Prozess wegen Tod eines Afrikaners durch Brechmittel in Bremen. Polizeiarzt nach über drei Jahren endlich angeklagt. Aufruf zur Prozessbeobachtung und Chronologie der Ereingnisse.
Am 7. Jänner 2005 starb Laye-Alama Conde, ein Flüchtling aus Sierra Leone, der in Bremen lebte, nach einem zwangsweise durchgeführten Brechmitteleinsatz. Er wurde unter dem unbewiesenen Verdacht des Drogenbesitzes festgenommen, im Polizeirevier Vahr auf eine Liege gefesselt und bekam gewaltsam Brechmittel verabreicht. Wie durch ein zweites Gutachten eindeutig belegt ist, erstickte Conde aufgrund der großen Menge Wasser, die von Igor Volz, dem Arzt des ärztlichen Beweissicherungsdienstes, unter Zwang mittels einer Sonde in seinen Magen gepumpt wurde und die seine Lungen überflutete. Die Mutter des Afrikaners erhielt jetzt, mehr als drei Jahre nach dem Tod ihres Sohnes, in einem außergerichtlichen Vergleich 10.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die Anwaltskosten mussten die Familienangehörigen jedoch selbst bezahlen. Gegen den Arzt Igor V. wird jetzt endlich von der Staatsanwaltschaft Bremen ein Anklageverfahren eröffnet.
Folgenden Termine sind für die Hauptverhandlung im Strafprozess wegen "fahrlässiger Tötung" gegen Igor V. anberaumt:
Mittwoch, den 16.4.2008
Mittwoch, den 23.4.2008
Montag, den 5.5.2008
Donnerstag, den 15.5.2008
jeweils um 9.00 Uhr
Landgericht Bremen
vorauss. im Saal 231
Domsheide 16, 28195 Bremen
Wir rufen dazu auf, an den Gerichtsverhandlungen teilzunehmen und darüber zu berichten!
Wir fordern ein Ende aller Brechmitteleinsätze in Bremen, Hamburg und anderswo, eine Bestrafung aller Täter und eine angemessene Entschädigung aller Opfer dieser Tortur, deren Menschenrechtswidrigkeit im Juni 2006 vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof festgestellt wurde.
Karawane Bremen
und Leute aus der ehemaligen Kampagne gegen Brechmitteleinsatz in Hamburg
Chronologie der Ereignisse seit dem Bremer Brechmittelmord
27. Dezember 2004
Laye Alama Condé wird von der Bremer Polizei wegen Verdachts auf Kokainhandel an der Sielwallkreuzung aufgegriffen. Er verschluckt sieben Kügelchen mit Kokain und wird in das Polizeipräsidium gebracht. In einem speziell dafür ausgestatteten Raum fixieren zwei Polizisten den sich heftig wehrenden Condé. Igor Volz, ein Arzt des Beweissicherungsdienstes, verabreicht ihm das Brechmittel Ipecacuanha. Dabei wird ihm soviel Wasser in den Magen gepumpt, das es schließlich in die Lunge eindringt. Infolgedessen treten Atemstillstand und kurz danach der Hirntod ein. Die Diagnose des hinzugerufenen Notarztes: "Ertrinken". Laya Condé fällt ins Koma und wird in das St.-Joseph-Krankenhaus eingeliefert.
4. Januar 2005
Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) erklärt in einem Fernsehinterview bei "buten un binnen": "Der Umstand, das er jetzt gesundheitliche Folgen davonträgt, ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, das er eine dieser Kapseln offensichtlich zerbissen und sich dadurch eine Vergiftung zugeführt hat. Nach meinen Informationen befindet er sich nicht mehr in Lebensgefahr."
5. Januar 2005
Innensenator Röwekamp setzt den zwangsweisen Einsatz von Brechmitteln in Bremen "bis auf weiteres" aus. Er bekräftigt seine Äußerung vom Vortag, "Schwerstkriminelle" müssen mit "körperlichen Nachteilen" rechnen.
7. Januar 2005
Laya Condé stirbt auf der Intensivstation des St.-Joseph-Krankenhauses. Die Staatsanwaltschaft Bremen nimmt Ermittlungen auf. Diese konzentrieren sich zunächst auf den Arzt des Beweissicherungsdienstes, Igor Volz. Später werden sie auf den hinzugerufenen Notarzt, Jörg Günther ausgeweitet.
11. Januar 2005
Angehörige von Laya Condé erstatten Anzeige gegen Innensenator Röwekamp wegen übler Nachrede und fordern dessen Rücktritt. Das Verfahren wird am 19.1. eingestellt.
13. Januar 2005
Bei einer Sitzung der Innendeputation wird bekannt, das gemäß einer Dienstanweisung des ärztlichen Beweissicherungsdienstes aus dem Jahr 2001 die Vergabe von Brechmitteln per Magensonde bei "heftiger Gegenwehr" unzulässig ist. Die Bremer Ärztekammer kündigt rechtliche Schritte gegen den an den Zwangsmaßnahmen beteiligten Mediziner Igor Volz an.
14. Januar 2005
34 Bremerinnen und Bremer erstatten Strafanzeige gegen Innensenator Röwekamp, u. a. wegen fahrlässiger Tötung und anderen Delikten. Am 16. Februar stellt die Staatsanwaltschaft Bremen das Verfahren ein. Der "Weser-Kurier" weigert sich eine Todesanzeige für Laya Condé zu drucken, in der die Formulierung "durch menschenverachtende Behandlung im Gewahrsam der Bremer Polizei umgekommen" verwendet wird.
15. Januar 2005
An einer Demonstration gegen rassistische Polizeigewalt in Bremen beteiligen sich 1000 Menschen.
24. Januar 2005
Der Koalitionsausschuss der Bremer Landesregierung entscheidet, in Zukunft auf zwangsweise Brechmittelvergabe zu verzichten. Ersatzweise soll künftig "Beweissicherungshaft" gegen mutmaßliche Drogenhändler verhängt werden, bis etwaige verschluckte Drogenpäckchen auf natürlichem Wege ausgeschieden werden. Dazu sollen Gefängniszellen mit speziellen Toiletten ausgestattet werden.
26. Januar 2005
Ein Misstrauensantrag der Grünen gegen Innensenator Röwekamp scheitert bei der Abstimmung in der Bremischen Bürgerschaft. Acht Abgeordnete der großen Koalition stimmen mit den Grünen und der FDP gegen Röwekamp.
Juni 2005
Ein erstes, von der Staatsanwaltschaft Bremen in Auftrag gegebenes Gutachen über die Todesursachen Laya Condés kommt zu keinem schlüssigen Ergebnis, schließt aber Wasser in der Lunge als Todesursache aus.
Juni/Juli 2005
Nach sechsmonatiger Laufzeit kündigt die Leiterin der Ärztlichen Beweissicherung, Monika Haenelt, ihren Vertrag mit der Polizei. Gemeinsam mit zehn weiteren Ärzten hatte sie im Januar die Nachfolge von Michael Birkholz angetreten. Birkholz, Leiter des rechtsmedizinischen Institutes des St.-Jürgen-Krankenhauses, musste wegen Unstimmigkeiten mit der Polizeiführung die Beweissicherung zum 31. Dezember 2004 abgeben. Unter seiner Leitung war es zum Tod Laya Condés gekommen. Nach mehrwöchiger Suche schließt die Polizeiführung erneut einen Vertrag mit Birkholz ab. Dieser habe "das günstigste von drei Angeboten vorgelegt", so ein Polizeisprecher.
August 2005
Ein ebenfalls von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenenes Zweitgutachten stellt als Todesursache Laya Condés Wassereintritt in die Lunge durch Brechmittelvergabe fest.
November 2005
Der Berliner Rechtsmediziner Volkmar Schneider, Verfasser des ersten Gutachtens, relativiert seine frühere Feststellung, Condé sei keinesfalls durch "Wasserintoxikation" gestorben. Er widerspricht der gegenteiligen Feststellung des Zweitgutachters nicht mehr. Die Staatsanwaltschaft geht nun offiziell davon aus, Condé sei ertrunken und schließt die Ermittlungen vorerst ab. Bislang ist unklar, ob und -wenn ja - gegen wen Anklage erhoben wird
Ende 2007
Die Mutter von Laya Condé bekommt 10.000 Euro Schmerzensgeld auf der Grundlage eines außergerichtlichen Vergleichs. Das Schmerzensgeld orientiere sich an einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der hatte im Jahr 2006 das gewaltsame Verabreichen von Brechmitteln als Verstoß gegen das Folterverbot verurteilt und dem Kläger ebenfalls 10.000 Euro zugesprochen. "Das ist das Schmerzensgeld, das Herrn Conde zugestanden hätte, wenn er überlebt hätte", erläuterte Maleika. Die Mutter habe diesen Anspruch geerbt. "Die Sache ist damit zivilrechtlich abgeschlossen", erklärte Rainer Gausepohl, Sprecher des Innenressorts. Das Geld zahle der "Haftpflichtschadensausgleich der Deutschen Großstädte" (HADG), eine Selbsthilfeeinrichtung mehrerer Städte.
16. April 2008
Das Landgericht Bremen verhandelt gegen Igor Volz, den Arzt, der Condé im Dezember 2004 im Polizeipräsidium Brechmittelsirup verabreicht hatte. Ihm wird vorgeworfen, Condé fahrlässig getötet zu haben. Der Strafrahmen im Falle einer Verurteilung reicht von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Haft.
Location: Landgericht Bremen, vorauss. im Saal 231, Domsheide 16, 28195 Bremen
Text übernommen von :: thecaravan.org