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[ 16. May 2013 ]

Mund zugenäht

Aus Protest gegen die Lebensbedingungen und Schikane der Heimleitung in einem Asylwerberheim in Kärnten hat sich ein Flüchtling den Mund zugenäht. Die Polizei reagiert mit Gewalt - die Asylwerber_innen erwägen einen Hungerstreik.

 

Klagenfurt - In Stein im Kärntner Jauntal werden alljährlich Striezel von der Kirchenveranda unters wartende Volk geworfen, um an die Armenausspeisung der seligen Hildegard von Stein zu erinnern.

Für Asylwerber im Asylheim Felsenkeller in Alt-Stein dagegen muss oftmals ein Teller Bohnen mit zwei Stück Brot oder ein Teller Makkaroni mit einem Hauch Ketchup reichen. Im Winter friere man eingewickelt in Decken über den Schultern. Man werde von der Heimleitung schikaniert und gedemütigt, Deutschkurse gebe es nur unregelmäßig, sprudelt es aus den 16 Afghanen heraus, die sich beim STANDARD-Lokalaugenschein um Salem N. geschart haben.

Menschrenrecht auf Protest

Der junge Mann hatte sich vergangene Woche aus Protest den Mund zugenäht, um auf die Missstände in der Flüchtlingsunterkunft aufmerksam zu machen. Der unmittelbare Anlass, der das Fass wohl zum Überlaufen brachte: Salem N. war Donnerstag voriger Woche zu spät zum Abendessen gekommen, weil er in Klagenfurt unterwegs war.

"Nein, du kriegst nichts mehr", habe ihm die Heimbetreiberin beschieden. Nicht einmal eine Dose Bohnen, die er selbst bezahlen wollte. Salem legte sich mit hungrigem Bauch und blutenden Lippen ins Bett.

Erst Freitagabend habe die Betreiberin die Polizei gerufen. Die alarmierte das Rote Kreuz. "Sie haben Salem mit Gewalt ins Auto gezerrt" , erzählt Augenzeuge Ajmal A. Zwei Afghanen reißen Salems Arme hoch und zeigen auf blaue Flecken. "Es gibt auch für uns ein Menschenrecht auf Protest", meint Ajmal, der sich schon an das UNHCR gewandt hat.

In Psychiatrie gebracht

Salem N. wurde unter Polizeibegleitung in die Notfallambulanz des Klinikums Klagenfurt gebracht, wo man ihm die Nähte entfernen wollte. Weil er sich wehrte, kam er in die Psychiatrie. Dort sei er an Händen und Füßen gefesselt worden und habe eine Spritze bekommen. Was danach geschah, wisse er nicht mehr. Am Sonntag schließlich habe man ihn ohne Nähte in den Felsenkeller zurückgeschickt. Ein Dolmetscher sei im Spital nicht zur Verfügung gestanden. "Wenn wir weiter so behandelt werden, gehen wir in Hungerstreik", drohen die 16 Afghanen.

Keine Auskünfte

Heimbetreiberin Monika St. erklärt, sie dürfe keine Stellungnahme abgeben, und verweist auf das Flüchtlingsreferat. Dessen Leiterin ist trotz mehrmaliger Urgenz nicht erreichbar. Sie beherberge seit 20 Jahren Flüchtlinge, und nur mit diesem habe es Probleme gegeben, sagt Monika St. Er wolle unbedingt in ein Privatquartier nach Klagenfurt.

Bei der Polizeidienststelle Sankt Kanzian bestätigt man den Vorfall. Doch man dürfe laut Unterbringungsgesetz keine Auskünfte geben. Für Flüchtlingsreferent Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) ist klar: "Die Würde der Menschen steht im Vordergrund, egal woher sie kommen. Wenn es Missstände gibt, sind diese abzustellen."

(Elisabeth Steiner, DER STANDARD, 16.5.2013)

Quelle: :: Der Standard, 15.5.2013