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[ 10. Mar 2005 ]

Kunst und verwirrte ÖsterreicherInnen

Türkei-Fahnen auf der Fassade der Kunsthalle

Von 7. bis 28. März macht der Schriftsteller Feridun Zaimoglu eine - wie es die Österreichischen Medien bezeichnen - "Fahneninstallation" an der Fassade der Kunsthalle Wien.

 

"Mit "Kanak-Attack" will die Kunsthalle Wien anlässlich der kontroversiellen Debatten um die EU-Erweiterungsverhandlungen mit der Türkei, die politischen, symbolischen und Àsthetischen Herausforderungen dieses Beitrittes thematisieren," meint Direktor Gerald Matt.

So steht es auf der Homepage der Kunsthalle Wien. Viele halten sich zurück und sind eher skeptisch sich zu äußern, außer einer Stimme, die sich als Unterbewusstsein der Österreicher bezeichnet.

In der Türkischen Republik herrscht ein System mit einer sehr vehement verbreiteten Staatsideologie, das weder Menschenrechte noch Toleranz noch Minderheitenrechte, noch auch nur die elementarsten bürgerlichen Freiheiten kennt. Man sehe sich nur die Verhaftung der Österreichischen Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Sandra Bakutz in Istanbul an! (siehe: http://www.jugend.gpa.at/sandrabakutz)

Alle Gegenstimmen gegen diese undemokratischen Zustände und die sie legitimierende Staatsideologie werden mit allen Mitteln unterdrückt. Dazu sind dem Türkischen Staat alle Mittel recht. Ereignisse, die in Europa Skandale auslösen würden, sind ein Teil des alltäglichen Lebens in der Türkei. Die Bevölkerung hat sich daran gewÃŒhnen müssen. Wenn Frauen in Haft von Polizisten vergewaltigt werden oder wenn elf jährige Schulkinder mit zwölf Kugel erschossen und dann als Terroristen "identifiziert" werden, dann ist das normal im politischen System dieses Landes. Und dieses System hat vergÃŒtterte Symbole. Eines von diesen Symbolen ist die Türkische Fahne, die z.B. in jedem kurdischen Dorf als Symbol der Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur auf den Schulen flattert.

Kein Symbol des repressiven Türkischen Nationalismus kann die politischen, symbolischen und Àsthetischen Herausforderungen des EU-Beitrittes der Türkei thematisieren. Auch nicht im Namen der Kunst, Herr Kurator, Gerald Matt!
Der Hauptpunkt dieser Aktion soll in der Provokation durch die Kunst liegen. Wenn will man in diesem Fall provozieren? Die ÖsterreicherInnen oder die Euro-TürkInnen? Die ÖsterreicherInnen braucht man nicht mit der Türkeifahne provozieren. Diejenigen, die in solidarität mit ihren kurdischen, lasischen, armenischen FreundInnen den Türkischen Nationalismus ablehnen? Sie werden sowieso die feine Sprache der EU-Beitrittsverhandlungen verstehen. Diejenigen, die aus rassistischem Ressentiment die KÃŒmmelTürken sowieso nicht mögen, egal ob es sich um Türken, Kurdinnen, Aleviten, Roma, BosnierInnen, Albaner oder Turkmenen handelt? Ihnen gibt man mit der Plakatierung der Türkischen Fahne richtige Argumente für ihre fatal falsche Haltung in die Hand.

Was die Euro- TürkInnen betrifft: die Minderheit der demokratisch Gesonnenen, oftmals politisch Exilierten wird man verärgern. Die Mehrheit derer, die - oft in Reaktionsbildung auf eine rassistische Umwelt - ihre Differenz als Ultranationalismus und islamischen Fundamentalimus kultivieren, werden genau in diesem reaktionären Gestus bestärkt mit stolzgeschwellter Brust auf die Türkische Fahnen an der Fassade des Museums blicken.

Kunst soll doch wohl Menschen zum Denken bringen und ihren Horizont erweitern. Wenn es jemanden zu provozieren und zu belehren gibt, ist es in erster Linie die Türkei. Herr Zaimoglu sollte eigentlich eine Provokationsaktion in Istanbul oder in Ankara aufführen, und dort bis zum Ende dazu stehen, Türkische Autoritäten zum Nachdenken bzw. zum Umdenken zu bringen. Solche Kunst allerdings erforderte auch Mut.

Das Erstaunliche bei dieser ganzen Angelegenheit ist die Rolle der aufgeschlossenen, fortschrittlichen Österreicherinnen. Bei der Vernissage werden sie den Reden zuhören, klatschen und dann mit einem LÀcheln im Gesicht erwähnen, wie gut Türkische Spezialitäten schmecken. Weil wir Kunstmenschen sind, darf auch unser LÀcheln künstlich sein. daß Nationalismus eigentlich eine der schlimmsten Verblödungen der Menschheit ist, vergessen wir im Schein der Seitenblicke-blitzlichter. Ist doch nicht so schlimm!

Kunstmensch zu sein, bedeutet, nicht alles aufzunehmen was im Namen der Kunst angeboten wird, nur weil es ein bißerl provoziert. Etwas ist nicht nur deshalb gut, nur weil der Typ laut "Buh!" schreit, der sich als "Unterbewusstsein" der Österreicher bezeichnet mit seinen dummen Ansagen einer veralteten Ideologie, die lÀngst im Grab liegen sollte.

Prost! Nur weil das Oberbewusstsein sich nichts sagen traut, grunzt das Unterbewusstsein so laut. Die Türkei ist ein gewalttätiger Staat gegenüber ZivilistInnen. Das Symbol dieser Gewalt kann nicht Kunst sein an der Fassade irgendeines Museums.

Dieser Text wurde no-racim.net von Sedat Demirdegmez, in Wien lebender kurdischer Autor und Theatermacher, zur Verfügung gestellt. Demirdegmez erhielt 2001 den Literaturpreis "Schreiben zwischen den Kulturen" und 2004 den Theaterpreis der Arbeiterkammer Wien "Interkulturelle Akzente".