Informationen über ankommende Flüchtlinge und überfüllte Lager gehören zur Inszenierung von Politik und Medien, mit der die Menschen verachtende Abschottungspolitik der EU legitimiert werden soll. Nur selten wird über Widerstand berichtet - doch dieser bestimmt den Alltag vieler Migrant_innen.
Wie Times of Malta berichtete, ist am 5. Februar 2009 zehn Migrant_innen der Ausbruch aus dem geschlossenen Lager in Safi gelungen. Einheiten von Polizei und Armee machten sich mit Hubschrauberunterstützung an die Verfolgung. Ein Anwohner sagte, er habe vor seinem Haus einen Migranten gesehen, der verwirrt und müde gewirkt habe. Der Mann wurde kurz darauf von einer Militärpatrouille festgenommen. Am Abend kam es zu Zusammenstößen zwischen Einwander_innen und der Armee, wobei ein Feuer ausbrach. Die Behörden konnten durch Tränengas-Einsatz die Situation wieder unter ihre Kontrolle bringen.
Aufgrund der angespannten Situation in den Lagern auf Malta, greifen die Behörden immer wieder zu repressiven Maßnahmen. So kam es Ende Jänner 2009 zu Tumulten im Flüchtlingslager Safi. Den Anlass für die Protesten von 200 Migrant_innen im Flüchtlingslager Safi gab laut Medienberichten ein defekter Heißwasserboiler, der nach Angaben eines Armeesprechers zur Bereitung von warmen Getränken diente. Bei dem Tumult im Block B wurde ein Aufseher leicht verletzt.
Die Geschichte um den Boiler dient möglicherweise dazu, um die Situation zu beschwichtigen und die Öffentlichkeit zu beruhigen. Denn die Menschen in den Lagern haben ausreichende Gründe, gegen ihre Internierung zu protestieren, was sie auch immer wieder machen. So protestierten sie auch bei dem Zwischenfall Ende Jänner gegen ihre Inhaftierung, wie die Times of Malta zugeben musste.
Asylsuchende, die über den inoffiziellen Seeweg Malta erreichen und von den Behörden aufgegriffen werden, können bis zu 18 Monaten in den überfüllten Lagern festgehalten werden. Doch nicht immer läuft die Ankunft im Sinne der Abschiebebehörden ab. Als am 1. Februar 2009 ein Flüchtlingsboot mit über 260 Menschen an Bord landete, gelang zahlreichen der Angekommenen die Flucht - was absurd klingt, da sie sich ja offiziell bereits auf Flucht befanden. Deshalb könnte auch gesagt werden: Die Gestrandeten konnten ohne aufgegriffen zu werden ihre Flucht fortsetzen.
Jedenfalls leiteten die Behörden nach der Landung des Flüchtlingsbootes die Suche nach einer unbekannten Zahl von Migrant_innen ein, die sich der Festnahme durch Sicherheitskräfte entziehen konnten. Polizei und Armee wiesen sich gegenseitig die Schuld am Entkommen der Flüchtenden zu.
Damit derartiges nicht allzu oft geschieht, wird insbesondere die Südküste Maltas massiv überwacht: Es gibt Patrouillen mit Geländewagen und Motorräder. Aber auch die lokale Bevölkerung beteiligt sich an der Menschenjagd und meldet der Polizei verdächtige Beobachtungen.
Kritik an Internierung - Regierung setzt auf Repression
Am 5. Februar 2009 hat das Europäische Parlament laut :: Malta Independent eine Resolution verabschiedet, in der die Bedingungen in den Internierungslagern der EU verurteilt und als untragbar bezeichnet werden. In der Resolution wird gefordert, Asylsuchende in offenen Aufnahmezentren unterzubringen - im Gegensatz zu den geschlossenen Lagern wie im Falle Malta, die einer automatisierten Politik Internierung entsprechen. Außerdem werden permanente Kontrollen der Lager durch staatliche Behörden (national detention centre ombudsmen) gefordert. Anstatt sich grundsätzlich gegen die Abschottungspolitik auszusprechen, wurde von den Parlamentarier_innen jedoch an mehr Solidarität unter den EU-Mitgliedsstaaten appelliert, jene Staaten an den Rändern der Festung Europa zu unterstützen, in denen die meisten Migrant_innen heimlich einreisen.
Von Malta wurde in den vergangenen Jahren mehrmals "Hilfe" durch die anderen EU-Mitgliedsstaaten gefordert, da das kleine Land die zunehmende Anzahl an Bootsflüchtlingen nicht bewältigen könne. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang von einer "fairen" Aufteilung gesprochen, ohne jedoch die Wünsche der Migrant_innen selbst zu berücksichtigen und sie entsprechend "fair" zu empfangen.
Einem Bericht des Europäischen Parlaments vom Dezember 2007 zur Internierung von sog. Drittstaatsangehörigen (:: hier als pdf) zufolge, erreichte die Diskussion im Juni 2007 einen Höhepunkt. Damals hatte sich Malta geweigert, schiffbrüchige Flüchtlinge aufzunehmen, die zuvor in libyschem Territorium auf See gerettet wurden. In der Folge führten die Behörden auf Malta ein System ein, demzufolge alle ankommenden Migrant_innen automatisch in geschlossene Lager gesperrt werden.
In den vergangenen Jahren und in Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU wurde auf der Insel entsprechende Asylgesetze erlassen (Refugee Act 2000) und die Behörden ausgebaut - sowohl personell als auch was Infrastruktur betrifft. Seit 2005 regelt eine Richtlinie die Aufnahmebedigungen von ankommenden Migrant_innen (Reception Conditions Directive). Mit der Eingliederung in die nationalstaatliche Politik wurden die Behörden zunehmend mit der Fürsorge der aufgegriffenen Personen in offenen wie geschlossenen Lagern betraut (Policy paper 2005).
Kritik am Migrationsmanagement
Erst im Jänner 2009 hat die Regierung nach harter :: Kritik einer UN-Delegationen an der Inhaftierung von heimlichen Einwander_innen auf Malta ihre Politik verteidigt. Es gehe darum, eine Balance zwischen Sicherheitsfragen und humanitären Erwägungen zu finden. Darüber hinaus wurde argumentiert, dass das Recht auf Asyl in jedem Fall gewahrt werde. Auch würden nicht alle Migrant_innen für 18 Monate eingesperrt. So wird ein aktueller Fall eines kranken, achtjährigen Kindes angeführt: Es sei nicht wegen des UN-Protests, sondern wegen einer Erkrankung aus einer geschlossenen Einrichtung verlegt worden.
Um die Hintergründe zu verstehen, lohnt sich einen Blick in den Bericht :: Flüchtlinge auf Malta: Von Zuständigkeiten und Haftzentren (17. Apr 2006). Dort wird darauf hingewiesen, dass die angestrebten "Lösungen" auf eine vermehrtes Migrationsmanagement hinauslaufen - was nicht als Lösung bewertet werden kann. Denn das Migrationsmanagement dient nicht den Interessen der Migrant_innen, sondern lediglich dazu, um diese den Interessen der - in diesem Fall - EU-Staaten zu entsprechen.
Ein Ansatz, der in Zusammenarbeit mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex verfolgt wird, ist der Einsatz von Marineschiffen, die Flüchtlingsboote an der Fahrt zu den Inseln der EU (wie Lampedusa oder Malta) zu hindern. So startete im Sommer 2007 die Frontex-Operation Nautilus, um die Boote auf dem Seeweg zwischen Libyen und Malta sowie den italienischen Inseln Lampedusa und Sizilien abzuhalten. Trotz dieser Operation ist die Zahl ankommender Migrant_innen in der ersten Hälfte von 2008 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum angestiegen. :: migrationsrecht.net berichtete: "Die Nautilus-Operation der europäischen Grenzschutzagentur Frontex ist gescheitert." Trotz dieses Flopps plant Frontex bereits :: Nautilus '09. Von März bis November sollen wieder Kriegsschiffe der EU im Mittelmeer dafür sorgen, dass weniger Migrant_innen die Strände der EU erreichen. Als Probleme werden die mangelnde Bereitschaft der Mitgliedsstaaten der EU, Material zur Verfügung zu stellen plus die mangelnde "Kooperation" Libyens genannt.
Doch soll auf Druck Italiens die Kooperation Libyens erzwungen bzw. erkauft werden. Italien wünscht, in den nächsten Wochen hunderte Menschen von Lampedusa nach Libyen und :: Tunesien abzuschieben - obwohl die meisten Flüchtlinge nicht aus diesen Ländern stammen. Ein Entsprechendes Abkommen wurde im Herbst 2008 zwischen den beiden Staaten verabschiedet. Dieses Abkommen sieht auch :: gemeinsame Seepatrouillen vor der Küste Libyens vor, zu denen Anfang Februar 2009 ein :: weiteres Abkommen zwischen den beiden Staaten unterzeichnet wurde und nun eine italienisch-lybische Koordinationseinheit für gemeinsame Patrouillen eingerichtet werden soll.
In einem Bericht in der :: Deutschen Welle wird der in diesem Projekt maßgeblich involvierte italienische Innenminister Roberto Maroni zitiert, der keinen Hehl aus seinem Rassismus macht: "Um die illegale Einwanderung zu bekämpfen, darf man nicht zu gutherzig sein. Im Gegenteil: gemein muss man sein, streng und gesetzestreu." Aus derartigen Aussagen, die keinen Einzelfall darstellen, kann abgelesen werden, dass zuerst rassistische Gesetze erlassen werden, um mit einem angeblichen Notstand zurecht zu kommen. Und genau auf diese Gesetze berufen sich in der Folge Politiker_innen, die oft selbst die Gesetze (mit)beschlossen haben.
Auf EU-Ebene wurde im Rahmen eines :: informelles Treffen der EU-Innenminister_innen am 15. und 16. Jänner 2009 in Prag über einen weiteren Ausbau der Abschottung Europas gesprochen. Dort präsentierten die sogenannte Quadro Gruppe (Italien, Zypern, Griechenland und Malta) ein Papier (:: hier als pdf), in dem ein EU-internes Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge und der weitere Ausbau von Frontex vorgeschlagen werden.
In einer von Aktivist_innen aus Italien gestarteten :: Petition gegen Internierungslager für Migrant_innen wird ein Ende der Gewalt gegen Migrant_innen gefordert: Believe it is necessary to bring to a halt the violence against thousands of human beings arrested and deported by the Libyan police, to prevent their migration to Europe.
Zurück zum Widerstand
Der Versuch, heimlich in die EU einzureißen, muss als Widerstand gegen die restriktiven Einreisebestimmungen der EU gewertet werden. Menschen besteigen Boote und begeben sich auf den gefährlichen Weg, weil ihnen die Einreise ins reiche Europa verwehrt wird. Oft riskieren sie dabei ihr Leben, da die Überfahrt - gerade in den Wintermonaten - sehr gefährlich ist. Jene, die EU-Territorium erreichen, werden in der Regel eingesperrt und oft in der Folge abgeschoben. Dabei werden von den Behörden ganz bewusst geltende Bestimmungen zum Schutz von Flüchtlingen übergangen. Vielen wird selbst der Zugang zu einem Asylverfahren verwehrt und sie werden so schnell wie möglich wieder abgeschoben.
Zwar wäre es den Rassist_innen wohl am Liebsten, die Menschen gar nicht erst landen zu lassen oder gleich wieder abzuschieben. Da dies nicht möglich, entstehen an zahlreichen Orten Lager zur Internierung von Flüchtlingen und Migrant_innen. Doch darf nicht vergessen werden, dass überall wo Menschen eingesperrt werden, diese auch Widerstand leisten. Als Beispiele sind die oben genannten Ausbrüche auf Malta zu nennen oder die mediales Aufsehen erregenden Proteste der Migrant_innen auf :: Lampedusa im Jänner 2009.
Diese Beispiele sind nur exemplarisch für einen weltweiten Kampf für Bewegungsfreiheit. Doch es sind Beispiele, die zeigen, dass dieser Kampf geführt wird und dass selbst mit Hochtechnologie und Militär blockierte Grenzen überwunden werden. Denn: Menschen lassen sich nicht einfach so einsperren, wie es die Rassist_innen planen. Wichtig für den Kampf von Migrant_innen innerhalb der Lager ist die Solidarität von draußen. Es geht darum, die Isolation zu durchbrechen und die trennenden Zäune nieder zu reißen. Der Ausbruch von zehn Migrant_innen aus dem Lager in Safi zeigt, wie dies in die Tat umgesetzt wurde: Die Gefangenen haben den Zaun niedergerissen und sind dann geflüchtet. Sie sind nicht die einzigen, nach denen derzeit auf Malta gesucht wird. Immer wieder gelingt es Menschen, sich auf unterschiedliche Weise aus den Klauen der Abschiebemaschinerie zu befreien.
Quellen :: borderline-europe.de, :: frontex.antira.info, :: timesofmalta.com, :: independent.com.mt, :: migrationsrecht.net