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[ 08. Apr 2002 // letzte änderung: 12. Feb 2002 ]

Klassischer Erstickungstod: Bleibt der Tod Marcus Omofumas ohne Konsequenzen?

Kommentar zur Vernehmung von sechs PassagierInnen aus den Niederlanden im Prozess gegen die drei Fremdenpolizsten am 8. Prozesstag, 08 April 2002.

 

Am 4. März 2002 begann am Landesgericht Korneuburg bei Wien der Prozess gegen drei Fremdenpolizisten. Die Anklage lautet: "Quälen eines Gefangenen mit Todesfolge." Im Prozess selbst ging es bisher vor allem um die Frage, warum die Verklebung nicht rechtzeitig abgenommen wurde. Am 8. April waren nun die ersten - und voraussichtlich letzten - unabhängigen ZeugInnen geladen. Die aus Holland angereisten ZeugInnen waren PassagierInnen des Fluges, auf dem Marcus Omofuma erstickte. Ihre Schilderungen sprachen eine klare Sprache, nach der sich die Anklage fast wie eine Entschuldigung anhört. Um ihre Aussagen zu relativieren, wurde vor Gericht versucht, die ZeugInnen als unglaubwürdig darzustellen.

Die Befragung der ersten Zeugin begann der Richter mit der Feststellung, dass er nur ergÀnzende Fragen zu den Einvernahmen im Juni 1999 stellen wolle. Sein Interesse beschränke sich darauf, wie Marcus Omofuma in den Sitz gesetzt und dort fixiert wurde. Wie er ins Flugzeug gebracht wurde, interessiere ihm nicht. Er unterbrach im Laufe der Verhandlung auch ZeugInnen, wenn sie von sich aus auf die Begleitumstände eingingen. Die Aussage einer Passagierin, dass es klar war, dass der Festgebundene und mit Klebeband mehrmals umwickelte Probleme hatte, genügend Atemluft zu bekommen, da auch sein Kopf und Hals fast vollständig mit Klebeband umwickelt waren, wertete der Richter als subjektiven Eindruck - die Klärung dieser Frage wäre Aufgabe der Sachverständigen.


Todeskampf

Die am 8. April geladenen ZeugInnen waren allesamt BegleiterInnen und Eltern einer Kindergruppe aus Holland, die auf einer drei Jahre lang vorbereiteten Reise nach Bulgarien waren. Die Kinder mussten in den bisherigen Darstellungen im Prozess als Rechtfertigung für die Behandlung Marcus Omofumas herhalten, da dieser - so die Angeklagten - durch sein Verhalten und seine Schreie Angst verbreitete und Panik verursacht hätte, wäre ihm das Klebeband vorzeitig abgenommen worden.

Alle befragten PassagierInnen waren sich jedoch einig, dass von Marcus Omofuma keinerlei Gefahr ausgegangen ist. Sie beschrieben seinen Widerstand als Todeskampf, als Widerstand gegen die ihm zuteil werdende unmenschliche Behandlung. Eher hätten sie sich vor den begleitenden Beamten gefürchtet und die Situation als für Marcus bedrohlich empfunden. Dieser hatte zu keiner Zeit die Möglichkeit, sich zu bewegen. Eine Zeugin erwähnte, dass sie angenommen hätte, dass es sich bei der verschnÃŒrten und mit Klebeband umwickelten Person um einen Verbrecher handeln müsse - aber selbst einen Verbrecher dürfe eine derartige Behandlung nicht zuteil werden.

Eine Zeugin sagte: "Irgendwann hat man das Gefühl, man muss aufstehen und etwas unternehmen." Mehrmals waren PassagierInnen während des Fluges an die Crew sowie an die begleitenden Beamten herangetreten, um diese mit der Behandlung Marcus Omofumas zu konfrontieren. für diese waren jedoch nach eigenen Angaben an den vergangenen Prozesstagen "Problemabschiebungen", bei denen es häufig zu Fesselungen und Knebelungen kam, gängige Praxis. Deshalb verwundern die Antworten nicht: "Wir tun nur unseren Auftrag" (von den Fremdenpolizisten) oder: "Wir können nichts tun" (von der Crew). Das Personal sei jedenfalls sehr angespannt gewesen und wies die PassagierInnen immer wieder darauf hin, die Plätze einzunehmen.
Auf die Frage, ob sie bei den Beamten Verletzungen wahrgenommen hätten, antworteten alle Befragten mit einem klaren "Nein". Dies erscheint vor allem wichtig, da ein Angeklagter angab, von Marcus Omofuma gebissen worden zu sein und selbst ein Jahr später die Verletzung noch zu sehen gewesen sei. Knebelungen (Verklebungen) werden vor allem als Notwehrmaßnahme gegen mögliche Bissverletzungen durch anzuschiebende Personen gerechtfertigt.


Festgezerrt "wie ein Gepäckstück"

Zwei Zeuginnen befanden sich während des Fluges in unmittelbarer Nähe Marcus Omofumas und der ihn begleitenden Beamten. Sie schilderten sehr ausfÃŒhrlich die für sie unvorstellbare Behandlung durch die begleitenden Beamten. Diese - nun als Angeklagte vor Gericht - wurden bei den Aussagen sichtbar unruhiger.
Jedes Mal wenn Marcus Gegenwehr geleistet hätte oder sich irgendwie bemerkbar machte, wurde er nach Aussage der Zeuginnen noch fester an den Sitz geklebt bzw. gezerrt. Die Beamten verwendeten dazu braunes Klebeband, wie es bei übersiedlungen zum Verkleben von Kartons verwendet wird und ein Zerrband. Letzteres wird von den Angeklagten bestritten. Sie hätten den Verstorbenen lediglich mit Klebeband an den Sessel gebunden und kurzzeitig ein Gummiband verwendet, um ihn zu fixieren. Der neben ihm sitzende Angeklagte Josef B. hätte immer darauf geachtet, dass die Atmung in Ordnung sei.

Die PassagierInnen empfanden das StÃŒhnen Marcus Omofumas als logische Konsequenz der Atemnot. Ein Passagier aus Bulgarien hätte die Beamten sogar gewarnt, dass sie aufpassen sollen, dass ihnen der Mann nicht erstickt.

Eine Zeugin gab an, dass sie sich im Nachhinein - sie las nach der Ankunft in Bulgarien in diversen Zeitungen, dass Omofuma erstickt war - mitschuldig fühlte.

Einer der ZeugInnen, ein Psychologe, wurde von Verteidiger Ofner befragt warum er, wenn er davon ausgegangen war, dass es sich bei Marcus Omofuma um eine Person in Not handelte, als Arzt nicht helfend einschritt. Er erwiderte, dass er nicht davon ausgegangen war, dass die Situation lebensbedrohlich ist - wenn dies der Fall ist, dann ist es bei Flügen üblich, dass gefragt wird, ob ein Arzt an Bord ist. Ein Arzt wurde jedoch erst herbeigerufen, als in Bulgarien festgestellt wurde, dass Marcus Omofuma nicht mehr atmete. Dieser konnte nur noch den Tod feststellen.


Strategie der Verteidiger

Das Ziel der Argumentation Rifaats und Ofners dürfte vor allem gewesen sein, die ZeugInnen aus Holland als unglaubwürdig darzustellen. Dass ihr Vorgehen ob der klaren Aussagen der ZeugInnen nicht ganz abgestimmt gewesen sein dürfte, zeigte sich daran, dass sie sogar einmal zu streiten begannen. außerdem äußerte sich Rifaat einmal abwertend über die Arbeit von Politikern, was den Richter dazu veranlasste, eine Bemerkung Richtung Ofner zu machen, der ja selbst Politiker und Justizsprecher der FPÖ ist. Rifaat war es nicht zu blöd bezüglich einer Aussage über das StÃŒhnen Omofumas anzumerken, dass es auch ein StÃŒhnen gäbe, dass nicht mit Atemnot oder Schmerzen zu hätte.

Rifaat, der sehr ratlos den Aussagen der ZeugInnen gegenüberstand, legte kurz vor der Mittagspause ein Videoband vor, dass einen Widerspruch in der Aussage einer Zeugin aufzeigen sollte. Es handelte sich dabei angeblich um eine Aufnahme des ORF vom Mai 1999. Darin gab eine Zeugin an, dass ein Passagier - ein Mitarbeiter der Balkan Air außer Dienst - zwei oder drei mal auf Marcus Omofuma einschlug. In einer Aussage einige Tage später gab sie an, dass es sich um einen Schlag handelte. Eine Aussage, die sie auch am 8. April, fast drei Jahre später, vertrat. Nachdem das Video vorgeführt worden war, sagte Ofner voller Freude, dass es bei diesem Video um die Darstellung der Glaubwürdigkeit der Zeugin ginge. Der Richter war ebenfalls zufrieden mit der kurzen VideoVorführung und erachtete es trotz Antrages Rechtsanwalts Lanskys, des Anwaltes der Familie Omofuma, nicht für notwendig die komplette Abschrift des Videos vorzulesen. Das Video, das erst knapp vor der betreffenden Aussage begann, wurde auch sofort danach wieder abgeschaltet. Die Zeugin bejahte die Aussage und erklärte dass die Aussage in dem Interview als eine erste Reaktion nach den noch nicht verarbeitenden Erlebnissen, bei denen immerhin ein Mensch das Leben verlor, zu werten ist.

Danach legt Verteidiger Rifaat noch ein SchÀufelchen nach und behauptet, ihm sei mitgeteilt worden, dass sich die ZeugInnen am Vortag nach ihrer Ankunft in Wien mit einem Wiener Anwalt getroffen hätten. Er beantragt die "Anschaffung des Berichtes der Polizeibehörden", die die ZeugInnen nachher in Wien begleitet und observiert (!) haben. Und zwar "zum Beweise dafür, dass die (oben erwähnte) Zeugin sich vor ihrer heutigen Aussage besprochen hat."

Auf die Frage, ob es so ein Treffen gab, antwortet die Zeugin, dass sie weder mit einem Österreichischen Rechtsanwalt noch mit einem/r seiner VertreterInnen gesprochen hat.

Der Richter wirft nach Entlassung der Zeugin ein, dass er in der Mittagspause einen Anruf von Rechtsanwalt Zanger bekommen hätte. Dieser hätte ihm erzählt, das Rechtsanwalt Lansky über keine gültige Vollmacht der Familie Omofuma verfüge. Er hätte bei der Rechtsanwaltskammer eine Beschwerde gegen Lansky eingebracht, da dieser ihm (Zanger) vorgeworfen hätte, dass er nicht für seine MandantInnen, sonder für die Angeklagten arbeite. außerdem solle der Prozess durch die Vertretung Lanskys politisiert werden. Eine Entgegnung Lanskys lässt der Richter nicht zu.

An dieser Stelle sollte jedenfalls erwähnt werden, dass Ofners Teilnahme am Prozess als Verteidiger als Politisierung des Prozesses gewertet werden kann. Ofner nutzte die Verhandlung, um die sicher nicht unpolitische Ansicht zu vertreten, dass der Staat handlungsunfähig sei, würden Abschiebungen nicht mit entsprechenden Mitteln durchgeführt. Seine emotionalen AusFührungen und Zwischenrufe dürften vor allem auf die Beeinflussung der SchÃŒffInnen abzielen, die gemeinsam mit dem Richter über Schuld oder Unschuld der Fremdenpolizisten entscheiden werden.

Als weiteres Indiz für die politische Prisanz des Prozesses spricht wohl der Umstand, dass drei der geladenen ZeugInnen in ihrer Funktion als ehemalige Innenminister geladen wurden (alle drei sind Mitglieder der SPÖ).


An den verbleibenden Prozesstagen werden drei medizinische Sachverständige einvernommen, um die Todesursache Marcus Omofumas juristisch zu klären. In zwei von drei Gutachten über die Todesursache wurde "Tod durch Ersticken" festgestellt. Der Gutachter aus Bulgarien, der als erster die Leiche Marcus Omofumas untersuchte, wird aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen. für 15. April ist die Einvernahme der grünen Abgeordneten Theresia Stoisits geplant, die bereits 1993 eine parlamentarische Anfrage verfasst hatte, in der das Verkleben des Mundes bei Abschiebungen problematisiert wurde. Falls es zu keinen weiteren Beweisanträgen oder der Vorladung weiterer ZeugInnen kommt, wird das Gericht am 15. April das Urteil sprechen.