Quellenangabe:
'Brecht die Isolation!' 44 Tage Proteste in Wien: Hungerstreik geht weiter, Politiker_innen ignorant (vom 07.01.2013),
URL: http://no-racism.net/article/4356/,
besucht am 03.12.2024
[07. Jan 2013]
In einem "Gespräch" ohne vorherige Ankündigung bewiesen die Politiker_ innen einmal mehr, dass sie die Probleme von Flüchtlingen überhaupt nicht interessieren. Für die protestierenden Flüchtlinge in der Votivkirche ist klar: Sie werden ihre Proteste und den Hungerstreik fortsetzen. Wie es dazu kam...
Es ist nun sechs Wochen her, dass sich am 24. November 2012 zahlreiche Flüchtlinge aus der Erstaufnahmestelle Traiskirchen auf den Weg nach Wien machten, um ihre Rechte einzufordern (siehe dazu :: Informationen zum Marsch protestierender Geflüchteter von Traiskirchen nach Wien). Die Unterstützung für diese Proteste war anfangs sehr groß, und auch das mediale Interesse führte dazu, dass - neben vielen verleumderischen Artikeln, die von Anfang an versuchten, die Proteste schlecht zu reden - erstmals in der jüngeren Geschichte Österreichs die Probleme und :: Forderungen von Flüchtlingen breiter thematisiert wurden. Die Zustände im Lager Traiskirchen, dass ohnehin aufgrund der massiven Überbelegung in Kritik stand, waren ebenso Thema wie die Kritik an Dublin-II Abschiebungen. Mit den "Transfers" von Flüchtlingen aus der Erstaufnahmestelle in Pensionen im ganzen Land dachten viele wohl, dass das Thema vom Tisch sei, doch dem war nicht so (siehe :: Der Tag der 'Transfers', die mediale Inszenierung von Rassist_innen und Widerstand vom 1. Dezember 2012). Von Anfang an hatten die Flüchtlinge klar gemacht, dass ihre Proteste weiter gehen, bis ihre Forderungen erfüllt sind. Deshalb wurde im Sigmund-Freud-Park in Wien ein Protestcamp errichtet, um im Zentrum der Bundeshauptstadt den Anliegen Nachdruck zu verleihen. Die Isolation, in der viele Flüchtlinge gezwungen sind, zu leben, wurde so ein Stück weit durchbrochen. Und es wurde eine Diskussion in Gang gesetzt, die seither nicht aus den Medien verschwand.
Hatten die Behörden anfangs noch abgewartet und wohl gedacht, dass sie mit den zahlreichen Schikanen, mit denen sie den protestierenden Flüchtlingen begegneten, schnell wieder für Ruhe sorgen könnten, wurde bald klar, dass sich diese Proteste nicht so schnell totlaufen würden. Trotz eisiger Temperaturen und suboptimaler Bedingungen gehen sie weiter. Neue Leute beteiligten sich, die Forderungen wurden konkretisiert und erweitert, und die Information über die Proteste verbreitete sich über das ganze Land und darüber hinaus. Doch die zuständigen Politiker_innen, die von Anfang an von den Flüchtlingen eingeladen wurden, um über die Probleme und deren Lösung zu reden, verweigerten standhaft den Dialog. (Zu den ersten 15 Tagen des Protests siehe den Artikel :: Flüchtlings Protestcamp in Wien - ein Überblick über mehr als zwei Wochen Widerstand.)
Lediglich mit dem UNHCR gab es am 10. Dezember im Anschluss an eine Demonstration ein Gespräch, das jedoch für die Flüchtlinge nicht sehr zufriedenstellen verlief. Der UNHCR machte sich zwar, wie es eine Person ausdrückte, Gedanken darüber, warum es keine_n Frisör_in im Flüchtlingslager Traiskirchen gibt, die grundlegenden Forderungen, wie jene nach der Anerkennung des Flüchtlingsstatus oder eine Änderung der Dublin II Regelgung wurden als nicht im Zuständigkeitsbereich der UN-Flüchtlingsbehörde bezeichnet (siehe :: Das Protestcamp der Flüchtlinge geht in die vierte Woche vom 17. Dezember 2012).
Weihnachten rückte näher und es war weiterhin kein Signal von offizieller Seite zu vernehmen, auch nur im Ansatz an eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Forderungen der Flüchtlinge zu denken. In dieser Situation beschloss ein Teil der Flüchtlinge, in die Votivkirche zu gehen, um dort Schutz zu suchen. Dass am 18. Dezember, gerade sechs Tage vor Weihnachten, sich Flüchtlinge in eine Kriche begaben, um dort für ihre Rechte zu kämpfen, entfachte neue Diskussionen. Viele, die sich bisher zurück gehalten hatten, mischten sich plötzlich ein. Die Medien waren schnell vor Ort und die Votivkirche wurde zu einem Ort der Auseinandersetzung rund um die Flüchtlingspolitik in Österreich. Dort zeigte sich aber auch, dass alles nicht so einfach ist. Der Pfarrer der Votivkirche, der zuvor in Gesprächen vermittelte, dass er den Protesten der Flüchtlinge positiv gegenüber stehe, konnte mit dem Umstand, dass nun "seine" Kirche zum Schauplatz der Auseinandersetzungen wurde, überhaupt nicht umgehen. Eine Räumung der Votivkirche stand im Raum, doch nun schalteten sich auch Organisationen wie die Caritas ein, die sich bisher nicht zu Wort gemeldet hatten. Den Flüchtlingen wurde zugesichtert, dass sie bleiben können und Unterstützung erhalten (siehe :: Flüchtlinge in Votivkirche aufgenommen - Protestcamp besteht weiter vom 20. Dezember 2012). An der von den Flüchtlingen organisierten Pressekonferenz am 19. Dezember in der Votivkirche nahm die Caritas nicht teil, dafür organisierte sie eine eigene Pressekonferenz, zu der auch Flüchtlinge aus der Kirche eingeladen wurden. Dort gab es jedoch nur leere Versprechungen, bzw. das Versprechen auf weitere Gespräche (siehe :: Flüchtlinge in Votivkirche aufgenommen - Protestcamp besteht weiter vom 20. Dezember 2012).
Die seit Beginn der Proteste zum Dialog eingeladenen Politiker_innen kamen weiterhin weder in die Votivkirche, noch ins Protestcamp. Der Schritt in die Kirche brachte die Politik aber unter Zugzwang. Auf Vermittlung der Caritas wurde schnell ein runder Tisch einberufen, der am 21. Dezember statt fand, aber ohne konkrete Ergebnisse blieb. Von Seiten des Innenministeriums wurden keinerlei Zugeständnisse gemacht und den Flüchtlingen lediglich eine Unterkunft und Essen zugesagt. Ein Angebot, dass die Flüchtlinge ablehnten, hatten sie doch von Anfang an klar gestellt, dass sie grundlegende Rechte einfordern. Dass es Bedarf an Quartieren und Schlafplätzen gibt, beweist der Umstand, dass sich zwar Leute in den Quartieren der Caritas einfanden, doch waren dies nicht jene Flüchtlinge, die sich an den Protesten beteiligten, wie die Caritas schnell feststellte, und die Leute am nächsten Tag wieder raus schmiss. (Einen Überblick über die Besetzung und die folgenden Gespräche mit zahlreichen O-Tönen gibt der Bericht :: Refugeecamp Vienna: Über die Votivkirche zum Runden Tisch und zurück in die Kälte österreichischer Flüchtlingspolitik auf nochrichten.net.)
Da von der Politik weiterhin kein Einlenken zu erwarten war, entschlossen sich einige Flüchtlinge am 22. Dezember dazu, ihren Forderungen mit einem Hungersteik Nachdruck zu verleihen. So verstrichen die Weihnachtsfeiertage und die Proteste gingen weiter (siehe :: Flüchtlinge im Hungerstreik in der Votivkirche vom 24. Dezember 2012 und das Video :: Empört Euch! Innenansicht vom RefugeeProtest-Camp Wien vom 29. Dez 2012 auf dorftv.at).
Der Einsatz, bei dem ein Großteil des Equipments und zahlreiche private Gegenstände der Protestierenden zerstört wurden, wird von vielen Seiten kritisiert: Als demokratiepolitisch bedenklich, als Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit, und da es sich um eine politische Versammlung handelte, sei der Bezug auf die Kampierverordnung laut eines Verfassungsexperten verfassungsrechtlich "höchst bedenklich". Die politische Diskussion, die den Polizeieinsatz kritisierte, beschränkte sich vor allem auf gegenseitige Schuldzuweisungen und die Frage, wer im Vorfeld von dem Einsatz informiert wurde, bzw. wer ihn anordnete. Die Polizeiführung bleibt trotz aller Kritik bei ihrer Version, dass sie von sich aus einschreiten musste, um "die Ordnung wieder herzustellen" (siehe :: Fünf Wochen Proteste von Flüchtlingen - gegen rassistische Gesetze und rassistische Hetze vom 28. Dezember 2012).
Ist es für die Behörden wirklich nicht vorstellbar, dass sich jene Menschen, die seit Jahren von den Behörden schikaniert und unterdrückt werden, denen grundlegende Rechte verweigert werden und denen die ganze Zeit über mit Schubhaft und Abschiebung gedroht wird, selbst organisieren, um für ihre Rechte zu kämpfen? Oder ist es Teil des institutionellen Rassismus, der Flüchtlingen eine passive Rolle zuschreibt, von der aus sie nicht agieren können, allerdings immer wieder als Projektionsfläche für stereotype Zuschreibungen und Sündenböck_innen herhalten müssen? Es handelt sich wohl um eine Kombination aus beiden Ansätzen, auf die Rassist_innen gerne zurückgreifen, um ihr menschenverachtendes Agieren rechtzufertigen - sei es vor sich selbst oder vor der Öffentlichkeit.
Die jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrende und vollkommen willkürliche Räumung des ordnungsgemäß angemeldeten Protestcamps sollte wohl dazu dienen, die Proteste aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu entfernen. Damit einher ging eine Maßnahme der Kirche, die - im Auftrag des Pfarrers - die Türen der Votivkirche versperren ließ und seitdem den Zugang zum "Gotteshaus" durch Securities bewachen lässt. Die Wirkung auf die nun in der Votivkirche protestierenden Flüchtlinge ist klar: Es ist wie in einem Gefängnis, das von der Caritas verwaltet wird. Diese kirchliche Wohlfahrtsorganisation sicherte zwar Unterstützung zu, diese beschränkt sich jedoch vor allem auf humanitäre Maßnahmen und den Versuch, die Flüchtlinge dazu zu bewegen, dass sie ihren Protest aufgeben und in zur Verfügung gestellte Quartiere verteilt werden. Eine besondere Rolle nimmt in diesem Zusammenhang der Caritas-Sprecher Klaus Schwertner ein, der sich aufführt, als wäre er der Chef, der keine Gelegenheit auslässt, um sich durch unqualifizierte und verleumderische Meldungen in Szene zu setzen. Die Frage, ob dies aus einer rassistischen Haltung heraus geschieht, oder einfach aus Karrieregeilheit, können wir nicht beantworten (siehe :: Fünf Wochen Proteste von Flüchtlingen ...).
Mit Sicherheit gesagt werden kann, dass die überzogene und von rassistischen Ressentiments gekennzeichnete Vorgehensweise der Behörden nicht den gewünschten Erfolg hatte. Trotz der Isolation der Flüchtlinge in der Votivkirche dringt ihre Stimme nach draußen, setzen sie ihren Protest mit viel Kraft fort - und bekommen Zulauf aus vielen Teilen Österreichs, aus denen sich Flüchtlinge in die Bundeshauptstadt begeben, um sich an den Protesten zu beteiligen bzw. diese zu unterstützen. Und immer mehr Leute erklären öffentlich ihre Solidarität mit dem selbstorganisierten Protesten. Einen Tag vor der Räumung veröffentlichten einige Community Organisationen von Migrant_innen eine :: weihnachtliche Solidaritätserklärung und solidarisierten sich "mit der starken politischen Position der Flüchtlingsaktivisten sich nicht mit warmen Betten und individuellen Lösungen abspeisen zu lassen! Es geht nicht um momentane individuelle Lösungen sondern um dringend notwendige strukturelle Veränderungen die die Lebensumstände aller Geflüchteten verbessern!" Sie stellten die Verbindung zu früheren Protesten für die Rechte von Migrant_innen her und "fordern Community-Organisationen und Personen auf ihre Solidarität zu zeigen!"
Die Räumung des Protestcamps im Sigmund-Freud-Park am 28. Dezember kam überraschend, doch konnten die Proteste dadurch nicht zum Verstummen gebracht werden. Noch am selben Tag gab es erste Solidaritätkundgebungen in Berlin und München, ein :: International Statement of Solidarity wurde veröffentlicht und zur Unterzeichnung aufgerufen. Am Tag nach der Räumung zeigten mehr als 1.000 Menschen in Wien, Linz, Salzburg, München und Berlin ihre Solidarität mit Protesten der Flüchtlinge in Wien (siehe :: Solidarität mit Flüchtlingen - Proteste gegen die Räumung des Protestcamps in Wien vom 30. Dezember 2012).
Der Hungerstreik in der Kirche ging trotz Räumung weiter und kurzfristig verweigerten einige der Flüchtlinge aus Protest gegen die Räumung die Flüssigkeitsaufnahme, was dazu führte, dass einige von ihnen zur Behandlung ins Spital gebracht werden mussten. Die Situation der Flüchtlinge, die über Nacht ihres seit fast fünf Wochen bestehenden Protestcamps beraubt wurden, wurden nun auch durch Kirche und Caritas weiter verschlechtert. Seit der Räumung des Protestcamps sind die Tore der Kirche für die Öffentlichkeit verschlossen, nicht nur Unterstützer_innen wird der Zutritt verweigert, auch Flüchtlinge werden immer wieder von den von der Kirche engagierten Securities der Firma ÖWD nicht eingelassen. Selbst zum Verlassen des Gebäudes sind die Leute in der eisig kalten Kirche darauf angewiesen, dass ihnen das versperrte Eisengitter geöffnet wird. Es hat den Anschein, als wollen die offiziellen Stellen und ihre Handlanger_innen die Proteste möglichst aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit entfernen.
Am 30. Dezember bekamen die Hungerstreikenden Besuch von Kardinal Christoph Schönborn und am 31. Dezember kam der Direktor der evangelischen Diakonie, Michael Chalupka in die Votivkirche. Die krichlichen Vertreter zeigten sich solidarisch mit den Anliegen der Flüchtlinge und appellierten an die zuständigen Politiker_innen, die weiterhin kein Entgegenkommen bekundeten.
Das Jahr endete mit einer kleinen Feier in der Silvesternacht. :: dorftv. sendete live aus der Votivkirche (51:29 Min). In diesem sehenswerten Video betonen zahlreiche Flüchtlinge, dass es sich um ihren eigenen, selbst organisierten Protest handelt und dass sie nicht so schnell aufgeben werden. Sie wollen sich nicht mit warmen Betten abspeisen lassen, sondern kämpfen für ihre Zukunft und fordern grundlegende Änderungen im Asylbereich, Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt und ein menschenwürdiges Leben.
Innenministerin Mikl-Leitner fand zu diesen Forderungen vorerst nur zynische Worte. Sie bot "warme Quartiere, aber keine Gespräche", wie sie am 1. Jännner 2013 via Medien verkünden ließ. So wie ihre Kolleg_innen quer durch alle Parteien wies sie die Einladung in die Votivkirche zurück. Dass sie dafür von vielen Seiten kritisiert wurde, ist anzunehmen, denn einen Tag später klingelte bei den protestierenden Flüchtlingen das Telefon und die Caritas teilte mit, dass es Gespräche gäbe. Zwei Vertreter_innen der Flüchtlinge seien zu einem Gespräch mit der Innenministerin eingeladen. Ein neuer runder Tisch? Oder nur ein Ablenkungsmanöver, um den Schein zu wahren? Vier Vertreter_innen nahmen die kurzfristige Einladung wahr, nicht ohne zu kritisieren, dass es für ernstzunehmende Gespräche eine Vorbereitungszeit brauche. Doch sehr ernst dürfte es der Innenministerin nicht gewesen sein, zumindest nicht was die Forderungen der Flüchtlinge betrifft. In dem "Gespräch" ohne vorherige Ankündigung bewiesen die Politiker_innen einmal mehr, dass sie die Probleme von Flüchtlingen überhaupt nicht interessieren. Kein Wunder, dass die Gespräche für die Flüchtlinge unzufriedenstellend endeten, wenn von Seiten der Politik nicht mal Bereitschaft vorhanden ist, über die Forderungen zumindest zu diskutieren. Stattdessen wollte die Innenministerin die Flüchtlinge dazu überreden, das Angebot von warmen Unterkünften anzunehmen, was jedoch abgelehnt wird - solange die Forderungen nicht erfüllt sind. Doch anstatt den Flüchtlingen Asyl zu gewähren, sagte Mikl-Leitner lediglich zu, dass die Fälle noch einmal geprüft würden.
Dass sie mit dieser Haltung nicht einverstanden sind, demonstrierten am 2. Jänner erneut mehr als 500 Leute in Wien. Die Demonstration zur Unterstützung der Proteste der Flüchtlinge zog dieses mal zu ÖVP Parteizentrale, Parlament, Bundeskanzleramt, Innenministerium und Haus der Europäischen Union (siehe :: Video und :: Fotos auf refugeecampvienna.noblogs.org).
Am folgenden Tag luden die Flüchtlinge zu einer Pressekonferenz in die Votivkirche, um ihre Enttäuschung über die Haltung der Politiker_innen zu verkunden und einmal mehr zu erklären, dass es bei den Protesten um fundamentale Rechte und ein menschenwürdiges Leben auch für Flüchtlinge geht. Nicht warme Schlafplätze, sondern Rechte. Nicht Almosen von Caritas oder dem Staat, sondern dass Flüchtlinge ihr Leben so leben können, wie auch andere Menschen.
Um diese Ziele zu erreichen, betonten die Flüchtlinge einmal mehr, dass sie ihre Proteste und den Hungerstreik fortsetzten, bis es eine Lösung gibt. Sie haben ihre Forderungen schon oft erklärt, aber nichts ist passiert. Die Politiker_innen gehen nicht darauf ein. Kritisiert wurde im Rahmen der Pressekonferenz, dass lediglich gesagt wird, dass die Forderung nach Löschung der Fingerabdrücke nicht umsetzbar sei, da das Dublin II Abkommen und die damit zusammenhängende EURODAC Datenbank auf europäischem Recht basieren. Ob Frau Mikl-Leitner und ihren Kolleg_innen entgangen ist, dass diese Gesetze von den EU-Mitgliedstaaten und deren Innenminister_innen gemacht werden? Immer wieder wurden in den vergangen Jahren gerade von Politiker_innen aus Österreich Verschärfungen des EU-Rechts gefordert, und auch gerade jetzt wird versucht, eine weiteren Verschärfung durchzubringen. Am 14. Jänner steht im Europäischen Parlament eine Abstimmung über eine 'gemeinsame Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Asylbewerber[_inne]n' auf der Tagesordnung, deren Gesetzwerdung einen europaweiten Freibrief zur Inhaftierung von Asylsuchenden gleichkommen würde. Die österreichische Innenminsiterin kann sehr wohl gegen diese Richtlinie protestieren, sie hätte im Rahmen der Treffen der Justiz- und Innenminister_innen der EU-Staaten die Möglichkeit gehabt, gegen die Einführung dieser Haftrichtlinie zu stimmen. Genau so, wie die EU-Abgeordneten aus Österreich gegen die Annahme der Richtlinie stimmen könnten, würden sie nur wollen (siehe :: Gefängnis statt Asyl - Europas neue Strategie im Kampf gegen Flüchtende (31. Dec 2012)). Doch betreiben die Politiker_innen ein falsches Spiel. Einerseits geben sie vor, dass EU-Recht über nationalem Recht stehe und sie deshalb nichts machen könnten, andererseits sind sie federführend, wenn es darum geht, die :: gesetzlichen Rahmenbedingungen auf EU-Ebene zu verschärfen.
Doch auch abgesehen davon, ob die Möglichkeit besteht, die Fingerabdrücke von Flüchtlingen aus der EURODAC-Datenbank zu löschen, gibt es genügend Forderungen der Flüchtlinge, die sofort umgesetzt werden könnten. Die erste und zentralste dieser Forderungen ist die Gewährung von :: Asyl. Die Behörden haben sowohl das Recht, Asylverfahren durchzufürhen und sind nicht gezwungen, Schutzsuchende in andere EU-Länder anzuschieben; diese Selbsteintrittsrecht ist Teil der rechtlichen Bestimmungen im Dubliner Übereinkommen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, Menschen Asyl oder einen Aufenthaltstitel zu gewähren.
Es ist aber keine Frage des Könnens, sondern viel mehr eine Frage des Wollens. Trotz Widerwillens seitens der Behörden sahen sich diese angesichts der Proteste der Flüchtlinge gezwungen, die in Kritik geratenen Unterkünfte zu überprüfen. Und, so mussten sogar mehrere Medien feststellen, stimmt die vorgebrachte Kritik. Die Bedingungen in vielen der Unterkünfte sind menschenunwürdig und entsprechen in keinster Weise auch nur minimalen Lebensstandards. Menschen werden über Jahre hinweg gewzungen, auf engstem Raum und unter widrigsten Bedingungen zu leben, oft in vollkommener Isolation irgendwo am Land. Eine weitere :: Forderung der Flüchtlinge betrifft die Mitsprache, wo sie untergebracht werden und die Wahrung ihrer Bewegungsfreiheit, kurz gesagt: Das Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsortes.
Die Politik der Isolation findet jedoch nicht nur in irgendwelchen entlegenen Orten statt, an denen Flüchtlinge im Rahmen der Grundversorgung untergebracht werden, sondern fand auch ihren Weg in die Votivkirche. Das Versperren der Türen führte dazu, dass sich die in der Kirche Schutz suchenden Menschen wie in Traiskirchen fühlen. Dort darf nur hinein, wer eine Lagerkarte hat. Durch die von Kriche und Caritas eingeführte Einlasspolitik wurde die Kirche zu einem Lager, in dem die Flüchtlinge leben müssen wie in einem Gefängnis. Deshalb fordern die Flüchtlinge: Öffnet die Türen der Kirche. Denn wie soll die Isolation durchbrochen werden, wie sollen sich Menschen ein Bild machen können, wenn es keine Möglichkeit zum Austausch gibt?
Und die Politiker_innen betreiben seit jeher keine transparente Politik, sondern wollen sich in ihren Luxusbüros hinter verschlossenen Türen verstecken, von denen aus sie ihre rassistischen Gesetze und Vorschriften dirigieren. Doch die Flüchtlinge sind mit dieser Art der Politik nicht einverstanden, sie fordern Transparenz und Gespräche, in denen sie und ihre Probleme ernst genommen werden. Deshalb stellten sie auch klar, dass der nächste Runde Tisch, sollte es einen solchen geben, in der Kirche und nicht in irgendeinem Büro stattfinden soll. Die Politiker_innen sollen sich der Öffentlichkeit stellen. Und sie sollen diese Gespräche nicht erst 10 Minuten vorher ankündigen - wenn sie die Flüchtlinge, wie von diesen gefordert, in die Gespräche einbeziehen wollen, dann sollte dies auch mit dem entsprechenden Respekt geschehen und nicht der reinen Propaganda dienen. Denn genau dieses Vorgehen der Politiker_innen und Behörden kommt einer Instrumentalisierung der Flüchtlinge gleich. Dagegen verwehren sich die Protestierenden in der Votivkirche: Gegen eine Instrumentalisierung durch die Politik. Sie wollen, dass ihre Stimmen gehört werden - und zu einer grundlegenden Änderung der Asylpolitik beitragen (siehe :: Live-Aufzeichnung von der Pressekonferenz des Refugee Protest Camp am 3. Jänner 2013 auf dorftv.at).
In ihrer Aussendung :: 'Man könnte auch ja sagen' - Lösungsvorschläge aus der Votivkirche vom 4. Jänner 2013 halten die Flüchtlinge fest: Auch wenn Innenministerin Mikl-Leitner heute noch darauf beharrt, dass das Asylwesen nicht verändert wird, ist die Debatte zu konkreten Veränderungen - durch die Proteste angeregt - schon längst im Gange.
Ein Schluss, zu dem auch Ljubomir Bratic in seinem Artikel :: Der Alptraum der verwalteten Ordnung. Die Überzähligen haben schon gewonnen! vom 3. Jänner 2013 kommt: "Eigentlich ist das für die angesprochenen Teile der Verwaltung ein verlorener Kampf. Denn egal was sie und wie sie es tun, die Tatsache eines neuen sich rational artikulierenden politischen Subjekts ist da. Damit können alle nur umgehen lernen. Verdrängen werden sie es aber nie mehr können. Das ist der größte Verdienst der kämpfenden Menschen im Sigmund-Freud-Park und in der Votivkirche."
Vor ein paar Monaten hätte einen derartigen Protest in Österreich wohl keine_r für möglich gehalten. Während in vielen europäischen Ländern Flüchtlinge bereits seit Jahren ihr Wort ergreifen und mittels öffentlichkeitswirksamen Aktionen für Aufsehen sorgen, spielte sich der Widerstand in Österreich vor allem hinter Gittern oder verschlossenen Türen ab. Jedes Jahr protestieren hunderte bis tausende Menschen in Schubhaft mittels Hungerstreik oder Selbstverletzung für ihre Freiheit. Weder mit Repression wie Isolationshaft oder der Androhung von Zwangsernährung, noch mit Sozialarbeit haben die Behörden es in den vergangenen zwei Jahrzehnten geschafft, dieser Form des Widerstandes zu brechen. Doch nicht nur in Schubhaft, sondern auch in Lagern wie in Traiskrichen kommt es immer wieder zu Hungerstreiks, Selbstverstümmelungen oder Selbstmordversuchen. Dies ist seit langem bekannt (siehe :: Asylwerber-Suizidversuche: Alles Täuschung? vom 27. Jänner 2010 auf m-media.or.at). Und auch die Reaktionen der Behörden sind bekannt, die regelmäßig behaupten, dass es sich dabei um "Erpressungsversuche" handle. Den Flüchtlingen wird mit Misstrauen begegnet, ihre Angaben werden als Lügen abgetan und ihnen kein Vertrauen entgegengebracht. Gleichzeitig wird, und das ist gesetzlich festgeschrieben, von Flüchtlingen die Mitwirkung am Asylverfahren verlangt. Doch wie soll das gehen, wenn von vornherein kein Vertrauen da ist? Wenn Flüchtlinge nicht die Möglichkeit erhalten, für sich selbst zu sprechen, sondern über sie geredet wird?
Dass einige Flüchtlinge sich nun dazu entschlossen haben, ihre Proteste in die Öffentlichkeit zu tragen und ihre Stimme zu erheben, hat zu einer Veränderung des Diskurses geführt. Zwar sind dadurch die stereotyp-rassistischen Zuschreibungen nicht verschwunden und es wird - vor allem in den Komentaren der Online-Zeitungen und auf diversen rechtsextremen Foren - weiter gehetzt, was das Zeug hält. Doch die, über die gehetzt wird, haben nun eine Stimme, die nicht mehr überhört werden kann. Ihre Stimmen können ignoriert, ihre Aussagen verdreht, ihre Proteste als was auch immer diffamiert werden, doch wie Ljubomir Bratic es ausführte: "Die Überzähligen haben eine Situation erkämpft, indem sie als politisches Subjekt da stehen. Es reden diejenigen, für die bis jetzt immer jemand geredet hat, und sie reden nicht nur in einer Öffentlichkeit, der Gemeinschaft gehörenden Öffentlichkeit, sondern auch auf dem Territorium einer der Organisationen, die die Hilfe verwaltet, dort, wo sie zu Objekten degradiert werden."
Doch dies war erst ein erster Schritt. Nun ist es an der Zeit, Flüchtlinge als gleichberechtigte politische Gesprächspartner_innen zu betrachten und sie als die alleinigen Sprecher_innen über die Situation zu akzeptieren. Dass dieser Schritt viel Aufwand mit sich bringt und lediglich den Anfang eines politischen Kampfes bedeutet, sollte dabei nicht vergessen werden - auch und vor allem von den Unterstützer_innen, von denen sich schon viele zurück gezogen haben.
Was die Flüchtlinge mit ihrem nun bereits 44 Tage andauernden Protest in Zentrum Wiens geschafft haben, ist bewundernswert. Trotz widriger Umstände, trotz zahlreicher Versuche von allen möglichen Seiten, sie zum Aufgeben zu bewegen, trotz der Zerstörung des Protestcamps im Sigmund-Freud-Park, die Flüchtlinge sind bereit, ihre Kämpfe für ein menschenwürdiges Leben weiter zu führen - bis die Forderungen erfüllt sind. Dass dies noch Wochen, Monate oder gar Jahre dauern kann, ist ihnen bewusst.
Die Flüchtlinge sind im Kampf für ihre Rechte nicht allein. Sie erfahren vielfältige Unterstützung, wie zum sechswöchigen Andauern der Proteste am 5. Jänner durch eine Kundgebung am Yppenplatz in Wien. Im Aufruf hieß es: "In Solidarität mit den Flüchtlings- und Migranten[_innen]kämpfen, wollen wir im Yppenplatz unsere Solidarität bekunden und vor allem auch in diesem Viertel unter den migrantischen Menschen die Solidarität stärken und den Zugang zu den Kämpfen ermöglichen, um einen einheitlichen Kampf auf die Straßen zu tragen."
In einem Aufruf für weitere Demonstrationen heißt es: "Wir werden nicht aufgeben, bis die Forderungen der Refugees erfüllt sind! (...) Solidarität mit den Hungerstreikenden! Wir lassen uns nicht spalten! You cannot silence us!"
Diese Demonstrationen zur Unterstützung der Flüchtlingsproteste finden ab 10. Jänner 2013 jeden Donnerstag in Wien statt. Treffpunkt ist jeweils um 16:00 Uhr im Votivpark, vor der Kirche (U2 Schottentor).
Doch nicht nur in Wien kämpfen Flüchtlinge und Migrant_innen für ihre Rechte: Überall in Europa regt sich Widerstand - und das bereits seit Jahren. Die Menschen wollen eine Veränderung, sie wollen, dass die Menschenrechte endlich akzeptiert werden in Europa. Und sie wollen, dass auch sie ihr Leben leben können - wie alle Menschen in Europa und darüber hinaus.
Die "Donnerstagsdemonstrationen" fanden nur zwei mal statt. Beim ersten mal am 10. Jänner allerdings nur als Standkundgebung, weil das mit der Anmeldung nicht klappte.
Eine Woche später, :: am 17. Jänner beteiligten sich etwa 250 Leute an der Demonstration, die von der Votivkirche zum Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel führte, wo sich seit 12. Jänner :: vier Aktivisten in Schubhaft befinden. Diese waren in der Folge eines Polizeiüberfalls auf Räumlichkeiten, in denen gerade ein Treffen des Protestcamps statt fand, verhaftet worden.
In Innsbruck gab es ebenfalls am 17. Jänner eine Kundgebung in Solidarität mit den Flüchtlingsprotesten in Wien und überall. Im Anschluss daran wurde bei einer Demonstration zum Innsbrucker Schubhäfn die Freilassung der Gefangenen gefordert.
Eine weitere Demonstration gab es :: am Sonntag, 20. Jänner im Anschluss an die "Geburtstagsmatinee" von SOS Mitmensch im Volkstheater. Dort wurden die protestierenden Flüchtlinge - neben anderen - mit dem Ute-Bock-Preis für Zilivlcourage ausgezeichnet. Die Flüchtlinge die den Preis entgegen nahmen erklärten, dass sie die 3.000 Euro Preisgeld an die Caritas übergeben werden, um Menschen in Not zu helfen. Und sie wiederholten, was sie in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt hatten: "Wir brauchen kein Geld, sondern Menschenrechte und Menschlichkeit."
Im Anschluss an die Matinee demonstrierten an die 600 Leute vom Volkstheater erst zur Votivkirche, wo die Solidarität mit den Hungerstreikenden ausgedrückt wurde, sich aber auch jene Flüchtlinge zu Wort meldeten, die ihre Proteste außerhalb der Kirche fortsetzen. Von dort ging es weiter zum Schubhäfn Hernalser Gürtel, wo einmal mehr die Freilassung der Gefangenen gefordert wurde. Diese befinden sich - wie mindestens 100 weitere ihrer Mitgefangene - seit ihrer Verhaftung im Hungerstreik. Für viele Leute in Schubhaft sind Hungerstreiks oder Selbstverletzungen die einzige Möglichkeiten, aus der Haft entlassen zu werden.
Eine weitere Demonstration ist für Samstag, 26. Jänner 2013 angekündigt. Treffpunkt ist um 13:30 bei der Votivkirche.
Und für 6. Februar 2013 sind europaweite Proteste geplant.