Wir streiten für die Definitions- macht - am 25.11. und jeden Tag! Gewalt gegen FrauenLesben MädchenTrans hat viele Formen - sexualisierte Gewalt, physische Gewalt, psychische Gewalt, ökonomische Gewalt und strukturelle Gewalt um ein paar Beispiele zu nennen.
Die Wiener Gruppe DEFMA bietet seit über 3 ½ Jahren Unterstützung für Betroffene von vor allem sexualisierter Gewalt an. Wir wollen diese Gelegenheit wahrnehmen, um zu erklären, wie wir arbeiten und warum wir das Konzept der Definitionsmacht verwenden und es immer und immer wieder erkämpfen.
Viel zu viele Frauen erleben irgendwann in ihrem Leben sexualisierte Gewalt - Statistiken sind in diesem Bereich nicht ganz verlässlich, aber laut einer deutschen Studie erlebt jede siebte Frau sexualisierte Gewalt im Laufe ihres Lebens. Nur eine geringe Anzahl dieser Übergriffe werden angezeigt. Das hat viele Gründe, die unter anderem mit den HERRschenden Zuständen in der Justiz zu tun haben.
Die Justiz ist ziemlich ideenlos im Umgang mit Tätern. Neben Haftstrafen gibt es seit ein paar Jahren die Möglichkeit einer Wegweisung oder einer einstweilligen Verfügung. Vor allem letztere Entwicklung bildet wirklich einen Fortschritt für viele Frauen, vor allem die, die Gewalt im sozialen Nahbereich erleben. Aber eine Täterarbeit wird nur in den wenigsten Fällen vorgeschrieben. Da die Täter meistens aus dem näheren Umfeld oder Bekanntenkreis der Betroffenen kommen, finden Betroffene es schwierig, sie anzuzeigen. Eine Verhaftung bringt nicht unbedingt das gewünschte Resultat für die Betroffene. Überhaupt werden die Bedürfnisse der Betroffenen kaum berücksichtigt von der Justiz. Konsequenzen für die Täter, die für die Betroffenen relevant wären und zukünftige Übergriffe vorbeugen könnten, kommen eher nicht vor.
Sollte eine Betroffene einen Täter wegen einer durch ihn erlebten Gewalttat anzeigen, steht sie vor einer ganzen Reihe an Hürden. Die Justiz kann sich Verfahren ohne DNA Spüren kaum vorstellen - für eine Anzeige sollen Frauen deswegen innerhalb von 72 Stunden (und bevor sie sich geduscht haben) zur Spurensicherung gehen. Wenn diese nicht gemacht wird, sind die Chancen einer Einstellung massiv erhöht. Als nächstes wird die Betroffene von der Polizei befragt. Auch wenn es inzwischen Beamte gibt, die auf das Thema sexualisierte Gewalt sensibilisiert worden sind, müssen sie dennoch Fragen stellen, die die Aussagen der Betroffenen in Frage stellen (können) und oftmals retraumatisierend wirken. Der Schritt eine Anzeige bei der Polizei zu machen ist extrem schwierig.
Sollte die Betroffene die Anzeige gemacht haben und die Polizei kann den Täter ausforschen (sollte er überhaupt unbekannt sein), dann geht es zur Staatsanwält_innenschaft. Oft endet alles hier. Die Staatsanwält_innen stellen das Verfahren sehr oft ein. Sie müssten davon ausgehen, dass es "nahe liegt", dass das Verfahren in einem Schuldspruch endet. Da sie das oft für unwahrscheinlich halten, zeigt wie tief Vergewaltigungsmythen in der Justiz verankert sind. Die Zeuginnen-Aussage der Betroffenen alleine reicht nicht als Beweismittel - vor allem weil sie oft nicht für ausreichend glaubwürdig gehalten wird. Die Betroffene muss nicht nur überzeugen, dass ihr überhaupt was passiert ist, sondern sie muss auch beweisen, dass sie das nicht wollte. Somit muss die Betroffene sich entlasten, was sonst die Rolle eines Beschuldigten ist.
Die Richter_innenschaft trägt ebenfalls zu den miserablen Zuständen bei. Nur 17% der Anzeigen enden in Verurteilungen! Die Strafen für erstmalige Täter fallen auch oft sehr gering aus. Es geht uns von DEFMA nicht darum, dass wir Knast für einen sinnvollen Ort für Täter halten, unter anderem weil es kein Ort ist, um Respekt für Frauen und ihre Grenzen zu lernen - es geht darum, dass sexualisierte Gewalt immer noch als Kavaliersdelikt gilt. Wenn der Strafausmaß für Eigentums- oder Drogendelikte härter ausfällt als Gewalt gegen Frauen, können wir uns nur zu Recht fragen, warum unsere Menschenrechte nicht mehr respektiert und wertgeschätzt werden?
Wir fahren mit der Definitionsmacht einen anderen Weg als die Justiz. Definitionsmacht bedeutet, dass nur die Betroffene definieren kann, was sie als Gewalt erlebt hat. Statt Begriffe aus der Justiz, je nach Tatmerkmalen, an das Erlebte anzupassen, benennt die Betroffene die erlebte Gewalt, mit Begriffen, die ihrem Verständnis und ihrer momentanen Lage entsprechen. So kann auch Gewalt benannt werden, die nach dem Gesetz gar nicht geahndet werden kann. Mit der Benennung der Gewalt durch die Betroffene wird ein erster Schritt in Richtung Selbstbestimmung gemacht, was besonders wichtig ist, da sexualisierte Gewalt dem Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper massiv widerspricht.
Selbstbestimmung ist für uns ein Schlüsselbegriff. Für uns ist eine Folge von Definitionsmacht, dass die Betroffene entscheidet, was sie will, welche Form der Unterstützung sie braucht, und welche Forderungen sie an den Täter stellt. Wir glauben, dass Betroffene am besten wissen, was sie brauchen. In unserer Arbeit schauen die Forderungen an die Täter sehr unterschiedlich aus - oft wird gefordert, dass der Täter mit einer Therapie anfängt oder sich einer Auseinandersetzung stellt. Oft sollen sie einen Ort verlassen, wenn die Betroffene sich dort aufhält. Manchmal wird ein Ausschluss gefordert. Forderungen haben oft zwei Ziele: erstens, dass es der Betroffenen wieder gut geht, dass sie sich ohne Angst dem Täter begegnen zu müssen, frei bewegen und ihre üblichen Aktivitäten nachgehen kann und zweitens, dass der Täter an sich arbeitet, damit er keine weiteren Übergriffe begeht. Wir finden die Forderungen von Betroffenen viel praktischer als die meisten Lösungsansätze der Justiz. Dennoch respektieren wir, wenn Betroffene Anzeigen erstatten wollen.
Wir können Definitionsmacht in der linksradikalen Community in Wien meistens durchsetzen, weil viele Feministinnen und Pro-feministen sich eine antisexistische Gesellschaft zum Ziel gesetzt haben - und wir sollten ja mit uns selber anfangen. Wenn Definitionsmacht noch nicht überall durchsetzbar ist, zeigt das, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben. Wir müssen alle Vergewaltigungmythen zerstören und Respekt für alle Betroffenen schaffen! Wir müssen uns an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren und Modelle erarbeiten, damit Täter keine weiteren Übergriffe begehen. Wir müssen das Zustimmungkonzept vom Einverständnis bei sexuellen Handlungen verbreiten und Präventionsarbeit leisten. Bis zum Ende der sexualisierten Gewalt und sexistischer Unterdrückung kämpfen wir - überall!
Artikel zuerst veröffentlicht am 25. November 2011 auf :: at.indymedia.org.