Schwarze Haare sind politisch - ein Text von accalmie (gebloggt auf :: maedchenmannschaft.net) über das Politische von Haaren, Alltagsrassismus und weiße Schönheitsideale als normative Selbstverständlichkeiten.
Triggerwarnung: Rassismus
[Hinweis zu den Links: da ich fast keine (adäquate) Berichterstattung in deutschsprachigen Medien zu den angesprochenen Themen finden konnte, führen die meisten Links zu englischsprachigen Seiten.]
Mein erster Friseur_innenbesuch in Berlin war interessant. Während andere Kund_innen danach gefragt wurden, was sie sich denn wünschten, fand meine Friseurin es angemessen, mir erst einmal zu den "schönen N—löckchen" zu gratulieren. Auch meine Haut fand sie toll, "milchkaffeefarben" und "nicht so dunkel", denn das könnte ja auch mal passieren bei "Mischlingen" wie mir. Bevor mir eine passende Antwort einfiel, fragte sie mich schon, ob ich eigentlich meinen Vater kennen würde, denn "die meisten Schokobabies" täten das ja nicht. Auch in England wurde ich wieder nach Hause geschickt, als der Salon meine Haare live sah - man hätte einfach niemanden, der_die sich "sowas" zutrauen würde; man habe eher mit "Haaren von Weißen" zu tun. Ein Friseur einer hessischen Kleinstadt hat sich selbst "ganz schönen Mut" bestätigt, meine Haare überhaupt zu schneiden (nicht, dass das mir Mut gemacht hätte…). Die Auszubildende, die zuschaute, fragte dann gleich, ob das "überhaupt noch europäische Haare" seien mit dieser "Krause" oder schon eher ein "Afro" (…ich habe keinen Afro, aber ziemlich viele Locken)?
Ich kenne keine Person mit als "europäisch" definierten, also wohl glatten oder leicht gelockten Haaren, die jemals solche Erlebnisse beim Haareschneidenlassen gehabt hat. Gewisse äußerliche Merkmale sind für die Fremdzuschreibung von "Schwarzsein" offenbar unumstößlich, und dazu zählen neben Variationen willkürlich definierter Hautfarben und Gesichtsmerkmale auch Haare - Weißsein erstellt sich selbst also nicht nur im, sondern auch auf dem Kopf. Schwarze Haare, hier also als Haare von Schwarzen Menschen gemeint, sind politisch, und sie sind ein Zeichen persönlicher Identität und gesellschaftlichen Status’ (ob das Träger_innen der Schwarzen Haare beabsichtigen oder nicht). Schwarze Haare sind auch politisch, weil sie :: dem gängigen Ideal "weißer Schönheit" widersprechen, das Gesellschaften aufgrund von Rassismus (und Sexismus und Ableismus,... ) durchzieht.
Illustriert und zugleich forciert werden weiße (oder auch als "europäisch" definierte) Schönheitsideale durch weltweite Kampagnen des "white washing", also der sprichwörtlichen "Weißwaschung", die dafür sorgen, dass selbst wenn schon selten vertretene People of Color inkludiert werden, deren Portraits oftmals als weiß definierten Körpermerkmalen künstlich angeglichen werden. Die Botschaft ist klar: Weißsein wird gleichgesetzt mit "schön" und attraktiv sein, und das Produktmarketing verspricht, dass mithilfe diverser Mittelchen als negativ-"ethnisch" definierte äußerliche Merkmale gemindert werden könnten.
Es ist die konstante (Re-)affirmation von Weißsein als universellem, erstrebenswerten (Schönheits-)Standard und eine Verkaufsstrategie, die People of Color sowohl deren vermeintliche (nicht nur) äußerliche Minderwertigkeit als auch eine angebliche Lösung für jenes "Problem" durch gezielten Konsum vermittelt. Schwarze Haare spielen hierbei eine zentrale Rolle: Dieses exemplarische Pflegeprodukt verspricht nicht nur eine drastische Aufhellung der Hautfarbe und Veränderung von als "afrikanisch" definierten Gesichtsmerkmalen wie einer breiten Nase, sondern eine Aufhellung und Veränderung der Textur von Haaren, wie bei Beyoncé zu sehen ist (deren Haare bereits im nebenstehenden :: Bild "relaxt", also chemisch geglättet sind).
Für Schwarze Männer bedeutet die Ablegung von Bart und Afro laut :: dieser Werbung sogar, sich selbst zu "re-zivilisieren" und sich endlich dafür zu "interessieren" wie sie aussähen. Wie :: Kimberly Singletary zur "Re-Civilize"-Kampagne schreibt, werden durch solche Werbemaßnahmen "Vorstellungen, natürliche Schwarze Haare als eine wünschenswerte Alternative" zu chemisch behandelten Schwarzen Haaren (und bei Männern* auch Glatzen) zu begreifen, "erschwert oder gar unmöglich gemacht." Der Slogan "Re-zivilisier dich" impliziere, dass es "eine Zeit vor dem Afro und ‘Black Pride’" ("Schwarzer Stolz")-Bewegungen gegeben habe, "in der Schwarze ‘zivilisiert’ waren - nämlich als Schwarze Haare stärker an weiße Normen angepasst wurden." Zuletzt, so Singletary, bediene sich diese Anzeige dem geläufigen Mittel, sich als vermeintlicher Scherz oder bewusste Übertreibung darzustellen, was zusätzlich problematisch sei, da "diejenigen, die das Bild und den Slogan nicht lustig finden, sich nun auch noch mit dem Vorwurf mangelnden Humors" auseinandersetzen müssten - alles in allem also könnten Schwarze Menschen hier nicht gewinnen.
Schwarze Haare werden mithilfe solcher Werbemittel exotisiert, passend zu rassistischen Zivilisierungsdiskursen als sprichwörtliche Wildheit und etwas zu Bändigendes dargestellt, als ein Problem, das gelöst werden muss; und :: alles, was als Blackness-affirmativ interpretiert werden könnte, wird weg retuschiert. Der Wille, Schwarze Haare (und ihre Träger_innen) nach weißen Standards zu "bändigen", ist Teil einer langen Rassismusgeschichte, in der "krauses" ("nappy") glattem ("relaxed") Haar in verschiedenen Abstufungen gegenübergestellt wurde und wird - je näher an "weiß", desto besser.
Spuren dieser Rangfolge lassen sich auch innerhalb Schwarzer communities (insbesondere in den USA) nachvollziehen, wenn "good hair" ("gutes Haar") als glatte(re)s Haare verstanden wird, während besonders lockige oder "kraus" genannte Schwarze Haare oft noch als "bad hair" ("schlechtes Haar") tituliert und mit einer Vielzahl an kosmetischen Mitteln, unter anderem der Einarbeitung von "weaves" (glatten Echt- oder Kunsthaarteilen) oder der Verwendung chemischer Haarglätter wie Natriumhydroxid und anderer Alkalien, in Angriff genommen werden. Besonders deutlich wurde die Einteilung in "gute" und "schlechte" Schwarze Haare zuletzt durch die Berichterstattung über Gabrielle Douglas, die zwei Goldmedaillen im olympischen Turnwettbewerb gewann, sich aber zugleich mit der :: Kritik von Afroamerikaner_innen und weißen Amerikaner_innen an ihrer Frisur konfrontiert sah.
Gleichzeitig hat die Politik Schwarzer Haare auch erhebliches Solidaritätspotenzial innerhalb Schwarzer communities, und die hier entwickelte Expertise führt auch zu Empowerment. Ironischerweise wird nämlich gesellschaftlich zwar eine sprichwörtliche Bezwingung von Schwarzen Haaren zugunsten weißer Schönheitsideale gefordert, Pflegemittel für Schwarze Haare sind in Deutschland aber meist nur in expliziten "Afro-Shops" oder über das Internet beziehbar.
Dass auch die Mehrheit der Friseur_innen in Deutschland nicht mit Schwarzen Haaren umgehen kann, ist angeblich aber nicht etwa deren mangelnder Ausbildung durch Ignoranz gegenüber nicht-weißen Kund_innen geschuldet, sondern mein eigener Fehler, weil meine natürliche Haartextur nicht angemessen gebändigt ist, um damit irgendetwas anfangen zu können. Während ich also Pflegemittel im Internet bestelle oder in den Afro-Shop (oder in den USA in die "ethnic hair section") wandere, bleiben weiße (Haare) ethnienlos, und sind unmarkierte "Normalität", von der alle(s) andere(n) abweichen. Schwarze Haare sind ein zentrales Element dieses als weniger wert definierten "Andersseins", mit dem Rassismus People of Color kategorisiert.
Die selbstbewusste Ablehnung weißer Schönheitsnormen durch Schwarze ist :: eng verknüpft mit der Entstehung der Schwarzen Bürger_innenrechtsbewegung in den USA, Black Nationalism und Black Power Movements. Bereits in den 1920ern forderte Marcus Garvey, Gründer der Universal Negro Improvement Association: "Take the kinks out of your mind instead of your hair", ("Entferne die Knoten aus deiner Denkweise, statt aus deinen Haaren") und wurde auch bekannt durch die öffentliche Weigerung, seine Haare zu glätten. Den Sexismus und Antisemitismus des Black Nationalism darf man nicht unter den Teppich kehren – was die Black Power-Bewegung der 1960er und 1970er Jahre allerdings bewerkstelligte, war die explizite Reklamierung und bewusste Aneignung "natürlichen" Schwarzen Haars als antirassistisches Widerstandszeichen.
Das Styling "natürlicher" Schwarzer Haare - in Afros, Dreadlocks oder durch einfaches Offentragen - wurde als politisches Symbol institutionalisiert: als die Infragestellung universeller weißer Schönheitsideale, und als eine kulturelle Subversion rassistischer Normen und internalisierten Rassismus’. Essence, eine US-amerikanische Zeitschrift, die 1970 gegründet wurde und insbesondere afroamerikanische Frauen als Zielpublikum hat, nennt die "Black is Beautiful"-Bewegung der 1960er und 1970er Jahre :: "revolutionär", und merkt an, dass allein die Tatsache, dass Schwarze Frauen, die ihre natürlichen Haare unbehandelt lassen, auch heute noch Nachteile im Berufsleben haben, ein Zeichen für die fortwährende Politik von Schwarzen Haaren ist.
Dreadlocks oder Afros bei weißen Menschen sind somit durchaus "appropriation", also eine Vereinnahmung Schwarzer Widerstandssymbole, wie Viruletta in ihrem (kontrovers diskutierten) Artikel :: Schwarze Widerstandssymbole auf weißen Köpfen bereits geschrieben hat. Das bedeutet nicht, dass man Weißen das Tragen jener Frisuren verbieten sollte oder könnte. Kritik an solchen Entscheidungen scheint jedoch berechtigt zu sein, und hat weniger mit vermeintlichem Essentialismus von "race" zu tun, als mit einer gesellschaftlichen Kontextualisierung kultureller Praxen, Bewusstsein für politische Symbole und deren historische Aneignungsprozesse, sowie Reflektion über das weiße Privileg, dass nicht-Schwarze Haare in ihrem "natürlichen" Zustand keine systematischen Vorurteile und negative Auswirkungen hervorrufen, denen man sich hier (wie Schwarze Menschen) demonstrativ entgegensetzen könnte.
Dass Schwarze Haare politisch sind, ist auch 2012 noch wahr. Es zeigt sich, wenn mir Leute ohne Vorwarnung ins Haar fassen und "Oh"-Laute von sich lassen. Es zeigt sich, wenn Noah Sow von einem Fotoshoot ausgeladen wird, weil ihre nicht-geglätteten Haare plötzlich der vermeintlichen Merchandisingästhetik eines Fußballvereins widersprächen (wie sie in :: Deutschland Schwarz Weiss schreibt). Es zeigt sich mitunter berührend, wenn der US-Präsident Barack Obama sich zu seinem :: fünfjährigen Gast Jacob Philadelphia hinunter beugt, damit dieser seine Haare anfassen kann, und Jacob dann feststellt, dass diese sich ja wirklich wie die eigenen anfühlen, und Barack Obama tatsächlich der erste Schwarze US-Präsident ist.
Text übernommen von :: maedchenmannschaft.net