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Quellenangabe:
Marcus Omofuma ist kein Einzelfall (vom 02.03.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2839/, besucht am 19.04.2024

[02. Mar 2009]

Marcus Omofuma ist kein Einzelfall

Beitrag im Rahmen der Sendereihe auf Radio Orange anlässlich des 10. Todestages von Marcus Omofuma. In diesem Beitrag wird anhand ausgewählter Fälle die systematische Gewalt und der Rassismus der Polizei aufgezeigt.

Kein Vergeben, kein Vergessen.
Zehn Jahre nach dem Tod von Marcus Omofuma


Am 1. Mai 1999 startete eine Maschine der Balkan Air vom Flughafen Wien Schwechat. Ein Passagier war gegen seinen Willen an Bord. Er sollte von drei Fremdenpolizisten nach Nigeria abgeschoben werden. Doch bereits bei der Zwischenlandung in Sofia war er tot. Die Beamten hatten ihn dermaßen geknebelt und mit Klebeband und anderen Hilfsmitteln am Sitz fest gezerrt, dass er erstickte. Die Peininger von :: Marcus Omofuma sind ohne Konsequenzen davon gekommen. Doch seine Schreie des Widerstandes gegen Abschiebungen konnten nicht erstickt werden. Marcus Omofuma kämpfte bis zuletzt um sein Leben und seine Freiheit.


Marcus Omofumas ist kein Einzelfall


Der Tod von Marcus Omofumas ist kein Einzelfall. Bei Polizeieinsätzen, im Polizeigewahrsahm und im Zuge von gewaltsam durchgeführten Abschiebungen kommt es immer wieder zu Toten. Die Behörden bemühen sich um Beschwichtigung. Sogenannte Zwischenfälle sollen vermieden werden. Doch nicht immer gelingt es, die Vorkommnisse zu verheimlichen. Von Zeit zu Zeit dringen Informationen über schwere Misshandlungen an die Öffentlichkeit. Doch diese stellen nur die Spitze eines Einsberges dar.

Gerechtfertigt wird das brutale Vorgehen der Beamten durch rassistischen Zuschreibungen. In den folgenden Minuten wird anhand einiger ausgewählter Beispiele aufgezeigt, dass bei der Umsetzung der Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik Tote bewusst in Kauf genommen werden.

Wir stellen die Frage: Kann das Versperren der Atemwege zum Erstickungstod führen? Bei der Polizei dürfte sich diese Tatsache noch nicht herumgesprochen haben. Spätestens seit dem Erstickungstod von Semira Adamu sollte den Beamten klar sein, wohin derartige Gewaltanwenungen führen.


Semira Adamu


Erinnert sei hier an die Ereignisse vom 22. September 1998 an Bord eines Flugzeugs der belgischen Fluglinie Sabena in Brüssel: Bereits zum sechsten mal versuchten die belgischen Behörden die nigerianische Staatsbürgerin :: Semira Adamu abzuschieben. Elf Gendarme hatten die mit Plastikhandschellen gefesselte Frau gewaltsam in ein Flugzeug verfrachtet. Als sie schrie und sich wehrte, drückten ihr zwei Beamte ein Kissen ins Gesicht. Semira Adamu fiel ins Koma und starb am selben Abend. In der Folge kam es zu massiven Protesten und der belgische Innenminister musste zurück treten.

Der Vorfall erregte internationale Aufmerksamkeit und war auch der Fremdenpolizei in Österreich bekannt. Spätestens nach dem Tod von Semira Adamu hätte es zu einer Änderung der Abschiebepraxis kommen müssen.

Beim Prozess gegen die drei Fremdenpolizisten, die Marcus Omofuma töteten, stellte sich heraus, dass die Beamten auf die Gefahren des Mundverklebens aufmerksam gemacht wurden. Doch die einzige Reaktion war die Anweisung, Verklebungen nicht mehr zu protokollieren.


Ahmed F.


Am 19. Februar 1999 fand eine sogenannte Drogenkontrolle in Wien Favoriten statt. :: Ahmed F. wured als Dealer verdächtigt - und starb bei seiner Verhaftung. Als offizielle Todesursache wurde angegeben, dass eine Drogenkugel in seiner Luftröhre stecken blieb. Haben die Polizisten seinen Hals zugedrückt, um zu verhindern, dass er diese schluckt? Bis heute ist der Tathergang ungeklärt. Laut Aussagen von Zeug_innen wurde Ahmed F. im Zuge der Amtshandlung 20 Minuten lang von den Beamten verprügelt.


Richard Ibekwe


:: Richard Ibekwe wurde im Rahmen einer Razzia am 29. April 2000 wegen Verdacht des Drogenhandels verhaftet und im Jugendgefängnis Rüdengasse inhaftiert. Laut Berichten von Augenzeug_innen wurde er bei der Festnahme von der Polizei schwer misshandelt. Er stand unter Verdacht, Drogenkügelchen verschluckt zu haben. Der Verhaftete befand sich trotz des gesundheitlichen Risikos nicht unter ärztlicher Aufsicht. Laut offiziellen Angaben starb Richard Ibekwe nach vier Tage in Haft in den Morgenstunden des 3. Mai 2000 an einer Opiatenvergiftung.

Im Mai 2000 wurden drei weitere Todesfälle im Gewahrsam der Behörden bekannt. Am 12. Mai starb ein weiterer des Suchtgifthandels Verdächtigter in Polizeikommissariat Wien-Landstraße. Am 17. Mai ist ein Flüchtlingskind wegen vorenthaltener medizinischer Hilfe gestorben. Und am 19. Mai erschoss ein Beamter Imre Bartos im Zuge einer Polizeikontrolle mit seiner Privatwaffe.


Samson Chukwu


Am 1. Mai 2001 fesselten schweizer Polizisten den nigerischen Staatsbürger :: Samson Chukwu in einer Weise, vor der in der entsprechenden Fachliteratur gewarnt wird. Zur Vorbereitung einer Ausschaffung wurde er auf den Boden gedrückt. Zwei Beamte drehte ihm die Arme auf den Rücken und legten ihm Handschellen an. Es ist anzunehmen, dass Samson Chukwu zu diesem Zeitpunkt bäuchlings auf der Pritsche oder am Boden lag. Eine Stunde später stellte ein Arzt den Tod von Samson Chukwu fest. Er ist erstickt.

Die zur Ausschaffung gecharterte Maschine hob um 7 Uhr vom Flughafen Zürich ab. Statt der geplanten drei wurden an diesem Morgen nur zwei Menschen nach Nigeria abgeschoben.


Seibane Wague


In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2003 starb :: Seibane Wague im Wiener Stadtpark an den Folgen eines Polizei- und Rettungseinsatzes.

Nach einem Streit mit seinem Chef wurde er von mehreren Polizist_innen und Sanitätern niedergerungen, geschlagen und mit dem Bauch nach unten am boden fixiert. Minutenlang standen insgesamt acht einsatzkräfte auf Seibane Wagues Körper, wobei der Notarzt tatenlos zusah. Später im Krankenhaus konnte nur mehr der Tod des in Mauretanien geborenen Physikers festgestellt werden.

Zwei Jahre nach dem Tod von seibane Wague standen zehn Personen wegen fahrlässiger Tötung unter gefährlichen Verhältnissen vor Gericht. Der Notarzt und ein Polizeibeamter wurden zu jeweils 7 Monate bedingter Haft verurteilt. In 2. Instanz wurde das Urteil auf vier Monate reduziert. Die anderen Angeklagten wurden freigesprochen.


Laye Alama Condé


Am 27. Dezember 2004 wurde :: Laye Alama Condé in Bremen festgenommen. Rassistischen Stereotypen entsprechend unterstellte die Polizei dem Festgenommenen, er sei ein Drogendealer und hätte Kügelchen verschluckt. Danach wurde der Aufgegriffene folgeder Tortur unterzogen: Als der Igor V., Auftragsarzt der Polizei, Laya Alama Condé über einen Zeitraum von mindestens 90 Minuten den Brechsirup Ipecacuanha und literweise Wasser per Schlauch in den Magen pumpte, geriet Wasser in die Lunge. Der 35-jährige Condé fiel ins Koma und wurde am 7. Jänner 2005 offiziell für Tod erklärt.

Im April 2007 begann am Landgericht Bremen die Verhandlung gegen den Polizeiarzt wegen fahrlässiger Tötung. Der Prozess endetete am 04. Dezember 2008 mit einem Freispruch durch das Bremer Landgericht.


Oury Jalloh


Oury Jalloh - das war Mord! Mit diesem Spruch wurde in den vergangen Jahren die Aufklärung des Todes von :: Oury Jalloh gefordert.

Dieser verbrannte am 7. Jänner 2005 in einer Polizeizelle in Dessau. Er war an Händen und Füßen gefesselt - und soll sich selbst mit einem Feuerzeug in Brand gesetzt haben! Im Gerichtsprozess gegen mutmaßliche Täter wurde diese Theorie nicht hinterfragt. Das Gericht konzentrierte sich auf Nebensächlichkeiten. So hat die Staatsanwaltschaft einem Angeklagten vorgeworfen, bei der Durchsuchung ein Feuerzeug übersehen zu haben.

Andreas S. und Herr Hans-Ulrich M., die einzigen angeklagten Polizisten, wurden im Prozess zum Tod Oury Jallohs am 8. Dezember 2008 freigesprochen. Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben beim Bundesgerichtshof (BGH) Revision des Urteils beantragt.

Seit seinem Tod wird der Forderung nach Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung nur auf zynischste Weise begegnet, und zwar mit Vertuschung, Ungerechtigkeit und Straflosigkeit.

Am 4. Todestag von Oury Jalloh fand wie in den Jahren zuvor eine Demonstration in Erinnerung an die Opfer rassistischer Polizeigewalt statt.


Osamuyia Aikpitanhi


Am 9. Juni 2007 wurde :: Osamuyia Aikpitanhi im Alter von 23 Jahren von spanischen Polizisten in Zuge einer gewaltsamen Deportation umgebracht. Er wurde geschlagen, an Händen und Füßen gefesselt und geknebelt - mit einem Tuch im Mund und Klebeband um seinen Kopf. Osamuyia Aikpitanhi ist erstickt!

Die Umstände der Tötung und die Reaktion der Behörden erinnern an den Tod von Marcus Omofuma. In Medien werden Tote bei Abschiebung meist als Gewalttäter_innen dargestellt. Mit dem Argument, es handle sich um Verbrecher_innen, wird die Anwendung von sogenannter Zwangsgewalt legitimiert. Eine Täter_innen-Opfer-Umkehr fndet statt.

Als Beispiel nennen wir eine Aussage eines jener Fremdenpolizsten, die Marcus Omofuma umbrachten. Obwohl er die Akten kannte und wusste, dass Marcus Omofuma nie verurteilt wurde, rechtfertigte er sich gegenüber aufgebrachten Passagier_innen, dass es sich um einen Drogendealer handle. Als ob ihm das das Recht gäbe, einen Menschen zu misshandeln.


Mike B.


Einer der aktuellesten Fälle rassistisch motivierter Übergriffe seitens der Exekutive in Wien ist die Prügelattacke auf :: Mike B. Der Afro-Amerikaner wurde von zwei Männern in zivil ohne Vorwarnung krankenhausreif geschlagen. Erst nach mehrfacher Aufforderung wiesen sich die Schläger als Polizisten aus. Als Rechtfertigung griffen sie auf rassistische Zuschreibungen zurück: Sie hätten ihn mit einem Drogendealer verwechselt. - Als ob dies einen Unterschied machen würde.


Misshandlungen mit System


Angesichts der genannten Beispiele kann resümiert werden, dass rassistisch motivierte Misshandlungen im Zuge von Polizeieinsätzen auf der Tagesordnung stehen. Von "Fehlverhalten" einzelner Beamter zu sprechen, ist eine Verharmlosung systematischer Gewalt. Es ist die Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, die eine Durchführung von Deportationen mit entsprechender Gewalt verlangt. Den Handlanger_innen in Uniform bleibt zur Exekution dieser ein großer Spielraum, den sie bereitwillig nutzen. Mitgedacht muss dabei werden,Misshanldungen mit System dass Personen in Polizeigewahrsam über keinerlei Rechtsschutz verfügen - vor allem dann, wenn ihnen das Aufenthaltsrecht entzogen wird. Ihre Existenz auf europäischen Territorium wird mit rassistischen Argumenten in Frage gestellt.

Es ist nicht davon auszugehen, dass eine "Reform" bei der Durchführung von Polizeirazzien oder "aufenthaltsbeendenden Maßnahmen" zu einer grundlegenden Veränderung führen wird. Somit droht weiterhin all jenen zwangsweise Abschiebung, die nicht dem permanenten Druck nachgeben und sich weigern, das Land zu verlassen. Und dafür stellen die verantwortlichen Politiker_innen entsprechende Gesetze, eine umfangreiche Infrastruktur und scheinbar unerschöpfliche Geldmittel zur Verfügung. Denn es sind Hunderttausende, die Jahr für Jahr aus der EU entfernt werden. Gewalt, Misshandlungen und Folter sind dabei nicht die Ausnahme, sondern die Regel.