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[ 30. Sep 2009 ]

Denkmal für Abgeschobene in Frankreich

Mauer Denkmal

Mutiger Bürgermeister von Billère erinnert mittels eines Mauer-Denkmals an Grundrechte - und wird juristisch von konservative Lokalpolitikern attackiert und von Rechtsextremen mit Mord bedroht

 

Am Donnerstag, 1. Oktober 2009 wird es Andrang wie selten geben vor dem Verwaltungsgericht im südwestfranzösischen Pau. An diesem Donnerstag kommt dort die Klage des Präfekten, Philippe Rey - der den französischen Zentralstaat im Verwaltungsbezirk Pyrénées-Atlantiques vertritt - gegen den Bürgermeister von Billère, Jean-Yves Lalanne, zur Verhandlung.

Billère ist ein Vorort von Pau, der grössten Stadt des Départements. Am 5. September dieses Jahres fand dort eine Veranstaltung statt, die alles andere als alltäglich ist: Im Beisein von 100 bis 200 Menschen weihte der Bürgermeister, Mitglied der Sozialistischen Partei, eine 'Mauer der Abgeschobenen/Ausgeschafften' ein. Auf der Wand im Zentrum des knapp 20.000 Einwohner zählenden Städtchens stehen, in bunten Farben und dicken Grobbuchstaben, Wörter wie 'Freiheit', 'Gleichheit', 'Brüderlichkeit' und 'Solidarität', aber auch - als Gegenbegriffe - 'Willkür' und 'Ausschaffung'. Auch 'Humanismus', 'Kinder' sowie 'Aufnahmeland' sind zu lesen. Dazwischen stehen Bildsymbole: Flugzeuge sind zu sehen, und das Hexagon – eine geometrische Figur in den Umrissen Frankreichs - , aus dem zahlreiche Pfeile ähnlich wie Stacheln nach auben zeigen. Auf einer Tafel stehen die Namen von 15 Personen: Kindern, die bis vor einiger Zeit zusammen mit ihren Eltern im Bezirk 'Atlantik-Pyrenäen' lebten. Kindern von Eltern, die zwangsweise ausgeschafft worden sind.

Es gehe ihm darum, 'gegen das Vergessen zu kämpfen', erklärt der SP-Bürgermeister Jean-Yves Lalanne dazu, und 'an diese Kinder und an ihre Familien zu erinneren'. Manchmal, meint Lalanne, müsse man – etwa auf kommunaler Ebene - handeln, 'um unsere Schande auszuwischen, dass eine Regierung diese (Ausschaffungs-)Politik im Namen der Republik durchführt'. Dies sei 'ein Gebot des Humanismus, man könnte beinahe sagen, der christlichen Nächstenliebe'.

Die Wand in Billère, deren Namen dem des mur des fédérés – der Mauer der Repressionsopfer (Erschossenen) aus der Commune de Paris, am Pariser Père Lachaise-Friedhof - nachempfunden ist bislang einzigartig in ihrer Konzeption. Aber andere französische Kommunen wollen ihrem Beispiel folgen, um ein Zeichen gegen Ausschaffungen und eine repressive Ausländerpolitik zu setzen. Die Bürgermeisterin der Bezirkshauptstadt Pau und Abgeordnete im französischen Parlament, Martine Lignières-Cassou, unterstützt das Vorhaben und sprach auch auf der Kundgebung zur Einweihung der Mauer. Eine kleinere Kommune im Südwersten Frankreich, Bernadets, möchte das Beispiel von Billière in Bälde nachahmen.

Die Rechtsopposition in Billière schäumt hingegen und bezeichnet die Aktion des Bürgermeisters, die auch von allen Kommunalparlamentariern der linken Rathausmehrheit unterstützt wird, als 'illegal' und als 'politische Agitation unter dem Deckmantel der Kommunalpolitik'. Es dürfe nicht der öffentliche Eindruck erweckt werden, dass ihre Stadt 'eine Kommune von Aufgebrachten (agités) sei'. Der Präfekt – der die Regierung repräsentiert und eine Rechtsaufsicht über die Kommunalpolitik führt - seinerseits erstattete Klage vor den Verwaltungsrichtern: Er sei nicht zuvor über die Entscheidung informiert worden und auch die UMP-Opposition sei nicht zuvor eingeschaltet worden, deswegen sei der Beschluss 'illegal' – ferner liege er 'nicht im kommunalen Interesse'. Der Präfekt klagt im Eilverfahren auf den Erlass einer Einstweiligen Verfügung zum Abriss oder Einmotten des Denkmals. Der Bürgermeister und sein Anwalt, Jean-François Blanco - Vorsitzender der örtlichen Anwaltskammer -, sind jedoch im Augenblick zuversichtlich, dass er nicht damit durchkommt. Jedenfalls nicht im Eilverfahren, das nur dann stattfinden kann, wenn es keinen Zweifel an der Unrechtmäbigkeit eines attackierten Verwaltungsbeschlusses gibt und es keine Debatte darum braucht. Der Richter kann sich in diesem Falle als unzuständig erklären, da das Eilverfahren nicht statthaft und eine Sachdebatte vonnöten sei. Sofern der Richter ihm folgt, wird das Denkmal wohl noch mindestens ein Jahr ungehindert stehen können, bevor es zur Hauptverhandlung kommt.

Aber nicht nur der Präfekt und konservative Lokalpolitiker schäumen. Seitens der extremen Rechten wird der Bürgermeister inzwischen zur Zielscheibe von unverhohlenen Morddrohungen. Auf der rassistischen Webseite Fdesouche - Abkürzung für français de souche, also 'Abstammungsfranzose' - wurde etwa gefordert, 'den Bürgermeister gegen diese Wand zu stellen und (daran/dort) zu erschiessen'. Der Rathauschef und sein Anwalt haben deswegen inzwischen Strafanzeige erstattet. Auch eine antirassistische NGO aus Paris wird deswegen ihrerseits ein Strafverfahren einleiten.

Am Tag der Einweihung störten 15 Aktivisten des rechtsextremen Bloc identitaire die Feier. Sie riefen 'Schande, Schande' und bezeichneten das Denkmal als 'Schandmauer' - wodurch sie sprachlich eine Parallele zu einer verbreiteten Bezeichnung für die Berliner Mauer von vor 1989 zogen. Aus den Kreisen der 'Identitären' und anderen extremen Rechten wird Lalanne vorgeworfen, 'Illegalität durch Verschwendung von Steuergeldern zu fördern'. Die 'identitären' Nationalisten gehören einer aktivistischen neofaschistischen Gruppierung mit hoher Gewaltbereitschaft an. Dass es zu einer Schlägerei zwischen ihnen und den anwesenden Gästen der Einweihungsfeier kam, verhinderte die Polizei, die beide Seiten rasch trennte. Auf der Homepage des rechtsextremen Nachrichtendiensts Novopress behaupten die Aktivisten, anwesende Kommunalparlamentarier der UMP-Rechtsopposition seien im Anschluss zu ihnen gekommen und hätten sich bei ihnen bedankt.
Am 17. und 18. Oktober halten die 'Identitären' eine europaweite Veranstaltung im südfranzösischen Orange. Dort mit von der Partie ist auch Dominique Baettig, Schweizer Bundesrat aus dem Kanton Jura, der die SVP vertritt.

Ungekürzte Fassung eines Beitrags, der am Donnerstag (o1. Oktober) in leicht überarbeiteter Artikelform in der ,Wochenzeitung' (WoZ), Zürich, erschien.

Zur Terminologie: Der schweizerdeutsche Terminus ,Ausschaffung' ist identisch mit dem deutschen bzw. österreichischen Rechtsbegriff ,Abschiebung'.