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[ 05. Nov 2015 ]

Grenzuntergang in Berkasovo und Rigonce

Berkasovo

Bericht von der Situation in Berkasovo und Rigonce an der Serbisch / Kroatischen Grenze, vom 18. - 27. Oktober 2015.

 


1. Bericht Berkasovo
2. Bericht Rigonce Kro/Slo


- Edit - Im Moment wird der Grenzübergang Berkasovo zugemacht und dafür ein anderer geöffnet. - Edit -


Berkasovo / Bapska


Berkasovo ist ein kleiner Ort auf der serbischen Seite an der Grenze zu Kroatien.

Der Grenzübergang an dem sich das humanitäre Desaster abspielt ist kein offizieller sondern ausserhalb des Dorfes extra für Geflüchtete "eingerichtet" worden und auch der einzige Grenzübergang von Serbien nach Kroatien der im Moment "offen" ist. Das heißt das dort alle Geflüchteten die nach Europa über den Balkan fliehen und nicht zu Fuß über grüne Grenzen gehen durch müssen. Eine sehr schmale Straße als einziges befestigtes Gelände gesäumt von Büschen und umgeben von Feldern.

Von Einrichtung kann mensch allerdings absolut nicht sprechen. Die serbische Regierung bzw. die Kommission die über diesen Ort herrscht, tut sehr viel dafür, dass der Ort im absoluten Chaos versinkt.

Als wir (eine Gruppe von drei Freiwilligen) am Sonntag den 18. Oktober 2015 am späten Abend dort ankamen sind wir direkt in eine Katastrophe geraten. 3000 größtenteils völlig übermüdete und frierende Menschen schieben sich durch diese kleine Straße. Unter ihnen Kinder, schwangere Frauen und verletzte Menschen. Eine Situation die absolut nicht zu kontrollieren war. Eine Gruppe von hauptsächlich tschechischen Freiwilligen, die in wechselnder Besetzung schon seit mehreren Wochen dort vor Ort sind und denen wir uns anschlossen, waren die einzigen, die versuchten diese Menschenmasse zu beruhigen und gefährdete Menschen aus der Menge zu holen. An diesem Tag gab es mehrere Verletzte, die teils einfach überrannt wurden oder nach vielen Stunden Warten im Stehen kollabiert sind. Es gab nicht mal genug Platz zum Sitzen. Montags morgens wurde die Grenze dann auf Grund das massiven Drucks der Geflüchteten geöffnet und alle sind durchgekommen. Das hieß allerdings wieder einige Stunden auf die Busse auf der kroatischen Seite in Bapska zu warten, wo es im Gegensatz zu Berkasovo keinerlei Verpflegung gab.

Am nächsten Tag beruhigte sich die Lage ein wenig da auch auf der kroatischen Seite regelmäßiger Busse kamen und sich nicht so viele Menschen in Berkasovo stauten.

Die Bilder blieben aber die gleichen. Völlig übermüdetete, teils unterkühlte Menschen, Kinder in nassen Klamotten, ohne Schuhe, Laufen über eine zentimeterdicke Müllschicht

- Verzweifelung pur! 3000-5000 Geflüchtete jeden Tag und oft viel zu wenig Decken, Rettungsfolien und Klamotten.

Als es dann am Tag später anfing zu regnen wurde die Situation noch schlimmer. Das serbische Militär stellte zwar einige Großzelte mehr zur Verfügung, allerdings bei weitem nicht genug um die viele tausend Geflüchteten unterzubringen. Die Felder rundherum verwandelten sich in eine Schlammwüste in der man bis zum Knöchel in Müll und Schlamm versank. Bis auf in den unbeheizten Militärzelten gab es keinerlei Beleuchtung insofern waren alle Menschen, die es in der Enge auf der Straße nicht mehr aushielten, der völligen Verschlammung der Felder ausgesetzt. Menschen schlafend ohne Decken und Unterlagen auf nassem Boden...

Das tschechische Team (was immer mehr zu einem internationalen Team wurde) und nur aus Freiwilligen bestand, hatte ohne Pause damit zu tun Menschen trockene Kleidung zu geben, Tee zu kochen, Essen rauszugeben, gespendete Kleinzelte an Familien zu verteilen und Menschen zu informieren, wann sie denn wo hingehen konnten oder mit den Bussen hingefahren wurden. Das Team war gut organisiert und bestand wie bereits erwähnt aus den Menschen, die das "Camp” am Laufen hielt und sich wirklich um die Geflüchteten kümmerten.

Besonders schlimm waren die Nächte. Es war so kalt, Temperaturen um die 0 Grad, dass wir die ganze Zeit rumgingen und schauten, ob die Kinder und Babys unterkühlt waren. In diesen Fällen brachten wir sie in einem beheizten Container unter, den wir allerdings erst noch von serbischen Polizisten, von denen mittlerweile ein paar vor Ort waren, befreien mussten. Garnicht so einfach. Genau wie an anderen Orten wurde, um die Feuer in Gang zu halten, alles verbrannt was zur Verfügung stand. Plastik, Decken, jeglicher brennbarer Müll. Eine giftige Wolke lag nachts über dem "Camp".

In zwei Fällen kamen wir mit all unsere Hilfe zu spät. Innerhalb der 10 Tage in der wir da waren starben ein kleines Kind und eine Frau auf Grund von Erschöpfung und Unterkühlung auf dem Weg zum Krankenhaus.


Es gibt so einige Situationen, die nicht mehr aus dem Kopf gehen (persönlicher Bericht eines der Autoren dieses Textes).

Während einer Chai-Runde hörte ich plötzlich hysterisches panisches Geschreie. Ich fand eine Frau in einem Panikanfall. Sie schrie auf arabisch "Hilfe Hilfe Polizei Hilfe Hilfe". Ein knapper Satz ihres Ehemannes war dass sie von Polizisten in Bulgarien übel zusammengeschlagen wurde und jetzt bei fast jedem Mal wenn Polizei in der Nähe ist, ähnlich wie jetzt reagierte. Ich brachte sie mit Hilfe ihres Mannes und seiner Freunde, die nervlich auch am Ende waren, zu einem improvisierten Zelt. Sie fing an wirr zu reden und zwischendurch immer wieder "Polizei Polizei" zu schreien. Kaum kamen wir an dem Zelt an, fiel sie in meine Arme und wurde ohnmächtig. Ihr Mann schaffte es sie wieder ins Bewusstsein zurückzuholen, doch nur mit Hilfe von Medikation der Ärzte ohne Grenzen schaffte sie es wieder ein stabiles Bewusstsein zu bekommen. Ich besorgte noch eine komplette Montur Klamotten und Decken. Ich sah in den nächsten Tagen einige Situationen, die dieser ähnlich waren. Dienstag Nacht gebar eine Frau in einem der Militärzelte ihr Kind.

Absolut furchtbar und kaum vorstellbar, dass Menschen auf der Flucht vor Krieg, Tod und Hunger immer wieder etliche erneut traumatisierende Situationen erleben müssen und dass nur, weil Regierungen sich mit einer absurden Ignoranz sehr oft überhaupt nicht für Geflüchtete interessieren.


Die Unfähigkeit des UNHCR und des Roten Kreuzes


Aus unserer persönlichen Erfahrung, aber auch aus Erzählungen anderer Freiwilligen, sind andere Organisationen wie das UNHCR oder das Rote Kreuz nicht grundsätzlich aber häufig eher eine Belastung als eine Hilfe. Nachdem das Rote Kreuz dann doch noch in Berkasovo auftauchte, wurde den Freiwilligen verboten warmes Essen zu kochen, mit der Begründung, dass das Rote Kreuz es nun übernehmen würde und wir hygienische Standarts nicht einhalten könnten, was bei den Müllbergen wie ein schlechter Scherz klingt. Die Abmachung hielt einen Tag an, allerdings durften wir Freiwilligen dann nicht wieder anfangen zu kochen. Also überhaupt kein warmes Essen mehr. Das UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) setzte sich in Berkasovo zu 90 Prozent aus desinteressierten, dafür aber gut bezahlten Mitarbeiter_innen zusammen, die den Tag über in ihrem beheizten Container saßen und sich unfähig anstellten, die Decken, die sie hatten, vernünftig zu verteilen. Noch dazu kam, dass der Container einige Tage nachts geschlossen war und es überhaupt keine Ausgabe, weder von Decken als auch von Wasser gab. Erst auf Anregung der Freiwilligen waren später auch in der Nacht UNHCR-Leute in den Containern.


Die serbische Kommission und die politische Lage


Verbieten und Erlauben tat eine serbische Kommission. Und dies mit fast schon menschenfeindlichen Ansichten. Wenn irgendetwas nicht so gemacht wurde wie sie sagten wurde uns sofort damit gedroht, dass Camp verlassen zu müssen. Nicht rein leere Drohungen: Das tschechische Team wurde bereits zu einem früheren Punkt des Geländes verwiesen und selbst Ärzte ohne Grenzen durften teilweise über Stunden keine Menschen versorgen. Ein Verweis hätte allerdings geheißen, dass am Grenzübergang überhaupt keine Tee-Küche, keine weitere Klamottenausgabe und auch keine andere Gruppe von Freiwilligen geben würde und die Situation sich dementsprechend verschlimmern würde. Aufgrunddessen ordneten wir uns mit großen innerlichen Widerstand der serbischen Kommission unter, wobei wir immer wieder versuchten, kleine Schlupflöcher zu finden. So zum Beispiel weitere Kleinzelte (dessen Aufstellung auch verboten war) in privaten Gärten mit Erlaubnis der Besitzer aufzustellen.

Die politische Lage zwischen Serbien und Kroatien ist nicht unschuldig an der Situation in Berkasovo. Der vor 20 Jahren stattgefunden Krieg zwischen Serbien und Kroatien trägt immer noch zu einer sehr gespannten Beziehung der Länder bei.

Lange gab es keine Kooperation zwischen den Ländern, was zur Folge hatte das oft niemand in Berkasovo wusste, wann wieviele Busse auf der kroatischen Seite in Bapska ankamen und wann die Grenze aufgemacht wurde. Ebenso wusste die kroatische Polizei nicht, wie viele Flüchtlinge erwartet wurden. Das hatte wiederum zur Folge, dass es meistens keine Ruhe im Camp gab. Die kroatische Polizei setzte, selbst bei Unruhen innerhalb des Camps keinen Fuß auf serbischen Boden bzw. ins Niemandsland.

Auch wenn wir uns dagegen wehrten; ohne Polizei ging es häufig nicht, da die Freiwilligen sonst ihre Gesundheit ernsthaft in Gefahr gebracht hätten.

Immer wieder befanden wir uns in einer Zwickmühle. Emotional, da wir verstehen konnten, dass Menschen ohne Informationen wie es weitergeht immer bis zum Grenzzaun vorgingen, um keine Öffnung zu verpassen. Dort bildete sich immer eine nervöse Menschenmasse. Andererseits wussten wir aber auch wie gefährlich dieses Situationen waren, da wie gesagt immer wieder Geflüchtete in der Masse kollabierten oder Panikattacken bekamen. Immer wieder gingen wir dieses Dilemma ein, zu wissen, dass nur die Polizei es schaffte die Situation zu kontrollieren, wir sahen wie sie die Geflüchteten behandelten und wir nur die Möglichkeit hatten Menschen aus gefährlichen Situationen rauszuholen und sonst recht hilflos danebenstanden.

Mal abgesehen davon hätte die kroatische Polizei uns auch nichts anderes tun lassen.

An den letzten Tage, an denen wir da waren merkte man allerdings, dass es mehr Kommunikation zwischen Serbien und Kroatien gab, was die Situation im Camp ein wenig entspannte.


Kljuc / Rigonce


An einem unserer letzten Tage fuhren wir noch nach Kljuc an der kroatisch-slowenischen Grenze, als Reaktion auf den Hilferuf von lokalen Freiwilligen.

Die kroatische Polizei leitete die Flüchtlinge an sogenannte "grüne Grenzen” und bringt sie somit halb-legal über die Grenze, da Slownien nur maximal 2000 Geflüchtete pro Tag akzeptiert, täglich aber teilweise das fünf- bis sechsfache ankommen.

Wir durften nur Essen und Getränke rausgeben während die Flüchtlinge an uns vorbei liefen, ansonsten riskierten wir wieder einen Platzverweis.

Nur müde Gesichter, Menschen die sich nur für ein paar Minuten ausruhen wollen, vielleicht nur kurz reden wollen, wissen wollen, was sie auf der anderen Seite der Grenze erwartet.

Es musste aber alles unnötig schnell gehen. Die kroatische Polizei trieb wieder alles immer wieder an. "Yalla Yalla... Go Go Go!!” - Die wenigen Worte die sie sich in den vergangen Wochen angeeignet haben.

Vor uns und den Geflüchteten ist eine kleine Brücke über einen Fluss die in einen stockdunklen, vernebelten schmalen Weg mündet. Niemand von ihnen weiß was sie dort erwartet. Auf der anderen Seite ist nach einem schlammigen unbefestigten Weg Feuerschein zu sehen. Mehrere Feuer brennen. Die Luft riecht nach verbranntem Plastik. Alles brennbare, Decken, Plastikflaschen, Müll, werden verbrannt um ein wenig Wärme des Feuer zu bekommen. Keine Zelte, keine Sitzmöglichkeit, nur eine nackte, kalte, feucht-verschlammte Wiese. Hier müssen die Menschen eingezäunt zwischen zwei und zwölf Stunden warten. Das einzige was beleuchtet wird sind slowenische Schützenpanzer, umringt vom voll-vermummten slowenischen Militär ausgerüstet mit Maschinengewehren. Direkt vor Menschen, die aus einem Krieg geflüchtet sind. Dafür fehlen die Worte. Der Anblick ist nicht mehr zu ertragen und wir gehen zurück über die Grenze nach Kroatien. Wir können es einfach machen, als priviligierten Menschen mit einem deutschen Pass. Ausgesucht haben wir uns das nicht. Es ist so absurd und so krank...

Artikel der Gruppe TrⒶibsⒶnd, zuerst veröffentlicht am 04. Nov 2015 auf :: linksunten.indymedia.org.
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