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[ 05. Feb 2012 ]

Ödon von Horváth und der Nationalsozialismus

Ödön von Horváth

Ödön von Horváth gilt als antifaschis- tischer Schriftsteller. Seine zeitweilige Nähe zum NS-Regime ist seit vielen Jahrzehnten bekannt - wird aber kaum thematisiert.

 

Bücher wie "Jugend ohne Gott" gehören zur kanonisierten Literatur in Österreichs Schulen. Stücke wie "Kasimir und Karoline" und Geschichten aus dem Wienerwald finden sich auf den Spielplänen vieler Stadt- und Staatstheater.

Ihr Autor Ödön von Horváth gab 1933 bekannt, dass er nach der Machtübernahme der Nazis von nun an in Wien zu leben gedenkt. Faktisch meldete er sich aber bereits am 12. März 1934 in Wien ab und begab sich wieder nach Deutschland. Nachdem seine Stücke weder im mittlerweile austrofaschistischen Österreich noch im nationalsozialistischen Deutschland gespielt wurden, versuchte sich Horváth als Filmautor.

Am 11. Juli 1934 stellte Horváth einen Aufnahmeantrag an den nationalsozialistischen Reichsverband Deutscher Schriftsteller (Mitgliedsnummer 875). Er wurde nicht nur Mitglied im Reichsverband, sondern biederte sich in einem Brief, den er am 18. Juni 1934 an den Neuen Bühnen Verlag im Verlag für Kulturpolitik GmbH schickte, sogar offen bei den Nazis an. Er habe sich "in freien Stücken in eindeutiger Weise für Deutschland erklärt (...) dem Lande, für das ich im Ausland immer eingetreten bin". Ziel dieses Briefes war eine Lockerung des Aufführungsverbotes für seine Stücke. In diesem Zusammenhang unterbreitete Horváth sogar ein Angebot für seine Mitarbeit am "Wiederaufbau Deutschlands" (1) und folgt damit vollends der nationalsozialistischen Diktion seiner Zeit.

Über Horváths konkretes Schaffen im nationalsozialistischen Deutschland ist wenig bekannt. Er arbeitete dort unter dem Pseudonym H. W. Becker als Drehbuchautor. Dass H. W. Becker auch eine reale Person war, die zeitweise ebenfalls in der Filmindustrie arbeitete, macht eine Rekonstruktion nicht gerade einfach. Zu Horváths Arbeitsschwerpunkten in dieser Zeit dürften die geplante Verfilmung von Johann Nestroys "Einen Jux will er sich machen" oder das Projekt "Brüderlein fein" gehört haben, ein Film, der sich aus Motiven diverser Raimund-Stücke hätte speisen sollen.

Letztlich sagte nicht Horváth "Nein" zu den Nazis, sondern die Nazis sagten "Nein" zu Horváth. 1938 starb er exiliert in Paris.

Posthume Rechtfertigungsstrategien


Bemerkenswert ist die affektive Abwehrhaltung vieler Horváth-ForscherInnen, wenn es um den Umgang mit den nationalsozialistischen Aspekten in der Biografie des Schriftstellers geht. Zu den kuriosesten Erklärungsmustern zählen zweifellos die von Kurt Kahl und Traugott Krischke, die behaupten, Horváth wäre nach Berlin gegangen, um den Nationalsozialismus zu studieren. Dieter Hildebrandt - ein anderer Horváth-Biograf - lässt sich in diesem Zusammenhang zu der sarkastischen Bemerkung hinreißen, dass man bei der Lektüre solcher Thesen den Eindruck gewinne, der Nationalsozialismus sei eine Universitätsdisziplin. (2)

Ab 1945 gab es ein regelrechtes Horváth-Revival auf den Wiener Theaterbühnen. Horváth und seine Texte waren - trotz seiner ungarischen Staatsbürgerschaft - sehr brauchbar, als es darum ging, dem "Deutschtum" eine eigenständige, österreichische Kulturnation entgegenzusetzen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Rolle des Theaterkritikers Hans Weigel hervorzuheben. In den 1950er-Jahren unterstützte er publizistisch den Brecht-Boykott an den Wiener Theatern. Zugleich setzte er sich für die Wiederaufführung der Dramen Ödön von Horváths ein. (3)

Im Jahr 2011 wurde der 110. Geburtstag Ödön von Horváths begangen. Zahlreiche Kongresse beschäftigten sich mit Werk und Wirken des Autors, kaum aber mit seiner NS-Koketterie in den 1930er-Jahren.

Quellen:
(1) vgl. Evelyne Polt-Heinzl, Christine Schmidjell: "Horváth und der Film". In: Ödön von Horváth: Unendliche Dummheit. Dumme Unendlichkeit. Hg. Klaus Kastberger. Wien. Zsolnay 2001, S. 230.
(2) Dieter Hildebrandt: Horvát. Hamburg. Rohwolt 1975, S. 86.
(3) vgl. Hans Weigel: "Aufforderung, Ödön von Horváth zu spielen". In: Theater der Zeit, 7/1957.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in UNIQUE - Magazin der ÖH Uni Wien und wurde in geringfügig überarbeiteter Form von uns übernommen.