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[ 01. May 2001 ]

Samson Chukwu - ein weiteres Opfer der tödlichen Abschiebepolitik, 1.5.2001, Schweiz

Samson Chukwu

Samson Chukwu, der zweite Mann, der in der Schweiz bei der Ausschaffung gestorben ist, erstickte jämmerlich. Der Autopsiebericht bestätigt: Die Polizeibeamten haben zur Fesselung des Nigerianers eine Methode angewandt, die lebensgefährlich ist und vor deren Anwendung in der Fachliteratur gewarnt wird.

 

Zürich, 26.7.2001

Das Resultat der Autopsie des bei einer versuchten Ausschaffung am 1. Mai 2001 in Granges bei Sion verstorbenen Nigerianers Samson Chukwu hinterlässt keine Zweifel: Die Polizeibeamten haben zur Fesselung des Nigerianers eine Methode angewandt, die bekanntermassen lebensgefährlich ist, und vor deren Anwendung in der entsprechenden Fachliteratur gewarnt wird. Die erzwungene Bauchlage mit auf den Rücken gefesselten Händen und dem Gewicht, das gleichzeitig auf den Rücken des Gefesselten gedrückt wurde, hat die notwendige Atmung verhindert. Dies führte zum Erstickungstod von Samson Chukwu.

Wir stellen fest:

augenauf hat im Pressecommunique vom 9. Mai genau diesen Sachverhalt als wahrscheinlichste Todesursache von Samson Chukwu dargestellt. Die Behörden stellten diesen Todesfall vorgängig als völlig unerklärlich dar, rätselten über Geburtsschäden und Herzfehler. Gleichzeitig wurde das Opfer als Drogendealer verunglimpft, obwohl keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt.

Obwohl es sich schon um den zweiten Todesfall während einer Ausschaffung aus der Schweiz handelt, sind die Behörden nicht bereit, sofort Massnahmen zur Verhinderung weiterer Todesfälle vorzunehmen. Begründet wird dies mit nicht abgeschlossenen juristischen Untersuchungen und Verfahren sowie mit Zuständigkeitsfragen zwischen dem Bund und den Kantonen. Mit einer Umsetzung der Empfehlungen von Amnesty International betreffend Zwangsmassnahmen bei Ausschaffungen kann, falls überhaupt, im Herbst 2002 gerechnet werden.

Jede weitere angeordnete Zwangsausschaffung entspricht in der jetzigen Situation einer Aufforderung zur Gefährdung des Lebens sowie einer Verletzung der Sorgfaltspflicht.

Wir fordern:

- Die offizielle übernahme der Verantwortung am Tod der beiden Ausschaffungshäftlinge Khaled Abuzarifa und Samson Chukwu durch die entsprechenden Behörden. Insbesondere sind dies
- die Vorsteherin des EJPD, Bundesrätin Ruth Metzler,
- der präsident der KKJPD (Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren), Regierungsrat Rolf Ritschard,
- die PolizeidirektorInnen der Kantone Bern und Wallis.
- Ohne Verschleppung durch Verweis auf laufende Untersuchungen sind sämtliche Zwangsausschaffungen sofort zu sistieren. Eine Umsetzung der Empfehlungen von Amnesty International ist ohne Verzug in die Wege zu leiten.
- Die Anwälte der Familien der Todesopfer sollen kontaktiert werden, um sofort und unBürokratisch Schadenersatz und Genugtuung zu leisten. Eine offizielle Entschuldigung würde minimalen Anstandspflichten entsprechen.

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Asphyxia of the Nigerian deportee Samson Chukwu:
augenauf demands immediate stop of forcible deportations

The result of the autopsy of the Nigerian Samson Chukwu, who died during the procedure of a forcible deportation on 1st Mai 2001 in Granges near Sion does not leave any doubt:
The police officers have applied a method for handcuffing the Nigerian, which is well-known for being possibly lethal, and of whose application is warned in the appropriate literature. Forcing the victim to ly on the stomach with the hands cuffed behind the back, including a police officer to press on the thorax, prevented the necessary respiration. This led to the asphyxia of Samson Chukwu.

augenauf states:
The press communique of 9 May by augenauf described exactly this circumstance as the most probable cause of death of Samson Chukwu.
Before, the authorities represented this death as completely unexplainable, suspected congenital or cardiac defects. At the same time the victim was libelled as drug dealer, although he is not legally convicted.

Even though this is already the second fatality as result of a deportation from Switzerland, the authorities are not ready to take immediate measures to prevent from further fatalities. This negligence is justified with open legal investigations and procedures, as well as questions of authority between federal and cantonal levels.
There is no indication that the recommendations of Amnesty International concerning coercive measures during deportations will be followed before autumn 2002.

Each further forcible deportation corresponds to commanding engdangerment of life, as well as a violation of the duty to due diligence.

We demand:
- The appropriate authorities to assume responsibility for the death of the two deportees Khaled Abuzarifa and Samson Chukwu, in particular
- the head of the Federal Department for Justice and Police, Minister Ruth Metzler,
- the president of the conference of the cantonal heads of the
departments of Police and Justice (KKJPD)
- the heads of the police departments in the cantons Berne and Valais
- to immediately stop all forcible deportations without delaying due to open investigations.
- To take appropriate steps to follow the recommendations of Amnesty International without delay.
- To contact the respective lawyers representing the families of the
victims in order to pay damages immediately and unbureaucratically, and last but not least to apologize.

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Samson Chukwu: augenauf verlangt Stopp von Zwangsausschaffungen

Mit Empörung hat die Menschenrechtsguppe augenauf vom Tod des
Ausschaffungsgefangenen Samson Chukwu im Wallis Kenntnis genommen. Ohne dem Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung vorgreifen zu wollen, kann heute schon festgehalten werden: Samson Chukwu starb, weil die Behörden von Bund und Kantonen sich auch zwei Jahre nach der Tötung von Khaled Abuzarifa weigern, die mörderischen Ausschaffungsmethoden zu überprüfen.

Zum Sachverhalt

Am Morgen des 1. Mai um 2 Uhr sTürmten zwei Beamte der "unit"© sp"©ciale d"intervention" - für Antiterroreinsätze geschulte Beamte der Walliser Kantonspolizei - die Zelle des schlafenden Ausschaffungsgefangenen Samson Chukwu. Gemäss Aussagen der Beamten wurde das Opfer auf den Boden gedrückt.
Man drehte ihm die Arme auf den Rücken und legte ihm Handschellen an. Es ist anzunehmen, dass Samson Chukwu zu diesem Zeitpunkt bÀuchlings auf der Pritsche oder am Boden lag. Eine Stunde später, um 3 Uhr, stellte ein Arzt den Tod von Samson Chukwu fest.

Samson Chukwu sollte zusammen mit zwei anderen Nigerianern am Morgen um 7 Uhr mit einer vom Bundesamt für Flüchtlinge gecharterten Maschine nach Lagos ausgeflogen werden. Gemäss den uns vorliegenden Erkenntnissen ist im Moment einzig das Berner Charterflugunternehmen "Sky Work" bereit, ihre Lear-Jets für solche Zwangsausschaffungen zur Verfügung zu stellen. Der Jet flog am Morgen des 1. Mai ohne Samson Chukwu nach Lagos.

Bekannt ist ausserdem, dass die Behörden bei einer Ausschaffung mit
Charterflugzeugen - sie werden amtsintern mit dem Codewort "Level 4"
bezeichnet - Àussserst brutal vorgehen. Die Häftlinge werden gefesselt, in Overalls gehüllt, mit einem Sparringhelm am Schreien gehindert und in dieser Stellung auf die Flugsessel geschnallt. Im Passagierbereich der Flugzeuge halten sich auf diesen Flügen einzig Kantonspolizisten auf.

Ebenso bekannt ist, dass die Behörden beim Herausholen von
Level-4-Gefangenen aus den Zellen mit grösster Härte vorgehen. Allfälliger Widerstand soll im Keime zu erstickt werden, um den teuren Charterflug nicht zu gefährden. Die Rundschau dokumentierte im November des letzten Jahres die Aussschaffung eines Kameruners, der von vermummten Antiterroreinheiten der Zürcher Kantonspolizei morgens um 4 Uhr aus der Zelle im Flughafengefängnis in Kloten herausgeholt worden ist. Die Öffentlichkeit war schockiert über die entsprechenden Bilder.

Zur "Positional Asphyxia"

Aus der Literatur ist bekannt, dass es bei Verhaftungen und der
überwältigung von Personen durch die Polizei immer wiederholt zu Todesfällen kommen kann, wenn die körperlich und physisch stark erregten Personen in Bauchlage mit hinter dem Rücken gefesselten Armen festgehalten werden.
Dieser Tod ist in Polizei- und Ärztekreisen unter dem Titel "positional asphyxia" oder "Plötzlicher Gewahrsamstod" bekannt. Im Zusammenhang mit dem Tod von Khaled Abuzarifa wurde dieses Problem öffentlich diskutiert. Der Autopsiebericht von Professor Bär hält fest, dass beim Tod von Khaled Abuzarifa wegen der bei ihm angewandten Fesselung "auch Phänomene wie sie bei der sog. "positional asphyxia" beschrieben werden, mitgespielt haben".
In Deutschland werden Polizisten speziell geschult, damit es bei
Verhaftungen nicht zu solchen Todesfällen kommt. In einem Grundsatzartikel im Fachblatt "Polizeitrainer Magazin" hat der Heidelberger Professor Ingo Pedall "Empfehlungen zur Verhinderung des plötzlichen Gewahrsamstodes" formuliert.

Pedall stellt folgende Merksätze für das Vorgehen bei Verhaftungen auf:
1. polizeiliche zurückhaltung, nicht beherztes Vorgehen
ist angzeigt;
2. Ein Team aus zwei Beamten ist mit der Situation immer
überfordert;
3. Jedes übermass der Fixierung muss vermieden werden;
4. Jedes plötzliche Aufhören des Widerstandes ist ein Alarmzeichen;
5. Die Vitalfunktionen sind fortlaufend zu beobachten.

Unsere Fragen

Aus dem Gesagten drängen sich Fragen auf:
* Wieso wurden Mitglieder der Antiterroreinheit der Walliser Polizei
eingesetzt, um Samson Chukwu aus seiner Zelle zu holen?
* Waren die Beamten vermummt, als sie die Zelle von Samson Chukwu sTürmten?
* Lag Samson Chukwu, nachdem er überwältigt und gefesselt worden war, bäuchlings in der Zelle?
* Was geschah am 1. Mai zwischen 2 und 3 Uhr in der Zelle von Samson Chukwu?

Wir stellen fest

Samson Chukwu würde noch leben, wenn die Behörden nicht versucht hätten, ihn mit aller Gewalt nach Lagos auszuschaffen. Samson Chukwu würde noch leben, wenn die Behörden nach dem Tod von Khaled Abuzarifa am 3. März 1999 ihre Verantwortung anerkannt und Konsequenzen gezogen hätten.

Die Reaktion der Behörden auf den Tod von Samson Chukwu legt den Verdacht nahe, dass auch der zweite tote Ausschaffungshäftling nicht zum Anlass genommen wird, das Ausschaffungsverfahren zu überprüfen. Wie es ihre Berner KollegInnen im Fall von Khaled Abuzarifa getan haben, versuchen die Walliser Behörden heute, den toten Chukwu als Drogendealer zu verunglimpfen.

Wie im Fall von Khaled Abuzarifa wird über Herzfehler oder Geburtsschäden gerätselt, anstatt die naheliegenden Fragen nach dem Einsatz staatlicher Gewalt bei Zwangsausschaffungen zu stellen.

Wie im Fall von Khaled Abuzarifa behaupten die Behörden in den anderen Kantonen und in Bern, dass für den Tod von Samson Chukwu allein die zuständige Kantonspolizei zuständig sei.

Wie im Fall von Khaled Abuzarifa behaupten die Behörden, dass man die Ergebnisse der gerichtlichen Untersuchung abwarten müsse, bis über mögliche Massnahmen diskutiert werde könne.

Dieser St.-Florians-Politik muss Einhalt geboten werden. Nach dem Tod von Samson Chukwu sind sämtliche Zwangsausschaffungen sofort zu stoppen. Eine unabhängige Untersuchungskommission unter Beizug von MenschenrechtsexpertInnen und AntifolterspezialistInnen muss das Ausschaffungsprozedere überprüfen. Der Ball liegt bei Bundesrätin Ruth Metzler und beim präsidenten der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz, dem Solothurner Regierungsrat Rolf Ritschard.

"Wer schweigt macht sich mitschuldig".

Zürich, 9. Mai 2001 / augenauf

Auf den Tag genau 2 Jahre zuvor starb Marcus Omofuma...