Quellenangabe:
Ereignisse im und ums Mittelmeer - Teil 7 (vom 28.07.2018),
URL: http://no-racism.net/article/5415/,
besucht am 21.11.2024
[28. Jul 2018]
"Wir werden blockiert, das Sterben geht weiter!" - die erste der hier gesammelten Meldungen vom 22. bis 27. Juli 2018 bringt es auf den Punkt: Der Versuch, die Migration von Libyen nach Europa zu stoppen, kostet unzähligen Menschen das Leben.
Leute, die Leben aus Seenot retten, werden dagegen kriminalisiert. Die Positionen in der EU sind gespalten. Für die Retter_innen und ihre zahlreichen Unterstützer_innen steht das Leben von Menschen im Vordergrund. Dies behaupten auch die Politiker_innen, die für die Abschottung im Mittelmeer verantwortlich sind - doch sind es gerade sie, die für die Toten zur Verantwortung gezogen werden müssen.
Was verbirgt sich hinter den Motiven zur breiten Zustimmung der europäischen Bevölkerung zum Sterben lassen im Mittelmeer? Rassismen, ökonomische Interessen, Neid und weiße Überheblichkeit!
Doch dies bleibt nicht unwidersprochen. Quer über den Kontinent demonstrieren zehntausende Menschen für ein offenes Europa, erklären sich Kommunen und Städte bereit, Geflüchtete und Migrant_innen aufzunehmen - und lassen sich von den faschistoiden Methoden der Herrschenden nicht einschüchtern.
Während einsatzbereite Rettungsschiffe im Hafen von Malta festgehalten werden, sterben Menschen zu hunderten auf dem Mittelmeer. Diese Menschen hätten gerettet werden können.
Seit 27. Juni 2018 werden die drei Schiffe „Lifeline“, „Sea-Watch 3“ and „Seefuchs“ im Hafen von Malta festgehalten. Die Regierung Maltas verbietet die Abfahrt der drei engagierten zivilen Rettungsschiffe aus Malta wegen angeblicher Probleme mit der Registrierung. Es ist offensichtlich, dass dies auf einer politischen Entscheidung von Akteur_innen der EU basiert, mit dem Ziel, alle zivilen Rettungsschiffe aus dem zentralen Mittelmeer zu verbannen. Und zwar aus einem Raum, den viele Flüchtende auf ihrer Flucht vor Menschenrechtsverletzungen sowie Krieg in Libyen und anderen Ländern durchqueren müssen. Währenddessen verlieren viele ihr Leben auf See.
Die Wesite :: lives-lost-in-the-med.eu listet die Anzahl der Toten im zentralen Mittelmeer seit 27. Juni 2018 auf. Als Quellen dienen die Seite :: Missing Migrants der IOM und eine Dokumentation des :: UNHCR zur Situation im Mittelmeer sowie diversen Twitter-Accounts.
:: lives-lost-in-the-med.eu
Journalisten der italienischen Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“ ist es gelungen, Militärs der sogenannten libyschen Küstenwache zu interviewen; ihnen wurde Anonymität zugesichert. Ein Oberst habe erklärt, dass die libysche Küstenwache nicht für die Leistung Erster Hilfe bei der Seenotrettung ausgebildet wurde. Nicht einmal medizinisches Personal sei an Bord. Tote würden bei dem Aufbringen von Flüchtlingsbooten und dem erzwungenen Umsteigen auf die libyschen Schiffe zurückgelassen. Die Überlebende Josefina, die 48 Stunden nach einem erzwungenen Transfer auf libysche Schiffe zurückgelassen worden sei, wäre wohl „in der Dunkelheit“ übersehen worden. Das NGO-Rettungsschiff von Open Arms hatte sie und zwei Tote geborgen und nach Mallorca gebracht. (Siehe dazu :: Ereignisse im und ums Mittelmeer - Teil 6 (15.-21. Jul 2018)
„Il Fatto Quotidiano“ berichtet weiter, dass Redakteure dieser Tageszeitung die italienische Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta (Bewegung Cinque Stelle) nach der libyschen Praxis befragt hätten, dass die sogenannte libysche Küstenwache Flüchtlingsboote zerstört, um die untergehenden Bootsflüchtlinge zum Umsteigen auf die libyschen Schiffe zu zwingen. Die Verteidigungsministerin sagte, wenn diese Vorgehensweise bestätigt würde, würde es sich um „sehr schwerwiegende“ Vorkommnisse handeln. Die Tageszeitung betont, dass sie den italienischen Militärs, die entsprechende Aussagen gemacht hätten, Anonymität zugesichert habe. Als „Militärs“ werden beispielsweise auch die Angehörigen der Guardia di Finanza bezeichnet, die die Ausbildungsmissionen der libyschen Küstenwachenmilizen durchgeführt haben.
:: ffm-online.org :: Il Fatto Quotidiano (22. Jul 2018)
Mit großer Freude und Dankbarkeit hat die Crew der Sea-Watch 3 den Besuch und die Unterstützung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aufgenommen. Präses Manfred Rekowski, Flüchtlingsbischof der EKD und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland war vom 16.- 18. Juli nach Malta gereist, um sich persönlich einen Eindruck von der Situation der drei festgesetzten Schiffe und des Aufklärungsflugzeuges Moonbird zu machen.
In Gesprächen mit den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern informierte sich Rekowski über die Arbeit von Sea-Watch und die derzeitige hilflose Lage der zivilen Seenotrettung. Derzeit liegen drei einsatzbereite Schiffe von Misson Lifeline, Sea-Eye und Sea-Watch im Hafen von Malta. Die hochmotivierten und professionellen Crews dürfen jedoch nicht Menschenleben retten. Die Schiffe werden von den maltesischen Behörden festgehalten und dürfen nicht auslaufen; das Suchflugzeug darf nicht in das Gebiet vor der Küste Libyens fliegen, damit es keine Augenzeugen des Geschehens auf dem Wasser gibt. Diese Situation beschrieb Präses Rekowski als „sehr beklemmend und bedrückend“ und lobte umso mehr das Engagement der ehrenamtlichen Besatzungen.
„Zu wissen, dass dort draußen Menschen ertrinken und hier Menschen, die helfen wollen und können darin gehindert werden, hat mich zutiefst erschüttert“, so Rekowski. Er fand aber nicht nur deutliche Worte in Richtung der maltesischen Behörden und der Regierungen der Europäischen Union, sondern erinnerte auch die Verantwortung der Kirchen, sich klar für die unbedingte Pflicht zur Seenotrettung auszusprechen und die zivilen Seenotrettungsorganisationen öffentlich zu unterstützen.
Social-Media-Wall zur Reise :: walls.io/malta-reise
Siehe auch die Einträge vom 16.-18. Juli im :: Teil 6 der Ereignisse im und ums Mittelmeer
:: Sea-Watch.org (22. Jul 2018)
Nachdem Medien gestern noch berichtet hatten, dass Italien seine Häfen auch für EU-Schiffe sperren wolle, die Boat People an Bord haben, hat der italienische Außenminister Moavero Milanesi heute bei seinem Besuch in Berlin versichert, dass Italien auf eine Revision der EU-Operation ‚Sophia‘ in nächster Zeit dränge, EU-Schiffe bis dahin aber in italienischen Häfen anlanden könnten.
:: ffm-online.org :: Corriere della Sera (23. Jul 2018)
Am 22. Juli demonstrieren in München trotz strömendem Regen bis zu 50.000 Menschen mit „ausgehetzt“ gegen Rassismus und für sichere Fluchtwege…
"Wie u.a. in der gestrigen Tagesschau zu sehen: Bei zahlreichen SEEBRÜCKE Demos & Aktionen wurde Freitag und Samstag bereits wieder deutlich klargemacht, dass wir das Sterben lassen im Mittelmeer nicht weiter mit ansehen werden! Jetzt grade geht es u.a. im Rahmen der „ausgehetzt“-Demo in München sehr mächtig weiter!"
"Bei der unglaublichen AUSGEHETZT-Demo in München und vielen wunderbaren SEEBRÜCKE-Aktionen in 14 weiteren Städten waren an diesem Wochenende mindestens 30.000 - 50.000 (!) Menschen auf den Straßen, um ihre Solidarität mit Geflüchteten und der Seenotrettung zu zeigen und die hetzende, rassistische Politik vieler Mitglieder des Bundestages scharf zu kritisieren.
DAS IST WUNDERBAR! UND DAS MUSS WEITERGEHEN! BIS SICH ETWAS ÄNDERT!"
Bei der Demo in München gab es einen eigenen Seebrücke-Blocks, bei dem eine zentrale Forderung lautete: "Seebrücke statt Seehofer!"
:: Kompass – AntiRa – Newsletter Nr. 71, Juli/August 2018 (PDF) :: diverse Seebrücke Postings auf Facebook
Beitrag von Kapitän und Gründer Klaus Vogel - Kapitän Klaus Vogel hat zusammen mit einer Gruppe Mitstreiter*innen im Mai 2015 in Berlin die europäische Seenotrettungsorganisation SOS MEDITERRANEE gegründet. Nachdem er die Organisation mit Vereinen in Deutschland, Frankreich und Italien aufgebaut und die erste Mission der Aquarius geleitet hat, fährt er inzwischen wieder als Handelsschiffskapitän zur See. Er ist Ehrenvorsitzender von SOS MEDITERRANEE Deutschland.
„Die Lage der Menschen, die im Mittelmeer auf der Flucht vor Armut, Hunger und Gewalt in Seenot sind, wird immer verzweifelter. Mehrere zivile Rettungsschiffe, die vor kurzem vor der Küste von Libyen noch Hunderte von Menschen retten konnten, sind in Italien und Malta blockiert. Unser großes Rettungsschiff Aquarius, das wir seit mehr als zwei Jahren in Partnerschaft mit Ärzte ohne Grenzen betreiben und mit dem wir bereits fast 30.000 Menschen retten und in Sicherheit bringen konnten, liegt untätig in Marseille. Der Hafenaufenthalt in Italien und Malta wird uns nun sogar zum Auftanken und zum Besatzungswechsel verweigert. Momentan müssen wir die Einsatzbedingungen klären, bevor die Aquarius wieder in die SAR-Zone aufbrechen kann.
Vor fast vier Jahren, im November 2014, war die Lage ähnlich. Die italienische Regierung hatte die Seenotrettungsoperation „Mare Nostrum“ abgebrochen. Zuvor hatten die Schiffe der italienischen Küstenwache und Marine in einem Jahr mehr als 140.000 Menschen gerettet. Nun waren keine Schiffe mehr vor Ort. Auch damals gab es schon den Vorwurf, die italienischen Rettungsschiffe würden als „Pull-Faktor“ dienen und die Flucht über das Mittelmeer erleichtern. Aber auch ohne Rettungsschiffe kamen weiter viele Flüchtlingsboote. Nun musste die italienische Küstenwache in jedem einzelnen Seenotfall mit ihren kleinen 22-Meter-Booten von Lampedusa auslaufen. Mindestens acht Stunden dauerte die Fahrt von Lampedusa ins Einsatzgebiet vor Libyen. Viele Boote wurden nie gefunden, es gab dramatische Schiffsuntergänge und viele Tote. Erst der Einsatz einer wachsenden Zahl von zivilen Rettungsschiffen änderte die Lage. Viele Menschen konnten gerettet werden und die Zahl der Toten sank.
Inzwischen wurde von der italienischen Küstenwache mit Unterstützung der EU eine so genannte „Libysche Küstenwache“ aufgebaut. Wäre Libyen ein sicheres Land, wäre das ein guter, akzeptabler Schritt. Es wäre richtig, die Menschen von der gefährlichen Überfahrt auf ungesicherten Booten abzuhalten. Aber Libyen ist die Hölle für die Flüchtenden. Viele sagen uns, sie möchten lieber sterben als nach Libyen zurückkehren. Die libysche Küstenwache bringt die Flüchtenden in große Gefangenenlager zurück, in denen die Bedingungen unzumutbar, katastrophal und unmenschlich sind.
Solange Migrant*innen und Flüchtende in Libyen verfolgt, erpresst, versklavt, vergewaltigt und gefoltert werden, werden sie weiter versuchen, von dort zu fliehen. Gemeinsam mit der UN und den afrikanischen Regierungen muss die EU alles dafür tun, die Lage in Libyen zu stabilisieren und zu sichern. Indem EU-Regierungen jetzt aber die libysche Regierung dabei unterstützen, die Flüchtenden abzufangen und nach Libyen zurückzubringen, brechen sie die UN Menschenrechts-Charta von 1948, die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und die Europäische Menschenrechtskonvention von 1953. Auf See müssen alle Küstenstaaten dafür Sorge tragen, dass Menschen in Seenot gerettet und in sichere Häfen gebracht werden. Die EU muss endlich eine Flotte ausrüsten, um die Flüchtenden auf See zu retten. Libyen ist kein sicherer Hafen. Das ​Festhalten der zivilen Rettungsschiffe in Italien und auf Malta ist gesetzeswidrig und muss sofort beendet werden. Italien und Malta müssen ihre Häfen öffnen und das Einlaufen der Rettungsschiffe und das Anlanden der Flüchtenden erlauben.
Mit unserem Rettungsschiff Aquarius können wir die Lage der Flüchtenden in Libyen und der Migrant[_inn]en in Europa nicht verbessern. Dies ist die Aufgabe einer klugen und verantwortungsvollen Politik. Aber wir können und müssen die Menschen retten, die im Mittelmeer in Seenot sind. Und wir können einen Beitrag dazu leisten, dass die Menschenrechte an den Grenzen von Europa nicht vergessen und missachtet werden. Das wichtigste aller Menschenrechte ist das Recht auf Leben. Es sollte niemals in Frage stehen. Kein Rettungsschiff darf bei seiner Arbeit behindert werden.
Jedes Menschenleben zählt.“
:: SOS MEDITERRANEE (23. Jul 2018)
Unbemerkt von der italienischen Küstenwache haben um Mitternacht 53 Migrant*innen aus dem Irak in der Nähe von Syrakus italienischen Boden betreten. Sie waren auf einem Segelboot gekommen, das sie in der Türkei aufgenommen hatte. Die Fahrt soll eine Woche gedauert und 5.000 € gekostet haben. Es ist das vierte Mal innerhalb eines Monats, dass Migrant*innen vor allem aus Pakistan und dem Irak auf diesem Weg Italien erreicht haben.
:: ffm-online.org :: La Stampa (24. Jul 2018)
:: ffm-online.org :: La Repuibblica (24. Jul 2018)
Im Mittelmeer scheint es ruhig geworden zu sein. Doch wenige Ankünfte in Italien bedeuten weder Ruhe auf dem Meer, noch dass sich auch nur ansatzweise die Sicherheit und Zustände im Transitland Libyen geändert hätten. Anstelle von Ankünften in Italien beobachten wir nun vermehrt das Abfangen der Migrant*innen durch die libysche Küstenwache. Die Politik der Hafenschließung, die die italienische Regierung seit nun fast zwei Monaten vorangebracht hat, ist Auslöser der aktuellen Situation. Der italienische Admiral und Kommandeur der EU-Mission „Sophia“ Enrico Credendino hat :: nun alle beteiligten Kriegsschiffe zurückgezogen, da es keinen Hafen mehr zum Anlegen gibt. Heute nun :: gab der italienischen Außenminister Enzo Moavero Milanesi bekannt, dass Italien einer fünfwöchigen Öffnung der Häfen für EUNAVOR MED Schiffe (und nur für diese) öffnen will. In diesen fünf Wochen sollen EU-Verhandlungen zur Weiterführung der Mission stattfinden.
Wer von Libyen aus seinen Weg nach Europa starten muss, hat äußerst schlechte Chancen in Europa anzukommen. Rettungen werden im Zentralen Mittelmeer fast immer an die libysche Küstenwache übergeben – also handelt es sich hier um so genannte pull-backs. Die so genannte libysche Küstenwache ließ bei einem dieser Rettungseinsätze am 17. Juli nicht nur die Leiche einer Frau und eines Kindes zurück, sondern auch eine Überlebende, Josefa aus Kamerun. Die Seenotrettungs-NGO Proactiva Open Arms fand die Frau gerade noch rechtzeitig und :: klagt nun die libysche Küstenwache an. Von libyscher Seite aus wurde die lebendige Frau anscheinend einfach „übersehen“. Open Arms entschied sich aufgrund der feindseligen Haltung der italienischen Regierung gegen Migrant*innen dafür, nach Palma de Mallorca zu fahren, wo sie am 21. Juli mit Josefa und den beiden Leichen anlegten. Die Libyer rechtfertigten sich, nur die Toten zurückgelassen zu haben – bedenkt man, dass ihre Verwandten sie auf ewig suchen und immer in Ungewissheit bleiben werden eine mehr als unmenschliche Handlung.
Währenddessen warten seit mehr als einer Woche :: 40 Geflüchtete auf dem Schiff „Sarost V“ vor der Küste Tunesiens darauf, an Land zu dürfen. Weder Malta noch Italien hatte sie aufnehmen wollen und auch Tunesien stellt sich quer. Anscheinend befürchtet man dort, sonst zukünftig weitere Personen aufnehmen zu müssen. Auch dieser Fall reiht sich eindeutig in die Folgen der Hafenschließung Italiens ein. Die Abschottungspolitik scheint sich trauriger weise in Europa durchzusetzen - und das auf dem Rücken der Menschen in Not.
Doch es erklingt ein Glück weiterhin lautstarker Protest. So zogen am 14. Juli, dem großen religiösen Volksfest der heiligen Santa Rosalia in Palermo auch einige Personen mit roten T-Shirts und Bannern durch die Straße, organisiert durch das Antirassistische Forum Palermos. Darauf prangten :: Bittstellungen an die Heilige: „Santa Rosalia, öffne uns die Häfen!“ oder „Santa Rosalia, befreie uns vom Rassismus“. Eine erfolgreiche politische Aktion, die aus den 400.000 Menschen an diesem Abend auf der Straße deutlich hervorstach.
Aus dem :: Tagebuch der Geschehnisse im zentralen Mittelmeer von borderline-europe (pdf)
Die Nachrichtenagentur Ansa und die Financial Times haben Einzelheiten des Plans der EU-Kommission zur Errichtung von sogenannten Kontrollierten Zentren ("KZ"?!, Anm. no-racism.net) für angelandete Boat-People veröffentlicht. Die Zentren sollen in oder an Häfen von EU-Staaten aufgebaut werden, auf Territorien, die die EU-Agentur Frontex und Andere verwalten würden. Die EU würde pro Zentrum 500 Lagerspezialisten einsetzen: Frontex würde 50 Grenzpolizisten, 50 Übersetzer, 20-40 Abschiebebegleiter, 5-10 Abschiebeflug-Organisatoren pro Zentrum aufbieten; Europol würde 10-20 Polizisten in jedes Zentrum entsenden. Easo würde pro Zentrum 25-35 Experten für die Asylprüfungen abstellen, sowie 50 Übersetzer und Kulturmittler. Darüberhinaus würde die EU-Kommission auch Ärzt_innen in die Zentren schicken. Die internierten Boat-people sollten in den Lagern nach Asylberechtigten und sogenannten „Wirtschaftsmigrant_innen“ aufgeteilt werden. Für Erstere ist die Verteilung unter EU-Staaten, für Letztere die Abschiebung in Drittländer vorgesehen. Libyen als Abschiebeziel sei vorerst ausgenommen. – Die zentrale Leitung aller "Kontrollierte Zentren" würde die EU übernehmen. Der jeweilige EU-Staat erhielte als Entschädigung 6.000 Euro pro internierte Person.
Der Vorschlag wird am 25. Juli der EU-Ratsrunde COREPER vorgelegt. Italien hat bereits abgewunken, aber nicht aus humanitären Gründen: Man brauche keine „Almosen“.
:: ffm-online.org :: Il Fatto Quotidiano (24. Jul 2018)
Die Diskussionen und Pläne zur Aufnahme von Geflüchteten in der EU läuft weiter. Beim EU-Gipfel Ende Juni wurde sich auf ein Modell geeinigt, dass sogenannte „kontrollierte Zentren“ vorsieht, die die einzelnen Länder auf freiwilliger Basis errichten sollen. Aus den konkreten Vorschlägen der EU-Kommission geht nun hervor, dass dafür :: pro aufgenommene Person 6.000 Euro gezahlt werden sollen. Doch Salvini bleibt davon unbeeindruckt und verfolgt weiterhin seinen eigenen (Gegen-)Plan. Unterstützt wird er von :: Premier Conte, der noch vor zwei Wochen an die EU-Rats- und Kommissionspräsidenten geschrieben und finanzielle Unterstützung gefordert hatte, nun das Geld aber auch nicht mehr will. Wie bereits aus einem Schreiben am 4. Juli die Präfekturen hervorgeht, möchte er den „Humanitären Schutz“, der nur in Italien existiert und bei ernsthaften gesundheitlichen Problemen oder Naturkatastrophen im Herkunftsland ausgesprochen werden kann, komplett streichen. Hinzu sollen die :: Identifikations- und Abschiebezentren (CIE - centri di identificazione ed espulsione), die nun CPR – Rückführungszentren heißen und unter ex-Innenminister Minniti eingeführt wurden, weiter ausgebaut werden. Minniti hatte bereits sechs dieser Zentren wieder geöffnet.
Salvini fordert nun eine Abschiebungshaft für jede Region. Während er die Ankünfte in Italien fast komplett unmöglich gemacht hat, sollen auch die Menschen, die bereits auf italienischem Boden sind, möglichst schnell selektiert und abgeschoben werden. So setzt Salvini nun darauf, mit Unterstützung der italienischen Regierung knallharte Asylrechtsverschärfungen voran zu treiben.
Unterdessen wurde hinter der Verbreitung polemischer Nachrichten in den Social Media, die die :: Fotos von Seenotrettungen als „fake news“ darstellten, ein organisiertes Netzwerk ausgemacht. Dabei werden Informationen aus dem Internet recherchiert, um sie dann für die Propaganda gegen Migration und humanitäre Hilfe zu verwenden. Die Darstellung wird dabei stark verzerrt und Misstrauen gegen die Berichterstattung altbekannter Medien aufgebaut. Diese Propaganda macht sich Salvini zu eigen. Seine Sprache ähnelt stark den hetzerischen Posts, die einer rassistischen öffentlichen Meinung und seiner Abschottungspolitik Aufschwung geben.
Aus dem :: Tagebuch der Geschehnisse im zentralen Mittelmeer von borderline-europe (pdf)
Am 25. Juli schufen Menschen in verschiedenen Orten Deutschlands Mahnmale, um auf die Opfer der unmenschliche Asyl- und Migrationspolitik Europas, die so vielen bereits das Leben gekostet hat, aufmerksam zu machen. Noch immer dürfen viele Seenotrettungsschiffe nicht ausfahren, um das Sterben auf See zu beenden.
Doch es gibt auch Positives zu vermelden: Die Bürgermeister*innen von Köln, Bonn und Düsseldorf haben sich in einem Brief an die Bundesregierung solidarisch erklärt und sind bereit, Geflüchtete aufzunehmen. Außerdem forderten sie die Ermöglichung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Dies ist ein weiterer Schritt, den Druck auf die Regierung(en) von unten zu erhöhen. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass sich noch viel mehr Städte als solidarische Städte erklären und Druck auf die Bundesregierung ausüben!
:: Seebrücke auf Facebook
Kritische Rettung „Ich kann mich nicht mehr an die Gesichter erinnern, außer an eines oder zwei, die ich etwas länger im Blick behalten habe, in der Hoffnung sie zu erreichen, bevor sie untergehen.“
Edouard ist seit 2016 Seenotretter auf der Aquarius. Der Wahlbretone hat die Sozialarbeit an den Nagel gehängt, um Fischer zu werden und viel Zeit auf dem Meer zu verbringen. Sonst eher offen und kommunikativ, hatte er, bevor er diese Zeilen verfasste, noch nie über den hier beschriebenen Rettungseinsatz gesprochen, den bisher traumatischsten für das Team von SOS MEDITERRANEE. Weil er glaubte, die richtigen Worte nicht finden zu können. Doch jetzt hat er sich doch dazu durchgerungen …
Gesamter Bericht im :: Blogbuch #83 von SOS MEDITERRANEE
„In Libyen ist die Sklaverei wieder eingeführt worden. Europa hat es provoziert, Europa hat es zugelassen und Europa profitiert davon. Für den Notfall hat Europa seine eigenen Sklaven auf der anderen Seite des Meeres“ – so die Botschaft von drei Boat People aus Afrika, die in Sizilien gelandet sind und die Regisseur Michelangelo Severgnini in seinem Film ‚Schiavi di Reserva‘ zu Wort kommen lässt.
:: ffm-online.org :: Il Fatto Quotidiano (25. Jul 2018) :: Der Film auf Youtube
In den letzten Wochen waren fast 50.000 Menschen als Teil der SEEBRÜCKE auf den Straßen. Jetzt geht*s weiter: In vielen deutschen und europäischen Städten werden wir am 04.08. den "DAY ORANGE" zelebrieren.
Werdet Teil davon und plant selbst eine Aktion in eurer Stadt, die Solidarität mit Menschen auf der Flucht und der Seenotrettung zeigt. Nutzt die Symboliken von Brücken, Wasser und der Farbe Orange. Bringt eine orangene Fahne zu eurem Rathaus, um die Bürgermeister*innen aufzufordern, eure Stadt als solidarisch zu erklären. Flutet einen zentralen Platz mit Papierschiffen. Organisiert eine Demo oder Kundgebung. Eurer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Leute, die selbst eine SEEBRÜCKE-Aktion machen wollen: Meldet diese auf :: seebruecke.org/wp/actionkit. Dort finden sich auch Infos, die bei der Planung helfen, sowie Grafiken zum Download.
:: Seebrücke auf Facebook (25. Jul 2018)
Die EU-Staaten haben am gestrigen Mittwoch im COREPER-Format des EU-Rats die Pläne der EU-Kommission für EU-Lager in Nordafrika und für Frontex-geführte „Kontrollierte Zentren“ (*) an ausgewählten südeuropäischen Hafenstädten mit großer Zurückhaltung behandelt. Diskutiert wurde in erster Linie der :: Vorschlag der extraterritorialen EU-Lager. Während Österreich dafür plädierte, den Druck auf die nordafrikanischen Staaten zu erhöhen, wiesen Frankreich und Spanien auf politische kontraproduktive Effekte eines erhöhten EU-Drucks auf Nordafrika hin. Andere EU-Staaten meinten gar, dass extraterritoriale Lager mehr Migrant*innen anziehen könnte. Der Plan der EU-Kommission zur Errichtung von Frontex-Lagern in südeuropäischen Staaten wurde nur mit spitzen Fingern angefasst. Italien hat ihn bereits abgelehnt.
:: ffm-online.org :: El Pais (26. Jul 2018)
Ärzte ohne Grenzen protestiert gegen die willkürliche Inhaftierung von Bootsflüchtlingen in Libyen. Die Menschen werden zu Tausenden von der EU-finanzierten libyschen Küstenwache auf dem Mittelmeer abgefangen und nach Libyen zurück gezwungen.
Ganze Presseaussendung lesen auf :: no-racism.net bzw. :: aerzte-ohne-grenzen.at
Über 700 Menschen überwanden - laut Medienberichten unter anderem mit selbst gebauten Flammenwerfern - den Zaum von Ceuta. Es sei die größte derartige Aktion der vergangenen Jahre gewesen. In der Nähe von Ceuta an der Meerenge von Gibraltar und der weiter östlich gelegenen Exklave Melilla warten tausende Migrant_innen auf eine Gelegenheit, in die EU zu gelangen.
Der Großteil der Geflüchteten wurde auf spanischem Boden vom Roten Kreuz in Empfang genommen. Doch schätzungsweise 100 der Geflüchteten schob die spanische Guardia Civil auf illegale Weise durch eine Türe im EU-Zaun nach :: Marokko ab, wie in einem Video der Tageszeitung „El Faro de Ceuta“ zu sehen ist. Die sozialistische Regierung hat bei ihrem Regierungsantritt vor wenigen Wochen versprochen, dass derartige „heiße Abschiebungen“ ab sofort nicht mehr praktiziert würden. Gerichte hatten diese Praxis der Kollektivabschiebungen an den EU-Zäunen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla als illegal gebrandmarkt.
:: ffm-online.org :: DW :: El País (26. Jul 2018)
:: ffm-online.org :: el Faro (26. Jul 2018)
Seit zwei Wochen müssen die 40 Menschen an Bord von Sarost 5 schon auf dem Mittelmeer ausharren. Der tunesische Rote Halbmond besuchte das Schiff und berichtete, dass zwei schwangere Frauen dringend ärztliche Hilfe brauchen und sofort von Bord gehen müssten.
:: ffm-online.org :: Il Fatto Quotidiano (26. Jul 2018)
Eine Forderung für die Fortsetzung des Zuganges zum individuellen Rechts auf Asyl in Europa.
Kompletten Aufruf auf englisch lesen auf :: no-racism.net und :: Sea-Watch.org
Seit zwei Wochen müssen die 40 Menschen schon an Bord von Sarost 5 auf dem Mittelmeer ausharren. Der tunesische Rote Halbmond besuchte das Schiff und berichtete, dass zwei schwangere Frauen dringend ärztliche Hilfe brauchen und sofort von Bord gehen müssten. Aber Malta blockiert weiter und kommt seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nicht nach, einen sicheren Hafen auf Malta zu bieten, da es keinen anderen sicheren Hafen gibt.
Deshalb fordern wir euch auf, folgendes zu tun:
1. Schreibt an Abgeordnete und bittet sie, sofort zu handeln und eine sofortige Lösung zu fordern. http://www.europarl.europa.eu/meps/de/full-list.html
2. Schreibt an eure Journalist*innenkontakte und bittet sie, über die Situation zu schreiben.
3. Retweetet und tweetet an Journalist*innen, über den Fall zu berichten: https://twitter.com/alarm_phone
4. Schreibt eine E-Mail an Herr Cochetel, den Zuständigen des UNHCR für das Zentrale Mittelmeer, und fordert den UNHCR auf, sich für Flüchtlingsrechte einzusetzen und eine sofortige Lösung der 40 Menschen auf der Sarost5 zu finden. E-Mail: cochetel (at) unhcr.org, Twitter: @cochetel
5. Schreibt E-Mails an die Maltesische Regierung und erinnert sie daran, dass sie seit 2 Wochen keinen sicheren Hafen gefunden haben und rechtlich und moralisch gegen die Verpflichtung verstoßen, einen wirklich sicheren Hafen für die Menschen zu bieten, wo diese Asyl beantragen können.
Wir rufen euch auf, an dieser Aktion teilzunehmen, um das Leiden der 40 Menschen an Bord der Sarost endlich zu beenden.
Videos und Berichte der Menschen an Bord der Sarost5 auf :: alarmphone.org
Das Alarm Phone tut alles, um die Stimmen der Menschen zur Öffentlichkeit zu verhelfen. Folgt unseren Updates via :: Facebook und :: Twitter.
:: Alarm Phone (26. Jul 2018)
Am 27.7.2018 um 10:00 haben wir St. Pöltner Gutmenschen beim Europaplatz ein Zeichen gegen das Massensterben von Menschen im Mittelmeer, mitverursacht durch unsere Politiker/innen, gesetzt. Kurzerhand wurde aus dem Europaplatz die "Festung Europa". Dabei wurden 70 Styropormenschen, mehrere Schlauchboote und ein Banner mit der Aufschrift: "Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen. Sebastian Kurz 2016" im Kreisverkehr angebracht.
Eine Politik, welche die Schließung von Fluchtrouten für Menschen fordert, die vor Verfolgung, Verhungern, Erschießungen, unfairen Gerichten und somit dem Tod flüchten, ist eine Politik, die tötet. Wir wollen und können dabei nicht länger zusehen. Seenothilfe darf nicht illegalisiert werden, das ist eine tödliche Herangehensweise an diese Problematik.
:: Fotos und :: Video auf Facebook
Mit dem Hashtag #Chiudiamoiporti startete Salvini am 10. Juni seine Kampagne gegen die Seenotrettungs-NGOs. Nach und nach durften schließlich auch keine Frachtschiffe oder Schiffe der europäischen Grenzpolizei Frontex mit Geflüchteten an Bord anlegen. In den Medien wurde über nichts anderes mehr gesprochen, als die Polemiken des Innenministers. Nun veröffentlichte die Zeitung „L’Espresso“ am Mittwoch, 25. Juli, eine Recherche aus der hervorgeht, dass es zu dem Beschluss bis zum 29. Juni keine offizielle Verordnung gab. Die Hafenschließungspolitik Salvinis mit Unterstützung des Verkehrsminister Toninelli erfolgte also ausschließlich über die Social Media wie Twitter!
„Aber in einem demokratischen Staat ist ein Tweet nicht genug für eine so harte Aktion, die erste in Europa, die dazu gedacht ist, die Migrant[_inn]en und diejenigen, die sie aus Seenot retten, zu stoppen. Wir brauchen ein Dekret, wie der Navigationskodex besagt.“, heißt es in dem :: Bericht des „L’Espresso“.
Am 29. Juni, als das Rettungsschiff „Proactiva Open Arms“ für einen technischen Wechsel und zum Auftanken anlegen wollte, kündigte Toninelli in einer Erklärung an, dass er das :: Verbot für das Schiff Ong Open Arms in italienischen Häfen anzulegen in voller Übereinstimmung mit Artikel 83 des Schifffahrtsgesetzes angeordnet habe. Begründe wurde dies mit einer formalen Notiz, die vom Innenministerium käme und Gründe der öffentlichen Ordnung anführe. Die sogenannte „formale Notiz“ kann bisher aber von niemanden eingesehen werden und Journalist*innen werden weiter hingehalten.
Auch das Generalkommando der Hafenämter bestätigte am 23. Juli nach einer Anfrage in die Einsicht der Akten der Open Arms, dass anders als behauptet, :: keine Maßnahme des Ministeriums gemäß Artikel 83 des Schifffahrtsgesetzes getroffen wurde. An diesem Tag sterben bei einem Schiffbruch mehr als 100 Personen, darunter auch drei Kinder. Die „Open Arms“ konnte nicht rechtzeitig zur Rettung eilen, da ihr Tank am Minimum war. Es bleiben einige Zweifel offen, ob die Verweigerung des Anlegens rechtmäßig war. Dieser Fall ist ein bedeutendes Beispiel, wie die willkürliche Politik der Hafenschließung zu mehr Toten im Mittelmeer führt.
Aus dem :: Tagebuch der Geschehnisse im zentralen Mittelmeer von borderline-europe (pdf)
TAZ - In einem gemeinsamen Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel bieten die Städte Düsseldorf, Köln und Bonn der Bundesregierung an, Geflüchtete aufzunehmen. Außerdem fordern die OberbürgermeisterInnen Henriette Reker (Köln, parteilos), Thomas Geisel (Düsseldorf, SPD) und Ashok Sridharan (Bonn, CDU), die Seenotrettung im Mittelmeer wieder zu ermöglichen. „Wir wollen ein Signal für Humanität, für das Recht auf Asyl und für die Integration Geflüchteter setzen“, schreiben sie. (...)
Bis eine europäische Lösung mit allen Beteiligten vereinbart ist, sei es dringend geboten, die Seenotrettung im Mittelmeer wieder zu ermöglichen und die Aufnahme der geretteten Menschen zu sichern, heißt es im Brief der OberbürgermeisterInnen an die Kanzlerin. „Wir stimmen mit Ihnen überein, dass es eine europäische Lösung für die Aufnahme, die Asylverfahren sowie die Integration oder die Rückführung von Geflüchteten geben muss.“
Mit ihrer Initiative würden sie sich gegen die vermeintlich herrschende Stimmung stellen wollen, dass „Zäune und Mauern statt eines gerechten europäischen Verteilsystems die Not der Geflüchteten lösen können“. Weiter schreiben sie: „Unsere Städte können und wollen in Not geratene Flüchtlinge aufnehmen – genauso wie andere Städte und Kommunen in Deutschland es bereits angeboten haben.“
So hatte sich beispielsweise Berlin bereiterklärt, Geflüchtete des seit Tagen auf dem Mittelmeer wartenden Rettungsschiffs „Lifeline“ aufzunehmen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) forderte von der Bundesregierung, „dass sie alles unternimmt, um diese humanitäre Krise vor unserer Tür zu beenden.“ Die Koalition im Land Berlin sei bereit, Menschen zu helfen, die Schutz und Sicherheit suchen. Eine Reaktion der Bundesregierung blieb bisher aus.
:: taz (27. Jul 2018)
Der Konflikt betreffend die Migration über das Mittelmeer ist in den vergangen sechs Wochen weiter eskaliert. Die Schließung der italienischen Häfen für aus Seenot Gerettete, die Kriminalisierung von zivilen Seenotretter_innen und die Unterstützung der libyschen Behörden durch europäische Institutionen und Mitgliedsstaaten der EU hat die Situation jener Menschen weiter verschlechtert, die versuchen das Mittelmeer von Libyen aus zu überqueren.
Ganzen Bericht auf englisch :: auf no-racisn.net lesen
(Auszug aus :: From the Sea to the City! Alarm Phone 6 Week Report, 11 June – 22 July 2018 (27. Jul 2018, alarmphone.org))
Während der sechs Wochen, die dieser Bericht behandelt, war das Alarm Phone in 176 Fälle im westlichen Mittelmeer involviert. Zahlen zufolge, die der UNHCR am 23. Juli veröffentlichte, haben in diesem Jahr bisher 23.993 Menschen heimlich nach Spanien übergesetzt. Davon überquerten 3.158 Reisende die Landgrenze zu den spanischen Kolonien Ceuta und Melilla.
Die Zahl von 20.835 erfolgreichen Überquerungen über das Meer ist sehr beeindruckend, insbesondere weil die meisten der Überquerungen über die Straße von Gibraltar mit Schlauchbooten erfolgen, in denen sich nur wenige Leute, meist vier bis zwölf Reisende pro Boot befinden. Diese müssen rudern, da die Boote in dem meisten Fällen über keine Motoren verfügen. Die Zahl wäre noch beeindruckender, wenn die hohe Anzahl an aufgehaltenen Booten und versuchten Überquerungen miteinbezogen würde. Es gibt keine offiziellen Statistiken über "Abfangungen" durch die marokkanische Küstenwache, die königliche Marine oder durch das Militär, die ‘Forces Auxiliaires’, in den Wäldern, in denen die Leute (oft mit Gewalt) verhaftet werden, bevor sie das Wasser erreichen.
Ganzen Bericht auf englisch :: auf no-racisn.net lesen
(Auszug aus :: From the Sea to the City! Alarm Phone 6 Week Report, 11 June – 22 July 2018 (27. Jul 2018, alarmphone.org))
Seit mehreren Wochen melden sich jeden Tag und jede Nacht Menschen bei der 24h-Hotline des WatchTheMed Alarm Phones. Sie versuchen, in kleinen Booten aus :: Marokko über die Strasse von Gibraltar nach :: Spanien zu gelangen. Das Alarm Phone ist im Dauereinsatz und bemüht sich, dass die spanische Küstenwache möglichst viele Boote nach Spanien rettet. Doch immer wieder kommt es zu „Interceptions“, zum Abfangen der Boote durch die marokkanische Marine, die seit vielen Jahren eng mit der spanischen Küstenwache zusammenarbeitet.
Bis zu 19 SOS-Fälle an einem Tag (!) vermeldet das Projekt aktuell, das seit Herbst 2014 auf allen Mittelmeerrouten den Menschen Unterstützung und Begleitung anbietet, die sich mit dem Boot auf den Weg nach Europa machen müssen. Diese Hochphase im westlichen Mittelmeer spiegelt auch die Gesamtstatistik wieder. Laut UNHCR hat die Anzahl der Menschen, die sich von Marokko nach Spanien durchschlagen, erstmals die Ankunft über das zentrale Mittelmeer sowie über die Ägäis überholt, siehe :: data2.unhcr.org/en/situations/mediterranean
Über 21.000 Menschen (Stand 20.7.18) haben es aus Marokko geschafft, die meisten sicher erst beim zweiten oder gar mehrfachen Versuch, nachdem sie zuvor von der marokkanischen Marine „intercepted“ wurden.
Berichte des Alarm Phones auf :: alarmphone.org und :: watchthemed.net.
:: Kompass – AntiRa – Newsletter Nr. 71, Juli/August 2018 (PDF)
Während die Wetterbedingungen positiv zum Anstieg der Leute beitragen, die Richtung Spanien aufbrechen, beweist :: Marokko einmal mehr, warum es dort einfach keine Alternativen für viele Migrant_innen gibt.
Verhaftungen und Transferierungen in den Süden des Landes gehen in den Grenzregionen weiter. Es wurden aber auch viele Bestrebungen beobachtet, das Leben vieler Migrant_innen weit weg von den Grenzen so schwer wie möglich zu machen. Am Abend des 7. Juli begannen die marokkanischen Behörden mit der Räumung eines Camps in der Nähe des Bahnhofes, in dem mehr als 1.700 Menschen lebten. Acht Jahre lang war das selbstorganisierte Lager ein Ort, wo sich die Leute nach der Abschiebung aus den Grenzregionen ausrasten und gesund werden konnten. Während der Räumung verbrannte die Polizei die Zelte und persönliche Gegenstände, stahl Telefone und Geld. Hunderte Leute wurden in mehr als zehn Bussen nach Marrakech, Beni-Mellal, Agadir und Essaouira transferiert.
Seit Ende 2017 gaben die Behörden bekannt, dass sie eine Räumung des Camps in Fes wünschen, sie versprachen jedoch eine alternative Lösung für die Bewohner_innen zu finden. Jedoch wurde all den nun gewaltvoll geräumten Leuten keinerlei Lösungen vorgeschlagen.
Ganzen Bericht auf englisch :: auf no-racisn.net lesen
(Auszug aus :: From the Sea to the City! Alarm Phone 6 Week Report, 11 June – 22 July 2018 (27. Jul 2018, alarmphone.org))
Hintergrundinfos :: Über die Grenzen - wo Afrika und die EU nur Zäune trennen (19. Sep 2013)
:: Marokko: Razzien, Gewalt und Abschiebungen an der EU-Außengrenze (17. Feb 2015)
Für Bewegungsfreiheit - Protest an der marokkanisch / algerischen Grenze am 22. Juli 2018.
(*) In der aktuellen Debatte wird immer wieder der Begriff Konzentrationslager oder KZ für die Internierungslager in :: Libyen, aber auch für jene in Europa verwendet. no-racism.net weist auf einen sensiblen Sprachgebrauch hin. Seit Jahren berichten wir über die Zustände in den Gefängnissen und Lagern für Flüchtlinge und Migrant_innen - und weisen auf die miserablen Zustände dort ebenso wie auf die fragwürdige Inhaftierung von Menschen hin - ohne Gleichsetzung mit den NS-Vernichtungslagern. Es ist wichtig, sich gegen jede Internierung von Menschen auszusprechen und Bewegungsfreiheit zu fordern, doch sollte dies nicht mit einer Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus einhergehen. Deshalb wird der Begriff KZ durch den Begriff Lager bzw. Internierungslager ersetzt.
Jetzt hat die EU jedoch mit ihrem Beschluss Ende Juni in Brüssel den Begriff der "Controlled Centres", also der "Kontrollierten Zentren" eingeführt. Es fragt sich, warum Beamte und Politiker_innen der EU eine Bezeichnung wählen, die eine derartige Assoziation hervorruft?