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[ 28. May 2007 ]

Krieg gegen Flüchtlinge im Norden Libanons

Bei massiven Angriffen der libanesischen Armee auf das palästinensisches Flüchtlingslager "Nahr el-Bared" in der Nähe der libanesischen Küstenstadt Tripoli kamen zahlreiche Menschen ums Leben, viele wurden verwundet, zehntausende sind auf der Flucht.

 

Hintergrund des Angriffes sind seit Tagen anhaltende Kämpfe zwischen der "Fatah al-Islam"-Miliz und der libanesischen Armee. Laut :: Human Rights Watch töteten bewaffnete KämpferInnen am Sonntag, dem 20. Mai 2007 bei einem Angriff aus dem Hinterhalt 27 Soldaten. Die KämpferInnen der Fatah al-Islam hätten aus dem Inneren des Camps mit Granaten und Maschinengewehren auf die Armeeposten rund ums Camp gefeuert. Daraufhin griff die libanesische Armee mehrmals das dicht besiedeltete Lager mit Panzern und Granatwerfern an. Laut Medienberichten haben sich bis zu 250 KämpferInnen im Lager verschanzt - und diese sollen zur Aufgabe gezwungen werden.

Was auch immer die Hintergründe oder Auslöser für die Kämpfe in "Nahr el-Bared" sein mögen, fest steht, dass bisher mindestens 80 Menschen getötet und unzählige verletzt wurden.

SprecherInnen der libanesischen Behörden rechtfertigten den Angriff mit dem Vorwurf an die "Fatah al-Islam", dass diese die BewohnerInnen als lebende Schutzschilder nutzen würde. Während die libanesische Armee die Bombardierungen mit einer Offensive gegen die militante isalmistische Organisation begründet, die im Lager verankert sei, hat die "Fatah al-Islam" laut medico international im Unterschied zu anderen palästinensischen Gruppen keinerlei gewachsene Basis in den Flüchtlingslagern. Die meisten Angehörigen dieser Organisation seien keine PalästinenserInnen, sondern extremistische SunitInnen aus verschiedenen arabischen Ländern, auch aus dem Libanon selbst. Die Zeitungen berufen sich in ihren Berichten auf die Angaben der Behörden und Militärs im Libanon und schreiben, dass sich die "Fatah al-Islam"-Milizen seit vergangenen Herbst in Nahr al-Bared "eingenistet" und die PalästinenserInnenorganisationen Fatah und Hamas wenig Einfluss hätten. Aber auch in Zeitungsberichten wird von "Extremisten aus anderen arabischen Ländern" geschrieben.

Laut :: medico international sind große Bereiche des 40.000 EinwohnerInnen zählenden Lagers Nahr el-Bared durch den fortwährenden Artillerie-Beschuss durch die libanesische Armee zerstört worden. Strom- und Wassernetz im Camp sind zusammengebrochen, die Menschen versuchen den Kämpfen zu entkommen. Zu Fuß, mit Autos oder in Ambulanzen machten sich die meisten auf den Weg in das 15 Kilometer entfernt liegende Lager Beddawi, wo sie in den Schulen des UN-Hilfswerk UNRWA und anderen öffentlichen Einrichtungen unterkommen können. Derzeit befinden sich nach Angaben verschiedener Organisationen noch ca. 10.000 Menschen im Flüchtlingslager, dass von der libanesischen Armee abgeriegelt wurde.


Zur Situation palästinensicher Flüchtlinge


Unter der Bezeichnung "Vergessene Existenzen" fasst :: medico international die Situation der weltweit acht Millionen palestinensischen Flüchtlinge zusammen. Der Großteil von ihnen wohnt nicht im Gazastreifen und in der Westbank, dort sind es nur etwa 3,3 Millionen. Die meisten leben in der Diaspora - allein 250.000 in den USA und Kanada, 410.000 in Syrien, 300.000 in Saudi-Arabien, in Jordanien sogar 1,7 Millionen. Nach dem 2. Golfkrieg wurden 300.000 aus Kuwait ausgewiesen; im Irak lebten noch im Jahr 2003 bis zum Fall des Baath-Regime 90.000, deren Zukunft nun ungewiss ist.

Im Libanon leben 390.000 PalästinenserInnen mittlerweile in der vierten Generation. Seit ihrer erzwungenen Flucht im Zuge der der israelischen Staatsgründung 1948 wohnen sie in Flüchtlingslagen. Äußerlich sind ihre Häuser längst keine Übergangslösung mehr, sind aus den Camps beengte Stadtviertel geworden, und doch bleiben sie für ihre BewohnerInnen ein Provisorium. Für die heutige Generation ist Palästina weit entfernt, dennoch sprechen selbst die palästinensischen Kindergartenkinder von der "Naqba", der Katastrophe von 1948 und dem Traum der Rückkehr.

Die tiefe Problematik liegt in der Vernachlässigung der palästinensischen Flüchtlinge durch alle Gruppen, die zumindest teilweise Verantwortung für deren Situation tragen: Israelis, Libanesen, die PLO, die internationale Gemeinschaft einschließlich der Hilfsorganisationen und vielleicht selbst die PalästinenserInnen in Westbank und Gaza, die seit drei Jahren die zweite Intifada erleben.

PalästinenserInnen im Libanon

Die libanesische Gesellschaft hat die palästinensischen Flüchtlinge, für deren Betreuung das UN-Hilfswerk UNRWA zuständig ist, nur bedingt aufgenommen. Sie haben keine Bleibe gefunden. Eine dauerhafte Ansiedlung zu erlauben, würde bedeuten, das konfessionelle Gleichgewicht des Libanon zu erschüttern. Die PalästinenserInnen bekommen keine libanesische StaatsbürgerInnenschaft, haben aber auch keinen palästinensischen Pass. In der libanesischen Verfassung existiert ein Passus, der die StaatsbürgerInnenrechte für PalästinenserInnen ausdrücklich ausschließt. Laut :: Jahresbericht 2007 von amnesty international gibt es für paestinensische Flüchtlinge im Libanon sehr viele Restriktionen, wie zum Beispiel beim Zugang zu Wohnungen und zum Erwerbsarbeitsmarkt, sowie überhaupt fehlende Rechte, eine Erwerbsarbeit zu ergreifen. Die Gesetze führen weiters zur Diskriminierung von Frauen und fehlendem Schutz vor Gewalt.