Antirassistische Oeffentlichkeiten, Feministische Perspektiven
Herausgegeben von Gabriele Marth und Jo Schmeiser
Öffentliche Sichtbarmachung und Diskussion sind wesentlicher Bestandteil des Engagements gegen Rassismus und Sexismus, die in Westeuropa institutionalisiert und gerade in Österreich besonders verfestigt sind.
Doch stellt sich vor dem Hintergrund der Wahlerfolge rechtsextremer und rassistischer Parteien (A, CH) bzw. ihrer Regierungsbeteiligung (A) einmal mehr die Frage, welche Positionen antirassistische Organisationen und Gruppen in der herrschenden Öffentlichkeit einnehmen (können), um der Fortschreibung und zunehmenden "demokratischen" Legitimierung rassistischer Gewalt wirksam entgegenzutreten.
Beschreibung:
- Kurzbeschreibung der aktuellen Schwerpunktnummer
- Antke Engel: Queer-feministische und kanakische Angriffe auf die Nation. Antirassistische Praktiken und das Konzept der StaatsbürgerInnenschaft.
- Anna Kowalska: Arbeit mit der Öffentlichkeit. Ist antirassistische Öffentlichkeitsarbeit Sozialarbeit?
- Encarnaci"³n Gutierrez Rodriguez: Seiltänzerinnen und Jongleurinnen. Antirassistische Öffentlichkeit von Frauen im Kontext von Diaspora, Exil und Migration.
- Luzenir Caixeta / R"ºbia Salgado: Wege durch die Öffentlichkeit. Migrantinnen entwerfen Perspektiven.
- Johanna Schaffer: Kinderschutzwahn? Sexerziehung.
- Ruth Noack: Body-Snatching. Wie das Flüchtlingskind (nicht) ins Bild kommt.
- Hito Steyerl: Murphy"s Law. Politik statt Ontologie.
Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven.
Kurzbeschreibung der aktuellen Schwerpunktnummer von < vor der information >
Öffentliche Sichtbarmachung und Diskussion sind wesentlicher Bestandteil des Engagements gegen Rassismus und Sexismus, die in Westeuropa institutionalisiert und gerade in Österreich besonders verfestigt sind. Doch stellt sich vor dem Hintergrund der Wahlerfolge rechtsextremer und rassistischer Parteien (A, CH) bzw. ihrer Regierungsbeteiligung (A) einmal mehr die Frage, welche Positionen antirassistische Organisationen und Gruppen in der herrschenden Öffentlichkeit einnehmen (können), um der Fortschreibung und zunehmenden "demokratischen"* Legitimierung rassistischer Gewalt wirksam entgegenzutreten.
In der antirassistischen Praxis wird Öffentlichkeitsarbeit zu wenig hinterfragt. So gelten etwa Opfer- oder Einzelfalldarstellungen nach wie vor als "unverfängliche" Dokumente realer Situationen. Die strukturelle Politik und Bedeutungsproduktion dieser Darstellungen - Individualisierung, Voyeurismus und letztlich Rassismus - geraten dabei oft gänzlich aus dem Blick.
Jede öffentliche Thematisierung rassistischer und sexistischer Gewalt wirft Fragen und auch Probleme auf:
- Wer macht sichtbar?
- Was wird sichtbar gemacht?
- Von welcher gesellschaftlichen Position aus und in welcher Öffentlichkeit geschieht dies?
- führt das Sichtbar-Machen zu Diskussion und als Konsequenz zu gesellschaftlicher Veränderung?
- Oder führt es im Gegenteil zu voyeuristischer Exponierung der Personen, die mit Rassismus und Sexismus konfrontiert sind, während die Strukturen und Machtverhältnisse, die diese ermöglichen, unverändert bleiben?
- Welche Strategien der Sichtbarmachung, der öffentlichen Artikulation können (in welchen Situationen) den Abbau rassistischer / sexistischer Strukturen durchsetzen helfen?
Um strukturelle Rassismen beeinspruchen, bekämpfen und ihren Abbau vorantreiben zu können, muss sich die Mehrheitsgesellschaft zuallererst mit der eigenen Verstrickung in Rassismen und Sexismen auseinandersetzen. Die aktuellen Wahlerfolge oder Regierungsbeteiligungen rechtsextremer / rassistischer Parteien sind nichts Neues. Sie sind Resultat einer Politik, die seit Jahren ungewollt auch von antirassistischen Initiativen mitgetragen wird. So etwa, wenn "für AusländerInnen" gesprochen und gefordert wird, ohne MigrantInnen in Planung, Entscheidung und DurchFührung von Aktionen und strukturellen maßnahmen gegen Rassismus und Sexismus einzubeziehen.
Insofern sollte das Entsetzen über den zunehmenden Prozentsatz an Rechts-WählerInnen dem Entsetzen über das eigene (Nicht)Handeln, über den eigenen Beitrag zur Normalisierung rassistischer Gewalt weichen. Und dies im konstruktiven Sinne: Es ist an der Zeit, die Entscheidungsmacht umzuverteilen, Repräsentationspolitiken radikal zu verändern. Das heißt, Öffentlichkeiten zu schaffen, die in die rassistischen und sexistischen Politiken eingreifen und ihre strukturelle Demontage auf allen Ebenen der Gesellschaft / des Staates / der Staatengemeinschaft in Gang setzen.
Antke Engel: Queer-feministische und kanakische Angriffe auf die Nation Antirassistische Praktiken und das Konzept der StaatsbürgerInnenschaft.
Die Konstruktion der nationalen Einheit, das scheinbar unanfechtbare mythische Gebilde, stellt ein entscheidendes Fundament staatlichen Rassismus dar. Inwieweit gelingt es, antirassistische Politik dort anzusetzen, wo "Normalität" und "Abweichung" produziert werden, und doch auch rechtlich und institutionell abgesicherte Hierarchien und Ausschlüsse anzugreifen? Seit der Widerstand gegen die faktische Abschaffung des Asylrechts der brd 1993 gescheitert ist, und sich die dominanzgesellschaftlichen Antworten auf MÃŒlln, Solingen (und Oberwart) in Lichterketten verfangen haben, sind breite öffentlichkeitswirksame Absagen an einen nationalen rassistischen Konsens rarer geworden denn je.
Damit soll nicht gesagt sein, dass es keine antirassistische oder Flüchtlingspolitische Arbeit gibt. Notwendig scheint es aber, nach ihren aktuellen Formen zu fragen. Und zu überlegen ist auch, inwiefern die jeweiligen Praktiken nicht nur die rassistischen Ausschlüsse, sondern auch die Konstruktion des nationalen Selbstverständnisses anfechten.
Zunehmend verschiebt sich im Feld antirassistischer wie auch queer-feministischer Arbeit die Perspektive von Politikformen, die auf Anerkennung und Integration von Minderheiten zielen, auf solche, die die Klassifizierungsmechanismen in den Blick nehmen, die überhaupt erst Minderheiten herstellen. Ziel ist es, die hegemoniale Ordnung anzufechten, statt sich daran abzuarbeiten, immer noch eine weitere kleine Gruppe in die unangefochtene Normalität einzugliedern.
Queer-feministische Ansätze, maßgeblich entstanden aus einer (Selbst-)Kritik an den rassistischen und heterosexistischen PrÀmissen feministischer Identitätspolitik, problematisieren genau diese Prozesse der Herstellung von "Normalität" qua Konstruktion und Unterordnung von "Andersheit". In diesem Sinne ist "queer" eine Praxis, die sich nicht allein auf Geschlecht und Sexualität bezieht. "Queer" ist weder Synonym für lesbisch, schwul, transgender noch Name einer revolutionären "Outlaw"-Identität. In Verbform: "queering" oder "verqueeren" verweist es auf Praktiken, Prozesse und Erkenntnisse, die je spezifische Eingebundenheit in die Strukturen und Mechanismen der dominanten Ordnung zu nutzen versucht, um deren Normen und Hierarchien herauszufordern.
Damit aber werden Forderungen nach Anerkennung und Integration fragwürdig, ebenso wie die Hoffnung auf herrschaftsfreie Repräsentation von Differenz oder das Sprechen von authentischen Identitätspositionen aus. Ziel ist es, die Prozesse der Normalisierung, Hierarchisierung und des Ausschlusses zum Fokus politischer Intervention zu machen, statt sich in den Konkurrenzkampf um die schönste Merkmalszuschreibung, die bestechendste Identitätskonstruktion und die akzeptabelste Differenz zu begeben.
In Gesellschaften, die einen beachtlichen Teil ihrer Bevölkerung aus dem Feld der Rechte, der politischen Partizipation und der kulturellen Sichtbarkeit ausweisen oder der ökonomischen abhängigkeit unterwerfen, liegt ein Akt politischer Intervention darin, öffentlich zu agieren, sich sozialen Raum anzueignen und dessen Nutzung zu definieren, statt zugestandene Nischen zu schmücken.
Wenn man demokratische Gesellschaftsentwürfe nicht über formale Rechte und politische Institutionen, sondern über Bedingungen der Artikulation und diskursive kämpfe um Anerkennung und Ressourcen definiert, stellen Öffentlichkeiten den entscheidenden Ort der Aushandlungen dar.
Statt jedoch in ein Loblied auf das zivilgesellschaftliche Ideal der umkämpften Öffentlichkeiten zu verfallen, soll ein kritischer Blick auf die Grenzen des Öffentlichkeitskonzeptes geworfen werden. Denn zum einen übersetzen sich politische Artikulationen in der Öffentlichkeit keineswegs automatisch in Veränderungen der rechtlichen und sozio-strukturellen Ordnung. Zum anderen gibt es Formen antirassistischer Praxis, die sich nicht entlang ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit bemessen lassen bzw. für die Öffentlichkeit sogar ein Risiko darstellt: die Unterstützung von illegalisierten Flüchtlingen wie auch die informellen Netzwerke von Flüchtlingen und MigrantInnen, in denen diese alltäglichen Widerstand gegen rassistische Strukturen leisten sowie Definitions- und Gestaltungsmacht über ihre Lebensbedingungen entfalten.
können diese antirassistischen Praktiken, die zunächst und bewusst im "Privaten" stattfinden, dennoch als öffentliche Interventionen erscheinen oder mit offensiver Öffentlichkeitsarbeit verbunden werden? Und inwieweit kann das Propagieren eines humanitären Menschenrechtsdiskurses mit der politischen Perspektive verknüpft werden, die Institutionen des staatlichen Rassismus auszuhebeln?
Red. gekürzte Fassung, Originalfassung nachzulesen in "Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven",
99/00, Wien.
Anna Kowalska: Arbeit mit der Öffentlichkeit. Ist antirassistische Öffentlichkeitsarbeit Sozialarbeit?
Ich möchte hier nicht nur von meinen Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsarbeit berichten, sondern auch davon, wie diese Form von Repräsentation die repräsentierende Person auf eine gesellschaftliche Rolle verweisen kann, die sie nicht (mehr) einzunehmen bereit ist, die aber aufgrund gesellschaftlicher Bedingungen automatisch bereitsteht. Schon die Bezeichnung Migrantin ist eine Zuschreibung, die nicht unbedingt erwünscht sein muss: warum nicht Ausländerin, Weltbürgerin, Kosmopolitin, Freies Wesen, Nicht-Eingeborene oder Alien? Doch nur, weil es nicht in einen bestimmten Diskurs passt.
In meiner Arbeit wurde ich mit einer so spezifischen Form von rassistischer und sexistischer Gewalt konfrontiert, dass ich nicht mehr glauben konnte, diese Gewalt existiere einfach nicht. Und auch nicht mehr, dass ich nicht davon betroffen sei.
Stellen Sie sich vor, dass Sie einen Frosch inter-viewen möchten. Sie möchten den Frosch dazu befragen, wie es ihm gelungen ist unbehelligt über die Schnellstrasse zu hÃŒpfen, ihn auch zu seinem Befinden auf der anderen Seite befragen, ihm alles Gute wünschen für sein weiteres Froschleben. Ohne allerdings in Frage stellen zu wollen, ob nicht vielleicht die Abschaffung der SchnellStrassen, ja der Autos überhaupt, dem Frosch das Leben am effektivsten sichern könnte. Ihr Interesse geht sozusagen nur begrenzt weit - so weit eben, wie Ihre Interessen noch gewahrt bleiben. Im Grunde interessiert Sie - und vielleicht auch andere, die ZuschauerInnen, die LeserInnen - viel eher die persönliche Geschichte des besagten Frosches. Wie war seine Auswanderung möglich, wie dramatischwar die Hüpfaktion, war es pures Glück, oder hat der Frosch etwa zu illegalen Mitteln gegriffen? (Ist er gar mit einem Auto gefahren?)
Die Haupttendenz, die aus den Erfahrungen mit den Medien ablesbar ist, und die sich sowohl aus der Erwartungshaltung der dominanten Öffentlichkeit wie auch aus der Aufgabenstellung von JournalistInnen ergibt, ist die Tendenz zu unmittelbarer, möglichst spannender Berichterstattung. Arbeitet die ngo im Sinne der dominanten Medien, müsste sie "persönliche Erlebnisberichte" abliefern, und zwar nur bestimmte Arten von persönlichen Geschichten, die in den bestehenden Konsens passen.
Im Verlauf der 3 Jahre Arbeit bei lefö hat sich die Notwendigkeit antirassistischer Öffentlichkeitsarbeit immer mehr herauskristallisiert. Die Thematik des Frauenhandels ist so komplex, dass sie nicht mit wenigen sätzen zugänglich gemacht werden kann. Wie kann ein komplexer Sachverhalt geschildert werden - in einem Gesellschaftssystem, das die Ursache dieses Sachverhalts ist, sich selbst aber nicht in Frage stellen will?
In der Arbeit mit der Öffentlichkeit, im Kontakt mit den Medien, oder bei Vorträgen und Seminaren ist immer damit zu rechnen, dass die vereinbarte Ebene des Gesprächs zu schwanken beginnt - ausgelöst durch auf beiden Seiten auftauchende Phantasien, die aber nie zur Sprache kommen dürfen. Denn in erster Linie ist es die Aufgabe der Minderheiten-Repräsentantin, die Phantasien des Gegenübers im Vorfeld erkennen, sie geschickt umschiffen zu lernen und das Gespräch auf der vereinbarten Ebene weiterzuführen.
In der Auseinandersetzung mit einer rassistischen Öffentlichkeit muss nicht lange darauf gewartet werden, bis die Falle zuschnappt. Migrantinnenorganisationen werden von der dominanten Öffentlichkeit meistens im Kontext der "Sozialarbeit" wahrgenommen, als Vertretung einer diskriminierten Randgruppe. Die "schöne Aufgabe", "diesen Frauen zu helfen" wird gerne an die vermeintlich Betroffenen delegiert. Eine alte Geschichte: Frauen kämpfen für Frauenrechte, Behinderte für Behindertenrechte, Homosexuelle für Homosexuellenrechte, Migrantinnen für Migrantinnenrechte. Nur RassistInnen und SexistInnen müssen für nichts kämpfen. Sie bekommen auch so genug Gehör.
Red. gekürzte Fassung, Originalfassung nachzulesen in "Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven", 99/00, Wien.
Encarnaci"³n Guti"©rrez Rodr"guez: Seilä€nzerin-nen und Jongleurinnen. Antirassistische Öffentlichkeit von Frauen im Kontext von Diaspora, Exil und Migration.
Wie eine Sichtbarmachung von immigrierten und exilierten Frauen herstellen, wenn diese in der bürgerlichen Öffentlichkeit und im Alltagsdiskurs als Individuen kaum vorkommen? Um diese Definitionsmacht der Auslassung oder der Ethnisierung zu brechen, greifen Personen aus subalternen Gruppen herrschende Identifikationspraktiken auf, um sie dann umzukehren, neu zu bestimmen oder darüber hinaus zu gehen. Die Anwendung politischer Identitätskonstruktionen kann in einer antirassistischen und feministischen Praxis keineswegs für obsolet erklärt werden. Vor allem nicht, wenn die Repräsentationsbedingungen und -strukturen, in denen Subjekte wahrgenommen, zum Sprechen ermächtigt werden, an gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse geknüpft sind.
Ich möchte zeigen, warum das Sprechen im Namen der Migrantin weiterhin notwendig ist. Auch wenn neue Repräsentationspolitiken entstehen, die es vermeiden im Namen einer Identität zu sprechen. Kurz: nicht im Namen der Migrantin zu sprechen, heißt nicht, dass es diese gesellschaftliche Position nicht gibt, die insbesondere dann in den Vordergrund Rückt, wenn wir uns der Frage nach Repräsentationsbedingungen zuwenden. Wie können sich Frauen aus soziopolitischen Minderheiten in der Öffentlichkeit einmischen, wenn die Möglichkeit des Sprechens und des Zuhörens in dieser Öffentlichkeit ungleichmäßig bis gar nicht verteilt ist? Unter welchen Bedingungen können Frauen im Kontext der Diaspora, des Exils und der Migration in die dominante Öffentlichkeit eingreifen?
In der Bundesrepublik gestalten sich Artikulation und Einflussnahme von Frauen aus subalternen Gruppen im öffentlichen Diskurs insbesondere durch die Interventionen einzelner AktivistInnen und durch MigrantInnen-Netzwerke: Schwarze-Deutsche, jüdische Deutsche und Frauen im Exil. Der Zugang zur Öffentlichkeit wird vor allem durch das Engagement in den Feldern der Kunst, der Medien, des Sozialen und der Wissenschaft erkämpft. Doch werden die Wissensproduktionen von Menschen im Kontext der Migration meist zur MigrantInnenliteratur abgestempelt - unabhängig davon, ob dies das Thema ihrer Arbeiten ist. Das Wissensrepertoire der AutorInnen wird auf ihren sozialen Hintergrund reduziert. Ihre Erkenntnisse werden von der breiten Öffentlichkeit nicht als universale Erkenntnisse wahrgenommen und damit partikularisiert.
Frauen aus soziopolitischen Minderheiten wird zumeist der Bereich der Erfahrung zugeschrieben. Frauen aus der Dominanzgesellschaft hingegen das "Allgemeine", das universale Wissen. Nationalität verbunden mit der weissen Hautfarbe wird zum Privileg im Rahmen der Formierung Europas und des imperialen Projekts des Westens. weisse Europäerinnen oder weisse Deutsche genießen aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrer Nationalität Privilegien, die sie als Selbstverständlichkeiten erfahren.
Der Ein- oder Ausschluss in/von Nationalstaaten oder westliche/n Staatengemeinschaften reguliert auch die Verteilung von Ressourcen. So ist der Zugang von Frauen im Kontext von Exil, Diaspora, Migration zu herrschenden Veröffentlichungsorganen und Finanzierungsquellen eingeschränkt, ihre Arbeiten werden oft nur in marginalisierten Foren oder gar nicht repräsentiert. Trotzdem sind ihre Konzepte und Debatten manchmal in herrschenden Veröffentlichungsorganen wiederzufinden, ohne dass ihre AutorInnenschaft benannt wird.
Frauen aus subalternen Gruppen repräsentieren einen Teil des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses, werden jedoch zugleich von diesem ausgeschlossen. Als Jongleurinnen und Seiltänzerinnen müssen sie ständig abwägen, mit wem sie sich verbünden und mit wem sie verhandeln. Indem sie sich von der Bezeichnung, der Konstruktion und der Vereinnahmung als die "Andere" distanzieren, versuchen sie ihre künstlerischen, politischen und wissenschaftlichen Ausdrucksweisen in den Vordergrund zu Rücken. Neben Formen aktivistischer Kulturproduktion entwickeln sie Strategien textueller Interventionen: mit dem Ziel, fixierte Bedeutungen zu unterminieren und selbstbestimmte Repräsentationspolitiken zu schaffen.
Red. gekürzte Fassung, Originalfassung nachzulesen in "Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven", 99/00, Wien.
Rubia Salgado und Luzenir Caixeta: Wege durch die Öffentlichkeit Migrantinnen entwerfen Perspektiven.
Wie können Migrantinnen in die Öffentlichkeit treten, ohne auf sensationalistische Weise exponiert zu werden? Auf welchen Ebenen soll eine agieren, um sich Gehör zu verschaffen? Wenn Berichterstattung über Frauenmigration sich kaum von einem Urlaubsroman unterscheidet, der in jeder Trafik
verkauft wird. Die sensationalistische Wiedergabe der Lebensgeschichte einer Migrantin z.B. phantasiert von der Armut als Schicksal. Dass die Armut von den reichen ländern produziert und genutzt wird, kommt nicht vor.
"Sollen wir deshalb darauf verzichten, in der Öffentlichkeit aufzutreten?" haben wir uns gefragt. Das war eine wichtige Frage. Zweifel und Fragen sind immer wichtig. Sie führen zu Entscheidungen. Da wir fast nie verzichten, verzichteten wir auch diesmal nicht. Daher unsere Entscheidung für die Fiktion: für die Entfaltung der Wirklichkeit.
Der Öffentlichkeit wird keine individuelle Geschichte präsentiert. Sondern es geht darum, die Strukturen des Sextourismus und der Frauenmigration aus der Perspektive der Migrantinnen zu vermitteln.
Red. gekürzte Fassung, Originalfassung nachzulesen in "Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven", 99/00, Wien.
Johanna Schaffer: Kinderschutzwahn? Sexerziehung.
Wenn es vor allem die Arbeit von Feministinnen war, die die Tatsache sexueller Gewaltausübung von Männern, Erwachsenen gegen Mädchen, Kinder sichtbar gemacht hat: was heißt es dann, wenn dieses Thema von den Rechten umbenannt und neu besetzt wird?
Der feministische, d.h. auch: systemkritische, Diskurs über sexuelle Gewalt an Mädchen, Kindern und Jugendlichen ist dort offen für eine ideologische Umarbeitung, wo er verabsäumt, in der Benennung sexueller Gewalt gleichzeitig, und eindeutig, das herrschende Sexsystem, die majoritäre Sexmoral zu kritisieren.
Ideologische Umarbeitung heißt gegenwärtig, dass das Thema zur Verstärkung rassistischer Diskurse und reaktionärer Sexmoralen instrumentalisiert wird. Und es braucht nicht allzu viel um ahnen zu können, dass das, was in dieser Verknüpfung - neben einem immer umfassender legitimierten Rassismus - als nächstes auf ihren Einsatz wartet, die Homophobie ist. Und wuchern wird sie am Ort der überschreibung des Themas Pädophilie mit der Formel "Kinderschändung".
Red. gekürzte Fassung, Originalfassung nachzulesen in "Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven", 99/00, Wien.
Ruth Noack: Body-Snatching:wie das Flüchtlingskind (nicht) ins Bild kommt.
Passiert auf den Bildern, die von ngos bzw. unhcr hergestellt oder veröffentlicht werden, noch irgend etwas anderes außer der Festschreibung des Opferstatus von MigrantInnen, Flüchtlingen, Menschen in - oder aus - sogenannten Krisenregionen?
Meistens schauen die Kinder in die Kamera. Sie sind frontal aufgenommen, vereinzelt oder in Gruppen. Dabei wird der fotografische Blick explizit angesprochen - die Kinder haben die Funktion, uns unseren Blick wiederzuspiegeln.
Der Kontext und mein vorgeformter Blick strukturieren die ästhetische Erfahrung. Will ich dem Opferdiskurs entkommen, wäre es wichtig, nach dem zu fragen, was auf dem Bild eben gerade nicht sichtbar wird. Und damit meine ich nicht nur die Frage nach der gesellschaftlichen Matrix, die Sichtbarkeit und das Nicht-Gesehene definiert bzw. strukturiert. Mindestens ebenso wichtig erscheint es mir, ein utopisches Moment in das Sehen einzuführen. Also danach zu fragen, was sichtbar würde, wenn andere Machtverhältnisse herrschten.
Red. gekürzte Fassung, Originalfassung nachzulesen in "Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven", 99/00, Wien.
Hito Steyerl: Murphy s Law Politik statt Ontologie.
Rassismus ist wie Murphy s Law.
Merke: das Brot fällt immer auf die Marmeladenseite. Muss das sein? - Hito Steyerl
Murphy s Law ist die perfekte Rationalisierung eines irrationalen Phänomens. Genau wie der Rassismus. Welches andere Gesetz könnte schon das Phänomen erklären, dass sowohl Arbeiter als auch Unternehmer Haider wählen?
Mit Argumenten gegen die wirren Glaubenssätze des Rassismus braucht man sich da nicht aufhalten. Wenn der Rassist glauben will, dass die Erde eine Scheibe ist, wird er das glauben. Er glaubt dies nicht, weil es Sinn macht, sondern weil es für ihn sinnvoll ist. Sein Glaube ist praktisch, profitabel oder macht zumindest Spaß.
Insofern ist jegliche überzeugungsarbeit zwecklos und verfehlt die Ebene. Es nutzt überhaupt nichts dem Rassisten geduldig auseinander zu setzen, dass es weder Rassen noch Identitäten gibt. Der Punkt ist nämlich keineswegs, dass Rassismus theoretisch falsch oder irrational sei. Der Punkt ist: Rassismus wirkt. Genau wie Murphys Law. Anstatt altklug die Irrationalität rassistischer Ideologie zu bemängeln, muss also die rassistische Praxis angegriffen werden.
Lange Zeit war Rassismus simpel: wer auffiel, die falschen Papiere oder den falschen Akzent hatte, dem oder der wurden alle möglichen natürlichen oder kulturellen Eigenschaften unterstellt, die irgendwie minderwertig waren. Dieses bekannte Prinzip bezeichne ich als primären Rassismus. Motto: die sind anders und anders ist schlimm. Identität ist Trumpf - aber nur die eingeborene. Ergebnis: rassisistische Gesetzgebung, Diskriminierung allerorten, Bildung und Konservierung einer ethnisch geschichteten Klassengesellschaft.
Als Opposition dagegen formierten sich alle möglichen Strömungen, die ebenfalls auf Identität fußten - allerdings im positiven Sinne. Liberale bemühten sich jahrzehntelang darum darzulegen, dass nicht nur Deutsche oder Österreicher Menschen seien, sondern alle anderen Exemplare zumindest Auch-Menschen. Diese Variante scheiterte an der klassischen Antinomie humanistischer Argumentation; denn praktisch wurde kaum jemand allein dadurch gleichberechtigt, dass man ihn oder sie gnädigerweise als Auch-Menschen rubrizierte.
Eine partikularistische Variante des Identitätsgedanken versuchten hingegen Teile der sogenannten Betroffenen, anhand ihres schwarzen oder türkischen oder sonstigen Hintergrunds, zur Grundlage antirassistischen Widerstandes zu machen. Das Motto der partikularistischen Identitätspolitik: Wir sind Wer; und wir bestehen auf Gleichberechtigung. Dieser Strategie gebrach es allerdings aufgrund ihres partikularistischen Ansatzes an einer Handhabe, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene relevant zu werden.
Ein neuer Rassismus kam in Mode, der genauso prächtig funktionierte wie der alte. Ich bezeichne diesen als sekundären Rassismus. Nachdem in Europa alle Mauern fielen, brach sich die Auffassung Bahn, dass die vorher so geschätzte Identität eine reine Ideologie gewesen sei. Ergebnis: symbolische Aufwertung von Verschiedenheit bei unveränderter rassisistischer Gesetzgebung, allgegenwärtiger Diskriminierung und der fortgesetzten Bildung und Konservierung einer ethnisch geschichteten Klassengesellschaft.
Gegen diesen sekundären Rassismus formierten sich wiederum zwei Spielarten der Opposition, die beide diesmal anti-identitäre Politik zu betreiben versuchten. In Analogie zur liberal-universalistischen Variante des Anti-Rassismus etablierten sich von dekonstruktiven Gedanken beflügelte Ansätze, die jegliche Identität als reine Konstruktion abschrieben. Die theoretische Kritik des Identitätsbegriffs wurde nämlich hierzulande ausgiebig dazu verwandt, Forderungen nach Gleichberechtigung und Aufhebung der rassistischen Praxis von Seiten der sog. Betroffenen zu diskreditieren.
Selbstorganisationen von people of color und MigrantInnen wurden nun nicht mehr aufgrund ihrer subalternen Ethnizität nicht ernstgenommen, sondern im Gegenteil, wegen ihrer angeblichen identitätsbesessenen Selbstethnisierung. Ich bezeichne solche Phänomene als sekundären Kolonialismus - antikoloniale, anti-identitäre Praxen und Theorien verkehren sich in anderem Kontext schnurstracks in koloniale Praxen, die die gemütliche Weiterführung der rassistischen Gewohnheit legitimieren.
Als Reaktion auf solche Machenschaften formierte sich allerdings auch ein Pendant zur früheren Identitätspolitik auf der Seite der sog. Betroffenen. Analog zur Selbstausrufung der Liberalen als Nomaden, rufen sie sich nunmehr als sog. Kanaken aus; und versuchen somit identitäre Kategorien zu verwirren. Auch dieser Ansatz führt allerdings zu den groteskesten Verwicklungen.
Die Frage nach der Identität erweist sich also auf jeder Ebene als gescheitert. Rassismus wendet sich gegen die Erscheinung von Personen oder verhindert diese. Es kann also nicht darum gehen, Erwägungen über ihren ontologischen Status anzustellen, sondern sie zunächst überhaupt einmal zu ermöglichen, als reale Anwesenheit der Diskriminierten. Ihre Teilhabe am öffentlichen Raum und ihre praktische Gleichberechtigung muss erstritten werden - und zwar nicht nur auf der Ebene kultureller oder symbolischer Repräsentanz, sondern vor allem auf der politischen Ebene.
Red. gekürzte Fassung, Originalfassung nachzulesen in "Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven", 99/00, Wien.