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[ 11. Jan 2013 ]

Die Überzähligen: Ihre Sache ist die Sache aller...

Die Geflüchteten sind im Hungerstreik - Kundgebung am Yppenplatz, 5. Jänner 2013.

Worin besteht die Unklarheit bezüglich der gegenwärtig in der Votivkirche hungerstreikenden Menschen? Vor allem in der diskursiven Unmöglichkeit, sie als Subjekt in eine Klasse einzuordnen, denn sie gehören nicht zu den bisherigen "anerkannten" Klassen in der Gesellschaft.

 

Als Überzählige können sie weder teilhaben noch teilnehmen. Weder gehören sie zum politischen Körper, noch waren sie befugt, das Politische für sich zu beanspruchen. Das führt zu der Tatsache, dass sie diskursiv als Einheit, als Seiendes, als Entität gar nicht betrachtet werden. Der bisherige Diskurs hat nicht einen Platz für sie als politisch Handelnde. Es gibt keine Erzählung, die sie als Entität - ausgestattet mit Vernunft und Handlungswille - verortet, und schon gar nicht eine, die diese Vernunft und diesen Willen zur Grundlage der stattfindenden Rebellion charakterisieren könnte.

Gleichzeitig, das, was passiert, ist genau das: Diese Menschen haben gedacht, sie denken und sie werden politisch denken. Aus diesem Denken ist ihr Entschluss gekommen, sich für eine Ihnen wichtige Sache zu exponieren und letzten Endes auch das Leben zu riskieren. Diesen Menschen derzeit eine Opferrolle diskursiv anzuhängen, wie das in bestimmten Texten gemacht wird, bedeutet nichts anderes als einen Versuch, ihnen die Rationalität der vernünftigen Wesen abzusprechen. Es heißt, eine Reduktion vorzunehmen, eine Reduktion auf ihr Leid und ihr Trauma. Das ist keine harmlose Vorgangsweise, sondern eine strategische.

Am besten wurde darauf geantwortet von den Menschen dort selber: "Wir sind 20.000 km von Afghanistan hergekommen und für uns sind 30 km von Traiskirchen her kein großes Problem". Natürlich widerspiegelt dieser Satz auch eine möglicherweise zu starke heroische Einstellung, aber es zeugt vor allem von politischer Überzeugung und von der Einstellung, alleine für sich selbst sprechen zu können. Derjenige, der so spricht, mag einiges erlebt haben, er ist aber keineswegs nur auf das zu reduzieren, was er erlebt hat, mehr als dass es bezeugt, dass das, was die Menschen erlebt haben, in der gesamten Grausamkeit, die dabei im Spiel war, auch eine Erfahrung, wichtige Erfahrung, aus der auch Kampfenergie gezehrt werden kann, ist.

Diese Menschen sind auch Opfer, aber ihr Leid hat sie nicht zu Sklaven dieser Vergangenheit gemacht, sondern sie auch zu Kämpfern für ihre und der Sache aller in der Gesellschaft. Denn das wird zu oft vergessen: Ihre Sache ist die Sacher aller, denn die Aufteilung der Gesellschaft auf diejenigen, die partizipieren, und die anderen, die der Partizipation der einen unterworfen sind, ist ein gesellschaftliches Problem, das bedingungslos alle betrifft. Darum ist der Kampf dieser wenigen ein allgemeiner Kampf für Alle. Sie verkörpern Alle und steigen in den politischen Ring auch im Namen von allen, in einem schwierigen und langfristigen Kampf. Die derzeitige Unterstützung ist das wenigste, was andere machen können. Mehr noch, derzeit kann ruhig behauptet werden, dass der eigentliche politische Moment, also die Tatsache, dass sie als Partikuläre aus einer partikulären Position im Namen von Allgemeinheit aufgetreten sind, in Österreich sich in der Votivkirche ereignet.

Ljubomir Bratic, Wien am 09. Jänner 2013.