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[ 25. Mar 2006 ]

Fenstersprung aus Angst vor Abschiebung

Weil er vor der Polizei aus dem Fenster flüchten wollte, liegt ein Asylwerber mit Lähmungsverdacht im Spital: Für das Ministerium eine Panikreaktion, für NGOs Symptom des neuen "Monsters" Fremdenrecht

 

Reichenau/Wien - Als die vier Fremdenpolizisten, mit dem Abschiebebefehl in der Hand, das im zweiten Stock gelegene Zimmer der G.s betraten, stand Vater S. schon am Fenster. Als sie näher kamen, schwang sich der 37-Jährige Mongole aufs Fensterbrett. "Er wollte an der Regenrinne nach oben klettern, um übers Dach zu entkommen. Doch die Rinne hat nicht gehalten. Er ist abgestürzt", schildert ein Beamter des Bezirkspolizeikommandos Neunkirchen.

S. fiel zehn Meter tief. Auf dem Vorplatz der Gründerzeitvilla, die das Reichenauer Flüchtlingsheim beherbergt, blieb der Asylwerber schwer verletzt liegen. Laut Ärzten trug er Knochenbrüche an Beinen und Armen davon - sowie eine ernste Wirbelsäulenverletzung, die seine Einweisung ins Wiener AKH nötig machte. Am Freitag war nicht klar, ob S. gelähmt bleiben wird.

Vater, Mutter (33) und Sohn (14) G. hätten nach Ungarn gebracht werden sollen, da dieses Land laut EU-Dublinregeln für ihr Asylverfahren zuständig ist. Obwohl sie das im Prinzip wussten, traf sie die Abholung Donnerstag um fünf Uhr morgens überraschend: "Wir kommen immer so früh, weil die Abzuschiebenden dann mit größter Wahrscheinlichkeit angetroffen werden können", erläutert der Neunkirchner Polizeibeamte.

Das bestätigt auch Hannes Rauch, Sprecher von Innenministerin Liese Prokop: "Wir nützen die neuen rechtlichen Möglichkeiten aus", kommentiert er die seit Jänner 2006 übliche Praxis, dass Fremdenpolizisten Asylwerbern den Abschiebebefehl gleichzeitig unterbreiten und sie auf der Stelle mitnehmen. Nach der vorjährigen Gesetzeslage hatten die Betroffenen die Ausreiseaufforderung per Post zugestellt bekommen - mit dem Risiko, dass manch einer vor der Abschiebung abtauchte.

Den Fenstersprung von G. wertet Rauch als "Panikreaktion in einem Einzelfall". Hier widerspricht Christoph Riedl, Flüchtlingskoordinator der Diakonie. Vielmehr sei das neue Fremdenrecht "ein Monster, das man so rasch nicht mehr loswerden wird". Die Flüchtlinge fürchteten sich vor Schubhaft und Abschiebung. Und sie seien ja auch, wie es die steigende Schubhäftlingszahl zeige, für die Fremdenpolizei jederzeit greifbar.

Artikel aus Der Standard, 24.3.2006