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[ 22. Feb 2001 ]

Rassistische Menschenvermessungen

Sag mir nur wie alt du bist, ich glaub dir doch nicht!
Viele afrikanische Jugendliche sitzen zur Zeit in Erwachsenenstrafhaft in OEsterreichischen Gefaengnissen. Ihre Haftstrafen sind doppelt so hoch, als wenn sie nach Jugendstrafrecht verurteilt worden waeren. Warum? Die Justiz glaubt ihnen nicht. Die Asylbehoerden glauben ihnen nicht. Die Polizei glaubt ihnen nicht.

 

Sofern AsylwerberInnen und MigrantInnen ihre Angaben nicht mit Dokumenten belegen koennen, wird ihren Aussagen nicht geglaubt, und auch dann wird die Echtheit der Dokumente in Frage gestellt. Im Zuge der Operation Spring und folgender grossangelegter rassistisch motivierter Razzien wurden zahlreiche AfrikanerInnen verhaftet, die Zahl geht in die Hunderte, wovon die meisten davon noch immer in Haft sind und viele auch noch jahrelang bleiben werden muessen. Viele von ihnen waren zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen angeblichen strafbaren Handlungen minderjaehrig. Bis zum Mai 1999 wurde von den Gerichten zur Altersbestimmung der Beschuldigten Johann Szilvassy zur Erstellung von Gutachten zugezogen. Szilvassy war seit Jahren bekannt und kritisiert als Initiator des "Rassensaals" im Naturhistorischen Museum und als Autor der rechtsextremen Zeitschrift Aula. Nun fuehrte er an AfrikanerInnen Vermessungen durch, er vermass neben Wachstumsfugen Scham- und Achselhaare, Penis- und Hodengroesse, Nasen und Ohren und Zaehne. Er stellte fest, dass die meisten (oder alle?) Beschuldigten nicht minderjaehrig waeren. Uns ist im Detail nicht bekannt, an wievielen er seine rassistischen Praktiken ausuebte, laut einer Aussage Szilvassys bei einem Prozess im LG1 am 19. September 2000 hat er in den letzten Jahren ueber 300 Gutachten bei Drogendelikten erstellt. Einige Namen sind uns bekannt. Nach wachsender Kritik von seiten der Öffentlichkeit und einiger Anwaelte wurde Szilvassy anfangs gedeckt von Oberstaatsanwalt Eisenmenger, der selbst Mitglied einer schlagenden Burschenschaft ist. Im Mai 2000 ging Szilvassy dann in Pension. Seine Methoden waren fuer die buergerliche OEffentlichkeit zu offensichtlich rassistisch. Die Verfahren allerdings gegen die betroffenen Jugendlichen wurden nicht noch einmal aufgerollt. Warum auch, ihre Verurteilung ist Teil der rassistischen Praxis der Staatsgewalt gegen Menschen, die ueber keine oesterreichischen Papiere verfuegen. Migrantinnen und AsylwerberInnen werden kriminalisiert, es wird ihnen das recht abgesprochen, frei darueber zu entscheiden, wo und wie sie leben wollen.

In den Prozessen gegen die jugendlichen AfrikanerInnen zeigt sich deutlich die Empoerung von seiten des Gerichts darueber, dass sich diese Menschen anmassen, nach OEsterreich in eines der reichsten Laender der Welt zukommen um hier zu leben und Geld zu verdienen. In den Drogenprozessen selbst wird in zynischer Art und Weise von Staatsanwaltschaft und Richtern darauf hingewiesen, dass viele der AfrikanerInnen nur hierher kaemen um sich zu bereichern. Und das angesichts einer imperialistischen Ausbeutung von Trikontlaendern, der Beherrschung internationaler Maerkte durch westliches Kapital, des Exports von Kriegen und Hunger, der Erpressung und Manipulation von Regierungen von sogenannten Trikont-Laendern. Menschen, die um politisches Asyl ansuchen, wird ihre Verfolgung nicht geglaubt, sie werden abgeschoben in Laender, wo ihnen Gefaengnis, Folter und Tod droht. Nicht selten wird ihnen unterstellt, sie kaemen, um Geld zu machen, dass sie ihre Namen faelschen, ihre Geburts- und sonstigen Daten.

Die Festung Europa macht ihre Grenzen dicht, niemand hat das recht, selbst zu entscheiden, wie und wo er oder sie leben moechte. Einerseits werden "westliche Werte" propagiert als anstrebenswerte - Menschenrechte, die heilige Demokratie u.s.w., worum es geht, ist der Schutz der westlichen "Werte" - Reichtum fuer die einen, Hunger und Krieg fuer die anderen. Und wenn jemand herkommt, um am angeblichen Reichtum teilzuhaben? Ist das kein legitimer Grund, um dorthin zugehen, wohin die "Werte" fliessen, um selbst in den Genuss dieser "Werte" zu kommen? Kapitaltransfer von Sued nach Nord ist o.k., Produktion in Niedriglohnlaendern, Ausbeutung von Menschen, natuerlichen Ressourcen ebenso, aber persoenliche "Bereicherung" in Schengenland ist kriminell? Wobei diese angebliche Bereicherung, die den Menschen vorgeworfen wird, wie wir gesehen haben vor Gericht, sich in Groessenordnungen von ein paar tausend Schilling bewegt. Die Menschen werden nicht nur wegen angeblicher Drogendeals kriminalisiert, sondern auch dafuer, dass sie arbeiten, obwohl sie das als AsylwerberInnen nicht duerfen, dass sie Geld von der Bundesbetreuung beziehen oder etwa der Caritas - dabei geht es um Summen bis hoechsten mal 2000,- Schilling - und versuchen, nebenher noch dazu zu verdienen. Fuer afrikanische AsylwerberInnen ist es gefaehrlich, mehr als ein paar hundert Schilling in der Tasche zu haben, alles darueber hinaus wird sofort als Drogengeld eingestuft, vor Gericht als Indiz fuer Drogenhandel verwendet und letztendlich einbehalten.

Sollte jemand versuchen, mit einer neuen Identitaet nach Schengenland zu kommen, so ist das zu sehen als Akt der Notwehr und Reaktion auf eine exklusive Politik des Ausschlusses der Mehrheit der Menschen von Ressourcen. Diese Politik hat bis jetzt schon tausende Todesopfer gefordert, Ertrunkene, Erfrorene, Erstickte, Erschossene. Die, die es schaffen, nach Schengenland zu kommen, werden illegalisiert, kriminalisiert. Elend, Haft - Schubhaft - Strafe fuer Anwesenheit, Hetze gegen sie sind alltaeglich. Die, die in dieser Situation zu sogenannten illegalen Mitteln greifen, um UEberleben zu koennen, wie Schwarzarbeit, wie der Verkauf von kleinsten Mengen von Drogen, dienen dazu, ihre Kriminalisierung weiterzutreiben und gleichzeitig immer restriktivere UEberwachungs- und Kontrollmassnahmen und den Ausbau der staatlichen Repressionsapparate. Der grosse Profit dieser Geschaefte geht an die gleiche Klasse, die ihre Richter stellt, genauso wie die "legalen" Profite etwa von Personalleasingfirmen, Pharmaindustrie und Alkoholsteuer. Hier werden rassistische Konstrukte von organisierter Kriminalitaet aufgebaut, um abzulenken davon, dass die groesste organisierte Kriminalitaet die ist, die ganz legal ganze Bevoelkerungsgruppen, Klassen, Frauen und BewohnerInnen des Trikonts
ausbeutet zum eigenen Gewinn. In diesem Sinne urteilen die Richter ueber das Alter der Beschuldigten. Der Praesident des Wiener Jugendgerichts Udo Jesionek berief im Maerz 2000 eine Konferenz von Fachleuten ein, die zu dem Schluss kam, dass es heute keine wissenschaftlich anerkannte Moeglichkeit zur Altersfeststellung gibt.

In dem Prozess gegen acht junge Afrikaner, die bei einer Razzia in dem Gesellenheim Zohmanngasse gefangengenommen wurden, erschienen diese Experten daher auch nicht vor Gericht. Also: Alter ist nicht feststellbar, aber die Kompetenz fuer die Einschaetzung des Alters der Beschuldigten liegt in diesem Falle im Ermessensbereich der Richter. Das heisst noch einmal ganz deutlich:
wenn der Richter glaubt, die Beschuldigten sind aelter als 19, dann sind sie nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen. Ihre eigenen Angaben sind irrelevant. Richter Gerstberger befand im Prozess gegen die Gefangenen der Zohmanngasse, dass nur zwei der acht angeklagten jungen Afrikaner nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen sind. Die Grundlagen fuer diese Alterseinschaetzung sind rassistische Willkuer. Seit dem Sommer 2000 wird in einigen Faellen als Gutachter der Innsbrucker Anatom Othmar Gaber als Gutachter beigezogen. Er erstellt unter anderem Altersbestimmungen von Leichen aus archaeologischen Ausgrabungen, ausserdem berechnete er das Alter von OEtzi. Bei einigen Verhandlungen wurden die Gefangenen auf Grund seiner Gutachten ans Jugendgericht ueberstellt. Laut seiner Expertise war in diesen Faellen die Moeglichkeit gegeben, dass die Jugendlichen tatsaechlich so alt waren, wie sie sagten.

Viele afrikanische Jugendliche sitzen zur Zeit noch immer in Erwachsenenstrafhaft in OEsterreichischen Gefaengnissen. Ihre Haftstrafen sind doppelt so hoch, als wenn sie nach Jugendstrafrecht verurteilt worden waeren. Warum? Die Justiz glaubt ihnen nicht. Die Asylbehoerden glauben ihnen nicht. Die Polizei glaubt ihnen nicht. Sofern AsylwerberInnen und MigrantInnen ihre Angaben nicht mit Dokumenten belegen koennen, wird ihren Aussagen nicht geglaubt, und selbst dann wird die Echtheit der Dokumente in Frage gestellt. Die Folge: jahrelange Strafhaft und dann Abschiebung fuer Jugendliche.

Wir fordern:
Sofortige Freilassung der Gefangenen der rassistischen Klassenjustiz!
Freiheit fuer alle Gefangenen der Operation Spring und anderer Razzien
Keine weiteren Hetzrazzien und Massenverhaftungen von AfrikanerInnen,
ueberhaupt nicht und nicht zu Wahlkampfzwecken!
Sofortige Abschaffung von Schubhaft und restriktiven
Zuwanderungsbestimmungen, Einreise-, Niederlassungs- und
Arbeitsfreiheit fuer alle, stoppt Abschiebungen und Illegalisierung.
Oder zumindest einmal:
Sofortige Wiederaufnahme saemtlicher Prozesse gegen jugendliche
AfrikanerInnen, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurden und werden, positive Erledigung ihrer Asylantraege
Fragen zum weiter Recherchieren:
Wieviele jugendliche Afrikaner sind tatsaechlich betroffen?
Wie viele wurden allein auf Grund von Szilvassy-Gutachten nach
Erwachsenenstrafrecht verurteilt?
Wie viele rassistische Gutachter und Altnazis sind noch immer an
oesterreichischen Gerichten taetig (siehe Spitzelaffaere)?
Wer und wo sind die Verantwortlichen, gab es irgendwelche Konsequenzen
fuer Zustaendige und Mitwisser an den Gerichten?
Wie schaut es aus mit Entschaedigungen, Schmerzensgeldern,
Ausbildungsmoeglichkeiten fuer die Betroffenen, wer uebernimmt die
Verantwortung fuer die Zerstoerung von Existenzen?
Wir ersuchen Institutionen, JournalistInnen, PolitikerInnen,
engagierte Frauen und Maenner um weiterfuehrende Aktivitaeten
bezueglich der inhaftierten jugendlichen AfrikanerInnen.