Presse- aussendung der BesetzerInnen des Lobmeyr-Hofs in Wien-Ottakring vom 10.07.2011. Der Hof ist seit Freitag, 08.07.2011, besetzt und wird nun als selbstverwaltetes Autonomes Zentrum Ottakring genutzt.
Presseaussendung der BesetzerInnen des Lobmeyr-Hofs vom 10.07.2011
Seit 08.07.2011 ist der ehemalige Lobmeyr-Hof samt umliegenden Häusern besetzt. Wir, Einzelpersonen die sich in prekären Lebenssituationen befinden und Anarchist_innen, haben uns für dieses geschichtsträchtige Gebäude entschieden um auf bedenkliche Entwicklungen in Wien, und im speziellen in Ottakring, aufmerksam zu machen.
Das eigentlich unter Denkmalschutz gestellte Gebäude wurde jahrelang von der Eigentümerin Stadt Wien - vernachlässigt. Nun steht diesem angeblich eine Generalsanierung bevor, welche zur Folge hätte, dass Mieten drastisch erhöht werden. Da die Sanierung, aufgrund der besonderen Bauauflagen und Förderungskriterien, nicht etappenweise ausgeführt werden kann, wurden die ehemaligen Mieter_innen genötigt ihre Wohnungen zu verlassen. Manche gingen freiwillig, einige kämpfen bis zuletzt um Ihr Zuhause. Laut den noch ansässigen Mieter_innen wurden von Seiten der Stadt Wien seit langem keine Maßnahmen zum Erhalt des Hofs durchgeführt, mit dem Ziel die Wohnsituation möglichst unattraktiv zu gestalten. Seit nunmehr 3 Jahren zogen nach und nach alle Mieter_innen bis auf drei Parteien aus.
Leerstand, Aufwertung, Verdrängung
Wie so oft geht es hier vor allem um Profit. Ärmere Mitbürger_innen werden in kleinere Wohnungen verdrängt, Gebäude ohne Rücksicht auf die Interessen der Bewohner_innen aufgewertet mit dem einzigen Ziel die Miete zu erhöhen. Wir kennen dieses Muster zum Beispiel vom Yppenplatz, der mittlerweile zu den gefragtesten Wohngegenden Wiens gehört, mit dementsprechenden Mietpreis pro Quadratmeter. Die stellvertr. Bezirksrätin Eva Weißmann der SPÖ hat damit nicht etwa ein Problem, nein im Gegenteil sie begrüßt diese Entwicklung: "Aber wenn Hauseigentümer renovieren und danach teurer vermieten können, ist uns das sehr recht. Dadurch werden neue Schichten angesprochen. Wir wollen eine gute Durchmischung."
Seit Jahren sinken die Reallöhne für den absoluten Großteil der Arbeitnehmer_innen, steigende Mieten treffen und verdrängen in dem Fall besonders junge und einkommensschwache Familien. Tatsächlich findet daher ein Austausch der Bevölkerung statt, Kinder werden zu Schulwechseln gezwungen, gewachsene Strukturen zerschlagen, kleine Geschäfte werden vertrieben oder gehen bankrott. Die Folgen sind unübersehbar und ganze Häuserzüge stehen leer. In Wien sind es insgesamt 80.000 Wohnungen und unzählige Geschäftslokale.
Vom "VolksWohnungsbau" zum Autonomen Zentrum
Der Lobmeyr-Hof war ein Vorzeigebeispiel für sogenannten "Volks-Wohungsbau". Bei seiner Eröffnung verfügte er u.a. über eine öffentliche Bibliothek, im großen Innenhof wurden Bäume gepflanzt, die Sanitäranlagen entsprachen dem neusten Stand. Es wurde Wert darauf gelegt möglichst preiswerten, lebenswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen und ein echtes Zusammenleben zu fördern. Angedacht aber nie realisiert, wurden von den sozial engagierten Architekten ein Kinderhort und eine öffentliche Volksküche.
Unsere Ideen gehen in eine ähnliche Richtung: Ein Teil des Komplexes dient bereits als Wohnraum für Menschen, die sich Miete nicht mehr leisten können oder wollen. Dabei soll es jedoch nicht bleiben, wir wollen die vielen Möglichkeiten des Gebäudes nutzen und sind seit Freitag den 8. Juli dabei es in ein selbstverwaltetes autonomes Zentrum (AZ) zu verwandeln:
Bis jetzt steht eine Volxküche, ein Infoladen, Sanitäreinrichtungen und zahlreiche Schlafplätze. Weitere Vorhaben sind:
- Der parkähnliche Innenhof soll der Allgemeinheit zugänglich gemacht und sowohl ein Kinderspielplatz als auch ein Garten eingerichtet werden.
- Es sind eine Volxbibliothek, Gemeinschaftswerkstätten, kostenlose Beratungsstellen für Frauen, Migrant_innen und Jugendliche geplant
- Wir wollen freiwillige Begleitdienste für Behördengänge von Asylwerber_innen und Menschen mit mangelnden Deutschkenntnissen zur Verfügung stellen. Wir bieten auch gerne kostenlose Nachhilfe an.
- Es soll Raum geben für Selbstorganisation, kulturellen und sprachlichen Austausch, nachbarschaftliche Initiativen und vieles mehr. Den Ideen sind hier keine Grenzen gesetzt.
Wir wollen einen Wohn- und Lebensraum gestalten in welchem mensch sich aktiv für ein vertrauensvolles und entgegenkommendes Miteinander einsetzt. Daher soll dies ein Ort sein in dem Rassismus und Sexismus keinen Platz haben. Jede_r ist eingeladen bei uns vorbei zu schauen, mitzuhelfen, zu diskutieren, Ideen einzubringen oder einfach nur im Park die Sonne zu genießen!
Kontaktadresse:
autonomeszentrum (at) riseup.net
Informationen zum Autonomen Zentrum:
http://autonomizethecity.blogsport.eu
https://at.indymedia.org
Informationen zum Gebäude:
Weiksmann, Helmut. 2002. Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 19191934. Wien. S. 359f.
Klusacek, Christine/Stimmer, Kurt (Hg.). 1983. Ottakring. Vom Brunnenmarkt zum Liebhartstal. Wien. S.84 ff.
Kovarik, Ferdinand. 1991. 100 Jahre Ottakring bei Wien. Wien. S. 109f.