Der beschuldigte Beamte der Kriminalpolizei ist als Kriminalpolizist im Kommissariat Wien 16 beschäftigt. Die Anklage lautet auf "fahrlässige Tötung". Urteil: Freispruch
Der Verteidiger des Polizisten, Tomanek
Die Erschiessung vom Imre B. sei fraglos ein dramatisches Ereignis gewesen, aber es müsse nicht für alle Todesfälle unbedingt Schuld geben. Der Beschuldigte sei Mitglied der Polizeisondereinheit SEK (Sondereinsatzgruppe Kriminaldienst) gewesen. Beim verhandelten Fall sei es um eine Drogenrazzia gegangen, der beschuldigte Beamte und ein Kollege hätten die Aussensicherung übernommen. Vor dem Lokal sei es zu dem spontanen Zugriff gekommen. Die beiden Beamten seien als Polizisten gekennzeichnet gewesen. Sie hätten sich mit gezogener Waffe dem Fahrzeug von Imre B. genähert, der beschuldigte Beamte hätte nur eine Hand von Imre B., der bereits ins Auto eingestiegen war, gesehen. Dann hätte sich durch den "Gleitreflex" der tödliche Schuss gelöst.
Der Beschuldigte hätte nur das getan, was er gelernt hätte.
Studien aus Deutschland zeigten, dass solche Vorkommnisse nur mit Drill vermieden werden können. In Österreich gebe es ein Ausbildungsdefizit.
Der Beschuldigte Kriminalpolizist
Schließt sich den Ausführungen des Rechtsanwaltes an. Er bleibt bei der Schilderung des Vorfalles die er bei seiner Ersteinvernahme abgegeben hat.
Es handelte sich um einen Einsatz bei einer Hausdurchsuchung. Imre B. und ein zweiter kamen aus dem Lokal (einem Sonnenstudio), beide hätten größere Gegenstände getragen. Die beiden gingen zum Auto von Imre B. Die beiden Beamten liefen zum Auto, um sie am Wegfahren zu hindern. Seine Waffe hätte beim Laufen Richtung Boden gezeigt. Imre B. stieg nicht sofort aus, machte nicht das, was sie wollten. Die Pistole hätte er immer weggehalten, Richtung Boden. Das Öffnen der Fahrertüre hätte nicht funktioniert. Dann sei die Tür plötzlich aufgegangen, hätte ihn an der Schulter getroffen. Das hätte eine Drehbewegung verursacht wodurch die Waffe auf Imre B. gerichtet wurde, der "Gleitreflex" wäre dann entstanden. Sein Finger sei niemals am Abzug gewesen (immer "Finger lang" - im Fachjargon).
Der Beschuldigte demonstriert im Gerichtssaal einen Schussvorgang.
Er gibt weiter an, dass er keine Waffe bei Imre B. gesehen hätte. Auf die Frage der Richterin, ob er sich bedroht gefühlt hätte, antwortet der Beamte mit nein, er hätte nur Eigensicherung vorgenommen.
Frage der Richterin: "Haben sie im Zuge ihrer Ausbildung gehört, dass der Finger nur dann am Abzug sein darf, wenn ein Schuss beabsichtigt ist?" - Antwort: "Ja."
Dann wird die Verwechslung von Privat- und Dienstwaffe behandelt - Imre B. war mit der Privatpistole des Polizisten erschossen worden.
Der Beschuldigte gibt an, dass Privat- und Dienstwaffe im Dienstkasten nebeneinander liegen. In der Hektik der Amtshandlung hätte er statt seiner Dienstwaffe (Glock 19) seine Privatwaffe (Glock 26) mit Dienstmunition geladen.
Die Pistole, mit der Imre B. erschossen wurde wird im Gerichtssaal gezeigt, auf die Frage der Richterin, ob jemand der im Saal Anwesenden eine Glock 19 hätte, zieht G. Rabensteiner, ehemaliger Leiter der SEK, der ebenfalls der Verhandlung beiwohnt, seine Waffe hervor, entlÀdt sie und gibt sie nach vorne. Der Grüßenunterschied zwischen Glock 19 und Glock 26 ist augenscheinlich. Die Glock 19 ist größer.
Frage des Staatsanwaltes: "Wie kam der Finger zum Abzug?" - Der Beschuldigte gibt an, er sei nach der Erschießung in einem Ausnahmezustand gewesen, hätte sich noch Tage überlegt wie der Finger zum Abzug kam. Ihm sei immer klar gewesen, "dass der Finger lang war".
Frage der Anwältin der Kinder von Imre B., Gerda Hammerer: "Sie waren in Hektik beim Einstecken der Waffe. Ist es polizeiintern rechtmäßig, dass statt der Dienstwaffe die Privatwaffe verwendet wird?" - Nein, das sei gegen die Vorschrift.
In der Ausbildung hätte er gelernt, den Finger "lang" zu halten - das wurde richtig eingetrichtert. Er könne gut mit der Waffe umgehen, vier mal pro Jahr gäbe es polizeiinterne Schießübungen, ca. 300 - 400 Schuss. Er hätte auch private Schießübungen vorgenommen.
Die Autotüre sei ihm auf die Schulter geschlagen, mit der linken Hand wollte er die Tür öffnen, während der dadurch verursachten Drehbewegung hätte sich der Schuss gelöst.
Rechtsanwalt Tomanek fragt, wir die Schießausbildungen aussehen. Würde nur auf Scheiben geschossen oder würden auch "Zugriffe" geübt werden?
Der Beschuldigte gibt an, dass es Zugriffsübungen nicht wirklich gäbe. Der Schütze stehe bei den ÃÜbungen immer. Die Handhabung der unterschiedlichen Waffen sei gleich. Die Situation sei üblich gewesen, improvisiert werde immer.
Die Anwältin Gerda Hammerer fordert im Namen von B.s minderjährigen Söhnen Schadenersatz, Schmerzensgeld und Unterhalt - 1000 Euro pro Monat.
Zeuge 1: Bezirksinspektor D., vom Kommissariat Wien 16
Er war der Kollege des Beschuldigten bei der Amtshandlung. Auf die Frage der Richterin, ob er die Position der Hände von Imre B. im Auto gesehen hätte gibt er an, dass er nur die Hände des Beifahrers auf dem Armaturenbrett gesehen hätte. Es hätte sich um eine normale Amtshandlung gehandelt. Der Motor des Autos sei gelaufen. Er hätte seine Pistole während der Anhaltung weggesteckt, da er die Hände des Beifahrers gesehen hätte.
Zeuge 2: Der Beifahrer von Imre B.
Ihm wird vorgeworfen, dass er bei seinen beiden Einvernahmen, zuerst im Sicherheitsbüro, dann beim Lokalaugenschein, unterschiedliche Aussagen gemacht hätte.
Der Zeuge gibt an, er hätte beide Hände auf Aufforderung in die Höhe genommen, er glaubt auch, dass Imre B. dies genauso machte oder zumindest seine Hände aufs Armaturenbrett gelegt hätte. Imre B. hätte dann aufgeschrien "Ich bin getroffen", er selbst hätte nicht gesehen wie der Schuss fiel.
Sachverständigter 1: rechtsmedizinisches Gutachten zum Tod von Imre B.
Es gibt 2 Gutachten: eines vom 23.5.2000, das zweite vom 8.1.2001.
Imre B. starb an einer Steckschussverletzung des Rumpfes, die Kugel sei an der linken hinteren Achselfalte in den Körper eingetreten. Der Tod trat durch Blutungen in den Körperhöhlen ein. Der Körper von Imre B. sei leicht verdreht gewesen, mit der rechten Schulter nach vorne.
Zum "Gleitreflex": ein solcher könne anatomisch nicht ausgeschlossen werden, in einem hochgradigen Erregungszustand wie bei der vorliegenden Amtshandlung sei die Körpermuskulatur sehr angespannt, es könne zu unkontrollierten Bewegungen kommen.
Sachverständigter 2 Wolfgang Denk: technisches Gutachten
Die Spurensicherung erfolgt erst lang nach dem Vorfall.
Unterschiedliche Fragen wurden im Gutachten behandelt:
- Erforschung der Schussentfernung - kann mittels der Schmauchwolke festgestellt werden: Ergebnis: die Waffe war ca. 25 cm vom Fahrzeug entfernt.
- Stand die Türe des Fahrzeuges von Imre B. offen, oder war sie geschlossen:
Diese Frage konnte nicht mehr völlig geklärt werden, da Schmauchspuren sowohl bei offener wie bei geschlossener Tür (durch eine Sogwirkung beim Schuss) im Auto vorzufinden sind.
- Zwischen Glock 19 und Glock 26 gibt es fast keine Unterschiede, nur das Abzugsgewicht ist bei der Dienstwaffe etwas höher.
- Handhabung der Waffe durch den Beschuldigten: der "Gleitreflex" sei eine technisch-ergonomische Frage.
- Die Dienstmunition ist auch privat erwerbbar - wird allerdings nur an Behörden verkauft. Der Unterschied zwischen Dienst- und Privatmunition müsse auffallen, das Endresultat sei aber das gleiche.
Die Anwältin der Kinder von Imre B. stellt fest, dass der Abzugswiderstand bei den Dienstwaffen der Polizei aus Sicherheitsgründen vom Innenministerium vor einigen Jahren erhöht worden war. Vor der Schussabgabe sei ein dreistufiger Widerstand zu überwinden. Die Waffen seien dreifach gesichert.
Aus einer Stellungnahme des Innenministeriums zum vorliegenden Fall geht hervor, dass keine genauen Hinweise zu finden sind, wie der Schussvorgang vor sich ging. In der Ausbildung werde aber darauf wert gelegt, dass der Finger immer "lang" ist.
Für den Staatsanwalt stellen sich zwei Fragen: "Wo ist der Finger gewesen?", "War die Autotür offen oder nicht?"
Die Anwältin der Kinder von Imre B.
Imre B. hinterlässt zwei SÖhne. Der Beschuldigte hätte die Sorgfaltspflicht verletzt. Die "Finger lang"-Bestimmung sei verletzt worden. außerdem hätte der Beschuldigte seine Privatwaffe statt seiner Dienstpistole verwendet.
Der Anwalt des Polizisten: es müsse nicht immer eine Person strafrechtlich an etwas schuld sein. Hier hätte es sich um einen "unseeligen Unfall durch Abrutschen des Fingers" gehandelt. Der Beamte sei nicht für ein Ausbildungsdefizit verantwortlich zu machen.
Nach einer halbstündiger Unterbrechung erfolgt die Urteilsverkündung durch Richterin Anja Ziska - Freispruch.