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[ 12. Mar 2002 // letzte änderung: 20. Mar 2002 ]

Resume der ersten Prozesswoche

Eine Politische Einschätzung der ersten drei Prozesstage.

 

Marcus Omofuma - ein Opfer der Österreichischen Abschiebepolitik

Am 4. März 2002 begann am Landesgericht Korneuburg bei Wien der Prozess gegen drei Fremdenpolizisten. Die Anklage lautet: "Quälen eines Gefangenen mit Todesfolge." Marcus Omofuma war am 1. Mai 1999 in ihrer Begleitung im Zuge einer gewaltsamen Abschiebung nach Nigeria gestorben. für den Flug nach Sofia wurde er gefesselt und geknebelt. Dazu wurde unter anderem Klebeband um seinen körper und über den Mund geklebt. In zwei medizinische Gutachten wurde der Tod durch Ersticken festgestell - als Folge der Fesselung und Knebelung; ein umstrittenes Gutachten sprach von Tod durch Herzerkrankung.


Opfer-Täter-Umkehr

Die ersten Verhandlungstage im voraussichtlich noch bis 15. April dauernden Prozess waren gekennzeichnet von Verantwortungsverweigerung, Opfer-Täter-Umkehr und Zynismus. Wenn von Marcus Omofuma gesprochen wurde, dann als tobende, aggressive, schreiende, sich wehrende Person, die "tierische Laute" von sich gab. Der Umkehrschluss wurde vollzogen. Aus dem Opfer wurde ein Täter, die Täter zu armen, unwissenden, nur ihre Pflicht tuenden Opfern. Das Szenario schafft ein verschobenes Bild: wäre Marcus Omofuma ruhig gewesen, hätte er sich seinem Schicksal gefügt, sich abschieben lassen - ihm wäre nichts passiert. ZeugInnen sprachen von der eigenen Befindlichkeit - der Anblick sei nicht schön gewesen, man hätte Omofuma nicht in die Augen geblickt, da er das als Provokation verstehen hätte können, man sei nicht informiert gewesen, Abschiebungen würden nicht gern gemacht, trotzdem meldeten sich die Fremdenpolizisten freiwillig dazu. Die Sonderzahlungen für Polizeieinsätze im Ausland sind offenbar ein starker Anreiz, obwohl zum Nichtabbruch der Abschiebung am Österreichischen Flughafen wohl mehr als das Finazielle eine Rolle spielen dürfte. Alle hätten von der Praxis des Mundverklebens gewusst, nur7 sei offiziell nie darüber geredet worden. Die Gespräche über die menschenverachtende Praxis fanden laut Aussagen der Angeklagten nur im "halbprivaten Rahmen" statt. Dort seien die Erfahrungen ausgetauscht worden. Im Wachzimmer der Fremdenpolizei hing darüber hinaus über mehrere Jahre ein Bild, das einen "Verklebten" zeigt. Sogar einer der drei in den nächsten Tagen als Zeugen geladenen Innenminister (alle von der SPÖ) hätte dieses Bild gesehen - und nicht beanstandet. Zur DurchFührung der Abschiebungen verwendeten die Abschiebebeamten ein "Set" - bestehehend aus Leukoplast, Klebebändern und Klettverschlussbändern. Und wer hat das "Set", das bei jeder Abschiebung "am Mann" ist - wie eine Dienstwaffe - nun besorgt? Kollegen hätten die Klebebänder privat aus eingener Tasche bezahlt, denn diese seien nicht im Budget inbegriffen. Auf die Idee, sich das Geld irgendwann mal zurückerstatten zu lassen, sei keiner gekommen. Und auch wer die "Set"s" besorgt hätte, kann nicht mehr so genau gesagt werden - sie wurden ja von Abschiebung zu Abschiebung an die anderen Beamten weitergegeben. Irgendwann mal Anfang der 90er sei irgendwer auf die Idee gekommen, Leute bei den Abschiebungen den Mund zu verkleben. In den Berichten sei das aber nie aufgenommen worden - wozu auch? Ist doch eine übliche, von allen angewendete Praxis. So wie Essen und Trinken. Oder doch nicht? Essen und Trinken sei bei abzuschiebenden Personen nicht vorgesehen; die bekÀmen doch nie was, wie eine Stewardess der Balkan Air angab.


Der rechte Anwalt

Drei Tage vor Prozessbeginn wurde bekannt, dass der ehemalige Justizminister und derzeitige FPÖ-Justizsprecher Harald Ofner die Verteidigung eines der drei angeklagten Beamten der Fremdenpolizei übernimmt. Ein gelungener medialer Schachzug. Darüberhinaus ergibt sich daraus eine interessante dreier-Konstellation, die bis jetzt fast nicht beachtet wurde: Harald Ofner (ehemaliger Justizminister und derzeitiger FPÖ-Justizsprecher), Dietmar Böhmdorfer (Rechtsanwalt und Justizminister von der FPÖ) und Staatsanwalt Demler, der dem Justizminister weisungspflichtig ist.

Ofner seinerseits fiel durch rassistische Auesserungen auf. Er stellte bereits in seinem Eingangsstatement den Sachverhalt so dar, als wäre Marcus Omofuma der aggressive Täter und die abschiebenden Beamten verängstigte Opfer. Desweiteren war es ihm nicht mal zu blöd, die Identität Marcus Omofumas in Zweifel zu ziehen. Darüber hinaus nutzte er die Verhandlung um festzustellen, sei, würden die Abschiebungen nicht mit entsprechenden Mitteln durchgeführt. Seine emotionalen AusFührungen scheinen vor allem auf Beeinflussung der SchÃŒffInnen abzuzielen, die gemeinsam mit dem Richter über Schuld oder nicht Schuld entscheiden werden. Ob die rassistischen Argumentationslinien ihre Wirkung erzielen, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedenfalls, dass Ofner mit seiner Argumentation nicht alleine dasteht und ob seiner Anwesenheit dem Verfahren eine zusätzliche politische Dimension zukommen lässt.


Abschiebungen als alltägliches Geschäft

In der Befragung der Crew-Mitglieder des Balkan-Air Fluges wurde deutlich, dass Abschiebungen für Fluglinien und FlugbegleiterInnen zum alltäglichen Geschäft gehören. Wenn Kritik an der Abschiebepraxis geübt wird, dann nur in bezug auf Befindlichkeiten von FlugGästen und Bordpersonal. Es scheint daher umso notwendiger, diejenigen Fluglinien anzugreifen, die Abschiebungen durchführen. Und es scheint nicht zielführend zu sein, humanitär zu argumentieren. Die Fluglinien müssen dort angegriffen werden, wo es ihnen am meisten weh tut: an der finanziellen Basis.

Knebelungen (Verklebungen) und Fesselungen standen zumindest bis Mai 1999 in Österreich auf der Tagesordnung. Und dies, obwohl es ein rechtskräftiges Urteil des UVS aus dem Jahr 1996 gibt, in dem das Verkleben der Atemwege ausdrücklich verboten wird. Heute stellt sich die Frage: wie wird jetzt vorgegangen? Welche maßnahmen werden, insbesondere bei sogenannten "Problemabschiebungen" per Charterflugzeug des Internationalen Flugrettungsdienstes Austria (IFRA) angewandt? Dort gibt es keine ZeugInnen, der sogenannte Menschenrechtsbeirat, der zur Behebung von "Missständen" bzw. "Störungen" bei Abschiebungen gegründet wurde, wird in den Abschiebevorgang involviert.

Abschiebungen werden in weiten Teilen der Bevölkerung als Normalität betrachtet. überprüft wird rein die DurchFührung auf "Menschenrechtskonformität", die Praxis selbst wird nicht in Frage gestellt. Trotz aller Verniedlichung durch einen hie und da zugezogenen "Menschenrechtsbeirat" bleibt doch festzuhalten, dass Abschiebungen unter Zwang niemals menschenrechtskonform verlaufen können, sondern stets mit einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Menschenrechte darstellen: Nur um eine Person außer Landes zu schaffen, wird die persönliche Freiheit geraubt, wird massiv körperlich bedroht, wird gequält und auch getötet. Schubhaft und Abschiebungen sind im Lichte der Menschenrechte unhaltbar. Im Prozess, bei dem es unter anderem um die Klärung der Todesursache von Marcus Omofuma geht, wird dies deutlich, wenn es lediglich um die Klärung dessen geht, warum die Verkelbung nicht rechtzeitig abgenommen wurde. "Alle haben davon gewusst".

Die beschuldigten Beamten wussten vom Inhalt des ablehnenden Asylbescheides und ihnen musste klar sein, warum sich Marcus Omofuma wehrte. Der Widerstand kann daher insgesamt als überlebenskampf gesehen werden. Daraus und aus den Schilderungen der Beteiligten an Abschiebungen - sowohl der Angeklagten, als auch der Flughafenpolizisten und der Crew der Balkan Air - wird ersichtlich, dass das Verkleben bewusst durchgeführt wurde und keineswegs einen Einzelfall darstellte.

Jedenfalls wird der weitere Verlauf des Prozesses zeigen, wie weit die staatliche Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik gerechtfertigt wird und welche maßnahmen als akzeptabel erachtet werden. Ein Freispruch für die drei Fremdenpolizisten würde nicht nur das Inkaufnehmen von Toten bei Abschiebungen rechtfertigen. Der Prozess wird aufzeigen, welche Praktiken staatlicher Organe von der MehrheitsBevölkerung gebilligt werden.

Der Proz sind genug vorhanden - kommt zum Prozess, schaut euch das an!

Infos und laufende Prozessberichterstattung auf no-racism.net/racismkills

nachträgliche Anmerkung: Diese Einschätzung wurde in einer späteren Version vom 20. März 2003 erweitert - als Resume der ersten beiden Prozesswochen.