Die Häftlinge der Abschiebehaft sprechen. Ergebnisse von Interviews mit Häftlingen aus Lampedusa, die am Tag des Brandes im Februar 2009 die Polizeigewalt erlebt haben.
Aufgezeichent von Gabriele del Grande im April 2009, aus dem Italienischen von Judith Gleitze, www.borderline-europe.de
Von der Polizei geprügelt, "ohne Gnade". Am Kopf verletzt, Handgelenkbrüche, Verletzungen an den Beinen. Das erste Mal sprechen die im Identifikations- und Abschiebungsgefängnis Lampedusa festgehaltenen Migranten. Mehr als 600 Tunesier und um die 100 Marokkaner sind dort seit Monaten unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt. Wir kennen sie, aber sie haben uns gebeten, ihre Namen nicht zu nennen, aus Sicherheitsgründen. Sie klagen die Misshandlungen am Tag der Revolte und des Brandes am 18. Februar 2009 im Lager Lampedusa an. (...) Ein dunkles Bild, das sich da abzeichnet und vor allem Licht auf die undurchsichtige Politik der italienischen Regierung wirft. In ein paar Tagen, am 26. April, fällt das Dekret 11/2009, mit dem die Haft von 2 auf 6 Monate in den CIE verlängerbar ist. Ohne ein neues Dekret müssen die 700 Gefangenen auf Lampedusa freigelassen werden! Und sie können zu ihren Verwandten, wenn auch nur heimlich, die seit Monaten in Italien und dem Rest Europas auf sie warten. Wenn es jedoch, wie es zu vermuten ist, von der Regierung verlängert wird, dann werden wir weiter Geschichten wie diese hier hören.
Die Schläge
"Sie haben uns mit Knüppeln geschlagen, sie haben Tränengass nach uns geworfen. Und wir hatten nichts. Wir waren in einer Ecke, dort haben Leute noch geschlafen. Das ist noch nie vorgekommen."
Mo. erinnert sich an den Morgen des 18. Februar 2009. An diesem Tag wurde ein Block des Lagers durch den Brand komplett zerstört. Das Feuer wurde von einigen tunesischen Häftlingen gelegt, die sich damit der Polizei zur Wehr setzten - mehr als Hundert Polizisten in Kampfmontur - die einige der Migranten verletzten. F. war auch zugegen: "Sie haben sie unglaublich brutal behandelt. Ohne Gnade." "Überall waren Polizisten", sagt ein anderer anonymer Zeuge, M., "alle prügelten mit Schlagstöcken. Vor mir war einer, der blutete und ein Polizist schlug ihm auf den Kopf. Sie mussten ihn mit 10 Stichen nähen. Ein anderer hatte eine gebrochene Hand. Und einer konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten." Die Zusammenstöße begannen vor der Kantine, wo vier oder fünf Polizisten, so M., der sich auch dort aufhielt, einige Tunesier attackierten, die sie verbal angegriffen hatten. Von da breitete sich der Protest auf die Hundert weiteren Anwesenden aus, mindestens vier wurden dann von der Polizei nach einem Tränengaseinsatz attackiert. Auch Stunden nach dem Brand, während der Identifizierung und der Verhaftung von knapp 20 Personen als Brandstifter gingen die Gewalttätigkeiten weiter.
Wie in der Hölle
Y. spricht von den Schlägen wie von etwas ganz Offensichtlichem: "Alle wussten, dass die Polizei die Tunesier an diesem Tag geschlagen hat, auch die Organisationen, die hier drin arbeiten. Die Polizei war so wütend. Sein nahmen sie zu zweit unter den Armen und schleppten sie in die Bäder, einen nach dem anderen. Dann schlossen sie Fenster und Türen und prügelten sie." Mo. kann nicht fassen, was passiert ist: "Ich bedanke mich bei der Marine, die uns auf See gerettet hat. Aber warum haben sie uns gerettet, frage ich mich wenn sie uns in die Hölle bringen?"
Die Überfüllung
"Wenn Ihr das Lager gesehen hättet, hättet ihr auch Feuer gelegt. Es ist kein Ort für Menschen, sondern für Hunde." Das Zentrum ist immer noch überfüllt: mehr als 700 Menschen sind dort in einer Struktur für 381 Betten untergebracht, die nun auch noch durch den Brand über weniger Platz verfügt. "In meinem Zimmer sind wir 21, haben aber nur 12 Betten. Die Leute schlafen unter den Betten, auf dünnen Matratzen. Oder zwei in einem Bett. Einige schlafen auf den Fluren." Das ist nichts gegenüber dem Zustand Ende Januar, als sich 1.900 Menschen im Lager befanden. "Da waren die Bedingungen grauenhaft", sagt, Mo. "Duschen und Toiletten funktionierten nicht. In einem Zimmer waren bis zu 100 Personen. Wir schliefen immer zu zweit auf einer Matratze und zu zweit unter einem Bett, auf der Erde, die Füße am Kopf des Anderen." Es gab sogar eine Zeitlang Schichten zum Schlafen. Y. zum Beispiel hat nach vier Nächten im Freien, und das Mitte Januar, sein Bett 10 Tage lang mit einem marokkanischen Freund geteilt. "Er schlief nachts und ich am Vormittag."
Die Psychopharmaka
Die Verabreichung von Antidepressiva und Beruhigungsmitteln im CIE (Identifikations- und Abschiebungshaftzentrum) von Lampedusa sei eine verbreitete Praxis, so die interviewten Häftlinge. "Die Leute sind zu nervös, sie nehmen Beruhigungsmittel. Viele von ihnen. Du siehst es, weil sie komisch aussehen. Die Medikamente sind stark", sagt M. Andere wiederum beschweren sich über den Mangel an Medikamenten. "Für jede Krankheit geben sie dir immer die gleiche Pille", sagt Mo. Y. hingegen ist überzeugt, dass sie a und an Beruhigungsmittel unter das Essen mischen. "Vor einigen Monaten war das...Da waren wir alle nach dem Essen so müde, dass wir nur noch schlafen wollten...da haben wir gedacht, dass da was im Essen war."
Die Bestätigung
Das Dekret, das das Erstaufnahmelager in der Contrada Imbriacola in eine Abschiebungshaft verwandelte, trat am 26. Januar in Kraft. Von diesem Tag an hat die Quästur in Agrigento Zurückweisungsbescheide ausgestellt - für 1.134 anwesende Häftlinge.
Innerhalb von zwei Wochen haben Friedensrichter des Gerichts von Agrigento und Pflichtverteidiger für die Bestätigung der Bescheide und damit für die 60 Tage Haft gesorgt. 60 Tage, die jedoch die Haftzeit davor nicht mitzählten. Der Haftprüfungstermin von Y. und Mo. war am 30. Januar 2009. Sie waren seit drei Wochen in Haft, seit dem 9. Januar.
Doch die Frist der 60-Tage-Haft lief erst ab dem 31. Januar. Und die 21. Tage zuvor? Eine willkürliche Haft an der Grenze Italiens, an der Grenze des Rechts.
Quelle :: fortresseurope.blogspot.com vom 16. April 2009 (dort mit Videos); Original auf italienisch auf :: fortresseurope.blogspot.com