Quellenangabe:
Die Schubhaft muss ein Ende haben! (vom 15.10.2006),
URL: http://no-racism.net/article/1841/,
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[15. Oct 2006]
Die Behörden beweisen immer wieder, wie rassistisch sie agieren. Vor allem die Schubhaft bietet Beamten einen großen Spielraum für Misshandlungen. Dies wird nicht zuletzt im Umgang mit Hungerstreikenden deutlich. Die Gesundheit und das Leben von Menschen spielen dabei offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle.
Ein aktueller Fall betrifft Geoffrey A. Er ist 1999 von Nigeria nach Österreich gekommen. Im Juni 2004 heiratete er. Das Familienleben schien perfekt - bis zum 23. August 2006. An diesem Tag wurde Geoffrey A. von 10 Polizisten festgenommen und in Schubhaft gebracht. Geoffrey A. konnte sich nicht einmal von seiner Frau verabschieden und wurde überdies trotz kooperativen Verhaltens äußerst rüde von den Polizeibeamten behandelt. Um gegen die Haft und die Zerstörung seines Familienlebens durch die Polizei zu protestieren, trat Geoffrey A. in Hungerstreik. Den österreichischen Beamten schien eine drohende Gesundheitsschädigung jedoch egal zu sein. Dies kann unter anderem in einer :: Presseaussendung der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung vom 28. September nachgelesen werden.
Nach 40 Tagen in ununterbrochenem Hungerstreik und nachdem der 30-jährige Mann von 70 auf 47 Kilogramm abgemagert war, wurde er am Dienstag, 10. Oktober 2006 entlassen. Als offizieller Grund für die Enthaftung wurde jedoch nicht Haftunfähigkeit angegeben, sondern der Umstand, dass die nigerianische Botschaft kein Heimreisezertifikat ausstellte, dass für eine Abschiebung benötigt wird. Den Medien gegenüber gab der einschlägig bekannte Willfried Kovarnik, Leiter der Verwaltungspolizeilichen Abteilung zu der auch die Fremdenpolizei gehört an, dass Geoffrey A. einwilligte, freiwillig das Land zu verlassen. Diese Version ist jedoch mehr als in Frage zu stellen.
Zwar bekam Geoffery A. tatsächlich ein Papier vorgelegt, das ihn zur "freiwilligen Ausreise" verpflichtet. Jedoch wurde ihm gesagt, er müsse dieses Papier unterschreiben, wer er aus der Schubhaft entlassen werden will. Wie weit nach 40 Tagen Hungerstreik von "Freiwilligkeit" gesprochen werden kann, ist mehr als fraglich. Denn es ist mittlerweile üblich und offizielle Politik der EU, dass Menschen zur Unterschrift derartiger Papiere gedrängt werden. Hier sollte auch erwähnt werden, dass durch die Nicht-Ausstellung des Heimreisezertifikate die Schubhaft zu diesem Zeitpunkt nicht mehr länger zulässig war, da die Abschiebung nicht durchgeführt werden konnte. Somit kann die Vorlage eines derartigen Papieres als Erpressung gewertet werden und nicht als Grund für die Entlassung. Warum sollten die Behörden einen Menschen, der mit Hungerstreik so lange gegen Schubhaft und eine drohende Abschiebung protestiert, plötzlich freiwillig gehen lassen? Und warum sollte er Österreich freiwillig verlassen wollen, wo doch seine Ehefrau in Wien lebt?
Ein Amtsarzt soll ihn vor der Entlassung noch untersucht und für haftfähig erklärt haben. Eine Überstellung in ein Krankenhaus sei laut Kovarnik nicht erforderlich gewesen. So wurde Geoffrey A., der nach Angaben seiner Frau kaum mehr stehen konnte und "wie ein Skelett" aussah, einfach auf die Straße gestellt. Eine Praxis, die üblich ist, denn eine medizinische Nachbetreuung ist für Leute die über Hungerstreik die Entlassung aus der Schubhaft erreichen nicht vorgesehen.
Den Medien gegenüber versichterte Willfried Kovarnik am Freitag, 13. Oktober, dass keine Gefahr für seine Gesundheit bestehe. Er berief sich dabei auf Informationen des Polizei-Chefarztes, wonach der Mann nicht auf der Intensivstation, sondern auf einer normalen Abteilung liege. Was zu diesem Zeitpunkt, drei Tage nach der Entlassung, auch stimmte. Kovarnik erwähnte aber nicht, dass A. kurz nach der Entlassung aus der Schubhaft auf offener Straße zusammen brach und in der Folge auf die Intensivstation überstellt wurde, da eine Herzmuskelentzündung befürchtet wurde. Erst am Freitag wurde er in eine normale Bettenstation überstellt.
Laut Kovarnik leidete der Mann an Austrocknung, was nach einem Hungerstreik typisch sei - und keine Gefahr darstelle. Dass diese Behauptung falsch ist und Hungerstreiks oft massive gesundheitliche Schäden nach sich ziehen, ist eine Tatsache. Und dass Ausdrocknung auch zum Tod führen kann, beweist der Fall von :: Yankuba Ceesay, der am 4. Oktober 2005 in einer überhitzten Isolationszelle in der Schubhaft in Linz starb. Auch er befand sich in Hungerstreik und hatte bereits viel Gewicht verloren. Als offizielle Todesursache wurde damals eine "Verkettung unglücklicher Umstände" genannt. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar 2006 in der Schweiz. Im Gefängnis Altstätten verdurstete der 20-jährige :: Ousmane Sow während eines Hungerstreiks.
Doch es stellen sich noch weitere Fragen. Warum wurde Geoffrey A. am 3. Oktober in die Sanitätsstelle der Justizanstalt Josefstadt überstellt, da er laut Kovarnik "dort besser betreut werden kann"? Warum muss ein Mann zuerst besser behandelt werden, während nach einer weiteren Woche Hungerstreik keine gesundheitlichen Probleme attestiert werden? Dies kann folgendermaßen beantwortet werden: Mit dem Fremdenpolizeigesetz 2005, das mit 1. Jänner 2006 in Kraft getreten ist, wurde den Behörden aller Kritik von MedizinerInnen zum Trotz die Möglichkeit der Zwangsernährung von Hungerstreikenden eingeräumt. So hat sich zum Beispiel die ÄrztInnenkammer offiziell gegen den Vollzug der Zwangsernährung ausgesprochen. (Siehe dazu den Bericht :: Nein zur Zwangsernährung!)
Bis heute ist kein Fall bekannt, in dem die Zwangsernährung von Schubhäftlingen vollzogen wurde. Sehr wohl wurde diese Maßnahme aber des öfteren angedroht, um Hungerstreikende zum Aufgeben zu bewegen. Denn nach wie vor ist Hungerstreik die am meisten angewendete Praxis, Haftunfähigkeit herbeizuführen und somit eine Entlassung aus der Schubhaft zu bewirken. So berichtete der Kurier am 14. Oktober: "Laut Innenministerium befinden sich derzeit 34 Häftlinge in Hungerstreik. Damit wollen die Betreffenden ihre Entlassung erreichen. In 30 Fällen im heurigen Jahr kam es, wie im Gesetz vorgesehen, zur Überstellung eines Hungerstreikenden in die Sanitätsstelle einer Justizanstalt. In 28 Fällen habe die damit drohende Zwangsernährung dazu geführt, 'dass der Häftling einen Tag später wieder gegessen hat.'"
Willfried Kovarnik erklärte die Praxis der "abschreckenden Wirkung" in einem Interview mit :: chilli.cc am 20. Juni 2006: "Es wurden bereits Leute überstellt, aber es wurde bisher noch niemand zwangsernährt. Das ist genau das, was ich mir erhofft hatte. Wenn die Häftlinge aus ihrer Clique heraus in ein anderes Umfeld kommen, sehen sie plötzlich, dass es doch nicht so leicht geht und geben ihren Hungerstreik auf. Wir haben seit Anfang des Jahres eine zweistellige Zahl überstellt und alle haben den Hungerstreik aufgeben. Wenn bekannt ist, dass man durch den Hungerstreik nach vierzehn Tagen entlassen wird, versuchen es natürlich viele. Es gibt bestimmte medizinische Parameter, ab wann jemand haftunfähig ist. Man hört ja auch von Menschen, die angeblich vier Wochen in Hungerstreik waren. Das kann natürlich nicht stimmen. Im letzten Jahr sind hundert Menschen so aus der Haft entkommen. Es ist also ohne Zwangsernährung ein voller Erfolg geworden."
Was von diesen Aussagen zu halten ist, beweist die Geschichte von Geoffery A. Auch ihm wurde im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Hernalser Gürtel die Anwendung von Zwangsernährung angedroht. Da bekannt ist, dass diese in Österreich nur in der Krankenabteilung der Justizanstalt Josefstadt durchgeführt werden kann, werden hungerstreikende Menschen des öfteren dorthin überstellt, anstatt sie aufgrund von Haftunfähigkeit zu entlassen. Dies führt in der Folge dazu, dass die Gesundheit von Hungerstreikenden noch weiter gefährdet wird, da das Erreichen der Haftunfähigkeit künstlich in die Länge gezogen wird. War es früher üblich, dass Hungerstreikende im Durchschnitt nach drei Wochen verweigerte Nahrungsaufnahme entlassen wurden, waren es bei Geoffery A. fast sechs Wochen!
Die einzige Lösung des Problems ist neben einem sofortigen Ende der Androhung von Zwangsernährung eine generelle Abschaffung der Schubhaft. Denn differenzierende Instrumente wie Schubhaft und Abschiebungen, rassistische Gesetze und Praxen können nicht verbessert, sie müssen verhindert werden. Rassismus liegt ihnen existenziell zu Grunde. Dies beweisen auch zahlreiche Fälle von Misshandlungen, die sowohl in der Schubhaft als auch bei Abschiebungen auf der Tagesordnung stehen. So gibt es in Österreich mittlerweile einen via Gericht bestätigten Folterfall. Das interessante dabei ist, dass die Beamten in der Regel mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen haben. Ihnen wird per Gerichtsbescheid ein faktischer Freibrief ausgestellt, wie der :: Prozess gegen vier Polizisten der Sondereinheit WEGA zeigt, die am 7. April 2006 nach einer verhinderten Abschiebung Bakary J. in eine Lagerhalle brachten und dort massiv und vorsätzlich misshandelten. Sie wurden zwar wegen "Quälen eines Gefangenen" verurteilt, doch bedeuten die niedrigen und nur bedingten ausgesprochenen Haftstrafen faktisch einem Freispruch und dass sie weiterhin ihren Job bei der Exekutive ausführen können. Erst ab einem Strafmaß von einem Jahr würden die Verurteilten laut Gesetz ihren Job verlieren.
Dass diese Misshandlung kein Einzelfall ist, wie immer wieder behauptet wird, zeigt eine Reihe weiterer Vorfälle von Misshandlungen. So wurde Paul O. am 31. Juli 2006 :: im Anschluss an eine verhinderte Abschiebung misshandelt. Eine anschauliche Analyse über die systematische Anwendung von Gewalt bietet der Hintergrundbericht auf at.indymedia.org: :: Misshandlungen bei Abschiebungen - das hat System. Doch nur selten werden Misshandlungen bekannt und noch seltener bekommen sie öffentliche Aufmerksamkeit. Zuletzt erhob Anfang September 2006 ein Asylbewerber aus Tschetschenien Misshandlungs-Vorwürfe gegen die Polizei, nachdem er während der Schubhaft von Beamten im PAZ Eisenstadt geschlagen und getreten wurde. Doch in keinem Fall haben die Beamten etwas zu befürchten, selbst dann, wenn im Zuge einer Amtshandlung ein Mensch umgebracht wird.
Wie eine unvollständige Dokumentation von Todesfällen bei Deportationen und in Polizeigewahrsam auf :: no-racism.net/racismkills zeigt, werden die Verfahren in der Regel eingestellt oder enden mit Freisprüchen. Nur in wenigen Fällen, wenn die Beweislast so erdrückend ist, dass die Tat nicht mehr vertuscht werden kann, wie eben bei der Folter von Bakary J., kommt es zu bedingten Haftstrafen. Oft wird dann von offizieller Seite mit disziplinarrechtlichen internen Verfahren argumentiert, jedoch ist auch hier kein Fall bekannt, bei dem selbst eine gerichtliche Verurteilung zu irgendwelchen Konsequenzen geführt hätte.