Am Dienstag, 18. Dezember 2012 suchten etwa 30 Flüchtlinge aus dem Protestcamp in Wien die Votivkirche auf. Sie baten um Asyl. Doch der Pfarrer zeigte sich nicht erfreut und drohte mit polizeilicher Räumung. Bis in die späte Nacht hinein wurden Gespräche geführt. Am Mittwoch vormittag findet eine Pressekonferenz statt.
Kirchenasyl hat eine lange Tradition in Wien. Viel früher befanden sich in der nahe gelegenen Freyung viele Menschen in Asyl. Doch in der jüngeren Zeit scheint diese Form der christlichen Nächstenliebe zumindest in Österreich nicht mehr sehr gewünscht zu sein.
Der Pfarrer der Votivkirche hatte erst vor wenigen Wochen den protestierenden Flüchtlingen, die nur unweit vor seinem Gotteshaus ein Protestcamp errichtet haben, um für ihre Rechte zu kämpfen seine Kirche als Rückzugsort angeboten, falls es zu Problemen kommen sollte. Die Flüchtlinge diskutierten lange, wie sie mit ihrer Situation umgehen sollen. Von den zuständigen Politiker_innen kam bis heute keine Antwort, an einer Erfüllung der Forderungen scheinen sie (noch) kein Interesse zu haben. Da viele der Protestierenden auch nicht mehr ins Flüchtlingslager in Traiskirchen gelassen werden, entschlossen sie sich, nicht nur an den Toren der Kirche anzuklopfen, sondern diese auch gleich zu betreten. Sie brachten gleich Matratzen und Decken mit, um sich in Kirchenasyl zu begeben. Der Pfarrer wollte plötzlich von seiner früher geäußerten Offenheit nichts mehr wissen und drohte sogar mit polizeilicher Räumung.
Die Kirchenvertreter_innen, die von Mitarbeiter_innen der Caritas unterstützt wurden, wollten am liebsten gar nicht diskutieren, sondern ihre Gäste gleich wieder los werden. Doch diese ließen sich nicht so leicht abwimmeln. Es gab mehrere Diskussionsrunden, deren Pausen die Kirchenvertreter_innen wohl dazu nutzten, um zu beraten, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Eine Lösung gab es vorerst keine, doch sollen die Gespräche weitergeführt werden, bis eine Lösung gefungen wird. Die Caritas bot sogar an, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Die Forderungen der Flüchtlinge, wie Grundversorgung unabhängig vom rechtlichen Status, freie Wahl des Aufenthaltsortes, Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt, Stopp der Dublin II Abschiebungen, eine unabhängige Instanz zur Prüfung von Asylverfahren und die Anerkennung sozioökonomischer Fluchtgründe hatten da nur wenig Raum.
Vor allem die Anwesenheit von Unterstützer_innen und Presse dürfte die Gottesvertreter_innen gestört haben, denn so konnten sie nicht still und heimlich nach einer halbherzigen Lösung suchen. Das vom Pfarrer gestellte Ultimatum, die Kirche bis 18:00 zu verlassen, verstrich. Es kamen sogar noch mehr Unterstützer_innen und Pressefotograf_innen. Jedoch mussten diese nach einer vorläufigen Übereinkunft mit den Herbergssuchenden die Kirche verlassen, lediglich den Flüchtlingen und fünf Unterstützer_innen wurde gestattet, weiter zu bleiben. Wann und ob die Gespräche endeten, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Spätesten zur für Mittwoch vormittag angekündigten Pressekonferenz in oder vor der Votivkirche sollte mehr klar sein. Wie es danach weiter geht, wird sich zeigen...
Unterstützt das Protestcamp!
Das Protestcamp der Flüchtlinge im Sigmund-Freud-Park bleibt jedenfalls weiterhin bestehen - bis die Forderungen erfüllt sind! Alle solidarischen Menschen sind aufgerufen hinzukommen, um sich zu beteiligen und die Proteste der Flüchtlinge zu unterstützen. Was ihr tun könnt und weitere Informationen zur Besetzung auf :: refugeecampvienna.noblogs.org.
Im folgenden dokumentieren wir zwei Berichte vom Pressteam des Protestcamps:
Hätte Jesus heute Herberge bekommen?
Heute Morgen, dem 18.12.2012, "Internationaler Tag der Rechte der MigrantInnen", haben rund dreißig Flüchtlinge aus dem Refugee Protest Camp Vienna aufgrund ihrer äußerst prekären Situation Schutz in der Votivkirche gesucht. Dort diskutierten die Schutzsuchenden mit NR Abg. Alev Korun, dem Schauspieler Cornelius Obonya und dem Sprecher von SOS Mitmensch Alexander Pollak über die von ihnen gestellten Forderungen nach einem sicheren Rechtsstatus, Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildung, Anerkennung von sozioökonomischen Fluchtmotiven neben den bisher anerkannten Fluchtgründen und dem Stopp von Dublin 2 Abschiebungen.
Die schutzsuchenden Flüchtlinge hatten auf Unterstützung seitens der Pfarrgemeinde gehofft. Entgegen ihrer Erwartungen ließ der Pfarrer der Votivkirche jedoch zuletzt in einem "Kathpress"-Interview Gegenteiliges verlauten. Er sieht die Herbergssuche der Flüchtlinge als Besetzung und forderte sie auf die Votivkirche bis 18 Uhr zu verlassen.
Die Asylsuchenden, die eine Woche vor Weihnachten zu Herbergssuchenden werden, verstehen nicht, warum ihnen kein Schutz gewährt wird.
Dechant Gerald Gump, Pfarrer der Diözese Wien, dazu:
"Wir befinden uns in einer Zeit, in der die halbe Menschheit die Herbergssuche feiert und sie knüpfen dabei an eine gute, auch österreichische Tradition an. Es wäre höchst an der Zeit, dass sich Österreich selbst darin ernst nimmt und Menschen, die in großer Not sind, aufnimmt und Herberge gewährt. Doch ich fürchte, Jesus hätte bei uns heute auch keine Herberge gefunden."
:: refugeecampvienna.noblogs.org, 18. Dez 2012
Update von ca. 23:00 Uhr
Bis etwa 22 Uhr hielten sich rund 100 Personen, darunter Flüchtlinge, Aktivistinnen und zahlreiche Journalistinnen in der Kirche auf. Nach Vermittlungen der Caritas wurde in der Sakristei der Votivkirche unter Einbeziehung von 3 Flüchtlingsvertretern hinter verschlossenen Türen gut 3 Stunden lang verhandelt.
Ergebnis der Verhandlungen war ein eher undurchschaubarer Kompromiss, die Gespräche mit 5 Flüchtlingen über die ganze Nacht weiter zu führen. Alle Anderen sollten die Votivkirche verlassen. Dieses Verhandlungsergebnis wurde von den anwesenden Protestierenden mit eher gemischten Gefühlen aufgenommen. Besonders kritisiert wurde das Aufteilen der Aktivist_innen in 2 Gruppen: Flüchtlinge die in der Kirche blieben und Unterstützer_innen, die die Kirche verlassen mussten.
Zur Stunde finden eben diese Verhandlungen weiterhin statt. Ob die übrigen Anwesenden die Kirche bereits verlassen haben, oder vorhaben die Nacht im Inneren des Gebäudes zu verbringen ist im Moment nicht klar.
Am Mittwoch, 19. Dezember vormittags, wird es eine Pressekonferenz, in oder vor der Votivkirche geben.
:: refugeecampvienna.noblogs.org, 19. Dez 2012