer hätte sich träumen lassen, dass die Zivilgesellschaften auch in Westeuropa so wenig resistent sind?
Wächst das Rettende auch? Ein Blick auf die pro-europäische Fraktion der politischen Klasse lässt nicht viel Gutes erwarten. Allerdings gibt es Minderheiten, die uns unterstützen werden, quer zu den traditionellen Fraktionen, wenn wir den Versuch wagen, Elemente eines global orientierten Humanismus zu formulieren, in dem die Grundrechte *aller* Menschen im Mittelpunkt stehen. Es gibt überall in Europa ein stabiles Drittel sozial, demokratisch und irgendwie links orientierter Menschen, von denen freilich manche sich in die Innerlichkeit zurückziehen werden. Sie sind auf nationalem oder europäischem Niveau nicht mehrheitsfähig, allen linken Sammlungsbewegungen zum Trotz. Aber sie sind mehrheitsfähig in vielen, vielleicht den meisten, Städten Europas.
Das Rettende wächst in den Städten. Wir werden auch in Europa einen Dualismus erleben zwischen den nationalen Politiken und den Städten, wie in den USA oder Kanada. Die Freiheit wird in den Städten verteidigt.
Ein Europa von Oben wird es nicht geben. Schaffen wir also ein Europa von Unten, das mit sicheren Häfen, sicheren Korridoren der Migration und sicheren Orten in den Städten beginnt, und in dem sich städtische Milieus und solidarische Orte zu Keimzellen eines anderen Europa entwickeln.
:: ffm-online.org
Das NGO-Rettungsschiff „Lifeline“ hat heute morgen 300 bis 400 Boat-people im zentralen Mittelmeer gerettet und an Bord genommen. „Lifeline“ hatte die italienische Rettungsleitstelle um Hilfe der Küstenwache oder vorbeifahrender Frachtschiffe gebeten, aber sie wurden bei der umfangreichen Rettungsaktion allein gelassen. Salvini kündigt für heute Mittag eine anscheinend aggressive Stellungnahme an.
:: ffm-online.org :: SZ Online (21. Jun 2018)
Donnerstag, 21.06.2018, Stand: 07:53 h: We are currently rescuing 300-400 people. Reinforcement by the Italian Coast Guard or merchant ships is required. Further information follows.
:: twitter.com/seenotrettung
Heute morgen haben libysche Fischer vor der westlibyschen Küste zwei Bootsflüchtlinge gerettet, die sich an Holzreste ihres Boots geklammert hatten. Sie berichten von 100 toten Mitgereisten, überwiegend seien es Sudanes*innen gewesen.
:: ffm-online.org :: La Repubblica (21. Jun 2018)
In Antwort auf die deutsch-französischen Vorabsprachen zum informellen Gipfel von acht EU-Staaten am kommenden Sonntag in Brüssel kündigt die italienische Regierung Gegenmaßnahmen an. Das zentrale Mittelmeer sei als Teil der EU-Außengrenze eher europäisch als italienisch, und die dort geretteten Bootsflüchtlinge seien in der EU aufzunehmen. Für sie sollten die Dublin-Regeln nicht gelten. Im neuen Sprachgebrauch: Vor der Frage der „Sekundärmigration“ stünde die „Primärmigration“ in der EU zur Diskussion. Sogar mit einer Schließung der italienischen EU-Binnengrenzen droht die italienische Regierung seit gestern Abend. Dies wird in den Medien vor allem auf die italienisch-französische Grenze bezogen, wo Frankreich kontinuierlich ehemalige Bootsflüchtlinge nach Italien zurück abschiebt. Außerdem kündigt die italienische Regierung an, dass viele der nächsten Rettungsschiffe mit ihren Bootsflüchtlingen nach Frankreich und Spanien weitergeleitet werden sollten, da diese beiden Mittelmeerländer überhaupt nicht die zugesagten Aufnahmequoten der innereuropäischen Flüchtlingsverteilung erfüllt hätten.
:: ffm-online.org :: Corriere della Sera (21. Jun 2018)
Macht Italien Jagd auf Rettungsschiff Seefuchs?
Deutsche Hilfsorganisation Sea-Eye im Visier der neuen italienischen Regierung. Niederlande entzieht bisherigen seerechtlichen Schutzstatus. Rettungsschiff bricht aktuelle Mission ab.
Regensburg/Rom/Valletta (21.6.2018) – Dramatische Lage auf dem Rettungsschiff Seefuchs der Hilfsorganisation Sea-Eye: Nachdem Sea-Eye seit 2016 im Mittelmeer mehr als 14.000 Menschen aus Seenot rettete, hat gestern das niederländische Verkehrsministerium per Mail dem Rettungsschiff Seefuchs den seerechtlichen Schutzstatus entzogen. Die Seefuchs befand sich zu diesem Zeitpunkt in den internationalen Gewässern vor der libyschen Küste, um in Seenot geratene Flüchtlinge zu retten. Die Crew – ausschließlich Freiwillige – hatte aufgrund dieser neuen Situation keine andere Wahl, als die Rettungsmission abzubrechen und die Rückfahrt nach Valletta anzutreten.
Nahezu zeitgleich wies der Verkehrsminister der neuen italienischen Regierung die italienische Küstenwache an, den seerechtlichen Status der Seefuchs zu überprüfen und gegebenenfalls ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen. „Wir haben ausschließlich aus sozialen Netzwerken davon erfahren, dass der italienische Verkehrsminister Danilo Toninelli am Flaggenstatus der Seefuchs zweifelt. Daher nahmen wir selbst am Montag Kontakt mit unserem Flaggenstaat den Niederlanden auf, um schließlich am Mittwoch per Email zu erfahren, dass man sich dort tatsächlich nicht mehr für uns verantwortlich fühlt. Nach mehr als zwei Jahren intensiver Zusammenarbeit mit den italienischen und niederländischen Behörden ist diese Vorgehensweise absolut unverständlich.“, erklärt Gorden Isler von Sea-Eye e.V.. „Wir müssen nun in erster Linie an die Sicherheit unserer Crew denken und konnten die dringliche Mission nicht mehr weiterführen und empfahlen dem Kapitän ausdrücklich Kurs auf Valletta zu nehmen. Dabei wurden gerade heute über 450 Menschen auf drei Schlauchbooten gesichtet.“
Die Seefuchs hält jetzt Kurs auf Malta, wo sie am Freitagmorgen in den Hafen einlaufen wird. Der ehrenamtliche Vorstand von Sea-Eye bemüht sich nun um eine Klärung der neuen Situation. Der Vorsitzende des Vereins Prof. Dr. Tilman Mischkowsky erklärt weiter: „Wenn die zivilen Rettungsorganisationen, die auch in diesem Jahr schon viele Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet haben durch politische Ränke an weiterem Einsatz gehindert werden, bedeutet das den sicheren Tod vieler unschuldiger Menschen. Die Vergangenheit lehrt uns unmissverständlich, dass die staatlichen Organisationen, die nach internationalem Recht zur Rettung verpflichtet sind offensichtlich nicht in der Lage sind, die Rettungseinsätze so zu organisieren, dass möglichst wenige Menschen sterben müssen. Das gilt insbesondere und nachweisbar für die sogenannte Libysche Küstenwache.“
:: ffm-online.org :: sea-eye.org (21. Jun 2018)
Der UNHCR berichtet, dass in den vergangenen drei Tagen ungefähr 220 Menschen beim Versuch das Mittelmeer zu überqueren starben. Diese hohe Anzahl an Todesopfern veranlasste die UN Behörde mehr Rettungskapazitäten auf See zu fordern, während europäische Regierungen, mit Italien in einer führenden Rolle, alles tun um eine effektive Rettung auf See zu verhindern. Sea-Watch warnte am Mittwoch (20. Juni - siehe :: Teil 2 der Ereignisse im und ums Mittelmeer) vor tödlichen Tagen am Horizont aufgrund fehlender Rettungs-Kapazitäten; die Ertrunkenen sind eine direkte Folge der derzeitigen Maßnahmen gegen die Seenotrettung.
Daher fragt Sea-Watch europäische Gesellschaften - auf staatlicher wie lokaler Ebene - um Hilfe zur Erreichung einer Lösung. Bis diese gefunden ist, muss es zivilen Rettungsschiffen erlaubt sein, ihre lebensrettende Arbeit ohne Bedrohungen durch staatliche Behörden durch zu führen.
Das Dubliner Abkommen erlaubt es Staaten außerordentlich humanitäre Visa auszustellen, welche als vorübergehende Lösung angewendet werden. Eine strukturelle Änderung ist notwendig, um eine faire Aufteilung der Verantwortung unter den EU Mitgliedsstaaten zu erreichen.
We need a Europe of solidarity and welcome. This must translate into providing safety and protection to those who need it, and this must be achieved now.
Komplettes Statement auf englisch auf :: Sea-watch.org (22. Jun 2018)
Malta öffnet keinen Hafen für das NGO-Rettungsschiff „Lifeline“ mit 239 Bootsflüchtlingen an Bord. Italien und anscheinend auch Frontex hatten in diese Richtung Druck entfaltet. Vielleicht hätte Spanien die Bootsflüchtlinge in der Folge übernommen. – „Lifeline“ hatte zuvor den Flüchtlingen eines anderen Boots den 5-Meter-Aufstieg zu einem Frachter ermöglicht, dass sich zu dieser Rettung bereit erklärt hatte. – Die Anschuldigungen der italienischen Regierung über falsche oder fehlende holländische Registrierungspapiere haben sich als desorientierende Fehlmeldungen erwiesen.
:: ffm-online.org :: La Repubblica (22. Jun 2018)
Mit den mehr als 200 im zentralen Mittelmeer ertrunkenen Migrant_innen innerhalb von zwei Tagen steigt die Zahl der seit Jänner 2018 auf dieser Fluchtroute gestorbenen Menschen auf mehr als 1.000. Migreurop kritisiert in einer Aussendung vor allem die Politiker_innen und ihre zynische Haltung im Umgang mit Geflüchteten und Migrant_innen und die Maßnahmen der Abschottung, die zu einem weiteren Anstieg der Todeszahlen führen wird.
:: ffm-online.org (22. Jun 2018)
:: ffm-online.org :: eldiario.es (23. Jun 2018)
Europa schuldet 234 geretteten Leuten auf der LIFELINE und 113 Leuten auf dem Handelsschiff ALEXANDER MAERSK eine Lösung. Beide Schiffe haben keinen sicheren Hafen zugeteilt bekommen und treiben weiterhin in internationalen Gewässern. Die Situation auf der LIFELINE ist so weit stabil, jedoch entsprechend der IMO Richtlinien zur Behandlung von auf See geretteten Personen, müssten die Geretteten ohne übermäßige Verzögerung oder Schwierigkeiten an einen sicheren Platz gebracht werden. Weil die verantwortlichen europäischen Staaten keine Lösung anbieten, werden Sea-Eye und Sea-Watch ein Boot mit Nahrungsmitteln zur LIFELINE schicken, damit die Situation weiterhin stabil bleibt. Dass nun sogar Handelsschiffe als Geisel auf See gehalten werden, zeigt die neue Qualität der Verantwortungslosigkeit der Europäischen Machtspiele auf.
Ganze Aussendung auf englisch auf :: Sea-watch.org (23. Jun 2018)
Vor dem informellen EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik in Brüssel am morgigen Sonntag versucht die französische Regierung unter Macron die spanische Regierung unter Sanchez – angesichts der Unrealisierbarkeit nordafrikanischer EU-Lager – für eine Sofortinternierung angelandeter Boat-people in der EU zu gewinnen. Diese Stoßrichtung ist nicht nur wegen der aktuell weltweiten Kritik der Inhaftierung auch der grenzüberschreitenden Kinder in den USA bemerkenswert ruchlos. Konkret richtet sich die französisch-spanische Forderung gegen die Forderung der italienischen Regierung, die Dublin-Regelung für angelandete Boat-people auszusetzen, unter gleichzeitig existenzbedrohendem italienischen Angriff auf NGO-Rettungsschiffe und ihre aufgenommenen Bootsflüchtlinge. Sowohl der Seehofer-Vorstoß der südbayerischen Grenzschließung wie die italienische Einkreisung der NGO-Rettungsschiff mit zahlreichen Bootsflüchtlingen an Bord wie auch der französisch-italienische Internierungsvorschlag kündigen eine EU-Politik der staatlichen Gewalt gegen Geflüchtete und Migrant*innen an, wie sie seit 1945 auf diesem Kontinent nicht mehr vorstellbar war.
:: ffm-online.org :: eldiario.es (23. Jun 2018)
Die Crew des Rettungsschiffs "Lifeline" hat Italiens Innenminister und Rechtsaußen-Politiker Matteo Salvini zu einem Besuch an Bord eingeladen. "Herr Salvini, wir haben kein Menschenfleisch, sondern Personen an Bord. Wir laden Sie ein, damit sie sich überzeugen können, dass wir Menschen vor dem Ertrinken gerettet haben", so in einem Tweet am Sonntag.
Schiffskapitän Klaus Peter betonte, er fürchte nicht die Festnahme, sollte er in einem italienischen Hafen eintreffen, wie Salvini droht. "Ich möchte Herrn Salvini zu einer Reise mit uns einladen. So kann er die dramatischen Szenarien im Meer begreifen. Niemand an Bord dieses Schiffes verdient einen Euro von den Rettungseinsätzen. Wir sind alle ehrenamtliche Helfer[_innen]", sagte Peter im Interview mit dem italienischen Radiosender Radio Capital.
:: kurier.at (24. Jun 2018)
Das Alarmphone meldete, dass es einen Notruf aus dem zentralen Mittelmeer von einem Boot mit 96 Menschen an Bord erhalten hat, nachdem es von Libyen ablegte. Die Passagier_innen gaben an, dass sie dringen Hilfe benötigen.
Das Leute vom Alarmphone alarmierten das zuständige Seerettungszentrum (MRCC) in Rom und übermittelte die Koordinaten des Bootes. Dieses gab allerdings an, dass Malta zuständig sei. Doch die zuständige Behörde in Malta schien nichts von dem Boot in Seenot zu wissen, etwas später gaben sie an, dass die Behörden in Libyen zuständig seien.
Das Alarmphone forderte die Behörden in Rom und Malta auf, ihrer Verpflichtung zur Rettung aus Seenot nachzukommen, während die Batterie des Satellitentelefons auf dem Boot ausging.
Das zynische Spiel der europäischen Politiker_innen hat eine katastrophale Konsequenz: Es ist eine Frage über Leben und Tod. Die Seerettungsbehörden werden ermahnt, sofort ihrer Verantwortung zur Koordinierung von Rettungsoperationen nachzukommen.
:: Watch The Med – Alarmphone (englisch, 24. Jun 2018)
Nachdem das NGO-Rettungsschiff LIFELINE und ein Frachter mehrere hundert Boat-people im zentralen Mittelmeer aufgenommen haben, ihnen aber alle sicheren Häfen in Italien und Malta verweigert wurden, haben gestern und heute einige weitere Flüchtlingsboote SOS an die italienische Rettungsleitstelle gesendet. Diese benachrichtigte die Schiffe in der Umgebung der Rettungsfälle und übermittelte zugleich die klare Botschaft, dass sich die Schiffe nicht mit Koordinationsanfragen an die italienische Rettungsleitstelle, sondern an die sog. libysche Küstenwache wenden müssten. Inzwischen (Sonntag Nachmittag) treiben mehr als 1.000 Boat-people rettungs- und perspektivlos im zentralen Mittelmeer. Eine solidarische Protest-E-Mail aus Italien und aller Welt hat heute Mittag die E-Post der italienischen Küstenwache lahmgelegt. Die Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau hat ihre Stadt als „offen“, als flüchtlingsaufnahmebereit erklärt (:: ffm-online.org :: La Vanguardia (24. Jun 2018)). Zeitgleich zu diesen Meldungen zur „größten Kollektivabschiebung in der Nachkriegsgeschichte des Mittelmeers“ (Open Arms) fand in Brüssel der sog. informelle Flüchtlingsgipfel der EU statt. Es ist nicht vorstellbar, dass die massenhafte Rettungsverweigerung ohne Zustimmung der EU-Kommission und der mächtigsten EU-Staaten erfolgt. (Die tagelange Umleitung des Flüchtlingsschiffs AQUARIUS ins spanische Valencia hatte die EU-Kommission über die spanische Regierung vermittelt.) Es ist damit zu rechnen, dass die Rettungsverweigerung Italiens und der EU in den kommenden Tagen zahlreiche Menschenleben kosten wird.
:: ffm-online.org :: Il Fatto Quotidiano (24. Jun 2018)
Die Regierungschefs aller teilnehmenden EU-Staaten haben auf dem heutigen informellen EU-Flüchtlingsgipfel in Brüssel die italienischen Forderungen (10-Punkte-Plan) zur Kenntnis genommen und zur Entscheidung auf den kommenden EU-Gipfel geschickt. Heute dürfte der EU-Schulterschluss in der gemeinsamen aktiven Rettungsverweigerung gegenüber derzeit mehr als 1.000 Boat-people im zentralen Mittelmeer erfolgt sein, mit möglichem Massentod in den kommenden Tagen. Der italienische Plan sieht neben einem schmutzigen Deal mit Libyen / Niger und einer Aufrüstung der EU-Außengrenze vor, dass die Rettung von Schiffbrüchigen im Mittelmeer in der „gemeinsamen Verantwortung der EU-Staaten“ liegt, dass „das (Dublin-)Kriterium des Erstankunftslands überwunden“ werden müsse, dass Rettung und Aufnahme in unterschiedlichen EU-Staaten erfolgen können, und dass es eine „obligatorische Aufteilung“ der neu ankommenden Flüchtlinge in der EU geben muss, sanktioniert mit finanziellen Zuschusskürzungen für Verweigerungsstaaten.
:: ffm-online.org :: Corriere della Sera (24. Jun 2018)
Trotz Anweisung der italienischen Küstenwache, keine Rettungsoperationen für die derzeit mehr als 1.000 Boat-people auf sieben Booten im zentralen Mittelmeer einzuleiten, ist das Schiff der spanischen Rettungs-NGO „Open Arms“ auf Rettungskurs gegangen. Alle Entwicklungen sind in der laufenden Chronik zu verfolgen, die die Tageszeitung „El Diario“ ständig aktualisiert. Neuigkeiten können unter unten stehenden Telefonnummer durchgegeben werden.
:: ffm-online.org :: El Diario (24. Jun 2018)
Während Italiens neue Regierung gegen Rettungsboote im Mittelmeer vorgeht, teilte die italienische Küstenwache Booten die sich in libyschen Gewässern aufhalten mit, sich an Libyen zu wenden, wenn sie in Not geraten.
Italienischen Medien zufolge wurden die Rettungsschiffe, die im Mittelmeer operieren, von den Rettungsstellen darüber in Kenntnis gesetzt, dass Italien ab sofort nicht mehr die erste Ansprechstelle sei.
Ganzer Bericht auf englisch :: ffm-online.org :: The Local (24. Jun 2018)
In einer Presseerklärung stellen Abgeordnete vom Komitee für Bürger_innenrechte des EU-Parlaments fest:
"Die EU sollte sicher stellen, dass die Hilfe für Migrant_innen aus humanitären Gründen nicht als Verbrechen bestraft werden kann. Die EP-Abgeordneten betonen in einer nicht rechtwirksamen Resolution, die mit 38 zu 16 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen wurde, die Sorgen dass EU-Gesetze zur humanitären Hilfe für Migrant_innen "unbeabsichtigtes Folgen" für jene EU-Bürger_innen haben, die diese Hilfe leisten.
Einer Richtlinie zufolge (die 2002 “Facilitation” Directive), wird den Mitgliedsstaaten vorgeschrieben, Gesetze zu erlassen, die Strafen für alle jene vorsehen, die irreguläre Einreise, Durchreise oder den Aufenthalt von Migrant_innen unterstützen.
Allerdings ermächtigt die EU Gesetzgebung die Mitgliedsstaaten "humanitäre" Aktivitäten von der Liste der Verbrechen auszunehmen. (...)
Alle EU Länder werden aufgefordert, diese Ausnahmen in ihren Gesetzen aufzunehmen, um sicher zu stellen, dass Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die Migrant_innen aus humanitären Gründen unterstützen, nicht dafür bestraft werden."
:: Statewatch Komplette Presseerklärung auf :: europarl.europa.eu (25. Jun 2018)
Associated Press veröffentlichte detaillierte Zeug_innenberichte von Migrant_innen und Geflüchteten, die in der Sahara zum Sterben zurückgelassen wurden. Demnach wurden in den vergangenen 14 Monaten mehr als 13.000 Menschen - inklusive schwangere Frauen und Kinder - in der Sahara ohne Essen und Wasser ausgesetzt. Teilweise mit vorgehaltenen Waffen wurden sie zum Gehen gezwungen, unter der glühenden Sonne. Viele kehrten nie lebend zurück.
Der ganze Artikel auf englisch auf :: ffm-online.org und :: Al Jazeera (25. Jun 2018)
In der europäischen Nachkriegsgeschichte ist die politische Tragödie der Kollektivabschiebung von 1.000 bis 2.000 Menschen – Boat-people im Mittelmeer – zurück in Lager(*) in unmittelbarer Nachbarschaft der EU beispiellos. Ob und in welchem Ausmaß diese Menschen am vergangenen Wochenende tatsächlich von ihren Booten geholt und nach Libyen deportiert wurden, oder wie viele ertrunken sind, wissen wir nicht, denn es gibt keine Zeug_innen außer den libyschen Küstenmilizen und keine Kontakte zu Überlebenden und Deportierten.
Am Samstag, dem 23.06.2018, verständigte die italienische Seenotrettungsleitstelle in Rom (MRCC) alle Schiffe im zentralen Mittelmeer über die Seenot von 1.000 Boat-people. Und sie gab offiziell bekannt, dass sie sich aus der Koordination der Seenotrettung im zentralen Mittelmeer mit sofortiger Wirkung zurückzieht. Sie wies ein NGO-Rettungsschiff explizit an, nicht an eventuellen Rettungen dort teilzunehmen.
Dieses massenhafte Refoulement mit möglicher Todesfolge Vieler wird die italienische Regierung nur mit Rückendeckung der EU veranlasst haben.
Am Sonntag, dem 24. Juni, fand in Brüssel der informelle EU-Flüchtlingsgipfel statt, auf dem die italienische Regierung widerspruchslos eingefordert hat, dass eine „gemeinsame EU-Verantwortung für Schiffbrüchige“ anerkannt wird.
Das NGO-Rettungsschiff LIFELINE wird seit 21. Juni mit 234 aufgenommenen Boat-people von den Regierungen Italiens, Maltas, Frankreichs, Spaniens, Deutschlands, der Niederlande etc. im zentralen Mittelmeer blockiert.
In aller Kürze sind transnationale Initiativen für „sichere Häfen“ und städtische Flüchtlingsaufnahmen („Solidarity Cities“) quer durch Europa entstanden. Parlamentsabgeordnete besuchten die LIFELINE vor Malta. Dennoch schien es so, dass eher ein polizeilich-militärischer Sturm auf das Rettungsschiff als eine willkommensbegrüßte Anlandung in Italien oder Malta mit Weiterflug der Bootsflüchtlinge in andere EU-Staaten möglich wäre. Bürgermeister trauten sich nicht, die vorhandene Aufnahmebereitschaft öffentlich zu bekunden. Die Spitzen grüner und linker Parteien, aus deren Reihen Abgeordnete auf der LIFELINE waren, blieben in der Öffentlichkeit stumm.
Doch nun scheint der erste Durchbruch geschafft. Bürgermeister_innen von Berlin bis Barcelona haben gestern und heute ihre Bereitschaft erklärt, Boat-people der LIFELINE aufzunehmen. Jetzt ist ein „Welcome Refugees“ gegen die EU-Blockade durchzusetzen.
Wer brachte die Regierungen in der EU auf diesen unerhörten Abschottungskurs der letzten Tage? Die italienische Regierung ist mit ihrem rassistischen Programm in Westeuropa beispiellos, aber sie wartet auf viel Geld aus der EU für versprochene Sozialprogramme. Der entscheidende Hebel für Finanzzusagen befindet sich in Deutschland. In den kommenden Tagen, rund um den EU-Gipfel am nächsten Donnerstag / Freitag, werden wir über Hintergründe und Verantwortlichkeiten der erfolgten Blockade im zentralen Mittelmeer mehr erfahren.
:: ffm-online.org (26. Jun 2018)
Nach tagelanger Odyssee durch das Mittelmeer gibt es eine Lösung für das deutsche Rettungsschiff mit 230 Migranten: die „Lifeline“ kann laut italienischer Regierung in Malta einlaufen.
:: ffm-online.org :: DW (26. Jun 2018)
Die „Lifeline“ darf in einem Hafen auf Malta anlegen. Berlins rot-rot-grüner Senat erklärt sich bereit, die Bootsflüchtlinge aufzunehmen.
:: ffm-online.org :: taz (26. Jun 2018)
Aufgrund des Drucks vieler Städte, Regionen und eines Staates – Portugal – , die die über 200 Boat-people des NGO-Rettungsschiffs LIFELINE aufnehmen wollen, konnte die maltesische Regierung erfolgreiche Verhandlungen mit den EU-Repräsentanten Tusk und Juncker sowie mit Kanzlerin Merkel aufnehmen. Die positiven Ergebnisse gelangten heute Nachmittag in die Medien. Laut italienischer Presseberichte wurden die Lorbeeren falsch zugeteilt: Den Durchbruch erzielten weder Macron noch der Papst noch der italienische Regierungschef Conte. Doch das Feilschen um genaue Übernahmezahlen soll nach italienischen Medienberichten weiterhin anhalten: Die Regierungen Deutschlands, der Niederlande und Spaniens blockieren im Moment die Anlandung der LIFELINE in Malta. Eine herausragende Blockierer-Rolle soll der deutsche Innenminister Horst Seehofer spielen.
:: ffm-online.org :: The Independent (26. Jun 2018)
Acht EU-Länder haben gegen den Widerstand des deutschen Innenministers Horst Seehofer durchgesetzt, dass das NGO-Rettungsschiff LIFELINE mit über 230 Bootsflüchtlingen – unter ihnen Frauen, Babys, unbegleitete Minderjährige, Vergewaltigte, Unterernährte und Gefolterte – nach sechs Tagen Blockade zwischen Lampedusa und Malta in Malta anlanden kann und dass die Geflüchteten in acht EU-Länder übernommen werden: Nach Frankreich, Italien, Luxemburg, Portugal, Irland, in die Niederlande, nach Belgien und Malta. Diese Staaten sind mehrheitlich für keine flüchtlingsfreundliche Politik bekannt. Aber der Druck der Zivilgesellschaft und der Welt, die auf die derzeitige schändliche Mittelmeerblockade sieht, zwingt sie dazu – trotz des finanzmächtigen Deutschlands, trotz des deutschen Innenministers. Die aktuelle Entwicklung fordert Nachforschungen ein: Wird aus dem deutschen Innenministerium die mehrwöchige Blockade des zentralen Mittelmeers gesteuert? Ist sie verantwortlich für das Massen-Refoulement in die libyschen Lager(*) am vergangenen Wochenende, und ist der widerliche verbalradikale Innenminister Matteo Salvini nur der losgelassene Hund? Ist Horst Seehofer nicht nur Hassprediger gegen Seenotretter_innen, sondern verantwortlicher Architekt der aktuellen Blockade im zentralen Mittelmeer?
:: ffm-online.org (27. Jun 2018)
Zu der aktuellen Berichterstattung vor der Anlandung der LIFELINE siehe :: The Independent
In einem offenen Brief richtet sich die Crew der Lifeline direkt an den Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, Horst Seehofer, hier etwas gekürzt:
"Sehr geehrter Herr Minister Seehofer, der Presse entnehmen wir, dass Sie sich dafür einsetzen, dass das Schiff unserer Seenotrettungs-NGO beschlagnahmt werden soll und gegen die Crew strafrechtlich ermittelt wird. Wir entnehmen der Presse, dass Sie von "Shuttle"-Service sprechen. Unabhängig davon, dass wir darauf hinweisen wollen, dass wir Menschen im tödlichsten Seenotrettungsgebiet der Welt aus Lebensgefahr retten und dafür angeklagt werden, haben wir einige Anmerkungen und Fragen:
Es fühlt sich beschämend an, dass die Bundesregierung durch die Behinderung der Seenotrettung dazu beiträgt, dass mehr Menschen im Mittelmeer sterben. Haben Sie Studien, eine Statistik oder ein Bauchgefühl, mit dem Sie diese Toten rechtfertigen können?
Stellen Sie sich vor, wie es ist, wenn Menschen gefoltert und versklavt und vergewaltigt werden - ganz bildlich in Libyen. Stellen Sie sich vor, wie diese Menschen in ihrer Verzweiflung alles tun, um Libyen entkommen zu können. Stellen Sie sich vor, dass der einzige Weg ein Schlauchboot ist und dass man für diesen lebensgefährlichen Weg dann noch viel Geld bei kriminellen und gewalttätigen Schlepperbanden bezahlen muss.
Stellen Sie sich vor, dass dort Männer, Frauen und Kinder - die nie schwimmen gelernt haben - auf überfüllten Booten ins Wasser fallen - ohne Schwimmweste. Stellen Sie sich den Kampf gegen das Wasser vor, das langsam aber sicher ihre Lungen füllt, bis sie ertrinken. Stellen Sie sich vor, dass Sie fordern, dass diesen Menschen nicht geholfen wird.
Und wenn Sie bereit sind, sich das vorzustellen und nun sagen: “Aber ohne die Nichtregierungsorganisationen gäbe es das ja nicht”, dann müssen wir Ihnen sagen: Sie liegen falsch. Nicht weil wir eine andere Meinung haben, sondern weil die meisten Menschen in den letzten Jahren gar nicht von NGOs gerettet wurden und weil wir wissen, dass die Menschen auch höhere Risiken eingehen. Wir haben uns als NGOs gegründet, nachdem tausende ertrunken sind - nicht davor. Wir stimmen unsere Einsätze mit der Seenotrettungsleitstelle ab und folgen den Anweisungen und wir sind schockiert über die Vorwürfe, die uns auch von Ihnen gemacht werden. Sie können den Schmerz nicht fühlen, wenn Menschen sterben, denen man helfen könnte. Und Sie können unsere Wut nicht nachempfinden, die wir angesichts einiger öffentlicher Äußerungen der letzten Tage empfinden. Sie reden von Shuttle nach Europa, wo Menschen aus Seenot gerettet werden. Wie würden Sie sich fühlen, wenn ihre Familienangehörigen in Gefahr wären oder sterben? Wäre es nicht eine Schande? (...)
Sie dürften Menschen nicht nach Libyen bringen. Deswegen unterstützen Sie die libysche Küstenwache, die nicht an das Recht gebunden ist, auf das Sie einen Eid geschworen haben. Wollen Sie, dass andere dieses Recht brechen? Unterstützen Sie das? Aber wir sind an dieses Recht gebunden und wir haben keine Scheu dafür auch gegen Widerstände einzutreten. Wir haben keine Regierungskrise verursacht. Wir haben keine Interessen, außer dass Menschenrechte und Menschenwürde nicht im Fleischwolf des Rechtspopulismus zu Grunde gehen.
Wir wollen Leben retten. Was ist Ihr Interesse? Wen retten Sie? Kommen Sie zu uns und reden Sie mit uns. Beantworten Sie bitte die Fragen. Einzeln und präzise. Kommen Sie her. Sie sind willkommen."
:: Mission Lifeline (27. Jun 2018) (:: Letter in english)
Pressemitteilung vom Flüchtlingsrat Berlin, Borderline Europe und Sea-Watch vom 27. Juni 2018
Ein Zeichen gegen Abschottung und Rechtsruck in Europa
Der Flüchtlingsrat Berlin, borderline-europe und Sea-Watch begrüßen den Vorstoß von Berlin und Kiel, Geflüchtete des zivilen Seenotrettungsschiffes "Lifeline" auf-nehmen zu wollen.
Mit großer Besorgnis verfolgen wir seit Tagen das Schicksal der Menschen auf dem Dresdner Rettungs-schiff "Lifeline", welches seit vergangenem Donnerstag mit 234 geretteten Flüchtlingen an Bord auf internationalem Gewässer ausharrt, da Italien und auch Malta sich weigerten, das Schiff anlegen zu lassen.
Wir begrüßen daher den Berliner Vorstoß, inmitten eines Klimas der Abschottung und rechter Hetze gegen Geflüchtete, sich bereit zu erklären, die Menschen an Bord der "Lifeline" in Berlin aufzunehmen, ebenso den der Stadt Kiel.
Allein in den letzten 6 Monaten sind mindestens 972 Menschen auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Die Dunkelziffer dürfte jedoch wesentlich höher liegen. In Zeiten, in denen täglich Menschen an Europas Außengrenzen sterben und Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen von Politiker*innen und Medien pauschal diffamiert und kriminalisiert werden, brauchen wir dringend ein öffentliches Gegengewicht, was Solidarität statt Abschottung und Menschlichkeit statt Populismus in den Vordergrund stellt. Hier haben Berlin und Kiel den Anfang gemacht. Nun liegt es am Innen- und Heimatminister Horst Seehofer, der Aufnahme zuzustimmen.
Wir appellieren an Minister Seehofer, sich von dem Vorstoß Berlins und Kiels inspirieren zu lassen und sich für Menschlichkeit statt Populismus und für Solidarität statt nationalem Denken zu entscheiden und in die Aufnahme der Schutzsuchenden einzuwilligen.
Sollte Horst Seehofer dies nicht tun, erwarten wir vom Berliner Senat und der Landesregierung Schleswig - Holstein auch in zukünftigen Fällen Aufnahmezusagen nach § 22 Satz 1 Aufenthaltsgesetz, wonach die Aufnahme der Menschen aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen auch ohne die Beteiligung des Innenministeriums explizit möglich ist. An dieser Stelle wäre das Auswärtige Amt und die Berliner bzw. Kieler Ausländerbehörde für die Prüfung und Zustimmung der Aufnahme verantwortlich.
:: borderline-europe (27. Jun 2018)
Zum heute beginnenden EU-Gipfel zeichnet die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ die möglichen Konfrontationslinien auf: Die italienische Regierung feiert die Anlandung der LIFELINE in Malta und die Aufteilung der Boat-people auf acht EU-Staaten als Durchbruch gegen das Erstaufnahmeprinzip der Dublin-Verordnung. Dieses Exempel müsse laut italienischer Regierung jetzt in der EU kodifiziert werden. Die Dublin-Regel dürfe nicht auf Seegerettete angewandt werden. Falls die Aufteilung der neuankommenden Boat-people auf EU-Staaten nicht festgeschrieben werde, werde die italienische Regierung gegen jeglichen Beschluss des EU-Gipfels ihr Veto einlegen. Auf der anderen Seite betont Seehofer, dass die Verteilung der LIFELINE-Boat-people auf EU-Staaten nicht als Präzedenzfall eingestuft werden dürfe. Merkel bliebe sonst nur die „Nuklear-Option“: Der Ausschluss Italiens aus Schengen.
:: ffm-online.org :: Corriere della Sera (27. Jun 2018)
PRO ASYL warnt noch einmal mit Nachdruck, die libysche Küstenwache weiter aufzurüsten und ihr die Rettung Schiffbrüchiger zu übertragen. PRO ASYL betrachtet den beabsichtigten Ausbau der Kooperation als Verrat an Europas Werten. Weil die Bundeskanzlerin zur Betriebenen der CSU geworden ist, reiht sie sich in die Allianz der Grenzschließer ein. Nach der gestrigen Presseerklärung von Ratspräsident Donald Tusk soll die libysche Küstenwache weiter ausgerüstet werden. Menschen, die vor Folter, Krieg, Terror und Verfolgung fliehen, sollen vor Europas Grenzen abgefangen werden.
»Statt Europas Werte zu verteidigen, scheint für die Grenzschließung jedes Mittel recht. Die oft dramatischen Fluchtgründe und die Menschenrechte Schutzbedürftiger spielen bei den Überlegungen der Staatschefs keine Rolle«, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.
Die Auslieferung Schutzsuchender an die libysche Küstenwache, um sie sodann nach Nordafrika zurückzubringen, ist weder mit Artikel 3 EMRK noch mit dem Schutz vor Kollektivausweisung (Artikel 4 des 4. Prot. zur EMRK) vereinbar. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2012 in einem Grundsatzurteil (Case of Hirsi Jamaa and Others v. Italy) entschieden.
Nicht nur, dass die sogenannte Küstenwache sich aus Milizen rekrutiert und selbst Kontakte zu Schleppernetzwerken pflegt; dass sie tausende Menschen nach Libyen zurückschleppt, welche dort unter absolut menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert, misshandelt und teilweise sogar versklavt werden: Berichte von zivilen Seenotrettungsorganisationen zeigen auch, dass die »Küstenwache« Rettungsoperationen der NGOs verhindert, sie mit Waffengewalt in internationalen Gewässern bedroht und sogar durch riskante Manöver für Todesfälle bei Rettungsaktionen verantwortlich ist.
Die EU-Staaten schließen die Augen vor dem Sterben im Mittelmeer und wollen nun auch die Lebensrettung durch Rettungsschiffe von Hilfsorganisationen verhindern.
:: ffm-online.org :: proasyl.de (28. Jun 2018)
Testimony vom 14.06.2018 an Bord der Aquarius
Hallo, mein Name ist Muhammad*. Ich komme aus Nigeria; ich bin 18 Jahre alt. Meine Eltern habe ich mit 11 Jahren bei einem Autounfall verloren. Seitdem haben mich meine Großeltern aufgezogen. In meinem Heimatland ohne Eltern aufzuwachsen, war das Schwierigste für mich – bis ich Libyen erreichte.
Warum ich das sage? Weil Libyen für niemanden ein Ort ist, an dem man leben kann. Sie nehmen dir alles, auch deine Seele, und zermahlen sie. Libyen ist ein Ort voller Gewalt, an dem viele Menschen vergewaltigt und ermordet werden. Ich bin froh, dass ich keiner von ihnen war. Um der Gewalt zu entkommen, bezahlte mir ein Freund meiner Eltern einen Platz auf einem Boot auf dem Weg zu einem besseren Ort.
Komplettes Statement auf :: sosmediterranee.de - dort finden sich weitere :: Stimmen der Geretteten
Am Donnerstagabend wurde Sea-Eye e.V. der Smart Hero Award verliehen. Der Preis wird für besonderes Engagement und die Einbindung Sozialer Medien verliehen. „Der Verein schafft es seine Unterstützer[_innen] auf vielfältige und kreative Weise zu erreichen. Sea-Eye e.V. schafft über seine Social-Media-Aktivitäten eine direkte, persönliche Ansprache und eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz“, heißt es in der Begründung der Jury.
Zu den Nominierten der Kategorie „Zusammen Chancen schaffen“ gehören auch die Dresdner Seenotretter von Lifeline, dessen Kapitän Claus-Peter Reisch am gleichen Abend, nach der Rettung von 236 Menschenleben, von einem maltesischen Gericht angeklagt worden ist. Bei der Vorstellung der Nominierten, noch vor der Preisverleihung, teilt das Vorstandsmitglied Gorden Isler von Sea-Eye e.V. mit, dass man jedes Preisgeld aus Solidarität und Freund[_innen]schaft mit Lifeline teilen würde. Wenige Minuten später verkündet die Laudatorin und Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae, dass der Preis und das damit verbundene Preisgeld in Höhe von 10.000 € an Sea-Eye e.V. vergeben wird. Kerstin Andreae: “Diesen Verein dürfte es gar nicht geben. Aber diesen Verein muss es geben!” (...)
Die Regensburger Seenotretter[_innen] von Sea-Eye e.V.betreiben 2 zu Rettungsschiffen umgebaute Fischkutter und konnten in den vergangenen 2 Jahren mehr als 14.000 Menschen vor dem Ertrinken retten. Über Soziale Netzwerke gelang es dem Verein mehr als 12.000 Follower zu gewinnen, die täglich über die Aktivitäten des Vereins informiert und in Diskussionen eingebunden werden. So erreicht der Verein jeden Monat mehr als 100.000 Menschen mit seinen Inhalten und ermöglicht durch den Einsatz von modernen Tools die schnelle und unkomplizierte Mitwirkung durch eine Spende.
:: sea-eye.org (28. Juni 2018)
Der neue Italien-Newsletter Juni 2018 von borderline-europe informiert über die Politik Salvinis, eine Klage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, ausbeutende Saisonarbeit uvm.
:: Newsletter als PDF
Anlässlich des EU-Gipfels in Brüssel kritisiert die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) die EU-Flüchtlingspolitik, die Schutzsuchende in Internierungslagern in Libyen festsetzt und zu mehr Todesfällen im Mittelmeer führt. Während die EU-Staaten Rettungsschiffe behindert haben, war die vergangene Woche mit mindestens 220 Ertrunkenen die tödlichste im Mittelmeer in diesem Jahr. Gleichzeitig hat die von der EU finanzierte libysche Küstenwache etwa 2.000 Menschen auf dem Mittelmeer abgefangen und in willkürliche Haft unter unmenschlichen Bedingungen nach Libyen zurückgezwungen – so viele wie noch nie in so kurzer Zeit.
Komplette Aussendung von/bei :: Ärzte ohne Grenzen (29. Jun 2018) und auf :: no-racism.net
Presseerklärung von PRO ASYL zu den Ergebnissen des EU-Gipfels in Brüssel:
In einer ersten Reaktion kritisiert PRO ASYL die Ergebnisse des EU-Gipfels scharf. »Das ist der Gipfel der Inhumanität. Gefolterte und Verfolgte einfach so in Europa wegzusperren ist inhuman. Flucht ist kein Verbrechen. Die Staats- und Regierungschefs lassen jegliches Mitgefühl mit Verfolgten vermissen«, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. »Innerhalb und außerhalb der EU entstehen nun Lager der Hoffnungslosigkeit«.
Die weitere Stärkung der libyschen Küstenwache und den Rücktransport aus Seenot Geretteter nach Nordafrika bezeichnete Burkhardt als »Anschlag auf das Recht auf Asyl und die Europäische Menschenrechtskonvention. Anstatt sich an europäisches Recht zu halten, schafft die EU Zonen der Rechtlosigkeit. Der Zugang zum Recht auf Asyl und die Prüfung der Fluchtgründe in einem rechtsstaatlichen Verfahren sollen damit verhindert werden«.
Die Auslieferung Schutzsuchender an die libysche Küstenwache, um sie sodann nach Nordafrika zurückzubringen, ist weder mit Artikel 3 EMRK noch mit dem Schutz vor Kollektivausweisung (Artikel 4 des 4. Prot. zur EMRK) vereinbar. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2012 in einem Grundsatzurteil (Case of Hirsi Jamaa and Others v. Italy) entschieden.
Nicht nur, dass die sogenannte Küstenwache sich aus Milizen rekrutiert und selbst Kontakte zu Schleppernetzwerken pflegt; dass sie tausende Menschen nach Libyen zurückschleppt, welche dort unter absolut menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert, misshandelt und teilweise sogar versklavt werden: Berichte von zivilen Seenotrettungsorganisationen zeigen auch, dass die »Küstenwache« Rettungsoperationen der NGOs verhindert, sie mit Waffengewalt in internationalen Gewässern bedroht und sogar durch riskante Manöver für Todesfälle bei Rettungsaktionen verantwortlich ist.
:: Pro Asyl (29. Jun 2018)
Ein Boot mit rund 100 Geflüchteten ist laut libyscher Marine im Mittelmeer gekentert. Drei tote Babys wurden geborgen. Unklar ist, wie viele weitere Opfer es gibt.
Mitten in der Debatte um die Verbannung von privaten Seenotretter[_inne]n sind möglicherweise wieder rund 100 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Ein Boot mit mehr als 100 Migrant[_inn]en an Bord sei vor der Küste Libyens gekentert, teilte die libysche Marine am Freitag mit. 14 Menschen seien gerettet worden. (...)
Die vergangene Woche ist laut Ärzte ohne Grenzen mit mindestens 220 Ertrunkenen die tödlichste im Mittelmeer in diesem Jahr gewesen – da war das neue Unglück noch nicht bekannt. Dies fällt direkt mit der Blockade privater Schiffen von Hilfsorganisationen auf dem zentralen Mittelmeer zusammen.
:: ffm-online.org :: taz (29. Jun 2018)
Das gemeinsam von SOS MEDITERRANEE und Ärzte ohne Grenzen betriebene Rettungsschiff Aquarius hat am Freitag, den 29. Juni, den Hafen von Marseille für den geplanten Crewwechsel erreicht. Die zurückliegende Mission war die wohl schwierigste Rotation seit Beginn der Rettungseinsätze vor über zwei Jahren. Die Entscheidungen des Europäischen Rates zur Migration führen weiterhin zu Widersprüchen und Ungereimtheiten im Mittelmeer – Antworten zur humanitären Tragödie im Mittelmeer bleiben offen.
Ganze Pressemitteilung auf :: sosmediterranee.de (30. Jun 2018) und :: no-racism.net
Die Plattform Radikale Linke störte den Festakt der offiziellen Übergabeveranstaltung der EU-Ratspräsidentschaft an Österreich auf der Planai mit Sprechchören und einem Transparent "gegen ein Europa das tötet".
Die Protestaktion war der Auftakt eines Halbjahres der Proteste gegen die EU-Ratspräsident_innenschaft und für eine soldarische Gesellschaft jenseits von Ausbeutung und Ausgrenzung: a better future for all! Am 12. Juli finden beispielsweise Aktionen gegen den :: informellen Gipfel der Innenminister_innen in Innsbruck statt, am 20. September :: gegen den Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Salzburg.
Aussendung zur Protestaktion :: auf no-racism.net lesen
(*) In der aktuellen Debatte wird immer wieder der Begriff Konzentrationslager oder KZ für die Internierungslager in :: Libyen, aber auch für jene in Europa verwendet. no-racism.net weist auf einen sensiblen Sprachgebrauch hin. Seit Jahren berichten wir über die Zustände in den Gefängnissen und Lagern für Flüchtlinge und Migrant_innen - und weisen auf die miserablen Zustände dort ebenso wie auf die fragwürdige Inhaftierung von Menschen hin - ohne Gleichsetzung mit den NS-Vernichtungslagern. Es ist wichtig, sich gegen jede Internierung von Menschen auszusprechen und Bewegungsfreiheit zu fordern, doch sollte dies nicht mit einer Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus einhergehen. Deshalb wird der Begriff KZ durch den Begriff Lager bzw. Internierungslager ersetzt.