Operation Spring-Prozess gegen Sabinus am 10.12.2002
(5. Verhandlungstag des Wiedereinsetzungsverfahrens)
Nachdem Richter R. bei der letzten Verhandlung am 3.9.02 behauptete, es sei damit zu rechnen, dass der Prozess in drei Wochen fortgesetzt werde, ist es mehr als drei Monate später tatsächlich weitergegangen. Zeit spielt also keine Rolle, es sei denn, du bist GefangeneR der rassistischen Klassenjustiz und musst Tag und Nacht die miesen Zustände im LG1 (Landesgericht 1/Wien)ertragen. Aufgrund der Verschleppung des Verfahrens durch mehrere Richter muss Sabinus, wie die anderen Gefangenen der Operation Spring auch, diese Zustände jetzt schon seit 3 Jahren und 7 Monaten ertragen. Und sich dann auch noch einer mitnichten gerechten Gerichtsbarkeit stellen. kürzlich sagte Sabinus, er wisse genau, dass sie ihn brechen wollen, aber er werde das nicht zulassen und weiter gegen dieses rassistische System kämpfen - so wie Nelson Mandela in den Kerkern von Apartheid-südafrika fast 30 Jahre lang Widerstand geleistet hat.
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Zu Beginn des Prozesses wiederholt der Richter einmal mehr die hinlÀnglich bekannten Anklagepunkte gegen Sabinus - angeblicher Verkauf von geringen Mengen Drogen, ausschliesslich gestützt auf die belastenden Aussagen einer sich ständig widersprechenden Zeugin; dazu noch der berÃŒchtigte Vorwurf des `Verkaufs einer nicht feststellbaren Menge an unbekannte Personen`.
Die vom Anwalt beantragte wortwörtliche übersetzung der Abhörprotokolle in Igbo und deutsch ist mittlerweile vorhanden, wenn auch unvollständig: Der Anwalt weist darauf hin, dass eine Passage, die der anonymisierte Dolmetscher in der vorletzten Hauptverhandlung (link zum Bericht über den Prozesstag am 05.07.2002) übersetzt hat, jetzt sonderbarerweise `ein paar undeutliche WÃŒrter` enthält. Der Richter kontert mit der Verlesung von zusammenhanglosen Gesprächsfetzen aus der sog. `übersetzung`. Es geht um einen Streit, jemand beschwert sich über Verpackungen und irgendwas wird mit einer Waage abgemessen. Ungeachtet des Mangels an Aussagekräftigkeit einer derartigen `übersetzung` gibt der Richter immerhin zu, dass `halt nicht genau übersetzt` worden ist; alles wie gehabt also.
Wie eine Unterschrift zustande kommt, oder: ausgeliefert dem Polizeiverhör
Der Richter bezieht sich jetzt auf die Niederschrift des Polizeiverhörs von Sabinus bei der Kripo in Graz 1999. Konkret geht es um das Handy eines Freundes, das Sabinus zeitweise benutzt hat. Die Kripo behauptet in der Niederschrift, dass dieses Handy dem Sabinus selbst gehört habe. Der Richter war zwar beim Verhör nicht anwesend, vermeint aber dennoch zu wissen, dass eine beeidete Dolmetscherin die Niederschrift korrekt übersetzt und Sabinus unterschrieben habe. Sabinus besteht darauf, dass er nie gesagt hat, das Handy gehöre ihm; beim Verhör ist ihm eine solche Frage gar nicht gestellt worden. Darauf die naheliegende Frage, verblÃŒffenderweise vom Richter (!) gestellt: `Das hat also die Polizei dazugeschrieben?` Sabinus antwortet, indem er die Situation beim Verhör schildert: Er hat gar keine Chance gehabt, etwas zu erklären und hat sich schliesslich geweigert, zu unterschreiben. Den Inhalt der Niederschrift hat er nicht verstanden, da sie ausschliesslich in deutsch verfasst war. Aber die Polizei hat ihn zur Unterschrift gezwungen. für den Richter alles kein Grund zur Beunruhigung, denn: `Es war ja eine beeidete Dolmetscherin da`. Sabinus weiss davon nichts.
Objektive Stimmanalyse
Nun befragt der Anwalt den Sabinus, ob er seine Stimme erkannt habe, als in einer der vorherigen Verhandlungen ein abgehörtes TelefonGespräch vorgespielt wurde. Nein. Und ob es richtig sei, dass die Verteidigung vor der Antragstellung dem Sabinus genau erÃŒrtert habe, was eine Stimmanalyse bedeutet; also welche Konsequenz es bedeutet, wenn sich dabei herausstellt, dass es seine Stimme sei. Sabinus bestätigt das und sagt, er hat einer Stimmanalyse zugestimmt, weil er beweisen wollte, dass dies nicht seine Stimme ist. Er weiss mit Sicherheit, dass es nicht seine Stimme ist; andernfalls hätte er ja wohl kaum zugestimmt.
Die Logik des Despoten und der Lauschangriff
Wieder mit Bezugnahme auf das Polizeiverhör in Graz behauptet der Richter, dass Sabinus dort ausgesagt habe, er kenne das Restaurant `Willkommen` in Wien nicht. Sabinus stellt richtig, dass er damals gefragt wurde, ob er ein Lokal kenne und er hatte geantwortet, dass er viele kennt, wohin er Essen gegangen ist, aber nicht das genannte. Er hatte die Frage so interpretiert, dass es sich um ein Lokal in Graz handle, was ja auch naheliegend ist. Der Richter widerspricht und versucht nun, die bei der Operation Spring angewendeten polizeistaatlichen Bespitzelungsmethoden zu legitimieren: Die Observationsbeamten hätten den Sabinus, genannt `unbekannte Person UP15` - beobachtet, demzufolge sei er in eineinhalb Monaten 21 mal im `Willkommen` gewesen, manchmal sei er innerhalb von Minuten rein- und rausgegangen. Sabinus sagt, das stimmt nicht. Der Richter rezitiert im folgenden für eine sehr lange Zeit, teilweise in unartikulierbarem Murmeln, aus den Akten; er nennt irgendwelche Daten und Uhrzeiten und behauptet, da sei Sabinus beim Rein- und wieder Rausgehen beobachtet worden. Das ganze gespickt mit zynischen Bemerkungen wie `Erinnert er sich nicht mehr, dass er sooft dort war?` Sabinus stellt mehrmals klar, dass er nicht Öfter als einmal am Tag in ein Lokal zum Essen gegangen ist und dass er naTürlich nicht mehr weiss, an welchem bestimmten Tag im Februar 1999 er dort gewesen ist - und genau das hat er auch beim Verhör und bei der U-Richterin ausgesagt. Aber mit Hausverstand beisst mensch hier auf Granit, wie ein Wasserfall bombardiert der Richter weiterhin den Sabinus mit Daten und Uhrzeiten. Auch EinWände, dass hier eine Verwechslung mit einer anderen Person vorliegt oder dass sein Englisch falsch verstanden wurde, ignoriert der Richter. Als Sabinus grundsätzlich den Sinn dieses sonderbaren Rein und Raus hinterfragt, versucht es der Richter mit Psychologie: ob denn seine Erinnerung `normal` sei, schliesslich vergesse man ja. Das ganze gipfelt in der vollkommen absurden Frage, ob er sich beim Verhör im Mai 1999 besser als heute daran erinnert habe, was im Februar geschehen sei. Auch wenn verständnisloses Kopfschütteln als angemessene Antwort vielleicht ausgereicht hätte, stellt Sabinus noch einmal fest, dass er genau weiss, welche Fragen ihm beim Verhör gestellt worden sind.
Der Richter gesteht nun ein, dass im Verhörprotokoll eine handschriftliche `Ausbesserung` vorgenommen worden sei. Auf den Vorhalt einer `Drogenbande` habe Sabinus zuerst ausgesagt, dass er verwirrt sei und dazu nichts sagen könne. Nach der `Ausbesserung` sei seine Antwort aber gewesen, dass er es nicht wisse. Dieses Eingeständnis der Manipulation wird jedoch vom Richter sofort gegen Sabinus gewendet: Dies sei der Beweis dafür, dass ihm alles übersetzt worden sei, denn es gebe ja sogar `Korrekturen` - auch wenn der Richter nicht weiss, wer diese `Korrekturen` vorgenommen habe und auch nicht sagt, wann das geschehen ist. Am Gipfel dieser Logik behauptet er noch, dass Sabinus deshalb `nicht glaubwürdig` sei. Sabinus sagt, dass er noch viel mehr korrigiert hätte, wenn ihm das ganze Protokoll gezeigt worden wäre. Der Richter schliesst das ganze in despotischer Manier mit den Worten ab: `Das ist jetzt nicht zu lösen. Er war am 26.2. dort!`. Punkt.
Verwechslungen, oder: `Das sind alles Schwarzafrikaner`
Der Anwalt weist darauf hin, dass zwar die Video-Observationen im Verfahren nicht mehr verwendet werden - im Gegensatz zum Verfahren in erster Instanz - dennoch streicht er auch hier Widersprüche heraus: Bei den Videos habe es viele `Ausbesserungen` gegeben; mehrmals ist Sabinus mit einer anderen Person verwechselt worden. Und nicht nur er, wie der Anwalt feststellt: `Es sind einige Leute wegen Ähnlichkeiten verwechselt worden`. Der Richter bestätigt das; die Videos seien wegen schlechter Qualität auch nicht (mehr) beweiskräftig: Im Lokal sei es dunkel gewesen, die Aufnahmen seien von oben gemacht worden und ausserdem nur schwarz-weiss. Das ist noch problematischer, denn `das sind alles Schwarzafrikaner`, weiss der Richter. Was es aber schon gebe, sei die `augenscheinliche Betrachtung` durch die PolizeibeamtInnen. Auch wenn es Korrekturen gegeben habe, heisse das noch nicht, dass jemand nicht dort gewesen sei - `man kann sich irren`, so der Richter. Und Punkt.
PlÀdoyers und Urteil
Abschliessend geht der Richter auf die zahlreichen Anträge, fast ausschliesslich der Verteidigung, ein: Der Antrag auf eine Stimmanalyse sei nicht zu erfüllen. Es gebe ein Tonband mit abgehörten Telefonaten und eines mit abgehörten Gesprächen im Lokal `Willkommen`. Beide nicht verwertbar, sagt der Richter: Ersteres sei vom Institut für Schallforschung zurückgeschickt worden, mit der Begründung, dass zuviele `NebengerÀusche` die typischen Merkmale einer Stimme nicht erkennen liessen. Auf dem zweiten Band sei ein zu grosses `Stimmengewirr` zu hören.
Die Gegenüberstellung mit der Zeugin sei erledigt worden. Es sei inzwischen aktenkundig, dass sie die Freundin eines Freundes von Sabinus gewesen sei (Anmerkung: Die Zeugin hat bisher immer geleugnet, diesen Freund überhaupt zu kennen). Die meisten der geladenen Entlastungszeugen konnten laut Richter `nicht ausgeforscht` werden (so ein Zufall aber auch...). Ein Zeuge habe sich in der vorletzten Verhandlung entschlagen, glaubt der Richter (glauben heisst nicht wissen, denn er hat sich ganz und gar nicht entschlagen, siehe Bericht über den Prozesstag am 05.07.2002).
Ein Zeuge sei nur nach dem Vornamen bekannt; ein weiterer Zeuge sei geladen worden, um zu beweisen, dass Sabinus die Taten nicht begangen hat; der Richter meint, das sei aber nur möglich, wenn die beiden `Tag und Nacht zusammen gewesen` seien. Die Verteidigung habe einen Antrag abgelehnt, einen anonymen Zeugen von der Botschaft vorzuladen, welcher behauptet habe, Sabinus sei nicht er selbst sondern ein anderer. Die schriftliche überPrüfung des Igbo-Dolmetschers sei obsolet, weil jetzt die `übersetzung` des beeideten Dolmetschers vorhanden sei.
Allen offensichtlichen Widersprüchen zum Trotz wird `der Fall` von der Staatsanwältin in ihrem SchlussplÀdoyer eiskalt abgehakt: Es sei `mit eindeutiger Sicherheit` festgestellt, dass er `massiv involviert` gewesen sei. Die Zeugin habe ihn belastet; es gebe die Telefonüberwachung und sein Handy. Im ersten Rechtsgang habe es einen eindeutigen Schuldspruch gegeben (welcher auch eindeutig vom OGH aufgehoben wurde); die Stimmanalyse im zweiten Rechtsgang habe weder eine Entlastung noch eine Belastung gebracht. Und er sei schon `einschlÀgig vorbestraft` worden.
Der Anwalt weist in seinem PlÀdoyer zuerst darauf hin, dass dieser Tag ein historisches Datum ist, der Internationale Tag der Menschenrechte nämlich. Er glaubt, es ist ein guter Tag, die Verhandlung auch entsprechend abzuschliessen.
Aufgrund des umfangreichen Prozesses fasst er zusammen: Die Beziehung der Zeugin zu Sabinus` Freund sei jetzt also aktenkundig; sie hat gesagt, dass sie beide nicht kenne. Warum sollte sie dann gerade von Sabinus Drogen bezogen haben? Auch die Glaubwürdigkeit der Zeugin bezweifelt er: Sie wurde mehrmals von Polizei und Gericht verhört und hat jedes Mal etwas anderes ausgesagt, z.B. hat sie sich bei ihrer Aussage über die angebliche Menge widersprochen. Doch im Kern bleibt sie dabei, den Sabinus zu belasten.
Zum Vorhalt des `Verkaufs grosser Mengen an unbekannte Personen` fragt der Anwalt: `Die Hauptverhandlung dauert schon ewig. Aber wo sind die 100en Gramm?` Er geht auf die Operation Spring ein: Die Verfahren seien jetzt weitgehend abgeschlossen. Es gab ein `Mords-Trara` um diesen ersten Einsatz von Abhörmethoden und den `grossen Schlag der Polizei`. Nur, was ist davon übriggeblieben? Der Anwalt bemerkt, dass es zu den Grundzügen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, dass die Unschuldsvermutung gelten müsste, da sonst jedeR verdächtigt werden könnte. Er führt dann die Stimmanalyse an, zu der Sabinus voll zugestimmt hat, und Sabinus sagt auch, dass er es nicht ist. Wenn die Stimmanalyse, als letztlich objektiver Beweis, nicht möglich sein soll, dann gelangen wir wieder zur Unschuldsvermutung. Aber in Bezug auf die Realität dieses Verfahrens meint der Anwalt: `Es ist halt mÃŒhsam, im einzelnen herauszuarbeiten, warum er es nicht gewesen sein kann` - etwa, warum er ein vorgeworfenes Telefonat nicht geführt hat, zu einem Zeitpunkt, wo er im Gefängnis war. Dann Igbo: bei dem es 70 Dialekte gebe; und die übersetzungen sind zudem ungenau. Auch die Feststellung einer Polizeikontrolle, die Sabinus entlastet hätte, ist nicht durchgeführt worden. Nicht zuletzt ist der Standpunkt der Staatsanwaltschaft im Verlauf des Verfahrens immer schwÀcher geworden. All das sollte mitgedacht werden; auch weist der Anwalt auf das Bestreben von Sabinus hin, seine Unschuld zu beweisen. Er sitzt schon sehr lange in U-Haft unter miesen Bedingungen.
Sabinus wird vom Richter gefragt, ob er noch etwas sagen möchte; ja, das will er: `Ich appeliere, mir zu glauben...` (die folgende Rede in englisch ist leider nicht mitgeschrieben worden, sorry!). Als die Dolmetscherin beginnnt, seine Rede zu übersetzen, wird sie in üblicher Manier vom Richter abrupt unterbrochen. Beratungspause; Punkt.
Nach seiner Rückkehr verkündet der Richter, dass Sabinus `schuldig` sei und zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt werde. Denn er sei ein Suchtgifthändler, hauptsächlich aufgrund von Aussagen der Zeugin. Er sei `Mitglied einer Organisation` gewesen. Die LÀnge der Haft sei ein Milderungsgrund, während seine Vorstrafen `im gleichen Milieu` erschwerend seien. Und Punkt.
Bericht von GEMMI