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[ 04. Jan 2013 ]

Die 'Überzähligen' haben schon gewonnen!

Überlegungen von Ljubomir Bratic zum Kampf der Refugees im Sigmund Freud Park.

 

Die Menschen, die bis vor kurzem im Sigmund-Freud-Park ihre Zelte zwecks einer öffentlichen Demonstration ihrer Forderung nach Rechten und Gleichheit aufgeschlagen haben und die seit der Vorweihnachtszeit 2012 in der Votivkirche Schutz suchten und dort in Hungerstreik traten, gehören in der Gesellschaft, in der sie diesen Akt vollziehen, in der gegenwärtigen österreichischen Gesellschaft, zu den Überzähligen. Sie gehören nicht deswegen nicht dazu, weil es ihnen an etwas mangelt, sondern weil ihnen prinzipiell die Eigenschaft abgesprochen wird, dazugehören zu können. Als nicht dazu Gehörige und Gezählte, als die Überzähligen, können sie somit per Definition nicht die Eigenschaft des zoon politicon – des auf seine Gleichheit unter den Gleichen setzenden Individuums – haben. Diese Tatsache der paradoxen Anwesenheit von denjenigen, die nicht dazu gehören können, macht die Situation für die städtische Verwaltung (denn sie sind mit dem Akt der Vereinnahmung dieser Namenslosen eines öffentlichen Ortes, des 'Sigmund-Freud-Parks' herausgefordert) an erster Stelle und für die Hilfsorganisationen (denn mit der Wahl eine Kirche zu suchen wird die Handlungsfähigkeit der größten Hilfe – Verwaltungsorganisation auf den Prüfstein gesetzt) an zweiter Stelle, so unergründlich, dass sie am liebsten das ganze Geschehen möglichst schnell gründlich alles ungeschehen und vergessen machen möchten. Nun zu ihrer weiteren Beunruhigung kann ruhig behauptet werden, dass deren Alptraum noch lange dauern wird. Im Folgenden geht es um die Frage, warum so etwas gerade in Wien passiert?

Die Stadtverwaltung


Wer sind diese Überzähligen für die städtische Verwaltung? Bekanntlich hat die Wiener Stadtverwaltung eine linksliberale Ausrichtung. Es besteht aus der traditionell mächtigen Sozialdemokratie (SPÖ) die über Jahre hinweg die rassistischen Betonpositionen aus ihren Reihen marginalisieren konnten, (einer von diesen, Johann Hatzl, der unter dem Innenminister Franz Löschnak schaltete und waltete, wurde interessanterweise Obmann der SPÖ naher Hilfsorganisation Volkshilfe) und der Grünen, deren Wiener Chefin einmal vor Jahren aufgetreten ist, um die “Stimme der Migranten ins Stadtparlament” hineinzubringen und die diesen Anspruch zugunsten der pragmatischen Erfolgsüberlegungen schon längst aufgegeben hat. Diese Aufgabe des prinzipiellen Momentes machte sie und ihre Partei, wo sich darüber meines Wissens niemand so richtig Gedanken machte, zu einem für die SPÖ akzeptablen Koalitionspartner. Gemeinsam wurde auf dem Weg zu der Koalition der Werner Sokop, mächtiger MA62-Chef (bekannter als Autor von “Überfremdungsbescheiden” und antisemitischen Gedichten) in Pension verdrängt und auch die Wiener Integrationskonferenz eliminiert. Sie fanden ihre goldene koalitionäre Mitte, indem eine Seite die öffentliche Brutalität der Hardliner eindämmen konnte und die andere, den Anspruch auf den Partizipationsgrad der MigrantInnen in der Gesellschaft zu erhöhen, aufgeben werden musste. Ein positives Nullsummenspiel sozusagen. Nun erscheint jetzt in dieser so laufenden Geschichte plötzlich ein Handlungssubjekt, das von niemandem wahrgenommen wurde, oder besser gesagt, nur als ein Objekt der Hilfe, der Toleranz oder der Repression, wahrgenommen wurde. Dieses Subjekt setzt Handlungen und stellt für alle nachvollziehbare Forderungen. Es sind diejenigen, die bisher in keinem der Kontrollsysteme (auch nicht in denjenigen der Straßenpolizei) völlig aufgegangen sind, diejenigen Menschen, die am Rand der Gesellschaft als deren nicht dazu gehörender Teil geduldet werden, eben als Flüchtlinge, die ihr Dasein unter höchster Unsicherheit leben mussten, die sich als die Erweiterer des gesellschaftlichen Gemeinsinns gebärden.

Was passiert gerade, während das hier gelesen wird? Diese Menschen sprechen, sie stellen Forderungen und noch mehr: Sie behaupten, das niemand außer ihnen für sie sprechen kann. Damit sind alle Schein – Repräsentationsgebäude und auch die mächtigen Kontroll- und Ordnungsgebäude zum Vorschein gekommen und es stellt sich heraus, dass die Herrschaft diesem schwachen, kranken, hungrigen und an der strukturellen Macht nicht beteiligten Subjekt nicht sehr viel an den Argumenten entgegen setzen kann. Es stellt sich heraus, dass dieses Subjekt die gleiche Sprache der politischen Forderungen spricht wie alle Anderen in der Gesellschaft,… aber eine Akzeptanz dieser Forderungen würde für die bisherigen Verwalter zumindest die Relativierung ihrer herrschaftlichen Positionen bedeuten. Damit bleibt für die Wiener Stadtregierung nur eine verzweifelte Selbstschutzaktion offen: die namenlosen Überzähligen möglichst schnell aus der Position eines öffentlich wirksamen Herdes der Delegitimierung zu entfernen. Die Konsequenz daraus ist die Entfernung der Gebrauchsobjekte, die zu diesem eminenten Demonstrationsrecht gehörten: Zelte, Kleidung, Tische, Bänke, … Sigmund-Freud-Park wurde von den Menschen und deren Habseligkeiten in der Nacht am 26.12.2012 um 04.00 Uhr in der früh gesäubert. Ob dies mit bewusster Wille oder Wissen oder Kenntnis oder Absicht oder Intention usw. all derjenigen, die in der Stadtregierung ihren Sitz gefunden haben, geschah, ist eigentlich eine Nebensächlichkeit. Die Zelte der demonstrierenden Menschen wurden entfernt und zerstört. Statt im Sigmund-Freud-Park einer Übernachtungsmöglichkeit für die für ihre Rechte Kämpfenden, als eine karge kalte winterliche Übernachtungsmöglichkeit, zu dienen, befinden sich jetzt die Dinge von Bulldozern zerstört in irgendeinem Magazin der Stadt Wien. Während gleichzeitig auf dieser Wiese niemand mehr sein Zelt aufschlagen darf. Damit hat die Stadtregierung ihr Machbares getan. Die Zelte wurden nicht zurück gebracht und die Aktion wurde so vollzogen, dass es zu vollendeten Tatsachen führte. Nun zum Leidwesen der Stadtregierung ist es nicht so, dass die Proteste und die Sprache der Überzähligen durch die Entfernung ihrer Habseligkeiten verstummt.

Die Kirche


Und wer sind die Überzähligen für die Hilfezulieferer? In dem System des nationalstaatlichen Rassismus gibt es mehrere Arbeitsteilungen. Eine davon ist: Für die Verwaltung des geduldeten Daseins der Flüchtlinge sind diejenigen zuständig, die sich dem Begriff der Hilfe verschrieben haben: Die Hilfsindustrie. Dazu gehört die gesamte Soziale Arbeit aber auch deren große operative Einheiten wie z.B. die Volkshilfe oder eben Caritas. Nun was machen die Überzähligen während der öffentlichen Verlautbarung ihrer Sprache der Partizipation? Sie verweigern sich dieser Hilfesteller – es war von Anfang an keine Hilfsorganisation in die Demonstration eingebunden – und mehr als das, sie fordern sie heraus, indem sie ihren Protest in ihre Richtung, auf deren Orte und Räumlichkeiten, ausdehnen: Sie besetzen eine Kirche. Dieser Ort hat einen anderen Charakter als die von Stadtverwaltung regulierte Parkeinrichtung. Hier geht es um einen Ort, der sich durch die Barmherzigkeit legitimiert und in dessen historisches Bewusstsein eine starke Asylgeschichte eingeschrieben steht. Dazu kommt das, was für die gegenwärtige Situation der Kirche von einer unmittelbaren Relevanz ist: Die Caritas ist ein rechtfertigender Bestandteil der Kirche. Diese Caritas verwaltet Flüchtlingsheime, hat Beratungsstellen für Flüchtlinge, hat “Rückkehrberatungsstellen” und ein gehöriger Teil der Gelder, mit denen die Duldung der Überzähligen organisiert wird, geht an sie. Die Überzähligen haben mit ihrer Handlung, durch ihre Positionierung auf einem geordneten Territorium genannt Wien, genau das ausgewählt, was sie unmittelbar betrifft: die Hilfsorganisation, die jetzt vor der Frage nach dem Charakter ihrer Hilfe steht. Wie kann jetzt diese Rationalität noch in Frage gestellt werden? Genau das ist die Frage, die sich derzeit die Verwaltung und deren diverse Einheiten (politische Parteien, Interessensvetretungen, PR-Abteilungen in Form der so genanten öffentlichen Medien, usw.) stellt. Was soll man machen, wenn jemand, der nicht prinzipiell zur politischen Ordnung gehört – indem er eine eindeutige politische Sprache zu sprechen beginnt und diese Sprache nicht nur ausspricht, sondern die Handlungen setzt, die diese Sprache zu einer macht, die gehört werden muss – seine Rationalität beweist ?

Verlorener Kampf


Eigentlich ist das für die angesprochenen Teile der Verwaltung ein verlorener Kampf. Denn egal was sie und wie sie es tun, die Tatsache eines neuen sich rational artikulierenden politischen Subjektes ist da. Damit können alle nur umgehen lernen. Verdrängen werden sie es aber nie mehr können. Das ist der größte Verdienst der kämpfenden Menschen im Sigmund-Freud-Park und in der Votivkirche.
Ein guter Rat für die Stadtverwaltung angesichts dieser Situation ist der, auf die Forderungen dieser Menschen, die sich als politisches Subjekt organisiert haben, einzugehen, sie als gleichberechtigte politische Gesprächspartner zu betrachten und sie als die alleinigen Sprecher über die Situation, wo sie bisher nur als Objekte fungierten, zu akzeptieren. Mehr bleibt da nicht zu machen. Die Überzähligen haben eine Situation erkämpft, indem sie als politisches Subjekt da stehen. Es reden diejenigen, für die bis jetzt immer jemand geredet hat, und sie reden nicht nur in einer Öffentlichkeit, der Gemeinschaft gehörenden Öffentlichkeit, sondern auch auf dem Territorium einer der Organisationen, die die Hilfe verwaltet, dort, wo sie zu Objekten degradiert werden. Das ist die von der Verwaltungsseite her gesehene „Ungeheuerlichkeit“ dieser Proteste. Das macht sie so schwer verstehbar und kaum akzeptabel für die Verteidiger der herrschenden Ordnung.

Und noch etwas als post scriptum: Wurden die protestierende Flüchtlinge nicht aus dem Sigmund-Freud-Park genauso vertrieben wie der Sigmund Freud aus Wien im Jahr 1938? Gibt es eigentlich für das kollektive Gedächtnis etwas Schwerwiegendes als diese – in anderer Form aber doch – Tatsache der Wiederholung des Unrechtes?

Ljubomir Bratić, Wien, 03.01.2012