Stadterforschung im Rahmen des ":: Solidarische Ökonomie - Kongresses".
Treffpunkt: Sonntag, 22. Februar 2009, 11 Uhr, Universität für Bodenkultur, Peter Jordan Strasse 82, 1180 Wien (in der Aula des Schwackhöfer Hauses).
Für den armen Teil der Wiener Bevölkerung waren die Lebensbedingungen seit dem 19. Jahrhundert unerträglich. In der Gründerzeit wurden Mietszinshäuser als Spekulationsobjekte gebaut, möglichst viele Wohnungen pro Grundstück sollten optimalen Gewinn für die HausbesitzerInnen garantieren.
Im "Roten Wien" zwischen 1918 und 1934 versuchte die sozialdemokratische Stadtregierung mit einem groß angelegten städtischen Wohnbauprogramm die Lebens- und Wohnsituation hunderttausender in Wien lebender Menschen zu verbessern. Auf Basis der austromarxistischen Theorie sollte eine gesellschaftliche Utopie in die Realität umgesetzt werden.
Bis 1934 entstanden über 60.000 Wohnungen in Gemeindebauten. Große Wohnblocks wurden um einen Hof mit weiten Grünflächen gebaut. Die Enge und die schlechte Belüftung in den gründerzeitlichen Bauten sollte dadurch verringert werden. Die neuen Wohnungen wurden zu 40 Prozent aus dem Ertrag der im Land Wien eingeführten Wohnbausteuer und der Rest durch die Wiener Luxussteuer und Bundesgelder finanziert. Damit konnte die Mietzinsbelastung in den städtischen Wohnungen für einen ArbeiterInnenhaushalt auf vier Prozent des Einkommens gesenkt werden, während es vorher 30 Prozent waren. Bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit wurde der Mietzins gestundet. In den Gemeindebauten wurden Gemeinschaftseinrichtungen eingerichtet, einerseits um die Lebenssituation der ArbeiterInnen zu verbessern, andererseits um die BewohnerInnen an die sozialdemokratische Partei zu binden.
Ein wichtiges Beispiel für die Gemeindebauten aus dem Roten Wien ist der Karl-Marx-Hof im 19. Wiener Bezirk. Ab 1927 geplant und 1930 vollendet fasste der Bau 1382 Wohnungen für rund 5500 BewohnerInnen. Nur 20 Prozent des über 150.000 Quadratmeter großen und 1000 Meter langen Areals sind bebaut, der Rest wird als Spiel- und Gartenfläche genutzt. Der Bau enthielt zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen wie Wäschereien, Bäder, Kindergärten, eine Bibliothek, eine Zahnklinik, eine Jugenherberge, Arztpraxen, Gastwirtschaften und Geschäftslokale.
Die lang gestreckte Form der Anlage ist eine Folge der Grundstückform. Die Hagenwiese, ein langes und schmales Grundstück zwischen Heiligenstädter Straße und Franz-Josefs-Bahn, konnte nach Ansicht der ArchitektInnen am besten mit einer Blockrandbebauung erschlossen werden. Da sich dadurch ein Querriegel zwischen den Bahnhof Heiligenstadt und die Heiligenstädter Straße schob, wurde die Mittelachse des Hofes mit hohen Bögen durchbrochen. Dadurch sollte die Durchlässigkeit gewährleistet werden.
Der Karl-Marx-Hof ist auch ein Symbol des Widerstandes der Sozialdemokratie gegen den autoritären Ständestaat. Während der Kämpfe im Februar 1934 wurde der Karl-Marx-Hof von Bundesheer, Polizei und Heimwehr mit schwerer Artillerie beschossen und gegen den Widerstand des sozialdemokratischen Schutzbundes eingenommen.
Der Solidarische Ökonomie-Kongress findet von 20. - 22. Februar 2009 an der Universität für Bodenkultur (BOKU), Peter-Jordan-Straße 82, 1180 Wien, statt.
Stadterforschungstouren in Wien und darüber hinaus sollen zur Selbstaneignung von (Stadt-)Geschichte dienen, zur Entwicklung eines kritischen Blicks auf Stadt(-entwicklungen, -planungen) beitragen. Aus verschiedenen Gründen interessante Orte gibt es ja genug. Also: bei Interesse kommen, und wenn wer was über die jeweiligen Orte weiß einfach erzählen.
Kontakt: stadterforschung (at) gmx.at