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[ 17. Jun 2008 ]

Bereits am Weg zum Seeweg festgenommen…

Anfang Juni 08 nahmen Polizei, Gendarmerie und Küstenwache des Küstenortes Didim, Türkei innerhalb von 10 Tagen insgesamt 250 illegale Personen aus Palästina, dem Irak, Mauretanien und Somalia fest. Mit der Begründung, es sei zu heiß und die Straßen verstopft, wurden sie, darunter 4 Frauen und 2 Kinder, im Stadion von Didim festgehalten. Ein Ausbruchversuch am 14.6.08 wurde verunmöglicht.

 


Bereits am Weg zum Seeweg festgenommen...


Die Ägäis zwischen griechischen Inseln und türkischer Küste ist eine der EU-Außengrenzen. Für Menschen aus dem Irak, Iran, Afghanistan und aus Afrika, vornehmlich Somalia, Mauretanien und Eritrea, mit dem Ziel Europa ist sie eine der beiden Hauptrouten. Die andere Route ist der Weg über die Festlandgrenze Türkei/Griechenland oder Türkei/Bulgarien.

Die Absicherung der türkischen Grenzen stellt einen Punkt in den EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei dar. Damit verschieben sich die Grenzen ins Land. Die Polizeikontrollen auf den Zufahrtsstraßen zur Küste und im Hafen nehmen rasant zu. Immer öfter werden Menschen auf dem Weg zu einem Boot, mit dem sie nach Griechenland übersetzen könnten, festgenommen. Z.b. wurde am 4. April 2008 in der Nähe von Dikili ein Lastwagen mit Menschen aufgehalten und die Transportierten festgenommen. Im Mai 2008 wurden acht Menschen mit türkischem Pass, die in einem Frachtschiff versteckt waren, festgenommen.

Anfang Juni 2008 nahmen Polizei, Gendarmerie und Küstenwache des Küstenortes Didim, Türkei innerhalb von 10 Tagen insgesamt 250 illegale Personen aus Palästina, dem Irak, Mauretanien und Somalia fest. Mit der Begründung, es sei zu heiß und die Straßen verstopft, wurden sie, darunter 4 Frauen und 2 Kinder, im Stadion von Didim festgehalten. Ein Ausbruchversuch am 14. Juni 2008 wurde verunmöglicht.

Am 16. Juni verhinderte die türkische Küstenwache die Überfahrt von 21 Menschen aus Palästina, Somalia, Eritrea und Mauretanien in einem Boot von dem Küstenort Didim auf die Insel Samos. Nachdem alle ein gültiges Türkeivisum hatten, wurden sie freigelassen. Am selben Tag wurden weitere 15 Personen aus Palästina und Mauretanien in zwei Lieferwagen in der Nähe von Didim festgenommen. Ebenfalls am 16.Juni wurden 20 Menschen aus Palästina, Burma und dem Irak bei dem Grenzort Enez zwischen Griechenland und der Türkei festgenommen.

Am 17. Juni wurde ein Transportauto in Kusadasi mit 17 Flüchtlingen aus Mauretanien und Palästina auf dem Weg zur Küste aufgehalten und in einem Gästehaus interniert. Am selben Tag wurde mehr als 100 km von der Küste entfernt im Landesinneren ein Transportwagen mit 55 Pakistani gestoppt. Ihren Aussagen nach planten sie von Agri nach Griechenland überzusetzen.


Nur einige Seemeilen...


Die geringe Distanz zwischen dem Küstengebiet in der Nähe von Izmir und den griechischen Inseln - es handelt sich nur um einige Seemeilen - ist als Einreiseweg in die EU besonders im Winter scheinbar sicher.

Schlechte Witterung erleichtert zwar von den Behörden unbemerkte, also erfolgreiche Landung in Griechenland. Für überfüllte Schiffe bedeutet Schlechtwetter jedoch Lebensgefahr, insbesondere in den Wintermonaten häufen sich die Nachrichten über gekenterte Schiffe. Die Menschen in Seenot - oft können sie gar nicht schwimmen - werden von Fischern oder der türkischen Küstenwache gerettet. Oder es kommt jede Hilfe zu spät, Anrainer finden Leichen auf den Stränden.

Am 8. Dezember 2007 steuerte ein Boot mit ca. 85 Menschen aus Afrika und dem arabischen Raum von der türkischen Kleinstadt Seferihisar in der Nähe von Izmir die griechische Insel Samos an. Wegen der schlechten Wetterbedingungen kenterte es. An den Strand geschwemmte Leichen leiteten eine Bergungsaktion ein: insgesamt wurden 46 Leichen gefunden, nur sechs Menschen konnten von Fischern und der Küstenwache gerettet werden.

Am 16. März 2008 ertranken mindestens 4 Menschen an der Südküste nahe der Provinz Hatay, drei weitere wurden von der Küstenwache geborgen. Am 24. März 2008 fand die türkische Küstenwache sechs Leichen von Ertrunkenen in der Nähe der Stadt Didim, westlich von Aydin. Die bekannten und veröffentlichten Fälle stellen aber nur die Spitze des Eisberges dar.

Die Küstenwache erfüllt ihren Auftrag die Interessen der EU-Staaten nach kontrollierter Zuwanderung junger, ausgebildeter, disziplinierter, aber billiger Arbeitskräfte zu schützen und verhindert mit allen Mitteln und Methoden jede unkontrollierte Landung auf griechischem Territorium. Ungewollte Asylsuchende werden von griechischen und türkischen Behörden hin- und hergeschoben. Keine Seite möchte zuständig sein.


Gästehäuser für AusländerInnen


In Izmir und in anderen Großstädten in der Türkei - insbesondere Istanbul - entstanden in den letzten Jahren Communities von MigrantInnen, die auf geeignete Ausreise- bzw. Überfahrtsgelegenheiten wartet. Konkret heißt das Warten in billigen Hotels und anderen Unterkünften, alltägliche Vorsicht nicht in Polizeikontrollen zu geraten und dazwischen vergebliche Versuche die Grenze zu passieren.

In Griechenland drohen Auffanglager und Abschiebung, in der Türkei mangels eines Fremdengesetzes geschlossene "Gästehauser für Ausländer" - und Abschiebung. Diese Art von "Gästehäusern" gibt es in Ankara, Edirne, Hatay, Izmir, Kirklareli, Yozgat, Van und mehrere in Istanbul.

Das türkische Asylrecht unterzeichnete die Genfer Konvention von 1951 mit einer geografischen Einschränkung: Nur Menschen aus Europa wird Asylstatus zuerkannt. Menschen, die nicht aus Europa kommen, wird kein langfristiger Aufenthalt im Sinne eines Asyls gewährt. Sie gelten als befristete Flüchtlinge und nicht als Asylwerber, das Innenministerium schlägt in seinen Kommentaren zum Bericht der NGO für Verein Bürger Helsinki statt des Begriffs AsylwerberIn "illegale Flüchtlinge/illegale MigrantInnen" vor.

Festgehalten werden in den Gästehäuern Personen, über die wegen illegalen Grenzübertritts Haftstrafen verhängt wurden, solche, bei denen die Abschiebemöglichkeiten und die Rücknahme des Herkunftslands geprüft werden und jene, die auf ihre Abschiebung warten müssen. Offiziell handelt es sich um keine Festhaltung - die BewohnerInnen können aber das Gästehaus nicht verlassen. Der unklare Rechtsstatus behindert die Durchsetzung von Menschenrechten. So ist die Aufenthaltszeit unklar und kann bis über ein Jahr dauern, häufig endet der Aufenthalt mit Abschiebung. Falls sie als befristete Flüchtlinge geduldet werden, werden sie in meist mittelanatolische Kleinstädte verlegt. Die Transportkosten müssen sie selbst zahlen. Dort bekommen sie eine minimale finanzielle Unterstützung, können sich frei bewegen, aber dürfen die Stadt nicht verlassen.

Zahlreiche Klagen und Beschwerden über die Überfüllung der Gästehäuser, z.B. 200 Personen auf 16 Betten, mangelnde hygienische Bedingungen, ungeheizt im Winter, heiß im Sommer, ungenügende Versorgung mit Nahrungsmittel, Mangel an Trinkwasser, kaum oder kein Warmwasser, mangelnde oder keine ärztliche Versorgung, körperliche Übergriffe seitens der Polizei, Strafmaßnahmen bei Beschwerden, kaum Besuchserlaubnis. Die strikte Geschlechtertrennung in den Gästehäusern bedeutet die Trennung von Familien, sogar Buben sind nicht bei ihren Müttern und Schwestern. Nur in zwei Gästehäusern können die Festgehaltenen im Hof ihre Angehörigen oder FreundInnen sehen.

Selbst NGO's können nur in Ausnahmefällen die Gästehäuser betreten. Somit wird rechtliche Beratung zur Stellung eines Antrags auf Asyl oder zumindest auf befristeten Flüchtlingsaufenthalt in den Gästehäusern mehr oder weniger verunmöglicht. In den Transitzonen - wie Flughäfen - ist es vollkommen unmöglich irgendwelche Anträge zu stellen.

Ab und an ist in den Zeitungen von "Aufruhren" in Gästehäusern zu lesen, so z.B. in Edirne im September 2006 oder in Kirklareli im Juni 2008. in den Zeitungsmeldungen heißt es dann, die Flüchtlinge zünden ihre Matratzen an, um aus dem Heim flüchten zu können.

Jene die nicht abgeschoben werden können, weil das Herkunftsland sie nicht identifiziert oder keine Abschiebungen akzeptiert, bleiben als unsichtbare MigrantInnen im Land und bewegen sich in einer Grauzone. Sie zwar nicht von Abschiebung bedroht, dürfen aber nicht arbeiten, bekommen keine staatliche Unterstützung, sind also auch nicht legal.