Informationen zum Prozess gegen den Polizisten, der am 19. Mai 2000 Imre B. erschoss
In den letzten Jahren sind in Österreich einige Menschen durch Polizeigewalt zu Tode gekommen. Sie befanden sich entweder in Polizeigewahrsam oder fanden im Rahmen einer Polizeiaktion den Tod. Mitte Jänner 1999 starb der aus dem Senegal stammende Ahmed F. während seiner Festnahme im Rahmen einer Drogenrazzia. Am 1. Mai 1999 erstickte Marcus Omofuma an Bord eines Flugzeuges im Zuge seiner Abschiebung nach Nigeria - drei Beamte der Fremdenpolizei hatten ihn mit Klebebändern an den Flugzeugsessel geschnÃŒrt. In der Nacht von 3. auf 4. Mai 2000 starb Richard Ibekwe in einem Gefängnis in Wien. Angeblich erstickte er an Drogen, die er - Tage nach seiner Verhaftung - verschluckt haben soll. Nach Angaben eines Wohnungskollegen war er bei der Verhaftung brutal geschlagen worden. Am 4. Mai 2000 starb Lubomir B. in einer Zelle des Kommissariats Landstrasse. Angeblich an einer Mixtur aus Cannabis, Antidepressiva, Methadon und "anderen Suchtmitteln".
Die Gemeinsamkeit all dieser Todesfälle liegt darin, dass die an den Todesfällen beteiligten PolizistInnen entweder nicht zur Verantwortung gezogen wurden oder wie im Fall der drei Fremdenpolizisten, die am Tod Marcus Omofumas schuld sind, mit einer Placebo-Strafe davonkamen (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig). Die politisch Verantwortlichen für rassistische Polizeiübergriffe wiesen in allen fällen jede Verantwortung von sich.
Die Anklage - der Prozess
Am 4. Juni findet im Bezirksgericht Fünfhaus (1150 Wien, Gasgasse 1 - 7) der Prozess gegen den Polizisten statt, der am 19. Mai 2000 in Wien Imre B. im Zuge einer vermeintlichen Drogenrazzia erschoss. Die bisherige Vorgangsweise von Polizei und Justiz ist von Widersprüchen gekennzeichnet, darüber hinaus war der mutmaßliche Täter Mitglied der Rambo-Polizeitruppe SEK (Sondereinsatzgruppe Kriminaldienst), die es mittlerweile nicht mehr gibt. Nachfolgeorganisation der SEK ist die sogenannte ZK (Zentrale Kommandierung), über die es wenig Informationen gibt. Angesetzt ist der Prozess am 4. Juni gerademal für 2 Stunden.
Der Staatsanwalt hatte zuerst "fahrlässige Tötung" angeklagt, in der Wiener Staatsanwaltschaft gab es grundlegende Unstimmigkeiten, das Verfahren war kurz vor der Einstellung. Nun aber gibt es doch einen Prozess gegen den Kriminalbeamten. Das Justizministerium gab schließlich doch grünes Licht für einen Strafantrag wegen fahrlässiger Tötung.
Die Voruntersuchung gegen den Polizisten war in Richtung "fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen verhältnissen" gelaufen. Am Ende kam der zuständige Staatsanwalt offensichtlich zum Schluss, dass dem Beamten keine Schuld nachzuweisen ist: er schlug die Einstellung des Verfahrens vor. Die Oberstaatsanwaltschaft konnte sich dieser Sichtweise allerdings nicht anschließen. Nach genauer Prüfung der Sachlage wurde der Vorhabensbericht "korrigiert" und dem Ministerium ein Entwurf vorgelegt, weswegen sich der Beamte nun wegen fahrlässiger Tötung verantworten wird müssen. Die "besonders gefährlichen verhältnisse" wurden darin nicht aufrechterhalten. Somit wurde der Strafrahmen von maximal drei auf höchstens ein Jahr Haft reduziert.
Auch in diesem Prozess könnte - wie im Prozess gegen die Fremdenpolizisten, die am Tod vom Marcus Omofuma schuld sein sollen - "die lange Verfahrensdauer" als mildernd gewertet werden: der Prozess beginnt mehr als zwei Jahre nachdem der 34-jährige Imre B., der in Jugoslawien geboren wurde und Österreichischer Staatsbürger war, bei einer Drogenrazzia "versehentlich" von dem Kriminalbeamten erschossen.
Die Erschießung
Imre B. saà in seinem Auto als der Polizist versuchte, die Chevrolet-Tür zu öffnen. Sie klemmte, und als sie aufging, löste sich im "Greifreflex" der Schuss aus der ungesicherten Waffe - so die Version des Todesschützen. Die Waffe war übrigens nicht die Dienst-, sondern die Privatpistole des Beamten.
Anschließend ging der Schätze nicht, wie ihm geraten wurde, auf Urlaub, sondern führte höchstpersönlich eine Zeugeneinvernahme in diesem Fall durch. Vernommen wurde der Freund des Erschossenen, gleichzeitig der einzige zivile Zeuge des Vorfalls, der neben Imre B. im Auto gesessen war. Der einzige Tatzeuge wurde also vom Täter selbst einvernommen, bei der Ersteinvernahme sagte er, dass sich der Schuss ohne Absicht gelöst hatte. Vor dem Untersuchungs-Richter gab er später jedoch an, dass er und Imre B. sich vor dem Todesschuss durch erhobene Hände quasi ergeben hätten.
Laut Innenminister Strasser war eine Betreuung des besagten Beamten eingeleitet worden. Dem Mann sei es freigestellt worden, Dienst zu leisten oder nicht. Er habe sich für Ersteres entschieden und so in der Tat Einvernahmen von Zeugen der "verunglückten" Festnahme durchgeführt. "Aber nur in Bezug auf Suchtgiftfragen", wie der Ressortchef betonte.
Wie das Wiener Magazin Falter unter Berufung auf einen "sachkundigen Informanten" aus Polizeikreisen und einen Zeugen im Juni 2000 berichtete, dürfte die Amtshandlung vollkommen anders abgelaufen sein als offiziell dargestellt. Der Informant aus Polizeikreisen wird mit den Worten zitiert: "Da wird den Medien eine Variante präsentiert, die so nicht stimmen kann ... Glauben Sie mir, diese Sache stinkt. Der Mann ist nicht so gestorben, wie es die Polizei schildert. Da wurde gepfuscht. Der Erschossene saà - linke Schulter links, rechte Schulter rechts- ganz normal im Auto. Das wird ein ordentliches Nachspiel bei Gericht haben." Der Zeuge habe die Abgabe des tödlichen Schusses so geschildert: "Der Polizist hat gesagt: "Bleib stehen Du Sau", auf das Auto gezielt und dann abgedrückt", so der Falter.
Den Verteidiger des Polizisten, Werner Tomanek, interessieren Milderungsgründe nicht. Er will einen Freispruch, denn der Todesschuss, so sagt er, sei "ein Bedienungsfehler" gewesen. Er hatte bis zuletzt auf eine Verfahrenseinstellung gehofft.
Tomanek: "Der Polizist hat das gemacht, was er gelernt hat." Er meint damit, sein Mandant habe die Waffe nicht besser im Griff haben können, weil in Österreich nur 250 Schuss pro Jahr zur Ãbung für PolizistInnen vorgeschrieben sind. Mehr schüsse sind Privatsache. Und diese mangelhafte Ausbildung könne doch wohl nicht zu Lasten des Einzelnen ausgelegt werden. "Ihm ist nie beigebracht worden, wie eine Waffe in gezogenem Zustand zu halten ist", so Tomanek. Der Schuss habe sich unglÃŒcklicherweise gelöst, als der Beamte mit seiner gezÃŒckten Dienstwaffe versuchte, die Tür des PKW zu öffnen, in dem der Verdächtige saà und augenscheinlich flüchten wollte, argumentiert der Verteidiger. Sein Mandant habe "sicher nicht willkürlich" die Waffe betätigt, sondern in einem "Greifreflex" den Abzug betätigt, was der Anwalt auf das "Ausbildungsdefizit" zurückführte.
Das Projektil hatte - so der Wiener Polizeipräsident Peter Stiedl im Juni 2000 - den Türholm des Wagens durchschlagen, ehe es den am Steuer sitzenden Imre B. traf. Zu dem "Unfall" (Stiedl) war es nach Darstellung der Polizei gekommen, nachdem B. die Aufforderung zum Aussteigen missachtet hatte. Einer der mit gezogenen Waffen dastehenden Beamten war dann von der sich unvermittelt öffnenden Tür an der linken Schulter getroffen worden. Der Polizist geriet in einen Drall und soll unabsichtlich den Abzug betätigt haben. Dass absichtlich geschossen wurde, schloss Stiedl aus. "Die Situation bot keinen Grund für einen Waffengebrauch. Die in solchen fällen übliche Untersuchung ist anhängig."
Der Wiener Rechtsanwalt Herbert Pochieser erklärte schon im Juni 2000, es sei ausgeschlossen, dass sich aus einer Glock 17 (der Dienstpistole der Österreichischen Polizei) versehentlich ein Schuss löse. Pochieser führt seit 1993 ein Amtshaftungsverfahren für einen Mandanten, der damals von einem polizeilichen Projektil verwundet wurde, angeblich weil der Polizist gestolpert sei.
Im Frühjahr 1999 sagte dazu Bundesheer-DivisionÀr Friedrich Dechant als Sachverständiger aus: Bei der Glock 17 sei "eine Schussabgabe nur durch Betätigen des Abzuges" möglich. Dechant selbst wirkte als Projektmanager an der Entwicklung der Waffe mit: Bei "Tausenden Versuchen" habe sich "in keinem Fall" selbsttätig ein Schuss gelöst. Einzige Einschränkung, laut Dechant: wenn das Abzugsgewicht falsch eingestellt sei - nach der Verwundung von Pochiesers Mandanten 1993 wurde es im Übrigen bei allen Wiener Dienstwaffen erhöht.
Major Walter Schermann, Leiter des Waffenreferates der Wiener Polizei, ebenfalls im Juni 2000: Die AbzugsbÃŒgelsicherung der Glock 17 verhindere eine Schussauslösung, "wenn man versehentlich seitlich am Abzug ankommt. Man muss bewusst in den Abzug greifen". Schermann grundsätzlich: "Die wichtigste Sicherung ist der Abzugsfinger. Man darf nur hineingreifen, wenn man schießen will. Der Geist des Beamten muss richtig funktionieren - dann ist die Technik schon fast sekundÀr."
Die SEK - Sondereinsatzgruppe Kriminaldienst
Die Spezialeinheit SEK der Polizei, der der beschuldigte Beamte angehörte, wurde kurz nach dem tödlichen Schuss auf Imre B. aufgelöst. Die Gruppe war mehrmals durch Übergriffe in die Schlagzeilen geraten. Mitglieder der SEK hatten bei einer Hausdurchsuchung im Jahr 2000 eine Frau schwer verletzt. Das Opfer, die Lebensgefährtin eines Afrikaners, wurde zudem rassistisch beschimpft.
Die SEK wurde am 1.2.2000 von den Kriminalbeamten Georg Rabensteiner und Roland Frühwirth im Probebetrieb für vorerst 6 Monate gegründet. Besonderes Einsatzfeld dieser Truppe war laut Eigenbeschreibung "eine Mischung aus Observation und Zugriff". Die SEK bestand aus 55 Beamten, die sich freiwillig und unbezahlt für diesen Dienst meldeten und bereit erklärten, rund um die Uhr auf Abruf bereit zu stehen. Laut "profil 13/2000" handelt es sich bei den SEK-Beamten teilweise um Beamte, die wegen zu rabiaten Auftretens sogar aus der ohnehin berÃŒchtigten WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) geflogen sind.
Der Öffentlichkeit bekannt wurde die SEK durch ihr Auftreten während und nach der Anti-Opernball Demo 2000. Die SEK-Beamten mischten sich verwahrlost gekleidet und vermummt unter die DemonstrantInnen. Nach der Demonstration überfielen diese Beamten Menschen, die bereits auf dem Heimweg waren. Vier Menschen wurden von vermummten Beamten mit gezogener Waffe aus einem Taxi gezerrt, in einen Hauseingang gedrängt und anschliessend verhaftet. Danach wurde ihnen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" vorgeworfen.
Kurz danach überfielen andere Beamte der SEK ebenfalls nach der Anti-Opernball Demo 2000 eine junge Frau auf dem Heimweg, schlugen sie, stießen sie gegen eine Hausmauer und versuchten, sie in ein Taxi zu zerren. Die Frau glaubte während der ganzen Aktion an einen Überfallg und schrie folgerichtig mehrmals um "Hilfe!". Erst nachdem sich PassantInnen einschalteten gaben sich die Beamten als Polizisten zu erkennen. Die junge Frau wurde verhaftet und ebenfalls wegen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" angezeigt.
Die SEK-Nachfolgeorganisation ZK - Zentrale Kommandierung
Aus dem Kurier vom 23.2.2001:
"Beim ZK handelt es sich eigentlich nicht um eine Einheit, sondern um einen Pool von freiwilligen Kriminalbeamten, die im Bedarfsfall bezirksübergreifend die ÃŒrtlichen Kollegen bei Amtshandlungen unterstützen sollen. Dies erklärte Hofrat Leo Lauber, Präsidialchef der Wiener Exekutive. Seit Donnerstag, 22.2.2001 liegt der notwendige Erlass des Innenministeriums vor. Die ZK wird, da es sich nicht um eine Einheit handelt, keinen Leiter haben. Zuständig für die Kommandierung ist das Kriminalbeamteninspektorat - allerdings nur für die personelle Zuteilung der Beamten. Verantwortlich für die Einsätze, an denen Beamte der ZK beteiligt sind, ist der jeweilige ÃŒrtliche Leiter."
VertreterInnen der Wiener Polizei bezeichnen die ZK als "Feuerwehr" für Einsätze, bei denen die Dienststellen (z. B. ein Kommissariat) mit personellen Ressourcen kein Auslangen findet. Alle Mitglieder der ZK sind Freiwillige.
Was ist vom Prozess zu erwarten?
Der Anwalt der beiden Kinder von Imre B., Thomas Prader, will erreichen, dass Österreich Unterhalt für sie zahlen muss.
Auch in diesem Prozess soll - ähnlich wie im Prozess gegen die drei Fremdenpolizisten, die am Tod von Marcus Omofuma schuld sein sollen - dem verantwortlichen Polizisten die Verantwortung für sein Handeln abgenommen werden. Die Vorschriften seien beispielsweise nicht genügend, er hätte mangels Ausbildung nicht anderes handeln können, die Schuldumkehr soll wieder vollzogen werden. Die politisch Verantwortlichen weisen naTürlich jede Verantwortung von sich. Offensichtlich soll ein Scheinurteil wie das gegen die drei Fremdenpolizisten wiederholt werden.