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[ 08. Jan 2019 ]

Eereignisse im und ums Mittelmeer - Teil 16

Protest gegen die mörderische Politik Salvinis am 20. Oktober 2018 in Trento

Während einige Rettungsschiffe, wie die Sea-Watch 3 ihre Missionen zur Rettung wieder aufnehmen, wird die Aquarius weiter behindert. Weiterhin ertrinken Menschen im Mittelmeer. Meldungen vom 19. bis 27. Oktober 2018.

 



Mare Jonio legt in Palermo an (19. Oktober 2018)

Pressekonferenz „Mediterranea“ 16. Oktober 2018.

Die Mitglieder der Initiative Mediterranea haben ihre erste Mission abgeschlossen und sind nach Palermo zurückgekehrt. Ihr Schiff „Mare Jonio“ bleibt für einige Tage im Hafen der Stadt, um Vorräte und Ausrüstung aufzustocken, die Mannschaft abzulösen und dann schnellstmöglich wieder in See zu stechen. „Die Bilanz der ersten Tage ist extrem positiv, unsere Intuition hat sich als richtig erwiesen“, erklärt Alessandra Sciurba im Rückblick auf die ersten 12 Einsatztage der Mare Jonio.

Bürgermeister Leoluca Orlando macht deutlich, dass die gesamte Stadt „mit an Bord“ sei. „Denen, die mich fragen, wie viele Migranten es in Palermo gibt, antworte ich: Keinen einzigen – wer nach Palermo kommt, ist Palermitaner!“

Erasmo Palazzotto, Abgeordneter des italienischen Repräsentantenhauses und Unterstützer von Mediterranea“erklärt, inwiefern die Initiative die europäischen Regierungen vor eine Herausforderung stellt. „Wir mussten miterleben, wie die Frage der Seenotrettung zu einer bürokratischen Angelegenheit verkommen ist, bei der es nur darum geht, ob ein Schiffbruch sich innerhalb der pedantisch abgezirkelten Grenzen der eigenen Save-And-Rescue-Zone ereignet oder doch eine Seemeile weiter südlich. Dem gegenüber zählen die Personen auf den Booten in Not gar nichts.“

Sea Watch-Sprecherin Giorgia Linardi meint, dass das Retten von Menschen im Angesicht der Gefahr eine selbstverständliche, fast automatische Geste sei. „Ich glaube wirklich daran, dass wer auch immer eine im Ertrinken begriffene Person vor sich hat, eine helfende Hand ausstreckt, ganz automatisch, als würden sich die Muskeln von allein bewegen. Auf offener See werden keine politischen Fragestellungen erörtert. Auf offener See werden Menschenleben gerettet und in sichere Häfen gebracht.”

Auch Marta, eine 26 Jahre junge Jura-Absolventin und Aktivistin aus Rom kommt zu Wort. Sie berät Migrant*innen und stellt denen, die für ein würdiges Leben kämpfen, juristischen Beistand zur Verfügung. Bei Mediterranea mitzuwirken sei nicht nur um der Geretteten willen wichtig, sondern auch für die Beteiligten selbst. „Wir fahren aufs Meer, um uns gegen die widerlichen Dinge zu wehren, die Tag für Tag vor unser aller Augen passieren.“

Die Welle der Solidaritätsbekundungen mit Mediterranea hat innerhalb der Crowdfunding-Kampagne schon 150.000€ zusammengebracht (Stand 16. Oktober), erzählt Luca Casarini. Dann berichtet er von der Nacht des 12. Oktober, in der die Besatzung der Mare Jonio eine Navtext-Nachricht erhielt: In maltesischen Gewässern waren 70 Personen an Bord eines Schlauchboots in Seenot geraten. Rom und Valletta spielten eine Zeit lang die Verantwortlichkeiten hin und her. Erst auf das hartnäckige Drängen der Mare Jonio hin schritt die italienische Küstenwache ein und brachte die geretteten Personen nach Lampedusa. „Als wir hörten, dass diese 70 Menschen in Sicherheit gebracht werden konnten, war es, als würde das Meer uns anlächeln.“

„Das Risiko, nicht an diesem Projekt mitzuwirken, war höher als das der Teilnahme”, sagt Claudio Arestivo vom interkulturellen Restaurant und Sozialzentrum Moltivolti in Palermo. „Anderer Menschen Rechte zu schützen hat nicht mit Links oder Rechts, Katholisch oder Atheistisch zu tun, sondern ist einfach menschlich.“ Auch der Vorsitzende des städtischen Kulturrats Ouattara Ibrahima Kobena und die Schriftstellerin Evelina Santangelo vom Kollektiv Corpi kommen im Rahmen der Pressekonferenz zu Wort.

Giulia Antonelli, borderline-europe. Aus dem Italienischen übersetzt von Laura Strack.
:: Borderline Sicilia (19. Oct 2018)


Malta: Sea-Watch 3 hat den Hafen von Valetta verlassen (20. Oktober 2018)


Seit dem 2. Juli wurde die Sea-Watch 3 im Hafen von Valletta von den maltesischen Behörden festgehalten. Heute morgen ist das Schiff ausgelaufen und befindet sich nun zu Wartungsarbeiten auf dem Weg nach Spanien. Seit der Beschlagnahme sind mehr als 500 Boat-people im Mittelmeer ertrunken.

:: FFM-ONLINE :: La Stampa (20. Oct 2018)




Pressemitteilung: Sea-Watch 3 verlässt Malta (20. Oktober 2018)


Die Sea-Watch 3 erhielt nach drei Monaten willkürlicher Beschlagnahmung, die Genehmigung Malta zu verlassen. Das Schiff verließ den Hafen von Valetta um 7 Uhr heute früh und fährt zunächst für Routinearbeiten in eine spanische Werft.

Das 50 Meter lange, niederländisch geflaggte Rettungsschiff Sea-Watch 3 war seit dem 02. Juli 2018, gemeinsam mit anderen Rettungsschiffen von der Maltesischen Regierung, daran gehindert worden, den Grand Harbour von Malta zu verlassen. Malta hatte Untersuchungen bezüglich der Registrierung der MS Lifeline eingeleitet, nachdem das Schiff mit über 200 geretteten Migrant*innen an Bord, in einen politischen Limbo zwischen Italien und Malta geraten war. Darauffolgend verweigerte Malta auch allen anderen niederländisch geflaggten zivilen Rettungsschiffen das Auslaufen, vorgeblich um Registrierungsfragen zu klären.

Trotz eines Reports der Niederlande, die die Sea-Watch 3 von allen Anschuldigungen und Zweifeln bezüglich der Registrierung, Ausrüstung und Tauglichkeit freisprach, hielt Malta das Schiff ohne Begründung für fast zwei weitere Monate fest. “Es ist höchste Zeit, dass die Maltesischen Behörden unser Schiff freilassen”, sagt Johannes Bayer, Vorstandsvorsitzender von Sea-Watch e.V. “Über 500 Menschen sind im Mittelmeer ertrunken, seit unsere Schiffe beschlagnahmt wurden – vermutlich viele mehr, von deren Schicksal an der tödlichsten Grenze der Welt niemand mitbekommen hat, weil niemand vor Ort war um zu berichten.”

Die Sea-Watch 3 befindet sich nun auf der Überfahrt nach Spanien, um dort reguläre Instandhaltungsarbeiten durchzuführen und für kommende Aufgaben überholt zu werden. “Die Sea-Watch 3 ist momentan das größte und am besten ausgerüstete zivile Rettungsmittel im zentralen Mittelmeer”, sagt Sea-Watch-Kapitänin Pia Klemp. “Wir sind mehr als erleichtert, dass das Schiff endlich aus dieser politischen Geiselhaft befreit wurde.”

:: Sea-Watch.org (20. Oct 2018)


Sea-Eye bereitet 2 neue Schiffe auf erste Rettungseinsätze vor (21. Oktober 2018)



Bavaria One auf einer Testfahrt in Spanien

Es ist soweit. Nachdem in der vergangenen Woche die Verträge für die Bavaria One unterzeichnet worden sind, konnten wir in dieser Woche auch bei der Sea-Eye 2 zuschlagen. Die dazu nötigen Vorraussetzungen wurden nun endlich von der Eignerin geschaffen. Inzwischen befinden sich bereits auf beiden Schiffen Werftcrews, um sie auszurüsten und auf die Einsätze vorzubereiten. Beide Schiffe werden noch im November unter Deutscher Flagge Einsatzcrews in die sogenannte SAR-Zone tragen.

An dieser Stelle sei allen Spenderinnen und Spendern ausdrücklich und aus tiefstem Herzen gedankt. DANKE! Ohne die beispiellose Großzügigkeit unserer treuen Unterstützerinnen und Unterstützer, wären wir niemals an diesem Punkt angekommen und hätten möglicherweise längst aufgeben müssen.

Nun stehen wir gemeinsam vor neuen, großen Herausforderungen, denn wir haben wieder zwei einsatzbereite Schiffe. Die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten beider Schiffe gehören zu einer ganzheitlichen SAR–Strategie. Niemand soll an unseren Außengrenzen ertrinken! Wir werden vor Ort sein – beobachten – finden – erste Hilfe leisten – Hilfe rufen – dokumentieren – die Öffentlichkeit informieren und retten, wenn wir können. Aber wir werden niemals aufgeben, solange unsere Spenderinnen und Spender diese gemeinsamen Ziele tragen und unsere ehrenamtliche Arbeit ermöglichen.

Die vergangenen Monate waren für alle Betroffenen unerträglich. Während die Flucht über das Mittelmeer, in Abwesenheit der Rettungsschiffe, immer tödlicher wurde (laut IOM ertrank jeder 5. Mensch im September), ließ man uns nicht mehr helfen. Nun sind wir kurz davor, wieder einsatzbereit zu sein und brauchen dringend Spenden. Ab sofort sammeln wir wieder Spenden für die Seenotrettung durch ehrenamtliche Crews auf Sea-Eye-Schiffen!

Wir bewerben uns hiermit eindeutig und eindringlich um jegliche Spendenbeträge, die ihr in diesem Jahr noch entbehren könnt. Davon hängt ab, wie gut wir unsere Schiffe ausstatten und wie lange wir unsere Einsätze durchführen können.

Beide Schiffe werden von Spanien aus in den Einsatz aufbrechen. Auf der Bavaria One sehen wir 6 ehrenamtliche Crewmitglieder vor. Das Crewing beginnt, sobald wir absehen können, wann das Schiff einsatzbereit ist. Auf der Sea-Eye 2 werden neben 8 Profi-Seeleuten zusätzlich bis zu 12 Sea-Eye-Einsatzkräfte eingesetzt. Dazu gehören Ärzte, Rettungskräfte, Journalisten und Menschenrechtsbeobachter.

:: sea-eye.org :: Videobotschaft auf Youtube: Prof. Dr. Tilman Mischkowsky für Sea-Eye Mission: BAVARIA ONE (21. Oct 2018)


Der Fall DICIOTTI: Salvini wird in einem ersten Schritt freigesprochen (22. Oktober 2018)


Endlich scheint wieder Bewegung in die Rettung auf See zu kommen. Nachdem die erste Mission der Mare Jonio des :: Verbundes „Mediterranea“ letzte Woche in Palermo endete und sich auf eine neue Fahrt vorbereitet wurde nun endlich auch die :: SEA WATCH 3 in Malta freigegeben und wird nun in Spanien überholt werden.

Indes geht der Prozess im Falle der DICIOTTI gegen Salvini weiter. Das italienische Küstenwachschiff war im August 2018 über 10 Tage daran gehindert worden, die geretteten Geflüchteten an Land zu bringen. Der Staatsanwalt von Agrigento, Luigi Patronaggio, hatte nach einem Besuch auf der DICIOTTI in Catania ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung gegen Salvini und dessen Kabinettschef Matteo Piantedosi eröffnet. Patronaggio sah sich als zuständig an, da die DICIOTTI über Tage vor der Insel Lampedusa festgehalten worden war ohne einlaufen zu dürfen. Da es sich jedoch um ein Verfahren gegen ein Regierungsmitglied handelt musste das :: Verfahren dem zuständigen Ministerialgericht in Palermo überstellt werden. Dieses stellte dann das :: Verfahren gegen Piantedosi ein.

Ende letzter Woche nun wurde das Verfahren vom Ministerialgericht in Palermo nach Catania überstellt. Dies sei das zuständige Gericht, so Palermo, da sich die DICIOTTI mit den restlichen gut 150 an Bord verbliebenen Geflüchteten im Zustandsbereich des Berufungsgerichtes Catania befunden haben. Hintergrund ist, dass der Vorwurf der Freiheitsberaubung vor Lampedusa fallen gelassen wurde. „Dass die Regierung in Rom das Schiff der italienischen Küstenwache im August zunächst gezwungen hatte, vor der Insel Lampedusa zu bleiben und keinen Hafen anzusteuern, sei lediglich eine Form des «diplomatischen Drucks gegen Malta» gewesen, urteilte ein «Ministergericht» in Palermo laut italienischen Medienangaben vom Sonntag“, so die :: Meldung der Nachrichtenagentur AFP. Sprich: das Festhalten der Geflüchteten und ihre psycho-soziale Nichtversorgung wird durch ein diplomatisches Tauziehen gerechtfertigt!

Die Frage nach dem Freiheitsentzug in Catania soll nun vor dem catanesischen Berufungsgericht entschieden werden. Doch diese erste Entscheidung macht wenig Hoffung für das Rechtes auf Freiheit und einer adäquaten psycho-sozialen Versorgung. :: Salvini ist guten Mutes: „Das war ein erster wichtiger Schritt. Ich werde keinen Zentimeter zurückweichen.“

Aus dem :: Tagebuch der Geschehnisse im zentralen Mittelmeer von borderline-europe (22. Oct 2018)


Protest gegen die mörderische Politik Salvinis am 20. Oktober 2018 in Trento.


Spanien-Marokko: Bekämpfung der Boat-people, Legalisierung der Angekommenen? (22. Oktober 2018)


Die New York Times hat am 22. Oktober die staatlichen Drangsalierungen der Transitflüchtlinge in Nordmarokko, ihre Abschiebung nach Südmarokko, das militärische Vorgehen gegen Harragas in der Meerenge von Gibraltar und die mögliche Legalisierung eines Teils der 200.000 undokumentierten Marokkaner*innen in Spanien als koordinierte Aktion der Europäischen Union, Spaniens und Marokkos dargestellt.

:: FFM-ONLINE :: New York Times (22. Oct 2018)


Marokko: Harragas als Massenphänomen (23. Oktober 2018)


Die nordmarokkanische Hafenstadt Larache gilt als einer der Dreh- und Angelpunkte für die Massenabfahrt von Harragas nach Spanien. In der Reportage der spanischen ABC werden einzelne Stadtteile skizziert, aus denen fast alle Jugendlichen und ganze Fabrikbelegschaften auf Booten nach Spanien übergesetzt sind, unter den Augen und im Mitwissen der gesamten Stadt, die sich im wirtschaftlichen Niedergang befindet.

:: FFM-ONLINE :: ABC (23. Oct 2018)


Die Migrant*innen, die von der TRENTON gerettet wurden: “Wenn das US-amerikanische Schiff uns früher gesehen hätte, hätten 76 Todesofper vermieden werden können” (23. Oktober 2018)


Repubblica – Am 12. Juni 2018 rettet das Schiff der amerikanischen Marine TRENTON 41 Migrant*innen vor Libyen aus dem Mittelmeer. Sie klammerten sich an ihr inzwischen kaputtes Schlauchboot. Ihre Mitreisenden haben weniger Glück: 76 Menschen sterben bei dem Schiffbruch. Monate später trafen wir sechs der 41 Überlebenden, die uns zum ersten Mal erzählen, was an diesem Tag geschah.

:: Ihre Erinnerungen sind dramatisch: sie haben Geschwister, Freund*innen, schwangere Frauen ertrinken sehen. Sie waren an diese oder die Überreste des Schlauchbootes geklammert. Sie erzählen, dass sie an jenem Morgen das amerikanische Militärschiff weit vor dem Kentern ihres Bootes gesehen haben. „Wir sahen dieses Schiff. Es war nicht weit entfernt. Wir sahen die amerikanische Flagge. Wenn sie uns gesehen und gerettet hätten, als wir alle noch an Bord waren, wären nicht 76 Menschen gestorben.”

Auf unsere Nachfrage über den Ablauf der Annäherung an das Schlauchboot bekräftigte das amerikanische Flottenkommando, dass die TRENTON das Boot erst gesehen habe, als es gekentert war und die Personen im Wasser schwammen. Aber der Fall des 12. Juni ist nicht der einzige, bei dem sich die TRENTON wenige Meilen von einem Flüchtlingsboot entfernt befand, wie die Aufzeichnung einer Funkkommunikation einige Tage zuvor in den gleichen Gewässern belegt, die von uns dokumentiert wurde.

Von Fabio Butera, aus dem Italienischen von Judith Gleitze.
:: Repubblica :: Borderline Sicilia (23. Oct 2018)


US-Schiff Trenton hätte alle retten können (25. Oktober 2018)


Am 12. Juni hat das Schiff der US Navy, dir Trenton, 41. Migrant*innen aus Seenoot gerettet. Diese befanden sich in einem zu Bruch gegangenen Schlauchboot vor der Küste Libyens. Doch 76 Leute starben bei diesem Bootsunglück. Nach Monaten wurden sechs der 41 Überlebenden interviewt. Ihre Erinnerungen an die Ereignisse an den Tag der Tragödie sind dramatisch: Ihre Brüder, Freundinnen, schwangere Frauen ertrunken vor ihren Augen. Die Überlebenden sagten aus, dass sie das Militärschiff lange bevor ihr Boot kenterte. Wäre das Schiff rechtzeitig zu Hilfe geeilt, hätten die 76 Menschen nicht sterben müssen.

Der Kommandant der Trenton rechtfertigt sich, dass Schlauchboot sei erst entdeckt worden, nachdem es kenterte und die Leute über Bord gingen. Doch das Ereignis von 12. Juni ist nicht der einzige Vorfall, bei dem sich die Trenton nur wenige Meilen von Booten mit Flüchtenden befand, wie der Funkverkehr nur wenige vor diesem Tag im gleichen Gewässer belegt.

:: FFM-ONLINE :: Video von La Repubblica (25. Oct 2018)


Die Ankünfte enden nie (25. Oktober 2018)


Mit dem Amtsantritt der Regierung von Lega Nord und Fünf-Sterne-Bewegung hat sich auch in der italienischen Bevölkerung die Ansicht durchgesetzt, dass mit der Schließung der Häfen für die Schiffe, die bis dahin Meerrettungen von Migrant*innen durchgeführt hatten, diese berühmten Ankünfte nun zu Ende seien.

Ende der Geschichte, es reicht die Rettungsschiffe zu beseitigen und die Anlandungen dieser Schiffe in Italien zu vermeiden, um das interne Problem der irregulären Migration zu lösen. Die Zahlen scheinen ihnen Recht zu geben: 80% weniger Ankünfte im Vergleich zu 2017. So finden wir uns mit einem Innenminister Salvini wieder, der sich fröhlich als Mann der Worte gibt, der Pater patriae ist verantwortlich für den Rückgang der Ankünfte dieser unerwünschten Subjekte auf (fast) null. Aber entspricht das wirklich der Wahrheit?

Der Bürgermeister von Lampedusa stimmt nicht zu. Lampedusa ist die Insel, die am leichtesten von der libysch-tunesischen Küste aus zu erreichen ist. In einem Interview mit :: Vanity Fair erzählt er, dass trotz des Amtsantritts der neuen Regierung die Anlandungen nie aufgehört haben. Er spricht von einer Ankunft von ca. 250 kleinen Booten, die jeweils mindestens 14 Migrant*innen an Bord hatten. Und das ist kein Einzelfall. Auch in der Provinz Agrigento gehen die Anlandungen seit mindesten eineinhalb Jahren weiter. Sie werden als „Geisterankünfte“ umschrieben, da man ihr Ausmaß nicht genau kennt. Ebenso an der Küste von Syrakus, dort gab es Anlandungen von Booten mit jeweils etwa 30-50 Migrant*innen. Ankünfte wurden auch in Kalabrien und Sardinien gemeldet.

Einige dieser Migrant*innen werden abgefangen, sobald sie das Land betreten, um dann identifiziert zu werden. Ende letzter Woche kam eine Gruppe von 23 Personen, davon 12 unbegleitete Minderjährige, in Lampedusa an und wurde nach Porto Empedocle transferiert. Dort erhielten alle (ausgenommen der Minderjährigen), trotz ihres Willens einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, eine zeitversetzte Rückweisung (ital.: respingimento differito). Es ist wieder einmal das Ergebnis der Propaganda dieser Regierung, die glauben lässt, dass Dank der Eliminierung der NGOs im Mittelmeer und Dank der Schließung der Häfen keine Menschen mehr ankommen. Tatsächlich aber ist die Zahl der selbsttätigen Ankünfte gestiegen, damit werden neue Routen eröffnet und Notanlandungen gefördert.

In Wahrheit hat die sogenannte Fabrikation von Irregularität volle Wirksamkeit. Und das im Gegensatz zu dem, was das berühmte „Stopp der illegalen Einwanderung“ suggeriert, das die Lega gemeinsam mit der Fünf-Sterne-Bewegung immer angepriesen hat. Wenn unsere Regierung geglaubt hat, dass Drohungen und konkrete Maßnahmen, den Wunsch und den Willen Europa zu erreichen gemindert haben, hat sie sich geirrt. Die Grenzexpertin Doaa Elnakhala erinnert sich an ihre Zeit in Palästina, erzählt von ihren täglichen Grenzübertritten an der Mauer, die Israel vom Westjordanland (besetztes Land) trennt. Diese waren nötig, nur um ein Eis zu essen oder einen Spaziergang am Meer zu machen. Das Meer, das von jedem der palästinensischen Hügel aus sichtbar ist und technisch sowie legal für die palästinensische Jugend nicht zugänglich ist.

Die junge Forscherin schloss ihre Geschichte mit dem Hinweis, dass dort wo eine Mauer ist, auch eine Leiter platziert wird. Sicher, hier spricht man nicht von einer Leiter, aber die Mauer ist da, zuerst eine Wüste und dann ein unpassierbares Meer. Es kann mit Glück überquert werden, ohne jedoch auf Hoffnung gerettet zu werden, falls das unvermeidliche passiert. Denn die abgestumpften europäischen Regierungen haben aus der Migration einzig und exklusiv ein Thema der Propaganda gemacht.

Berühmt, in diesem Sinne, ist die Karikatur von Staino, in der ein Mädchen besorgt einen Migranten frägt, wieso er denn das Meer überquert, wenn eine so große Todesgefahr besteht. Die Antwort lautet „…wegen dem ‚vielleicht‘“, wegen der Möglichkeit, dass dies nicht eintrifft. Dies sollte alle zur Reflexion anregen. Wie unerträglich ist es, dass die Menschen vor so einer Art von Entscheidung stehen, denn es gibt keine legalen und sicheren Wege, um diese Reise aufzunehmen und nach Europa zu gelangen.

Dies alles wirft die Frage auf, wieso, trotz der Unmöglichkeit die Ankünfte zu beenden, die Häfen geschlossen wurden. Natürlich, die beste Antwort wäre: das Geld. Und das wäre auch keine unsinnige Antwort. Dabei muss auch klar gemacht werden, von welchem Geld wir da sprechen. Sicherlich nicht von diesen berüchtigten Millionen, gespart von eben jenem Staat (obwohl natürlich in Wahrheit viel von diesem Geld aus der Europäischen Union kommt), der weiterhin sein Defizit erhöht und sich erhofft, dadurch die Wirtschaft anzukurbeln und dabei verschweigt, wie viele Arbeitsplätze im Aufnahmesystem geschaffen wurden. Arbeitsplätze, die es auch geschafft haben, junge Italiener*innen im Süden von Italien zu halten, die sonst in den Norden oder ins Ausland emigriert wären.

Also, von welchem Geld sprechen wir? Die Realität ist leider eine andere. Diese Alibimaßnahmen dienen nur dazu den Misserfolg dieser Politiken zu verstecken. Sie scheinen aber effizient zu sein und gewinnen somit viele Wähler*innenstimmen in diesem Dauerwahlkampf. Vor allem der Mechanismus, der seit mindestens 20 Jahren die Basis für die Regulierung von Migration stellt, ist eigentlich ein ökonomisches System, dessen Waffe es ist, Menschen unter jeden Arbeitsbedingungen und für jeden Lohn arbeiten zu lassen. Das erlaubt, den Preis für Arbeitskraft zu senken.

Im Süden von Italien, in der Landwirtschaft, haben diese Mechanismen dazu geführt, dass Phänomene wie das caporalato (illegale Anwerbung unterbezahlter Landarbeiter*innen) denjenigen hilft, die Ausbeutung zu ihrer Profession gemacht haben. In einigen Fällen handelt es sich um unsichtbare Personen, die in isolierten und abgelegenen Barackenlagern leben. Dies macht eine kritische Auseinandersetzung immer komplizierter. In diesem Sinn erscheinen die dem neuen Dekret „Immigration und Sicherheit“ zugrunde liegenden Motive klar. Dieses sieht einerseits die Abschaffung des humanitären Bleiberechts vor, folglich werden die Zahlen irregulärer Migrant*innen steigen und andererseits ermöglicht es die Erweiterung der außerordentlichen Unterbringung in den CAS*, zum Schaden der SPRAR*-Unterkünfte. Die Notunterkünfte werden (wie es de facto schon einige sind, z.B. das Cara di Mineo) zu großen Zentren für den Beschäftigung von Arbeitskräften, die im Agrar- und Bausektor ausgebeutet werden.

Ganz zu schweigen von der noch dunkleren und fruchtbareren Schattenwirtschaft, wie Prostitution, Organhandel und Aktivitäten im Rahmen der organisierten Kriminalität. Die Politiken, die das Ende der Migration propagieren, sind nur kriminalitätsfördernde Politiken.

Peppe Platania, Borderline Sicilia
Übersetzt aus dem Italienischen von Helena Hattmannsdorfer


* CAS (Centro di accoglienza straordinaria): Außerordentliches Aufnahmezentrum
* SPRAR (Sistema di protezione per rifugiati e richiedenti asilo): Schutzsystem für Asylsuchende und Geflüchtete, kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), soll zur Integration von Geflüchteten dienen

:: Borderline Sicilia (25. Oct 2018)


Update zum Flaggenstatus der Aquarius: Auf der Suche nach einer langfristigen Lösung (26. Oktober 2018)


Obwohl weiterhin Menschen die gefährliche Flucht über das Mittelmeer wagen, ist aktuell kein einziges humanitäres Schiff vor Ort, um in Seenot geratene Menschen zu retten. Nur das Aufklärungsflugzeug „Moonbird“ der Kolleg*innen von Sea-Watch kann überhaupt noch Boote in Seenot sichten. Einzelne europäische Staaten wie Malta oder Italien haben in den vergangenen Monaten zivile Organisationen gezielt am Retten gehindert. Es gibt somit kaum noch Zeugen, die unabhängig über die Lage im Mittelmeer berichten können.

Auch unser Rettungsschiff Aquarius, das wir seit 2016 gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste betreiben, kann derzeit nicht zurück in den Rettungseinsatz. Die Aquarius liegt bis auf Weiteres im Hafen von Marseille, bis ihr Flaggenstatus geklärt ist.

In einem beispiellosen politischen Manöver hatte die Panamaische Schifffahrtsbehörde (PMA) Ende September angekündigt, der Aquarius die Flagge entziehen zu wollen. Grund dafür war politischer Druck aus Italien. In einer offiziellen Mitteilung der Panamaischen Schifffahrtsbehörde an den Eigner der Aquarius hieß es, die italienischen Behörden hätten die PMA dringend aufgefordert, „Sofortmaßnahmen“ gegen die Aquarius zu ergreifen. In der Mitteilung hießt es: „Leider ist es notwendig, [die Aquarius] aus unserer Registrierung auszuschließen, weil es ein politisches Problem für die panamaische Regierung und die panamaische Flotte darstellt, wenn diese in europäischen Häfen einläuft.“(siehe Pressemitteilung vom :: 23.09.2018).

Als Begründung für ihre Forderung führte die italienische Regierung an, der Kapitän der Aquarius hätte sich während eines Rettungseinsatzes im September geweigert, Überlebende nach Libyen zurückzubringen – in ein vom Bürgerkrieg zerrüttetes Land, in dem Migrant*innen von Zwangsarbeit, Sklaverei, Folter und sexueller Gewalt bedroht sind und Gefahr laufen in die Schusslinien rivalisierender paramilitärischer Gruppen zu geraten.

Nur wenige Wochen zuvor hatte Gibraltar der Aquarius unter unhaltbaren Behauptungen die Flagge entzogen (siehe Statement vom :: 14.08.2018). Obwohl die Aquarius in den letzten zweieinhalb Jahren alle aufsichtsrechtlichen Anforderungen und technischen Kontrollen des Flaggenstaates Gibraltar erfüllt hat.

Diese Versuche, die Rettungseinsätze der Aquarius zu stoppen, werden wir nicht hinnehmen! Wir lassen uns nicht daran hindern, Menschen vor dem Ertrinken zu retten und das Sterben auf dem Mittelmeer zu bezeugen. In einer :: Petition rufen wir deshalb die europäischen Staaten und insbesondere die Bundesregierung dazu auf, sich aktiv für zivile Seenotrettung und für eine neue Flagge für die Aquarius einzusetzen. Was wir fordern ist die Einhaltung geltenden Rechts und damit die Verpflichtung, Menschen in Seenot zu retten.

Wir loten nach wie vor alle langfristigen Möglichkeiten aus, um mit der Aquarius weiterhin Leben zu retten. Der Aquarius-Eigner hat inzwischen eine vorläufige Registrierung bei der Liberischen Schifffahrtsbehörde erwirkt. Diese erlaubt uns allerdings noch nicht, unsere Such- und Rettungseinsätze fortzusetzen. Die Suche nach einer langfristigen Lösung für die Aquarius geht also weiter.

Die neusten Infos zum Flaggenstatus der Aquarius finden Sie auf unserem :: Twitter Account.

:: SOS Mediterranee (26. Oct 2018 - Letzte Aktualisierung 12. Nov 2018)


Spanien verbietet per Dekret Go-Fast-Boote (26. Oktober 2018)


Nachdem in den vergangenen Monaten marokkanische Harragas auf sogenannten Go-Fast-Booten nach Spanien gelangen, verbietet Spanien per sofortigem königlichen Dekret und ohne Einbeziehung des Parlaments diese Schlauchboote mit mehreren starken Außenbordmotoren. Anscheinend wird eine Registrationspflicht eingeführt. Die Go-Fast-Boote sind seit Jahren auch im Haschisch-Transport in Gebrauch, wurden deswegen aber nie von spanischer Seite verboten.

:: FFM-ONLINE :: Huffpost (26. Oct 2018)


West-Algerien: 120 Harragas abgefangen (26. Oktober 2018)


Vor und an den westalgerischen Küsten um die Städte Oran und Mostaganem wurden in den letzten zwei Tagen an die 120 Harrragas abgefangen. Seit dem Sommer 2018 fahren immer mehr Algerier*innen ungenehmigt per Boot nach Spanien. Neu ist, dass auch Frauen und kleine Kinder unter den Harragas sind. Wenn sie aufgebracht werden, kommen sie anschließend vor Gericht. Es ist daher in den kommenden Wochen in Oran und Mostaganem mit zahlreichen Strafprozessen wegen ungenehmigter Ausreise zu rechnen.

:: FFM-ONLINE :: Le Quotidien d’Oran (26. Oct 2018)


„Schlauchboote vor Marokko abgefangen“ (27. Oktober 2018)


Die marokkanische Marine hat nach eigenen Angaben mehrere Schlauchboote mit insgesamt mehr als 300 Migranten abgefangen.

Einige Boote seien auf dem Mittelmeer, andere auf dem Atlantik in Seenot geraten, sagte ein Militärsprecher der staatlichen Nachrichtenagentur MAP. Die Insassen seien in verschiedene marokkanische Häfen gebracht worden. Menschenrechtler berichten, zwei Menschen seien ums Leben gekommen, das Militär bestreitet dies.

:: FFM-ONLINE :: DLF (27. Oct 2018)


20 Boat-People ertrunken – Nador / Marokko (27. Oktober 2018)


Am Strand von Charrana bei Nador sind am gestrigen Samstag 20 tote marokkanische Harragas angespült worden. Fischer konnten vier Personen dieser oder einer anderen Schiffskatatrophe in der Nähe im Meer retten. Das spanische und das marokkanische Innenministerium haben sich in den letzten vier Wochen auf eine scharfe Bekämpfung der Boat-people verständigt. Seit gestern weigert sich das spanische Salvamento Maritimo, 54 subsaharische Boat-people in Seenot zu suchen und zu retten, nach nachrücklichen Aufforderungen des WatchTheMed-Alarmphones. ‎- Im Krankenhaus Nador wurden seit Jahresbbeginn 102 ertrunkene Boat-people eingeliefert. Seit August 2018 wurden in der nordmarokkanischen Stadt Nador – neben der spanischen Enklave Melilla – 4.700 Transitgeflüchtete verhaftet und nach Südmarokko abgeschoben.

:: FFM-ONLINE :: HuffPost Maroc (27. Oct 2018)