Am 1. Jänner 2010 tritt in Österreich das novellierte Fremden- und Asylrecht in Kraft und wird zahlreiche Verschärfungen mit sich bringen. Ein Kritikpunkt ist die geplante vermehrte Anwendung von Schubhaft. Wie ernst diese Kritik zu nehmen ist beweist der Umstand, wie die Behörden derzeit die Errichtung von Internierungseinrichtungen für Migrant_innen und Flüchtlinge vorantreiben. Ein Blick hinter die Kulissen eines rassistischen Landes.
In den vergangenen Monaten erhitzten die Diskussion rund um die Errichtung eines Schubhaftzentrums für Migrant_innen bzw. eines weiteren Erstaufnahmezentrums für Flüchtlinge regelmäßig die Gemüter. Wo sollen diese Einrichtungen gebaut werden? "Nicht bei uns", wurde oft vernommen. Doch welche Argumente stecken hinter der mit einer Menschenverachtung geführten Diskussion über die geplante Zunahme von Internierung und Deportation? Welche Motive standen hinter den Einsprüchen gegen die geplanten Internierungseinrichtungen? Vorneweg muss resümiert werden, dass Antirassismus gegen die geplanten Zentren zur Umsetzung einer rassistischen Politik so gut wie keine Rolle spielte. Stattdessen versuchten sich die Politiker_innen aller Parteien - von rot über braunblauorange bis schwarz - sich mit rassistischen Hetzargumenten gegenseitig zu übertreffen. Denn hinter rational-wirtschaftlichen Argumenten verbirgt sich ein abgrundtief verankerter Rassismus.
Bei genauerer Betrachtung der Diskussionen fällt auf, dass der Rassismus gar nicht versteckt wird. Er wird aber als "normal" angesehen und nicht hinterfragt. Die Verhängung von Schubhaft und Durchführung von Abschiebungen gilt als Konsens und bricht nur dort auf, wo Menschen merken, dass ihre Freund_innen und Bekannten, die als "gut integriert" wahrgenommen werden, selbst die nächsten sein werden, über die diese Maßnahmen verhängt werden. Dann wird gefragt: Wie kann das sein? Die leben doch schon so viele Jahre in diesem Land, haben sich integriert, sind "brave" Mitbürger_innen usw. Doch in der Diskussion um die Errichtung neuer Internierungszentren spielen diese moralisch-humanistischen Bedenken keine Rolle. Hier geht es um Arbeitsplätze, um Standortsicherung, um wirtschaftliche Vorteile, den Erhalt lokaler Infrastruktur - und jede Menge satter Gewinne in den Gemeindekassen. Stimmen gegen die Errichtung der Internierungslager und die offizielle Propaganda ausspricht, sollten eigentlich begrüßt werden. Doch ist das Problem, dass Kritik und Einsprüche gegen die geplanten Bauvorhaben vor allem aus dem braun-rassistischen Sumpf kommen: Gewarnt wird vor einem Anstieg der Kriminalität, vor Schaden für den Tourismus und das Ansehen der Gemeinden bzw. Regionen. Kritisiert wird das "fehlende Demokratieverständnis" von SPÖVP und die mangelnde Einbeziehung der Meinung von Bürger_innen.
Angesichts derartiger Schlammschlachten, in denen die Leben jener Menschen, über deren Zukunft hier entschieden wird, keine Rolle spielen - und wenn, dann bestenfalls als Wirtschaftsgüter, die hin-, her- und abgeschoben werden können wie Pakete. Es geht den Behörden, allen voran der rassistischen Vollstreckungsbehörde in Innenministerium, laut ihrer Hochglanzbroschüren zur Information der Bürger_innen um eine Steigerung der "Effizienz", versteckt hinter dem Mantel der Humanität und "neuen modernen Rückführungsstandards".
Im Informationsfolder "Die 10 wichtigsten Fragen & Antworten zum Thema Schubhaftzentrum", mit dem die Bewohner_innen vor Vordernberg im Bezrik Leoben, Steiermark, über die geplanten Bauvorhaben in Kenntnis gesetzt wurden, ist einleitend zu lesen:
"Eine wirksame Rückführung illegal in Österreich aufhältiger Personen stellt einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von illegaler Zuwanderung dar. Die Anforderungen an den Vollzug von Abschiebungen haben sich verändert. Die historisch gewachsenen Polizeianhaltezentren, in denen zur Zeit die Schubhaft vollzogen wird, erfüllen die neuen modernen Rückführungsstandards nicht im vollen Außmaß.
Daher plant das Bundesministerium für Inneres die Schaffung einer hochmodernen Einrichtung, die einen humanen und qualitativ hochwertigen Vollzug der Schubhaft ermöglicht. Es handelt sich dabei um ein internationales Vorzeigeprojekt.
Die Errichtung eines neuen Schubhaftzentrums wird unter starker Einbindung der jeweiligen Gemeinde durchgeführt. Dadurch entstehen viele konkrete wirtschaftliche Vorteile für die Region."
Die Botschaft ist klar: Es geht in erster Linie um die Abschiebung von Ausländer_innen, die als Problem wahrgenommen werden. Die geänderten Anforderungen, von denen hier gesprochen wird, können in zweierlei Hinsicht interpretiert werden. So wird einerseits innerhalb der EU ein Prozess der "Harmonisierung" vorangetrieben, bei dem sogenannten (Mindest-)Standars entworfen werden, an die sich die Mitgliedsstaaten zu halten haben. Hoch gehalten werden dabei vor allem die Menschenrechte, im Rahmen derer die Umsetzung der rassistischen Maßnahmen erfolgen soll. Andererseits können die "Anforderungen an den Vollzug von Abschiebungen" auch als Ausdruck einer Ausgrenzungspolitik gewertet werden, die Menschen nach kategorisiert, bewertet, mit Stereotypen belegt und somit eine hierarchische Strukturierung der Gesellschaft festschreibt: Jene, die angeblich "nicht hierher gehören" werden jegliche Rechte abgesprochen.
Das neue rund um die Diskussion zur Errichtung des Schubhaftzentrums in Vordernberg ist die Komponente des wirtschaftlichen Nutzens. Somit wundert es nicht, dass die "10 wichtigsten Fragen zum Thema Schubhaftzentrum" u.a. lauten: "Wie viele Arbeitsplätze bringt uns ein Schubhaftzentrum?", "Wie hoch ist die regionale Wertschöpfung eines Schubhaftzentrums?" oder "Welche Auswirkungen hat ein Schubhaftzentrum auf unsere Sicherheit?". Bemerkenswert ist hier, dass mit den Fragen die Abgrenzung der "Volksgemeinschaft", dem "Wir" oder "Uns" von den Anderen - reduziert auf "illegal in Österreich aufhältiger Personen" vollzogen wird. Die Anderen werden isoliert - im Schubhaftzentrum - und sind so unsichtbare Objekte, von denen die Gemeinde Vordernberg, die in den vergangenen Jahren eine massive Abwanderung der Bevölkerung zu verzeichnen hat, profitieren wird. Angst, mit den Anderen, die jetzt plötzlich in der Gemeinde - vorübergehend - untergebracht werden sollen, braucht die Bevölkerung keine haben, wie der BMI-Infofolder verrät:
"Hat man als Gemeindebürger[_in] Kontakt mit den Personen in Schubhaft?
Nein, denn die betroffenen Personen dürfen das Schubhaftzentrum ja gar nicht verlassen. Sie können sich nur innerhalb des Zentrums frei bewegen, es gibt für sie aber keine Freigänge außerhalb des Zentrums. Das wird von der Polizei streng überwacht."
Ist doch alles gut, oder? Nein, schreit ein Vertreter der FPÖ. Wir wollen kein Schubhaftzentrum in unserer Gemeinde. Er gründet eine "überparteiliche Plattform", wird deren Sprecher und macht Stimmung gegen die Pläne von SPÖ und ÖVP. Die Argumente sind altbekannt: Ein befürchteter Anstieg der Kriminalität vollzieht die Gleichsetzung von "illegal" mit "kriminell". Was nutzt es da schon, wenn der Infofolder darauf hinweist, dass es sich bei Schubhaft um keine Strafhaft handelt. Die Emotionen sind zu rassistisch, sitzen tief und fest verankert im Weltbild der "Einheimischen". Und diese haben offenbar begriffen, dass es hier um die Absicherung angeborener Privilegien geht. Die Verhängung von Schubhaft gilt als "massiver, dauerhafter Gewinn" und garantiert "eine Wertschöpfung von rund 10 Millionen Euro pro Jahr". Nicht nur in Krisenzeiten ist "diese hohe Wertschöpfung" willkommen.
Am 20. Dezember 2009 hat die Bevölkerung entschieden, dass sie auf der Seite des Rassismus steht. 60 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung von Vordernberg beteiligten sich an einer zwischen den Parteien umstrittenen Abstimmung - aus der geplanten Volksbefragung wurde eine Bürger_innenbefragung. Knapp 70 Prozent von ihnen stimmten für die Errichtung des Schubhaftzentrums. Da kann SPÖ-Bürger_innenmeister Walter Hubner "stolz" sein über die Annahme seines "Jahrhundertprojektes". Mit ihm freut sich vor allem die ÖVP Innenministerin Maria Fekter, die nach langem Suchen endlich einen Ort gefunden hat, in dem sie das "Kompetenzzentrum für aufenthaltsbeendende Maßnahmen" errichten kann. Für sie ist nun "fix", dass das Schubhaftzentrum in Vordernberg errichtet wird.
Doch nicht nur über das Zentrum für "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" wurde an diesem Wochenende eine Entscheidung gefällt. Unter strengster Geheimhaltung wurde ein weiteres Projekt vorbereitet, ein neues "Erstaufnahmezentrum für Asylwerber_innen" (EAST) soll die bestehenden Zentren in Traiskirchen, NÖ, und Talham, OÖ, entlasten. Nachdem das Schubhaftzentrum in der Obersteiermark errichtet wird, war klar, dass die EAST in einem anderen südlichen Bundesland errichtet wird - dies hatte die Innenministerin der steirischen Landesregierung versprochen. Einen Tag vor dem Volksentscheid in Vordernberg präsentierte das BMI die Pläne für die Errichtung des Baus in Eberau, Burgenland. Dort regt sich noch Widerstand aus Bevölkerung, der ÖVP-Bürger_innenmeister Walter Strobl nun erklären muss, warum sich die Gemeindevertreter_innen stillschweigend mit dem Innenministerium einigten, ohne die lokale Bevölkerung zu fragen. Die "erzürnten" Bürger_innen kündigten Widerstand an und forderten eine Bürger_innenbefragung, doch ist kaum anzunehmen, dass an den Plänen von Oben noch zu rütteln ist. Die Pläne sind fertig und wurden schon genehmigt, Baubeginn ist für Herbst 2010 vorgesehen.
Somit wurden Ende 2009 von den Behörden in Österreich Schritte eingeleitet, weitere Internierungszentren für Migrant_innen und Flüchtlinge zu errichten. Diese sind Teil eines europaweiten Abschottungs- und Ausgrenzungsapparates zur Internierung und Deportation. Ob die Errichtung dieser Bauten noch verhindert werden kann, ist fraglich. Die Diskussion darüber den sich mit rassistischen Argumenten gegenseitig übertreffenden Politiker_innen und Bürger_innen zu überlassen, würde jedoch bedeuten, die Augen vor einer mehr als bedenklichen Entwicklung zu verschließen.
Eine weitere Auseinandersetzung damit erscheint deshalb mehr als notwendig. Leute, die sich daran beteiligen wollen, können ihre Beiträge über das :: Kontaktformular an no-racism.net schicken.