Fast alles scheint im Schaubergwerk Seegrotte in der Hinterbrühl (NÖ) wichtiger zu sein, als ein angemessenes Gedenken an die Opfer des Konzentrationslagers, dass sich ebendort in den Jahren 1944/45 befand.
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Das Konzentrationslager in der Hinterbrühl war eines von vielen Nebenlagern des KZ-Mauthausen. Die Insassen, zum größten Teil politische Häftlinge, mussten in einem 24-Stunden Schichtdienst unter Tage am Bau von Flugzeugen für den NS-Staat mitwirken. Anfänglich waren etwa 800, später etwa 1800 Häftlinge in der Hinterbrühl.
Das Konzentrationslager in der beschaulichen Villengemeinde im Bezirk Mödling, gilt als eines der grausamsten Nebenlager von Mauthausen. Es gibt Geschichten von Häftlingen, die sich aus Verzweiflung in den elektrischen Zaun der KZ-Anlage stürzten. Die Gesamtzahl der Opfer ist bis heute unbekannt. Gut dokumentiert sind lediglich die Ereignisse der letzten Kriegstage. Durch den erfolgreichen Vormarsch der Roten Armee Richtung Westen unter Druck gesetzt, befahlen die Nationalsozialisten die Auflösung des Nebenlagers in der Hinterbrühl und den Rückmarsch nach Mauthausen. Etwa 50 gehunfähige Gefange, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Krankenstation des Konzentrationslagers befanden, wurden mit Benzininjektionen ermordet. Von den 1800 Menschen, die den Marsch nach Mauthausen antreten mussten, überlebten nur wenige.
Schaubergwerk Seegrotte
Heute ist das ehemalige Gipsbergwerk eine TouristInnenattraktion, die vor allem mit dem größten unterirdischen See Europas für sich wirbt. Auf den Führungen durch die stillgelegten Stollen, wird stolz auf den Umstand hingewiesen, dass hier der Disney-Film "Die drei Musketiere" gedreht wurde. Auch die Verehrung der heiligen Barbara durch die Bergleute wird an mehreren Stationen umfangreich behandelt. Die Tour endet mit einer Bootsfahrt auf dem See, untermalt mit einer romantischen Musik- und Lichtshow. In den Jahren 1944/45 war der See trocken gelegt. Der Grund des heutigen Sees, über den täglich Boote mit nichtsahnenden TouristInnen ihre Runden drehen, war der Ort an dem die KZ-InsassInnen arbeiten mussten.
Auf die hier durch Zwangsarbeit entstandenen Flugzeuge wird noch heute positiv Bezug genommen. "Der erste Düsenjäger der Welt" sei hier gebaut worden, wird den BesucherInnen der Seegrotte erzählt. Von wem und unter welchen Bedingungen bleibt im Dunklen.
Auf ihrer Homepage schreiben die BetreiberInnen der Seegrotte lediglich, dass "2000 Arbeiter, darunter viele Zwangsarbeiter, (...) damit beschäftigt [waren], hier einen der ersten Düsenjäger der Welt zu produzieren - die Heinkel HE 162 'Salamander'". Ein ganzer Absatz wird ebenda der Trockenlegung des Sees, der Beheizung der Höhle und der Errichtung der "große[n], unterirdische[n] Flugzeugfabrik" gewidmet. Auch hier wird die Ermordung der Zwangsarbeiter nicht erwähnt.
Auf die Spitze wird die Verdrängung in einer Filmdokumentation getrieben, die im Bergwerk zu sehen ist. Die Dokumentation schafft den Spagat, sich einerseits des Baus der Flugzeuge zu rühmen und andererseits die Geschichte des Konzentrationslagers und seiner Insassen zu verschweigen. "Der Film ist nur als eine kurze Information über die Seegrotte gedacht mit dem Focus auf die Zeit des Bergwerks", heißt es dazu von den BetreiberInnen der Seegrotte.
Gedenktafel für Bombenopfer und KZ-Häftlinge
Die Frage in welcher Form heute bei TouristInnen-Führungen auf die Geschichte der Seegrotte von 1938 bis 1945 Bezug genommen wird, beantworten die BetreiberInnen des Schaubergwerks so: "Es wird erwähnt, dass die Seegrotte von 1944-1945 beschlagnahmt wurde. Die Geschichte wird bei jeder Führung ausführlich erklärt." Weiters wird auf "eine Gedenktafel mit Blumenschmuck und Kerzen" hingewiesen, die sich in der Seegrotte befindet. Darauf ist in deutscher, englischer und italienischer Sprache eingraviert:
"Zum Gedenken an die KZ-Häftlinge und Kriegsgefangenen, die in der Zeit 1944/45, als die Seegrotte unter der nationalsozialistischen Diktatur beschlagnahmt war, hier Zwangsarbeit leisten mussten."
Unter dieser Gedenktafel ist eine zweite - etwas kleinere - Tafel angebracht. Auf ihr ist folgendes zu lesen:
"36 Menschen verloren beim Bombenangriff auf das damalige Flugzeugwerk Seegrotte ihr Leben."
Auch hier wird die Ermordung des Großteils der Häftlinge - sei es durch Benzininjektionen oder durch den Todesmarsch Richtung Mauthausen - verschwiegen. Durch die Zusatztafel wird zudem suggeriert, dass es sich bei den Opfern des Bombenangriffs ebenfalls um KZ-Häftlinge handle. Dies ist jedoch falsch. Auf Nachfrage bei den Seegrotten-BetreiberInnen bekommen wir die Auskunft, dass es ausschließlich Zivilpersonen der Ortschaft Hinterbrühl waren, die beim besagtem Bombenangriff ums Leben kamen.
Die Geschichte, die mit den Gedenktafeln erzählt wird, beginnt damit, dass in der Seegrotte 1944/45 KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden und endet mit dem unterschwelligen Hinweis, dass es für die Bevölkerung der Hinterbrühl im Krieg auch nicht leicht gewesen sei. Die Ermordung der Häftlinge wird auch hier verschwiegen. Denn nur durch das Verschweigen des Unsagbaren kann die unhaltbare Gleichsetzung von zivilen Bombenopfern und über Monate und Jahre gequälte und brutal ermordete KZ-Häftlinge inhaltlich aufrechterhalten werden.
Aufarbeitung und Verdrängung
In den 80er Jahren thematisierten SchülerInnen aus Baden die braune Vergangenheit der Hinterbrühl. Nur wenige Gehminuten vom Ausgang der Seegrotte entfernt, befindet sich auf einem Teil des ehemaligen KZ-Arreals seit 1989 eine Gedenkstätte. Sie wurde - gegen große Widerstände aus der Gemeinde - vom früheren Pfarrer der Hinterbrühl initiert. Mitinitiartor und bis heute in Sachen Gedenkstätte aktiv ist Heinz Nußbaumer, Mitarbeiter des ORF-Magazins "Kreuz & Quer" und davor u.a. Pressesprecher von Kurt Waldheim.
Den meisten BesucherInnen der Seegrotte bleibt jedoch sowohl die frühere Existenz des Konzentrationslagers als auch die gegenwärtige Gedenkstätte verborgen. Von den BetreiberInnen der Seegrotte wird im Rahmen der Führungen nicht auf die Gedenkstätte eingegangen und auch an anderen wichtigen Plätzen in der Gemeinde Hinterbrühl gibt es keinen Hinweis, geschweige denn einen Wegweiser.
Gut versteckt hinter hohen Bäumen und dichten Sträuchern, liegt die KZ-Gedenkstätte an der Johannesstraße. Der Holzpfeil, der auf den Eingang der Gedenkstätte aufmerksam machen soll, wird wohl kaum jemandem der/die mit dem Auto daran vorbeifährt auffallen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Gedenkkultur im Ort, drängt sich der Eindruck auf, dass dieser Umstand den meisten Menschen hier durchaus recht ist.
Auch die offiziellen VertreterInnen der Gemeinde drücken sich um die Aufarbeitung der mörderischen Aspekte ihrer Ortsgeschichte herum. Auf der offiziellen Homepage ist zu den Ereignissen zwischen 1938 und 1945 lediglich zu lesen, dass die Hinterbrühl zu "Groß-Wien" eingemeindet wurde und damit ihre Eigenständikeit verlor. Weder die Zwangsarbeiter noch das Konzentrationslager wird erwähnt. Die von einer ÖVP-Liste regierte Gemeinde verweigerte die Beantwortung einer E-Mail Anfrage zu diesem Teil ihrer Homepage.
KZ-Gedenkstätte geschändet
Dass auf diesem Boden manch braunes Pflänzchen wächst, ist nicht verwunderlich. Schon zweimal wurde die KZ-Gedenkstätte von einschlägigen AktivistInnen geschändet.
In der Nacht auf den 19. Januar 2004 sägten unbekannte TäterInnen eine Gedenktafel um und besprühten einen Gedenkstein mit dem Wort "Lüge".
Am 21. Jänner 2007 wurde die Holztafel, die an der Straße auf die Gedenkstätte hinweist, mittels Brandbeschleuniger angezündet.
Neugestaltung der Seegrotte ist notwendig!
Die Kritik am derzeitigen Umgang mit der Vergangenheit der Seegrotte, läuft letztlich auf die Forderung nach einer kompletten Neugestaltung des heutigen "Schaubergwerk Segrotte" hinaus. Es kann nicht sein, dass den Pferden, die ihr Leben unter Tage verbringen mussten und dadurch erblindeten in größerem Umfang gedacht wird als Menschen, die zur Schwerstarbeit gezwungen, gequält und ermordet wurden.
Die heutigen BetreiberInnen müssen sich der Vergangenheit der Seegrotte stellen und daraus Konsequenzen für die heutige Präsentation des Schaubergwerks ziehen. Der Fokus ist auf die Geschichten der ermordeten ZwangsarbeiterInnen zu richten. Die Flugzeuge müssen im Kontext ihrer Erzeugung, dem Zweck ihrer Herstellung und der Ermordung des Großteils ihrer Erbauer präsentiert werden. Ebenso sollte die KZ-Gedenkstätte Teil des Programms der Seegrotte sein und den BesucherInnen im Rahmen der Führungen gezeigt werden.
Die derzeitige Form des Gedenkens durch die weiter oben kritisierten Gedenktafeln im Bergwerk sollte überdacht werden. Statt sich stolz zu rühmen, dass in ihren Räumlichkeit der Film "Die drei Musketiere" gedreht wurde, sollten sich die BetreiberInnen der Seegrotte Gedanken darüber machen, was eine derartige Verwendung eines ehemaligen Konzentrationslagers über die eigene Gedenkkultur aussagt. Nicht zuletzt an den BetreiberInnen der Seegrotte läge es auch, sich für die Erichtung einer Gedenk- und Informationsstätte im Zentrum der Hinterbrühl stark zu machen, wo sich bis heute lediglich ein Kriegerdenkmal befindet, auf dem den Soldaten der Wehrmacht gedacht wird.
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