no-racism.net logo
 
 

[ 20. Feb 2012 ]

NoBorders Convergence London - ein Bericht

alt text fehlt!

"Sex, Work and the Olympics", "Reconstruc- ting Schengen" und "Challenging the mainstream narrative on migration": Die NoBorders Convergence in London thematisierte dies und vieles weitere. Eine spannende Woche voll Austausch, leider aber weniger fokussiert auf Aktion als geplant. Im Sommer zwei weitere Camps.

 

Insbesondere in den ersten drei Tagen wurden inhaltliche Workshops angeboten, anschließend sollten direkte Aktionen geplant und umgesetzt werden. Das Programm in den Räumen des Goldsmith's College der University of London griff unterschiedliche aktuelle Themen auf, insbesondere mit Fokus auf Großbritannien/London. So gab es einen Workshop von :: x:talk (sprich: cross-talk), einer Organisation von Sexarbeiter_innen, zu illegalisierter Sexarbeit in Verbindung mit den olympischen Spielen im Sommer und dem dominanten Anti-Trafficking-Diskurs. Vor großen Sportevents werden regelmäßig 40.000 Opfer von Menschenhandel in die Sexindustrie der jeweiligen Stadt vorhergesagt, eine ebenso willkürliche wie wiederkehrende Zahl. Sie dient unter anderem zur Legitimation von stärkerer Kriminalisierung und steht in keinem Verhältnis zu den auffindbaren Betroffenen von Menschenhandel bei solchen Veranstaltungen: diese bewegen sich "nur" im ein- bis zweistelligen Bereich. Vor solchen Hintergrundinformationen war die Message dieses Workshops: Sexarbeit ist für viele in erster Linie Arbeit. Stigmatisierung und Viktimisierung sowie "Rettungsaktionen" und Kriminalisierung helfen niemandem, am wenigsten den Arbeiter_innen, sondern führen zu unsichereren Arbeits- und Lebensbedingungen. Weil eine grundsätzliche Verbesserung der legalen Situation von Sexarbeiter_innen in Großbritannien weit entfernt scheint, wird x:talk für die Olympiade eine Kampagne ausarbeiten, um ein Aussetzen der Kriminalisierung während der Spiele zu erreichen.

Ein anderer Workshop beschäftigte sich mit der Systematik von Schengen, seinen Schwächen und der Unbrauchbarkeit des vermeintlichen Kampfbegriffs "Fortress Europe"; viele weitere fokussierten auf Aktion und direct action oder wollten das zumindest, auch mit Blick auf die drei kommenden Tage. So ging es viel darum, wie gegen die relativ neuen und zunehmenden (Frontex-)Charter Abschiebeflüge vorgegangen werden kann, weil diese, anders als Abschiebungen in Passierflugzeugen, fernab jeglicher Öffentlichkeit und Zugänglichkeit stattfinden und es außerdem teilweise schwierig ist, herauszufinden, wann und wo sie abfliegen. Aktivist_innen berichteten von Projekten und Erfahrungen mit der Organisierung gegen Abschiebungen, wie Sprecher_innenpositionen von Betroffenen von staatlicher und gesellschaftlicher rassistischer wie anderer Ausgrenzung wiedergewonnen werden können und konnten und über aktuelle neue Strukturen, die aufgebaut werden, um die Arbeit, die in Calais angefangen wird auf der anderen Seite des Kanals fortzusetzen.

Bei einigen wenigen Gelegenheiten wurden auch Schwierigkeiten um die Re_Produktion von Kategorisierungen bei der Benennung von Personen(gruppen) angesprochen, die immer mit Macht verbunden ist. Ein Thema, das auch auf der Convergence selbst virulent war: Allzu oft wurde in Redebeiträgen die Dichotomie "Migrant_innen" und "Aktivist_innen" bedient, unklar gelassen, wer das eigentlich sei und vor allem eine kritische (Selbst)Reflexion und machtbewusste Benennungspraktiken waren selten zu finden. Auch waren der Ort, die Struktur und die Zugänglichkeit über Sprache, Zeiten und Inhalte recht beschränkend und exklusiv. Passend zum Setting Universität waren die Workshops meist um eine oder mehrere Vortragende_n strukturiert, die Eingangsreferate hielten um dann in Diskussion zu treten. Das führte dazu, dass viele wichtige und interessante Dinge angesprochen wurden und das Programm gut strukturiert und vorbereitet war, aber auch dazu, dass es häufig klare Hierarchien und Rollen gab; es war leicht, Inhalte zu "konsumieren", weil die Struktur und das Wissen geliefert wurden und es Expert_innen gab. Sichtbar wurden Hierarchien insbesondere, als es an die Aktionsplanung gehen sollte, weil die Personen, die im Vorfeld alles organisiert hatten, natürlich sehr beschäftigt waren mit den unterschiedlichsten wichtigen Dingen. Für andere, die die Strukturen und die Ausgangssituation nicht (gut) kannten, war es schwierig, so guten Zugang dazu zu bekommen, um selbst Aktionen planen und durchführen zu können, wie es wohl vorgesehen war. Wenn das aber das Ziel ist, sollte das im Vorfeld klar kommuniziert werden, damit sich die, die hinfahren, darauf vorbereiten können. Außerdem muss während der Zusammenkunft eine Struktur geschaffen werden, die Partizipation und Eigeninitiative erlaubt.

Die elf Festnahmen nach der :: Blockade eines Charterfluges nach Ghana am Dienstag Abend taten ein Übriges dazu, Ressourcen zu binden. So war es sehr erfreulich, dass am Donnerstag, dem Tag der ersten Verhandlung, viele Teilnehmer_innen der Convergence vor dem Gericht ihre Solidarität ausdrückten und auch die Betroffenen drückten ihre Wertschätzung dafür aus. Gleichzeitig führte das aber dazu, dass dieser Tag verstrich, ohne dass viel von dem passierte, was eigentlich vorgesehen gewesen wäre und einige Aktionen auf der Strecke blieben. Insofern ist für folgende Camps und Convergences, wie immer beim Umgang mit Repression, unter Umständen die Frage zu stellen, ob eine Aufteilung in Solidaritätsarbeit mit Repressionsbetroffenen und Vorantreiben ursprünglich geplanter Aktionen sinnvoller wäre als eine Konzentration auf das eine oder das andere. Sonst lässt mensch sich leicht von der Polizei vor sich hertreiben und ein paar Verhaftungen können ganze Camps lähmen. Zu einem gewissen Grad ist das in London passiert.

Dennoch gab es an den letzten beiden Tagen noch zwei Protestaktionen: Vor und in einem großen Bürogebäude von :: Barnardo's, einer bekannten und angesehenen Kinderwohlfahrtsorganisation, die in einem Detention Centre für Familien arbeitet, es mit ihrem guten Namen legitimiert und dafür natürlich Geld erhält protestierten ca. 50 Personen gegen diese Praxis. Schon in den letzten Monaten hatte es immer wieder Proteste vor unterschiedlichsten Filialen der Organisation gegeben. Am Samstag startete der geplante große, bunte und laute NoBorders Karneval von St. Pauls Cathedral, auf deren Stufen das Occupy-Camp residiert zum Picadilly Circus. Je weiter die Demo ging, desto weniger war allerdings inhaltlich zu merken von NoBorders und das Bild, das sich am Picadilly Circus bot, war geprägt von Sambaband und einer Gruppe von Menschen mit Occupy-Transparenten (auf einem deren Zelte "Democratize Capitalism" steht) auf dem Brunnen. Bunt wars und nett, aber wenig anarchistisch und antinational.

Alles in allem war der inhaltliche Teil der Convergence ein Erfolg mit Potential, ebenso wie der aktionistische. Insbesondere mussten einige Personen nicht mit dem Charter nach Ghana fliegen, aber unter welchen Voraussetzungen direkte Aktionen eigenverantwortlich von einem Haufen ortsunkundiger Menschen in kurzer Zeit durchgeführt werden können, ist und bleibt ein Thema für alle folgenden NoBorders Zusammenkünfte, sowohl für die Organisierenden als auch für die, die Hinfahren. Dieses Jahr gibt es noch mindestens zweimal Gelegenheit, das weiter auszuprobieren, die Gelegenheit zu transnationaler Netzwerkarbeit, Austausch und Protest: Von 17. bis 24. Juni in :: Stockholm und von 13. bis 22. Juli in :: KölnDüsseldorf.

NoBorders! NoNations! StopDeportations!

das bild zum artikel wurde bei der erwähnten blockade gemacht und von de.indy übernommen.