Am 6. Juni 2016 begann die 'Evakuierung' der Camps Hotel-Hara und BP-Station nahe der Ortschaft Evzoni bei der griechisch-mazedonischen Grenze. Bis in die Mittagsstunden stiegen dutzende Bewohner_innen des Camps in drei Busse und wurden in offizielle Camps nahe Thessaloniki gefahren.
Geflüchtete hauptsächlich aus Syrien und dem Irak, aber auch aus Afghanisten, Pakistan oder Marokko hatten nach der Räumung Idomenis ihre Zelte unter anderem hier kurz vor dem Grenzübergang aufgeschlagen. Sie wollten nicht in die offiziellen Lager und hofften bis zuletzt auf eine Grenzöffnung oder eine Möglichkeit die Grenze heimich zu passieren. Vor ca. zwei Wochen lebten hier noch etwa 2500 Menschen. Seit einigen Tagen leert sich das Lager, weil viele die Evakuierung befürchteten. Sie befind nach der Räumung Idomenis ihre Zelte unter anderem hier kurz vor dem Grenzübergang aufgeschlagen. Sie wollten nicen sich auf den Weg zum Eko-Camp (was eines der letzten größeren inoffiziellen Camps in der Region darstellt), schlafen in unbewohnten Häusern bzw. in Wäldern, sind in den offiziellen Lagern untergebracht oder befinden sich schon wieder auf dem Rückweg zu den Orten an denen ihre Flucht begann. Mittlerweile dürften sich noch ca. 500 Menschen in Hara aufhalten. In den nächsten Tagen werden die Behörden den Ort Evzoni wahrscheinlich, ähnlich wie Idomeni, zu einer Sperrzone umwandeln um ein erneutes Camp zu verhindern.
Viele der Geflüchteten, die sich an diesem Montag Nachmittag noch in Hara bewegen, wollen nicht in offizielle Camps. Sie haben Angst sich registrieren zu lassen und glauben, dass die Lebensverhältnisse in den offiziellen Lagern schrecklicher sind, als die in den inoffiziellen Camps. Wer schon ein Mal in einem solchen Camp war (siehe :: Bericht über Camp-Sindos bei Thessaloniki) oder die letzten Berichte der UN-Flüchtlinghilfe (:: Bericht) gelesen hat, weiß, dass ihre Sorge berechtigt ist. Allerdings sind auch die Bedingungen in und um Hara sehr schlecht. Wenn man sie fragt, wie es in der nächsten Zeit für sie weitergeht, bekommt man häufig die Antwort, dass sie in den kommenden Tagen versuchen wollen die Grenze zu überqueren oder den Weg zurück an die Ausgangsorte ihrer Flucht antreten werden. Es scheint eigentlich egal für welche Option sich diese Menschen entscheiden, weil jede Entscheidung die sie treffen, mit beschissensten Gefahren und Elend verbunden ist.
Die Meisten der Refugees waren schon mindestens ein- oder zwei Mal in Mazedonien oder Bulgarien und kamen nach wenigen Tagen wieder in Hara an. Andere versuchen es zum sechsten Mal über die Balkanroute nach Zentraleuropa. Sie ziehen in der Nacht mit ihren Kleinkindern durch die Wälder an der Grenze, obwohl sie wissen, dass die mazedonischen Autoritäten Flüchtlinge überdurchschnittlich mies behandeln bzw. auch gerne mal foltern. Ob die Schleuser sich an ihre Abmachungen halten und beispielsweise erst bei der abgesprochenen Ankunft in Belgrad (zentraler Dreh-und Angelpunkt der Balkanroute) ihr Geld einfordern, ist oft unklar.
Der Weg zurück in die Türkei bzw. nach Syrien und Irak, den in den letzten Tagen immer mehr Menschen hier antreten (wollen) ist ebenso schwer zu meistern und für Außenstehende nur schwer zu begreifen. Viele derjenigen, die vor bis zu drei Jahren aus beispielsweise Rakka, Damaskus oder Mossul vor IS-Faschismus und Diktatur flohen und im letzten halben Jahr in Zelten auf Autobahnraststätten schliefen, bezahlen nun auch auf dieser Rückroute Schleusern ihr oftmals letztes Geld. Manche erhoffen sich in den Lagern der Türkei bessere Lebensverhältnisse. (Die Lager wurden von NGO's und Vereinten Nationen, im internationalen Maßstab, als überdurchschnittlich gelobt. Allerdings sind, aufgrund des Konfliktes um ein autonomes Kurdistan, gerade Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei staatlicher Repression ausgesetzt.)
Andere, oft allein stehende Männer, haben sämtliche Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa aufgegeben. Ein 17 Jähriger Junge aus Damaskus, der rauchend im Essbereich der Tankstelle EKO sitzt, will zurück nach Syrien. Er meint, dass er lieber das Risiko eingeht dort durch Bomben zu sterben, als hier weiterhin wie ein Tier vor sich hin zu vegetieren. Er hat in den letzten zwei Jahren bis auf eine Tante und eine Schwester alle anderen Familienmitglieder durch den Krieg verloren. Sein Blick wirkt wie der eines alten Mannes, der von diesem Leben nichts mehr erwartet. Solche Gesichter junger Geflüchteter sind hier keine Seltenheit.
Das Camp EKO wird vermutlich innerhalb der nächsten Tage/Wochen ebenfalls geräumt werden. Hier befinden sich noch 1500 Menschen. Auch hier treten zur Zeit die meisten den Weg in die Türkei an oder richten sich auf ein Leben innerhalb der staatlichen Lager ein. Die Behörden werden wahrscheinlich weitere inoffizielle Lager verhindern. Es gibt aber auch Ideen von einigen Aktivist_innen, die selbst-organisierten und von Freiwilligen unterstützten Strukturen (Idomeni/EKO) weiter zu führen und ein alternatives Camp zu organisieren.
Unabhängiger Journalismus und freiwillige Leute sind in der Region weiter super wichtig. Es ist wichtig, dass die Geflüchteten durch die europäische Grenzpolitik in den staatlichen Lagern nicht unsichtbar gemacht werden; dass in diesen Lagern (wie möglich) menschenwürdige Bedingungen und Lebensstandards eingeführt und von unabhängigen Gruppen kontrolliert werden; dass es Menschen gibt, die die refugees in ihrer Entscheidung, gegen das europäische Grenzregime zu handeln, unterstützen; und dass eine grundsätzlich andere Organisation von Politik und Wirtschaft stattfinden muss, damit das Elend, wie das, an den Grenzen Europas, endlich aufhört.
Artikel zuerst veröffentlicht am 06. Jun 2016 auf :: fallingborderssite.wordpress.com