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[ 19. Oct 2004 ]

Urteil im Prozess um den Abschiebungstod von Aamir Ageeb

Neun Monate auf Bewährung für BGS-Beamte, die Aamir Ageeb töteten. PRO ASYL in einer Presseerklärung: Strafmaß hinterlässt bitteren Beigeschmack.

 

Das Landgericht Frankfurt am Main hat am 28. Oktober 2004 sein Urteil im Verfahren um den Erstickungstod des sudanesischen Staatsangehörigen Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung am 28. Mai 1999 gesprochen. Die drei Bundesgrenzschutzbeamten, unter deren Händen Aamir Ageeb starb, wurden zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Das Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt am Main hat dazu beigetragen, dass geklärt werden konnte, was beim Bundesgrenzschutz in den 1990er Jahren an der Tagesordnung war: Die Durchsetzung von Abschiebungen mit lebensgefährlichen Zwangstechniken, ausgeführt von Beamten, die von der BGS-Spitze und vom Bundesinnenministerium im Unklaren darüber gelassen wurden, wo die Grenzen beim Einsatz unmittelbaren Zwanges genau liegen. BGS-Spitze und BMI schauten weitgehend untätig zu, wie im Grenzschutzalltag herumexperimentiert wurde. Die jetzt verurteilten Grenzschätzer standen am Ende einer Kette organisierter Verantwortungslosigkeit. Die hierfür in der BGS-Hierarchie und in der Politik Verantwortlichen wurden jedoch im Verfahren weder als Zeugen gehört, noch müssen sie künftig damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden. "Jahrelang haben die Verantwortlichen alles Notwendige unterlassen. Bestraft werden jetzt lediglich die, die in einer verantwortungslos strukturierten Organisation zu Tätern wurden. Das verletzt das Gerechtigkeitsgefühl", so Bernd Mesovic, Prozessbeobachter von PRO ASYL.

Die Zustände beim BGS, ursächlich für den zweiten Abschiebungstodesfall in einer Lufthansamaschine binnen weniger Jahre, Wären ein Fall für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gewesen. Allerdings hätte sich dieser bald nach dem Tattag konstituieren müssen. Das sich über Jahre hinziehende Ermittlungsverfahren, der lange Zeitraum bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung und das erst nach fünfeinhalb Jahren ergangene Urteil haben jedoch dazu beigetragen, dass eine effektive Aufklärung der politischen Verantwortlichkeit unterblieben ist. Der ehemalige Innenminister Manfred Kanther, verantwortlich dafür, dass die Lehren aus dem Fall Bankole (1994) jahrelang nicht gezogen wurden und der amtierende Bundesinnenminister Otto Schily, der nach Ageebs Tod endlich umfassende Weisungen einführte, können sich beruhigt zurücklehnen. Anders als die Österreichische Justiz im Verfahren um einen vergleichbaren Abschiebungstod (Marcus Omofuma, 1999) hat die Frankfurter Landgerichtskammer es bei einigen deutlichen Bemerkungen bewenden lassen, auf die Ladung der Minister jedoch verzichtet.

Dass ein zentrales Beweismittel beim BGS vernichtet worden ist (der Ordner, aus dem hätte hervorgehen müssen, ob die bei Abschiebungen eingesetzten Beamten tatsächlich dienstlich belehrt worden waren und die bis dahin geltenden dürftigen Vorschriften kannten), wurde vom Kammervorsitzenden mehrfach grimmig kommentiert. Ob dies eine ordnungsgemäße Bürokratische Aktenvernichtung oder ein möglicherweise interessegeleitetes Verschwinden lassen war, bleibt unaufgeklärt.

Die Landgerichtskammer hat zu Gunsten der "Prozessökonomie" auf die durch die lange Verfahrensdauer ohnehin mühselige Aufklärung teilweise verzichtet. Immerhin macht das Urteil deutlich, dass die Angeklagten für die Folgen ihres Handelns verantwortlich sind, mag ihre Ausbildung noch so schlecht und die auf sie einwirkende Erwartungshaltung noch so drückend gewesen sein.

Das von diesem Urteil ausgehende Signal ist ambivalent: Es macht deutlich, dass von Grenzschätzern und Polizisten in vergleichbaren Situationen ein Nein zur Anwendung exzessiver Gewalt zu verlangen ist. Das Strafmaß jedoch hinterlässt einen bitteren Beigeschmack: Es kann der Eindruck entstehen, wer als Amtsträger einen Menschen zu Tode bringt, könnte auch künftig damit rechnen, glimpflich davon zu kommen.

Wird das Urteil dazu beitragen, weitere Todesfälle bei Abschiebungen zu verhindern? Dies wird unter anderem von der Bereitschaft des Bundesgrenzschutzes und der Politik abhängen, die Lehren aus dem Verfahren zu ziehen und sich nicht damit zufrieden zu geben, dass Abschiebungen auf dem Luftweg inzwischen in einer umfangreichen Dienstanweisung geregelt sind. Deren Maxime "Keine Abschiebung um jeden Preis" legt die Frage an die Politik nahe: Welcher Preis darf es denn sein, wenn etwa traumatisierte Menschen unter ärztlicher Begleitung abgeschoben oder Familien bei der Abschiebung getrennt werden und sich dem widersetzen?

Eine der Konsequenzen, die verschiedene Europäische Staaten aus den Todesfällen bei Flugabschiebungen, deren Umstände einander sehr ähnlich waren, gezogen haben: Zunehmend werden Charterflieger - jetzt in europäischer Kooperation - eingesetzt. Abschiebungen erfolgen mitten in der Nacht oder von kleineren Flughäfen. Der Zweck der Methode: Wo keine Öffentlichkeit ist, gibt es keine neutralen Zeugen. Der erste Eurocharter- Abschiebungstote - eine Frage der Zeit?

Damit dies verhindert wird, fordern PRO ASYL und andere Nichtregierungsorganisationen, dass die Bundesregierung endlich das Fakultativprotokoll zur UN-Antifolterkonvention unterzeichnet. Damit würden unangekündigte und unabhängige Besuchsmechanismen in Gewahrsamszellen und anderen bislang unzugänglichen Bereichen möglich. Dies müsste selbstverständlich auch für Abschiebungscharterflüge gelten.

Dokumentation einer Presseaussendung der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL vom 18. Oktober 2004.