Am 11. Juli 2008 fand in Wien am Rande einer OSZE Konferenz zur Nachhaltigen Politik für die Integration von Roma und Sinti eine Demonstration gegen ethnische Säuberungen und Rassismus gegen Roma in Italien statt. Der folgenden Bericht thematisiert die Hintergründe dieser Entwicklung. (:: Zur Bildergalerie)
In Italien kam es in der vergangenen Monaten zu zahlreichen Pogromen gegen Roma. Hintergrund ist eine Politik, die seit langem auf massive Diskriminierung und Ausgrenzung setzt. Diese Politik war Thema einer am 10. und 11. Juli 2008 in der Wiener Hofburg statt findenden Konferenz der OSZE zur Nachhaltigen Politik für die Integration von Roma und Sinti. Neben PolitikerInnen nahmen auch zahlreiche VertreterInnen von Roma-Organisationen an dieser Konferenz teil, von denen einige am zweiten Tag den Protest auf die Straße trugen.
Im Aufruf hieß es dazu: "Wir protestieren gegen die rassistischen Ausschreitungen gegen Roma in Italien, die Roma-feindliche Politik der italienischen Regierung und die unzureichenden Reaktionen der europäischen Institutionen auf diese Politik. Wir nehmen die OSZE-Konferenz zur Nachhaltigen Politik für die Integration von Roma und Sinti, die am 10. und 11. Juli in der Wiener Hofburg stattfindet, zum Anlass, gemeinsam unseren Protest zum Ausdruck zu bringen und die europäischen Institutionen zum Handeln aufzufordern."
Treffpunkt war um 10:00 Uhr vor dem Sitz der Europäischen Grundrechteagentur in der Rahlgasse 3. Eine Delegation von ca. 10 Personen traf sich mit VertreterInnen der EU-Agentur für Grundrechte, um diese zum Handeln aufzufordern. Der Rest der Leute wartete auf der gegenüberliegenden Seite und es war sehr ruhig. Nachdem um ca. 11.00 die Delegation wieder aus dem Haus kam, wollten die meisten AktivistInnen mit der Demonstration beginnen, weshalb der Bericht von den Gesprächen sehr kurz ausfiel.
Eine Frau erzählte in einem Gespräch, dass die BürokratInnen gesagt hätten, sie würden tun was in ihrer Macht stehe, aber in Italien gäbe es eine eigene Regierung....
Die Leute bewegten sich am Gehsteig Richtung Ringstraße, die Polizei begleitete den Zug von ca. 60 Personen mit mehreren Autos auf der Fahrbahn. Auf zahlreichen Schildern standen Forderungen, Fotos zeigten Roma-Siedlungen, die von italienischen PolizistInnen in der vergangenen Wochen zerstört wurden.
Mit Sprechchören, die in verschiedenen Sprachen gerufen wurden, sprachen sich die AktivistInnen und VertreterInnen von NGO's gegen die strukturelle Ausgrenzung von Roma aus. Insbesondere wurden Berlusconi und die Regierung in Italien kritisiert und ein Ende der Pläne gefordert, von allen Roma Fingerabdrücke zu nehmen. Außerdem gab es Forderungen nach der Freiheit von Bewegung (Freedom of Movement) und gegen Rassismus.
Rassistische Mythen als Legitimation
Denn der Rassismus gegen Roma ist in Europa allgegenwärtig. In den vergangen Jahren wurde vor allem die Ausgrenzung in den osteuropäischen Ländern immer wieder thematisiert, doch hat diese Ausgrenzung in ganz Europa eine lange und grausame Geschichte. Ein Teil dieser Geschichte ist die rassistische Zuschreibung, die Menschen als Roma definiert und sie gleichzeitig mit zahlreichen Stereotypen belegt. So war die von den Nazis im "Dritten Reich" betriebene Erfassung der Sinti und Roma eine Grundlage der "Entrechtung, Aussonderung und schließlich Deportation und Vernichtung von Juden, Sinti und Roma in Deutschland wie in den angeschlossenen bzw. besetzten Gebieten." (1)
Jetzt werden sich wohl viele fragen, was dieser Vergleich mit den aktuellen Entwicklungen in Italien zu tun hat? Die Antwort ist folgende: Nach 1945 kam es nie zu einer Aufarbeitung der Verbrechen des NS. Die Ausgrenzung wurde fortgesetzt und fand in Österreich ihren bekannten Höhepunkt mit den Attentaten von Oberwart. Ein tief verwurzelter Rassismus gegen Sinti und Roma ermöglicht es PolitikerInnen immer wieder, rassistische Stimmung zu schüren und Maßnahmen rechtzufertigen. Und wenn wir einen Blick nach Italien werfen, dann wird klar, dass die Ausschreitungen gegen Roma nicht erst mit dem neuerlichen Wahlsieg von Berlusconi begonnen haben, sondern systematische Erfassungen, Inhaftierungen und Abschiebungen nach Rumänien bereits Ende 2007 für Aufsehen sorgten. Um so leichter fiel es der neuen Regierung, die Ausgrenzung zu verschärfen. Gerechtfertigt wurde dies mit der Gleichsetzung von Roma mit Kriminellen und einer weiteren Gleichsetzung aller rumänischen StaatsbürgerInnen mit Roma.
Am 15. Mai 2008 kam es zu einer landesweiten Razzia gegen "illegale Immigration" durch die italienische Polizei, bei der an die 400 Personen verhaftet und zahlreiche in der Folge abgeschoben wurden. Die Regierung berief sich dabei auf die Bevölkerung, die diese Politik gut heiße. Dies war eine Anspielung auf Pogrome, die sich in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2008 in Neapel ereigneten. Der angeblicher Auslöser dieser Pogrome ist in Verbindung mit rassistischen Vorurteilen gegenüber Roma-Frauen zu sehen, denen in vergangenen Jahrhunderten immer wieder vorgeworfen wurde, sie würden Kinder stehlen. Dem rassistischen Mob genügte dies als Rechtfertigung für sein Vorgehen: Hunderte BewohnerInnen des Stadtteils Ponticelli attackierten Sinti und Roma eines benachbarten Lagers mit Knüppeln, Steinen, Eisenstangen und Molotow-Cocktails und brannten das Lager nieder. Die Feuerwehr wurde zum Teil mit Gewalt am Löschen der brennenden Roma-Baracken gehindert.
In der Folge kam es in verschiedenen Landesteilen zu ähnlichen Übergriffen und auch die Regierung verschärfte ihr Vorgehen. Staatlichen Diskriminierung und Pogrome fanden Hand in Hand statt.
Rassistischer Terror und faschistische Morde
Die Ereignisse vom 25. Mai 2008 im römischen Stadtteil Pigneto erinnern dabei an die Zeiten des italienischen Faschismus der 1920iger Jahre. In einem :: Bericht auf de.indymedia.org ist zu lesen: "Ganz im Stil der Schwarzhemden Mussolinis erschien die 20köpfige und mit Knüppeln ausgestattete Gruppe überfallartig und schlug Schaufensterscheiben, Vitrinen und Geschäftsauslagen, sowie ein Callcenter entzwei. Dabei riefen sie "Bastarde" und "Dreckige Ausländer". Die zerstörten Einrichtungen gehörten jeweils MigrantInnen. Einen Mann aus Bangladesh schlug das Rollkommando ebenfalls zusammen, bevor es verschwand."
In Teilen Italiens formieren sich seit Jahren faschistische Organisationen und Strukturen, die bis in die Mitte der Gesellschaft reichen. Ein Beispiel ist Verona, wo seit Jahren der Bürgermeister von der Lega Nord gestellt wird. Am 1. Mai 2008 wurde dort :: Nicola Tommassoli von fünf Naziskins ermordet, deren Organisationen sich seit Jahren ungestört in dieser Region ausbreiten können.
Doch nicht nur Morde und rassistische Attacken wecken Erinnerungen an den Faschismus. Die italienische Regierung betraute :: in Folge der Pogrome drei Spezialdelegierte in den Provinzen Rom, Mailand und Neapel mit einer speziellen Lösung des Problems. Die Regierungsbeauftragten wurden verpflichtete, ab sofort "jede notwendige Maßnahme, die der Überwindung des Zigeunernotstands in den Regionen Lazio, Lombardien und Campania dient, zu billigen." Die Bevollmächtigten bekamen die Order, Roma und Sinti "zahlenmässig zu erfassen, sie anderweitig unterzubringen, zu entfernen oder auszuweisen".
Anfang Juli wurde bekannt, dass italienischen Behörden damit begonnen hatten, die Fingerabdrücke der in Lagern lebenden Roma im Land zu erfassen. Innenminister Roberto Maroni verteidigte dies mit "notwendiger Verbrechensbekämpfung". Weiters gehe es darum, heimlich Eingewanderte aufzuspüren und abzuschieben und das Leben der legal in den Behelfsunterkünften lebenden BewohnerInnen zu verbessern.
Dass von der Maßnahme auch Kinder betroffen waren, wurde damit gerechtfertigt, dass diesen dadurch geholfen werde. Als Teil der Bemühungen der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi, die Straßenkriminalität zu bekämpfen, habe sich die italienische Regierung das Ziel gesetzt, viele Kinder zu retten, die von "BettlerInnenbanden" ausgenutzt würden.
Verdammt nah zum Faschismus
Vor diesem Hintergrund wurden die rassistischen Attacken auf Roma in Italien als :: "verdammt nah zum Faschismus" bezeichnet. Sogar :: das EU-Parlament, das erst kürzlich der umstrittenen :: Abschieberichtlinie der EU zustimmte, bezeichnete die Maßnahme der italienischen Regierung als eindeutige Diskriminierung. Im Vorfeld der OSCE-Konferenz in Wien forderte das EU-Parlament die Prüfung, ob das Vorgehen gegen Roma und Sinti in Italien mit EU-Recht vereinbar sei. Doch die PolitikerInnen in Italien verteidigen ihre Maßnahmen mit dem Argument, die Erfassung der Fingerabdrücke sei zur Verbrechensbekämpfung notwendig.
Laut Zeitungsberichten führte der internationalen Protest gegen die in Italien geplante Datei für Roma zum Vorschlag von Verteidigungsminister Ignazio La Russa, schlicht und einfach von allen ItalienerInnen die Fingerabdrücke zu nehmen. Dann würde es nicht mehr möglich sein, die Maßnahme als Rassismus zu "bezichtigen".
Die Argumente der PolitikerInnen stehen in massiven Widerspruch zu den Ereignissen der letzten Monate. Am 10. Juli veröffentlichten verschiedene NGO's einen Bericht über Roma in Italien mit dem Titel: :: "Security a la Italiana: Fingerprinting, Extreme Violence and Harassment of Roma in Italy" (Sicherheit a la Italien: Abnahme von Fingerabdrücken, extreme Gewalt und Übergriffe gegen Roma in Italien). In diesem Bericht werden zahlreiche gesetzliche und politische diskriminierende Maßnahmen seit der Bildung der rechtsextremen Regierung im April 2008 und die Ergebnisse der Dokumentation von Berichten aus Lagern von Roma und Sinti in Italien Ende Mai 2008 aufgelistet. Angeführt werden u.a. die illegale Abnahme von Fingerabdrücken und Fotos von Roma mit dem Ziel der Errichtung einer Datenbank aller Roma im Land, Misshandlungen und Zwangsräumungen durch die Polizei, extreme Gewalt durch nicht-staatliche AkteurInnen und das Versagen der italienischen Behörden, die TäterInnen zu bestrafen sowie weitere Formen der Diskriminierung gegen Roma.
Offizielle Kritik und systematische Erfassung
Dieser Bericht wurde bei der OSCE-Konferenz eingebracht und im Rahmen der Demonstration am 11. Juli an die Europäische Grundrechteagentur in Wien übergeben. Auf die Frage, was von den Protesten und der Konferenz der OSCE zu erwarten sei, antwortete ein Aktivist: "Wenn es eine demokratische Organisation ist, dann wird sich etwas ändern."
Einige der TeilnehmerInnen der Demonstration verschwanden im Anschluss an den Protest in der Hofburg, wo bereits zahlreiche PolitikerInnen und Mitglieder der OSCE versammelt waren.
In einem Bericht auf :: volksgruppen.orf.at vom 11. Juli 2008 ist über die Konferenz zu lesen: "Wie die OSZE bekanntgab, wurde zwei Tage lang über die Möglichkeiten diskutiert, Roma und Sinti besser in die europäischen Gesellschaften zu integrieren. Das Treffen wurde vom OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) organisiert".
Inwieweit der o.g. Bericht über die Diskriminierung der Roma in Italien Auswirkungen auf die zukünftigen Maßnahmen der OSCE hat, geht aus dem Bericht nicht hervor. Und angesichts der europaweiten Diskriminierung von Roma ist es fraglich, ob es genügt, die italienische Regierung verantwortlich zu machen. Denn letztendlich geht es hier um die rassistische Ausgrenzungspolitik aller EU-Staaten und ihren Grundpfeilern der rassistischen Zuschreibungen, Kontrollen, Registrierung und Razzien, Internierung und Deportationen sowie einer militärischen Abschottung der Außengrenzen.
Während die VertreterInnen der OSCE ihre Bemühungen präsentierten, Roma und Sinti besser in die europäischen Gesellschaften zu integrieren und die Fortschritte bei der Umsetzung ihres 2003 ausgearbeiteten Aktionsplanes gegen die Diskriminierung als einen "Meilenstein" in den Bemühungen der Organisation, die Integration von Roma und Sinti betonten, soll unter dem EU-Vorsitz Frankreichs ein :: "Pakt über Einwanderung und Asyl" beschlossen werden. Dieser beinhaltet eine "ausgewählte oder selektive Einwanderung" (immigration choisie), deren Umsetzung die umfangreiche Registrierung von MigrantInnen voraussetzt. In Zukunft sollen Menschen ohne EU-Pass, die das EU-Gebiet nach Ablauf eines Visa nicht verlassen, automatisch zur Fahndung ausgeschrieben werden. Schon bei der Stellung eines Visaantrages müssen die Abdrücke aller 10 Finger und ein Foto abgegeben werden. Diese werden in einem :: Visa Informations System (VIS) gespeichert. Auch EU-BürgerInnen sollen :: in Zukunft biometrisch erfasst werden.
Was bei der systematischen Erfassung der Fingerabdrücke von Roma in Italien derzeit für Aufregung sorgt, ist vor allem die Tatsache, dass Menschen aufgrund rassistischer Zuschreibungen registriert werden. Um so bedenklicher sind die Entwicklungen in Richtung einer :: automatisierten Erkennung von Menschen basierend auf ihres Verhaltens und biologischer Charakteristika, wie sie mit SIS II erfolgen soll.
Von den AktivistInnen der Demonstration für die Rechte von Roma und Sinti in Wien wurde auf ein englischsprachiges Flugblatt verteilt, bei dem auf einer Seite das Bild eines historischen erkennungsdienstlichen Datenblattes abgebildet war. Auf der Rückseite wurde eine Lösung fernab von Kontrolle und Überwachung vorgeschlagen:
"In most cases, we, the Roma, are subjected to severe structural discriminiation, poverty and social exclusion. Growing and continous racism against the Roma transforms in racist attacks, hate speech, physical attacks by extremist groups, unlawful evictions and police harrassment. The right wing and populist political parties in Europe define us as spacegoats for any unsuccessful political changes in society especially in economy. Some OCSE Member States go that far by promoting anti Roma laws and introducing finger printing only for Roma.
Therefore, the EU should reaffirm its important role in fighting discrimination against the Roma by introducing comprehensive approach at EU level. Such approach should be an EU Policy on Roma which will transform exclusion into inclusion, marginalisation into equal participation, ghettos into proper housing, unemployed into employed, uneducated into educated etc."
Anmerkung
(1) Herbert Heuß: Sinti und Roma als Objekte nationalsozialistischer Rassentheorien; in: Waclaw Dlugoborski: Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau 1943-44. Vor dem Hintergrund ihrer Verfolgung unter der Naziherrschaft, Oswiecim, 1998