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[ 27. Sep 2019 // letzte änderung: 04. Oct 2019 ]

Alternativenloser Abschiebekonsens? Positionen wahlwerbender Gruppen zu Schubhaft und Abschiebungen

Abschiebung abschaffen!

Im Vorfeld der Wahlen zum Nationalrat 2019 wurden einige der Parteien von no-racism.net zu ihrer Position zu Schubhaft und Abschiebungen befragt. Die Positionen, die sich aus den Beantwortungen ergeben, weisen auf einen Abschiebekonsens hin, der sich quer durch alle politische Lager zieht.

 

Im folgenden findet sich eine Analyse der Befragung folgender Parteien :: Die Grünen, :: Neos, :: Der Wandel und :: Wir können. Die Antworten von :: Jetzt erfolgten nach der Veröffentlichung dieses Artikels. Die drei größeren Parteien ÖVP, SPÖ und FPÖ wurden nicht befragt.

Am Beginn stellt sich die Frage: Warum traut sich kaum eine_r gegen Schubhaft und Abschiebungen Stellung zu beziehen? Warum verliert sich Kritik allein in einem moralisch-humanistischen Diskurs, der vor allem auf Einhaltung der Menschenrechte abzielt oder bessere Bedingungen in der Schubhaft fordert?

Dies könnte damit zu tun haben, dass antirassistische Positionen vor allem die Schubhaft- und Abschiebepraxis bzw. das System als solches kritisieren. Konzepte zu Bewegungs- und Bleibefreiheit, von offenen Grenzen oder praktische Ansätzen zur Fluchthilfe sind einigermaßen konkret ausformulierte Positionen. All diese Konzepte hinterfragen den Nationalstaat. Die meisten wahlwerbenden Gruppen beziehen sich hingegen durchwegs positiv auf eben diesen.

Für die parlamentarische Arbeit wäre es notwendig, konkrete, unter gegenwärtigen Umständen realpolitisch diskutierbare Alternativen auszuformulieren. Ein solcher Diskurs wurde in der jüngeren Vergangenheit von der Zivilgesellschaft nicht produziert. Dementsprechend gibt es kaum etwas, worauf wahlwerbende Gruppen aufbauen können. Sie müssten eine innovative ablehnende Haltung zu Schubhaft und Abschiebungen mehr oder weniger selbst erfinden. Das Fehlen eines solchen Diskurses zeigt sich deutlich an den Antworten, die no-racism.net auf die Fragen zu deren Positionen zu Schubhaft und Abschiebungen erhalten hat.


Zu den Positionen der Parteien


Die Position von "Wir können", der einzigen wahlwerbenden Gruppe, die lobenswerterweise Schubhaft und Abschiebungen kategorisch ablehnt, erschöpft sich im reinen Dagegensein. Deklariertermaßen hatten sie im Rahmen ihres Formierungsprozesses zu wenig Zeit/ die Prioritäten sind andere/ um diesen Themenkomplex zu diskutieren.

Die Antworten der übrigen Wahlwerbenden, die auf die Fragen geantwortet haben (Neos, Wandel, Grüne), unterscheiden sich im Grunde nicht voneinander. Stets beschwören sie eine möglichst rechtsstaatliche und menschenrechtskonforme Haft- und Deportationspraxis im Rahmen des Schubhaft- und Abschiebesystems, die irgendwie so harmlos wie möglich sein sollte. Das System an sich stellen die Grünen und der Wandel ebenso wenig in Frage wie die Neos. Im Gegenteil: Sie erfreuen sich in diesem Zusammenhang an kleinen politischen Erfolgen. Dass in diesem System immer wieder Menschenrechte verletzt werden, bietet ihnen die Möglichkeit der Kritik an den dezidiert rechten Fraktionen. Deren Menschenverachtung können sie damit immer wieder gut angreifen. Damit bedienen sie treffsicher den moralischen Antirassismus ihrer Kernklientel, die die Privilegien, die ihnen der Nationalstaat garantiert, nicht missen möchte.

Dabei gibt es gerade mit der beschworenen Rechtsstaatlichkeit ein Problem: Schubhaft und Abschiebung bedeuten nebst anderen problematischen Umständen jedenfalls immer einen Freiheitsentzug und verstoßen damit ganz grundsätzlich und unhintergehbar immer gegen das zentrale verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit. Eine Einschränkung der persönlichen Freiheit wäre im Rahmen der von Neos, Grünen und Wandel gleichermaßen beschworenen rechtsstaatlichen Prinzipien nur dann zulässig, wenn ein anderes mindestens gleichwertiges Rechtsgut geschützt werden muss. Darüber lässt sich bei strafrechtlichen Verurteilungen diskutieren, obwohl auch hier der Freiheitsentzug problamtisch ist. Im Fall von Abschiebungen und Schubhaft liegt die Ursache für den Freiheitsentzug allerdings einzig und allein in einem hoheitlich festgestellten Verstoß gegen eine rassistisch strukturierte Aufenthaltsordnung. Warum dürfen manche Menschen als Tourist_innen ohne viel bürokratischen Aufwand durch alle Welt reisen, während andere, nur weil sie den falschen Pass haben, nicht willkommen sind? Bei genauerer Betrachtung gibt es kein anderes vergleichsweise schützenswertes Rechtsgut, das eine staatlich organisierte Freiheitsberaubung in Form von Abschiebung und Schubhaft rechtfertigen könnte. Nur die Ideologie, wonach ein bestimmtes Territorium einer bestimmten Gruppe von Menschen irgendwie zusteht.


Die ausschließende/ ausgrenzende Platzanweisung


Diese Ideologie garantiert der hegemonialen Gruppe das Recht, andere als Fremde/ Nicht-Hierhergehörige zu qualifizieren und auszuschließen. Das ist die Wurzel des Rassismus, die dem bürgerlichen Nationalstaat zugrunde liegt und die ihn historisch so anfällig macht, weiter nach rechts zu kippen und sich selbst vollends in eine rassistische Mordmaschine zu verwandeln.

Trotzdem beharrt die Mehrheit auf genau diesem Standpunkt. Das hegemoniale Arrangement basiert auf der Annahme, dass ein Nationalstaat das Recht haben muss, zu bestimmen, wer sich auf seinem Staatsgebiet aufhalten darf. Wie ideologisch diese Haltung ist, zeigt sich daran, dass an dieser Stelle das Denken aussetzt. Denn es ließe sich die Frage stellen: Selbst wenn dieser Standpunkt vertreten wird, wozu braucht es eigentlich Schubhaft und Abschiebungen? Warum werden Menschen, die auf einem Staatsgebiet der Mehrheit nicht willkommen sind, nicht einfach ausgewiesen? Warum sollen sie nicht einfach die Möglichkeit haben irgendwo anders hin weiterzureisen? Warum müssen sie in Haft genommen und für teures Steuergeld irgendwohin verfrachtet werden, wo sie offensichtlich nicht bleiben wollten und wo sie wahrscheinlich bei nächster Gelegenheit wieder weggehen werden? Sie mit Zwang genau dorthin zu bringen, ist doch vollkommen absurd. Alles im Namen einer Ideologie, die Blut und Boden verbindet und die selbst exorbitante Kosten nebst Repression und Menschenrechtsverletzungen nicht scheut, um sich zu verwirklichen. Ganz ehrlich: Es ist der Mehrheit doch vollkommen egal, was mit den Abgeschobenen passiert. Ob sie nach Afrika, Asien oder Australien gehen, ist dem privilegierten Wahlvolk wurscht, Hauptsache sie sind weg.

Aber nein. Rassismus ist immer auch soziale Platzanweisung. Die Menschen sollen dorthin zurück, wo sie angeblich hingehören. Rassismus ist so selbstverständlich, dass die Mehrheit dieses Hingehören nicht in Frage stellt. Eher werden Menschen in Abschiebeflugzeuge gezwungen und womöglich in den Tod geschickt.

Es gibt offenbar keine wahlwerbende Gruppe, die entlang dieser diskursiven Linien einen neuen Weg einschlagen möchte. Nur eine einzige Gruppe, Wir können, übt immerhin Kritik an diesem System. Allerdings erscheint die Kritik alternativenlos. Damit macht sie sich zum Außenseiter, tritt nicht in einen kritischen Dialog mit der Mehrheit. Geradezu tragisch ist es, dass es keine einzige wahlwerbende Gruppe gibt, die in dieser verfahrenen Situation etwas Innovatives anzubieten hat.


Argumente gegen vermeintliche Notwendigkeit


Dabei lassen sich auch im Rahmen der hegemonialen Logik gute Argumente gegen Schubhaft und Abschiebungen finden.

Der Mehrheit ist nicht bewusst, dass Abschiebungen ein Sisyphus-Unterfangen sind. Viele Abgeschobene treten die Reise in den Westen bei nächster Gelegenheit wieder an. Alle, die sich mit der Materie näher befassen, kennen mehrere Menschen, die trotz Abschiebung wiedergekommen sind. Wer die Reise einmal geschafft hat, hat beim nächsten Mal bessere Chancen. Manche kommen wieder hierher. Viele kommen woanders in der westlichen Welt unter. Und wenn die Abgeschobenen selbst nicht wieder kommen, wählen ihre Familien oft andere Verwandte aus, denen als nächstes die Reise in den 'goldenen Westen' finanziert wird, damit sie möglichst viel Geld heimschicken. Abschiebungen sind also nicht nur menschenrechtswidrig. Sie sind an sich gar nicht effektiv. Sie sind im Grunde Unsinn. Davon will die Mehrheit allerdings nichts wissen. Denn Abschiebungen haben für die Mehrheit einen symbolischen Wert. Mit Schubhaft und Abschiebungen lässt sich ganz archaisch brachial demonstrieren, wer Herr_in im Haus ist und wer_welche wen raus werfen kann. Der gewaltsame Rauswurf an sich befriedigt die Gemüter. Umso mehr stellt es einen Tabubruch dar, das unsinnige Abschiebesystem in Frage zu stellen.

Zumal mit dem staatlich organisierten Rauswurf eine Menge Steuergeld verschleudert wird. Schubhaft und Abschiebungen sind teuer. Da stecken eine Menge Gehälter bei Verwaltung und Polizei drinnen, von den Abschiebeflügen ganz zu schweigen, für die teilweise sogar extra Flugzeuge gechartert werden. Eine ansehnliche Menge Geld wird da in den Repressionsapparat investiert. Geld, das bei der Integration fehlt und dort jedenfalls nachhaltiger investiert wäre.

Warum kommt keine wahlwerbende Gruppe auf die Idee, statt in teure und sinnlose Repression zu investieren, einfach Verwaltungsstrafen von den Menschen einzuheben, die nach einem Ausweisungsbescheid immer noch auf dem Staatsgebiet angetroffen werden? Das ließe sich doch im Rahmen der hegemonialen Logik wunderbar argumentieren. Damit könnte der Staat ein wenig Geld verdienen, anstatt es zu verschleudern, und die Ausgewiesenen wären unter einem menschenrechtlich weniger bedenklichen aber durchaus effektiven ökonomischem Druck, das Land zu verlassen.

Aber nein. Es herrscht das Denken vor, Schubhaft und Abschiebungen seien tatsächlich notwendig, als würde es gar nicht anders gehen, als könne nationale Souveränität nicht anders gesichert werden. Daher kommt das Gerede von Schubhaft als letztem Mittel, das die drei wahlwerbenden Gruppen gleichermaßen hinausposaunen, als eine Art nationale Notwehr. Dass Schubhaft in der Praxis eher Standard als letztes Mittel ist, blenden die Befürworter_innen dieser nationalen Notwehr standardmäßig aus.


Privilegien sind strukturelle Gewalt


Seit den Zeiten der Sklaverei ist es ein wesentliches Kennzeichen des Rassismus, dass die Privilegierten mit der persönlichen Freiheit und körperlichen Integrität von rassistisch Diskriminierten leichtfertig umgehen - freundlich gesagt. Wegen ein paar Wochen oder Monaten Schubhaft und a bissi Gewaltanwendung bei der Abschiebung sollen sich die Betroffenen nicht beklagen. Das haben sie halt in Kauf genommen, wenn sie ohne Erlaubnis hier leben wollen. Selber Schuld. Sie hätten wissen müssen, dass Film und Fernsehen ein falsches Bild vom 'goldenen Westen' vermitteln und dass in den angeblich freien westlichen Demokratien rassistische Ideologien noch mit zuweilen tödlicher Härte in die Praxis umgesetzt werden.

Schubhaft und Abschiebungen erscheinen allen, die kein permanentes Bleiberecht wollen, als notwendiges Übel. Es gibt allerdings keine völkerrechtliche Pflicht eines Staates, Staatsangehörige eines anderen Landes ausgerechnet in ihr Herkunftsland zurückzuführen. Der Mehrheit ist nicht bewusst, dass laut Statistik die meisten Abschiebungen innerhalb der EU stattfinden. Abgesehen von den Abschiebungen in andere, für die Abgeschobenen zuständige EU-Staaten sind die Herkunftsländer allerdings die einzigen, die in die Pflicht genommen werden können, ihre Staatsbürger_innen zurückzunehmen. Wenn das Abschieben staatlich organisiert wird, bleibt daher de facto am Ende nur die Option Abschiebung ins Herkunftsland. Mit allen negativen Konsequenzen. Gäbe es hingegen eine bloße Ausreisepflicht, könnten die Menschen selbstorganisiert irgendwie irgendwohin gehen. So wie sie es irgendwie nach Österreich geschafft haben. De facto ist es ohnehin so, dass viele Flüchtlinge durch Österreich durchreisen. Nur ein kleiner Teil stellt in Österreich einen Asylantrag. Hätte Österreich im Sommer der Migration 2015 die geltenden Regeln vollzogen und auf die Flüchtlingsbewegungen mit Schubhaft und Abschiebungen reagiert, statt rund eine Million Menschen einfach durchreisen zu lassen, wären die Behörden mit der Aufarbeitung eines solchen Unsinns noch viele Jahre beschäftigt.


Bewegungsfreiheit ...


Im Sommer 2015 wurde das Schengener Abkommen vorübergehend faktisch ausgesetzt. Die Festung Europa stand plötzlich offen. Es war ganz einfach. Der Staat hat sich angesichts der Flüchtlinge einfach in Zurückhaltung geübt. Mit dem Resultat, dass die Flüchtlinge binnen kürzester Zeit wieder außer Landes waren. Nur ein kleiner Teil ist geblieben. Die Zurückhaltung des Staates angesichts von Migration führt also, wie dieses historische Beispiel zeigt, nicht zu massenhafter Einwanderung, sondern zur Durchwanderung. Schubhaft und Abschiebungen sind daher noch in einer anderen Hinsicht unsinnig. Menschen, die vielleicht ursprünglich gar nicht hier bleiben wollten, sondern nur hier in die Mühlen der Exekutive geraten sind, werden hier zu Problemfällen für die Exekutive, was wiederum staatliche Investition in die Exekutive und die Festung Europa hervorbringt und in Zusammenhang mit dem Dubliner Abkommen zu einem Hin- und Herschieben zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten führt. Damit wird ähnlich der Gefängnisindustrie ein wirtschaftlich motivierter Komplex geschaffen, dessen raison d´etre die Flüchtlingsabwehr ist. Statt cleverer staatlicher Zurückhaltung entsteht somit ein immer stärkerer und immer teurerer Repressionsapparat. Das scheinen die wahlwerbenden Gruppen, die an Schubhaft und Abschiebungen festhalten, nicht wirklich zu bedenken. Zumal diejenigen, die in diesem Repressionsapparat Erwerbsarbeit finden, eher nicht zur Wählerschicht von Wandel, Grünen und Neos gehören; sofern wir nicht Caritas, IOM und das Rote Kreuz auch zum Apparat zählen. Viele NGOs spielen in diesem System eine zwiespältige Rolle. Allerdings würden die meisten NGOs ungleich mehr profitieren, würde der Staat mehr in Integration investieren.


... versus Abschiebekonsens


Angesichts all dieser Argumente stellt sich die Frage, warum nicht zumindest Grüne und Wandel eine durchdachtere politische Linie bezüglich Schubhaft und Abschiebungen einnehmen. Mit dem Festhalten am Abschiebekonsens haben sie doch eigentlich nichts zu gewinnen, oder doch? Schätzen sie ihre potentiellen Wähler_innen so ein, dass auch diese für Alternativen nicht offen stehen und ihnen den Rücken kehren würden, wenn sie aus dem Abschiebekonsens ausscheren? Vielleicht haben die Grünen Sorge wegen jenem Teil ihrer Wähler_innen, der angeblich zwar umweltbewegt aber ansonsten recht konservativ eingestellt ist. Ob sie die politische Intelligenz ihrer Wähler_innen da nicht unterschätzen?

Oder liegt das Festhalten am Abschiebekonsens daran, dass sie sich den anderen Parteien als koalitions- und regierungsfähig präsentieren wollen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass von den Parteispitzen der fortschrittlicheren im Parlament vertretenen Gruppen seit Jahren keine Kritik an Schubhaft und Abschiebungen zu hören ist. In den höheren politischen Etagen gibt es niemanden, der aus dem hegemonialen Arrangement beim Thema Abschiebungen ausschert.


Grenzen des Widerstandes


Wo der Abschiebekonsens tatsächlich wackelt, das sind die kleinen Gemeinden oder ähnliche überschaubare soziale Gemeinschaften. Dort gibt es immer wieder gut integrierte Einzelpersonen und Familien, die plötzlich von Abschiebung bedroht sind. Angesichts solcher Fälle werden diese kleinen Gemeinschaften aktiv. Ihrem Empfinden nach dürfen gut integrierte Menschen, die Arbeit gefunden und soziale Kontakte geknüpft haben, nicht so einfach abgeschoben werden, Rechtslage hin oder her. Kanzler Kurz hat einmal bei einer Bürger_innenversammlung in Vorarlberg seine liebe Not gehabt, weil die örtliche Bevölkerung wegen einer Abschiebung aufgebracht war. An solchen Beispielen zeigt sich, dass der Abschiebekonsens sich nur auf abstrakte Fremde bezieht. Bei konkreten Fremden, die eigentlich keine Fremden mehr sind, weil sie in einem sozialen Gefüge ihren Platz gefunden haben, hört der Abschiebekonsens ganz schnell auf und schlägt sogar zuweilen ins Gegenteil, weil die Bürger_innen eine Abschiebung plötzlich als grobes Unrecht empfinden.

Leider ist schwer zu vermitteln, dass jede Abschiebung ein grobes Unrecht darstellt. Die Bedrohung des nationalen Territoriums durch eine Masse von abstrakten Fremden ist eine grundlegende Denkfigur des Rassismus, der aus den Köpfen nicht und nicht weichen will. Wenn nicht einmal die fortschrittlicheren parlamentarischen Kräfte den Abschiebekonsens in Frage stellen, ist es kein Wunder, dass aus einer antirassistischen Perspektive seit Jahren nur realpolitische Rückschritte zu verzeichnen sind und die rechten Parteien immer ungenierter ihre menschenverachtenden Ansichten umsetzen können.


Schlussfolgerung


Die Positionen der Parteien, ihre Auftritte und Argumente im Wahlkampf zeigen auf, dass sich vor allem die Spitzenpolitiker_innen, aber mehr oder weniger die gesamten Parteien, kaum noch trauen, Schubhaft und Abschiebungen zu kritisieren, geschweige denn abzulehnen. In keiner der Informationen zum Wahlkampf und den Programmen der Parteien ist davon zu lesen.

Die Kritik an einzelnen Abschiebungen ist reflexartig: Auf ein "die sollten nicht abgeschoben werden" folgt sehr oft ein Hinweis, dass "die Richtigen", oder jene "die es verdient haben" nicht abgeschoben würden. Eine Kritik, die als Vorwurf an die Regierenden gestellt wird und deren Unmenschlichkeit im Umgang mit Geflüchteten aufzeigen soll. Mit anderen Worten gesagt: Die Lehrlinge sollen bleiben dürfen (siehe :: Nein zur Abschiebung von Lehrlingen), weil die Wirtschaft sie 'braucht'. Wer 'nicht gebraucht' wird, soll am besten wieder verschwinden, sofern keine menschenrechtlichen Bedenken dem im Wege stehen. Das klingt so, als könnten Menschen beliebig getauscht und über sie verfügt werden - und das ist zweifelsohne als Rassismus zu bezeichnen.

Die "Guten" sind dabei meist die persönlich Bekannten, die als 'gut integriert' wahrgenommen werden. Gleichzeitig wird den unbekannten "Bösen" alles mögliche unterstellt - und dabei nicht selten auf rassistische Stereotype zurückgegriffen. Es ist das Bild der "Fremden", die zur Bedrohung werden. Deshalb wird oft von Fremdenfeindlichkeit gesprochen, während Rassismus als "Unterstellung" gilt - und lediglich bei den jeweils weiter rechts stehenden Parteien verortet wird.

Deshalb verwundert es nicht, dass sich alle vier befragten Parteien selbst als Vertreter_innen antirassistischer Positionen definieren, ohne Schubhaft und Abschiebungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Lediglich "Wir können" sieht Schubhaft als "rassistisch motiviert" und lehnt diese deshalb ab, bezeichnet diese jedoch nicht als Instrument des staatlichen Rassismus.

Deshalb sei hier auf eine mehr als 20 Jahre und weit verbreitete Definition verwiesen:

"Differenzierende Instrumente wie Schubhaft und Abschiebung, rassistische Gesetze und Praxen, können nicht verbessert sondern nur verhindert und abgeschafft werden. Sie sorgen dafür, dass Menschen rassistisch ausgegrenzt werden und andere davon profitieren. Rassismus liegt ihnen existenziell zu Grunde. Abschiebungen unmöglich zu machen und Migrant_innen aktiv zu unterstützen ist praktische Solidarität und ziviler Ungehorsam gegen institutionalisierte Rassismen." (:: Schubhaft abschaffen!)

Konsequent weiter gedacht, geht es bei der Ablehnung von Schubhaft und Abschiebungen um grundlegende Freiheiten: zu kommen, zu bleiben und zu gehen. Darüber sollte jede_r Mensch selbst entscheiden können, denn alles andere ist entmündigend - und damit rassistisch.