Zwangsernährung ist keine sinnvolle Maßname! Die einzige Möglichkeit Hungerstreik zu vermeiden ist die Abschaffung der Schubhaft!
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Schubhaft ist eine Maßnahme, von der lediglich Menschen, die die österreichische StaatsbürgerInnenschaft nicht besitzen, sich aber trotzdem im Bundesgebiet aufhalten, betroffen sind. Für Menschen mit österreichischem Pass gibt es diese Form des Freiheitsentzugs nicht. Die Schubhaft gilt nicht als Strafhaft, sondern als Sicherungsmaßnahme.(1) Der Haftverhängung liegen keine strafbaren Handlungen zu Grunde.
Schubhäftlinge werden in der Praxis oft gar nicht oder in keiner ihnen verständlichen Sprache über den Grund ihrer Festnahme informiert. Diese Unwissenheit über die Dauer der Anhaltung und die prekären Zustände in den Polizeianhaltezentren (PAZ) führen zu einer hohen psychischen Belastung. Durch die Ausweglosigkeit der Situation stehen Selbstverstümmelungen, Verschlucken gefährlicher Gegenstände, Hungerstreiks und Suizidversuche an der Tagesordnung.
Der Hungerstreik war bis zum 01.01.2006 die am meisten angewendete Praxis, Haftunfähigkeit herbeizuführen und somit eine Entlassung zu bewirken. Mit dem neuen Fremdenrechtspaket wurde die heftig umstrittene Möglichkeit der Zwangsernährung von hungerstreikenden Schubhäftlingen eingeführt. Das bedeutet für hungerstreikende Menschen, dass sie statt der Entlassung aufgrund von Haftunfähigkeit in die Krankenabteilung der Justizanstalt Josefstadt überstellt und dort zwangsernährt werden.(2) "Seit 1999 waren lediglich zwei künstliche Ernährungen von "StraftäterInnen" in der Dauer von 14 und 27 Tagen zu verzeichnen, die mit Zustimmung der Betroffenen durch die oben genannte Infusionsbehandlung durchgeführt wurden."(3)
Interessant ist, dass die Möglichkeit der Zwangsernährung von Schubhäftlingen im Fremdenrechtspaket 2005 an keiner Stelle erwähnt wird, jedoch mittels zweifacher Verweise auf andere Gesetzestexte ermöglicht wird. So steht im neuen Fremdenpolizeigesetz nur, dass für die Anhaltung in Schubhaft § 53d Verwaltungsstrafgesetz (VwStG) gilt. In diesem Paragraphen wird lediglich geregelt, dass für den Vollzug der verwaltungsbehördlich erlassenen Freiheitsstrafe die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes von 19769 anzuwenden sind. Dort ist festgelegt, dass Strafgefangene (obwohl Schubhäftlinge keine Strafgefangenen sind!), die die Aufnahme von Nahrung verweigern, wenn erforderlich, nach Anordnung und unter Aufsicht des Arztes zwangsweise zu ernähren sind.(4) Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) schützt den/die GrundrechtsträgerIn in seinem/ihrem Recht, selbst über seinen/ihren Körper zu bestimmen. Ärztliche Untersuchungen bedürfen daher der Einwilligung des/der Patientin. Die zwangsweise Anordnung von Behandlungen stellen daher einen Eingriff in dieses Recht dar.
Auch das CPT (Antifolterkommission) betont das Selbstbestimmungsrecht der PatientInnen in einer Haftsituation. "Every patient capable of discenernment is free to refuse treatment or any other medical intervention. Any derogation from this principle should be based upon law and only relate to clearly and strictly defined exceptional circumstances which are applicable to the population as a whole."(5)
Die World Medical Association definiert in der Malta Deklaration (Leitlinien zur Behandlung von Hungerstreikenden) einen Hungerstreikenden als zurechnungsfähige Person, die den Entschluss zu erkennen gegeben hat, die Nahrungs- und/oder Flüssigkeitsaufnahme für einen signifikanten Zeitraum zu verweigern.(6)
Zwangsbehandlung oder -ernährung kommt daher erst in Frage, wenn der/die PatientIn im Koma liegt oder eine unmittelbare Lebensgefahr besteht. Andernfalls liegt ein unzulässiger Eingriff aufs Selbstbestimmungsrecht (Art. 9 EMRK) und daraus folgend eine Körperverletzung vor. Dass eine hungerstreikende Person in Schubhaft ins Koma fällt, kann in der Praxis aber nicht auftreten, weil dem eine Entlassung wegen Haftunfähigkeit vorgehen würde.
Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK) wies darauf hin, dass keinE ÄrztIn zur Einleitung einer Zwangsernährung bei hungerstreikenden AsylwerberInnen gezwungen werden dürfe. Er beruft sich dabei auf eine Deklaration des Weltärztebundes, in der es heißt, dass im Vordergrund bei der Behandlung von Hungerstreikenden die Interessen des/r PatientIn zu stehen haben und auch dessen/deren Wille, künstliche Ernährung zu verweigern. ÄrztInnen, die sich nicht an die Deklaration des Weltärztebundes halten, haben mit Disziplinarmaßnahem zu rechnen.(7) § 110 des StGB regelt, dass jemand, der einen anderen ohne Einwilligung behandelt, mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten zu bestrafen ist.
Laut Aussagen eines Wachebeamten vom Hernalser Gürtel greift die drohende Zwangsernährung nicht. Von Jahresbeginn bis Mitte April seien acht Menschen, die sich in Hungerstreik befanden in die Krankenabteilung der Justizanstalt Josefstadt überstellt worden. Zwangsernährt wurde angeblich noch keiner. In Wien verweigerten zum Zeitpunkt der Auskunft im April 49 Menschen das Essen. Die Entscheidung ob eine Zwangsernährung durchgeführt wird oder nicht obliegt einzig und allein den Ärzten in der Josefstadt.(8)
Bei der Zwangsernährung wird der Mensch an ein Bett gefesselt und eine Magensonde eingeführt über die die sogenannte "Astronautennahrung" verabreicht wird, oder es werden über eine Infusion intravenös Nährstoffe verabreicht.(9) Künstliche Ernährung ist sehr kompliziert denn es gibt genaue Grenzen die nicht überschritten werden dürfen, z.B. eine Frau die 1,70 groß ist, wird erst künstlich ernährt wenn sie 40 kg und weniger wiegt. Und wenn zu schnell zu viele Kalorien verabreicht werden, kann die Zwangsernährung sogar tödlich enden.
Bisher ist also nicht bekannt ob die Zwangsernährung tatsächlich vollzogen wurde, jedoch wurde sie laut Aussagen von Menschen die in Hungerstreik waren des Öfteren angedroht, um die Leute zur Aufgabe der Widerstandshandlung zu bewegen. Die Hungerstreikenden selbst werden immer öfter und länger in Haft gehalten.
Anmerkungen
(1) Schumacher, Sebastian: Fremdenrecht. Wien 2003, S. 230.
(2) Dies wird Schubhäftlingen mittels Informationszettel, der bei Inhaftnahme überreicht wird, unter dem Punkt "Medizinische Betreuung" mitgeteilt. Siehe "Aktuelle Information aus der Schubhaft", auf deserteursberatung.at.
(3) Zwischenbericht des Menschenrechtsbeirates zur Umsetzung der Empfehlungen zum Schwerpunktthema "Spezifische medizinische Problemlagen" S. 45f.
(4) Strafrechtler: "Politische Unkultur in reinster Ausprägung". In: derstandard.at, 07.07.2005.
(5) Stellungnahme von amnesty international Österreich zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das AsylG 1997 (AsylG-Novelle 2003), das Bundesbetreuungsgesetz, das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat und das Meldegesetz geändert werden, das Asylgesetz 2005 und das Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen sowie das Bundesbetreuungsgesetz, das Personenstandsgesetz, das UBAS-Gesetz und das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 geändert werden. Wien 2005, S. 82.
(6) Zwischenbericht des MRB zur Umsetzung der Empfehlungen zum Schwerpunktthema "Spezifische medizinische Problemlagen" Quartal III/2003, S. 6
(7) :: aerztekammer.at, 17.08.2005.
(8) Zwangsernährung: Ärzten droht Strafe. In: derstandard.at, 05.07.2005.
(9) Wie eine Zwangsernährung via Nasensonde vollzogen werden kann, veranschaulicht der Videoclip "Zwangsernährung", im Internet zu finden unter :: defizit.org.
Dieser Text wurde am 10. Mai 2006 auf :: at.indymedia.org veröffentlicht.