"Die meisten Russen sind keine Antisemiten" - so der Titel einer Aussendung der russische Nachrichtenagentur Nowosti. Der Rest der Aussendung führt anschaulich vor, wie die Ergebnisse einer Studie ins genaue Gegenteil verkehrt werden können.
In überschrift und Kurztext der Presseaussendung, die am 11. Februar 2005 von Nowosti veröffentlicht wurde, schafften es lediglich jene 83 Prozent der Russinnen und Russen, die "kein Mißtrauen und keine Antipathien" gegen Jüdinnen und Juden haben. Die restlichen 17 Prozent werden erst später - und nicht ganz so umfangreich - behandelt.
Rund 8 Prozent der Befragten räumten ein, dass sie Jödinnen und Juden mit Misstrauen und Antipathien gegenüberstehen. 13 Prozent der Befragten sind gar für ein Verbot jüdischer Organisationen. Diese Forderung wird auch von russischen ParlamentarierInnen unterstützt. Lediglich 34 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich zu Menschen, die gegenüber Juden Misstrauen und Antipathien empfinden, distanziert verhalten.
Nach dem Motto Das Glas ist halbvoll werden bei Nowosti aus schlechten Nachrichten gute Nachrichten. Die Presseagentur schließt aus der ihr vorliegenden Studie, dass antisemitische Stimmungen in der russischen Gesellschaft "nicht sehr stark ausgeprägt" seien, denn "83 Prozent der Staatsbürger Russlands behaupten, dass sie gegenüber Juden kein Misstrauen und keine Antipathien hegen".
Grundlage der Studie war eine gesamtrussische Meinungsumfrage, die von der Stiftung "Öffentliche Meinung" in 100 Ortschaften aus 44 Regionen Russlands durchgeführt wurde. 1500 Menschen wurden vom 5. bis 6. Februar 2005 persönlich interviewt. Zusätzlich stellten sich 600 EinwohnerInnen Moskaus der Befragung. Angesichts dessen wird erst recht beunruhigend, was die Umfrage zu Tage fördert. Ein vergleichsweise großer Teil der Befragten hat offensichtlich auch im persönlichen Kontakt mit einer InterviewerIn und jenseits jeglicher Anonymität kein Problem sich zu ihrem Antisemitismus zu bekennen.
Laut dem "Report of global Antisemitism" des US-State Departments (Beobachtungszeitraum Juli 2003 - Dezember 2004), der Anfang dieses Jahres erschien, ist die Zahl antisemitischer Übergriffe in Russland in den letzten Jahren stabil geblieben. Das Ausmaß der Gewalt von Fall zu Fall nimmt jedoch erschreckend zu.
"Während die Regierung die nationalistische Ideologie öffentlich verurteilt (...) bleibt die Haltung von Funktionsträgern auf unterer Ebene, die solche Aktionen nur als "Rowdytum" klassifizieren problematisch", so der Bericht. In den Regionen Krasnodar Kursk kam es 2003, während des Wahlkampfes, zu mehreren antisemitischen Äußerungen, sowohl von RegierungsvertreterInnen als auch durch oppositionelle KandidatInnen.
Seit 1992 konnte die rechtsextreme Skinheadszene starken Zulauf verzeichnen. Die meisten antisemitischen Gewaltverbrechen in Russland werden von jungen, männlichen Skinheads begangen.