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[ 25. Aug 2017 // letzte änderung: 29. Aug 2017 ]

Wahlkampfmanöver: Innenminister verbietet linksunten.indymedia.org

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Mitten im Wahlkampf verkündet das Innenministerium das Verbot der linken Plattform. Fraglich ist dabei nicht nur die rechtliche Grundlage und die Einstufung der Webseite als Verein. Auch wurde die Löschung einzelner strafrechtlich relevanter Artikel offenbar nicht versucht, sondern gleich die ganze Plattform verboten.

 

Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat heute die Plattform linksunten.indymedia.org verboten. Dabei behalf sich das Ministerium über den Weg eines Vereinsverbotes, obwohl es sich bei der Plattform um keinen eingetragenen Verein handelt. In Freiburg durchsuchte die Polizei mehrere Objekte. Die Webseite ist derzeit nicht erreichbar.

Das Verbot gegen die vom BMI als Vereinigung bezeichnete Webseite stützt sich auf § 3 Absatz 1 Satz 1 Alternative 1 und 2 des Vereinsgesetzes. Zweck und Tätigkeiten von linksunten.indymedia liefen den Strafgesetzen zuwider und richteten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, heißt es in der Pressemitteilung des Ministeriums. Im Bundesanzeiger ist die Verbotsverfügung veröffentlicht.

Laut Auskunft des Innenministers auf der Pressekonferenz sind dem Verbot keine Gerichtsbeschlüsse gegen einzelne strafrechtlich relevante Inhalte vorausgegangen, mit denen versucht wurde, diese aus dem Netz zu bekommen. Die Artikel seien in der Regel anonym verfasst und man könne nicht anonym jemanden verklagen. Das erklärt allerdings nicht, warum die Strafverfolgungsbehörden bei offensichtlicher Kenntnis der Betreiber nicht diesen Gerichtsbeschlüsse zustellten und so eine Löschung der beanstandeten Inhalte zu bewirken versuchten.

Wenn der Staat aber den Rechtsrahmen nicht ausschöpft, der ihm zur Verfügung steht, dann erscheint diese Aktion wie ein Wahlkampfmanöver, um eine missliebige politische Plattform auszuschalten und Stimmen im rechten Lager sammeln.

Informationsportal für Teile der linken Szene



Auf allen Webseiten von Indymedia kann jeder anonym Beiträge veröffentlichen. Der Ableger linksunten.indymedia.org war nicht nur Plattform für Demonstrationsaufrufe und Bekennerschreiben, und selten auch für menschenverachtende Postings, in denen Gewalt gegen Menschen verherrlicht wurde(*), sondern ein wichtiges Informationsportal für Teile der linken Szene.

Neben Demoberichten und Terminen fanden sich auf der Plattform auch zahlreiche fundierte Recherchen über die rechtsradikale Szene, beispielsweise über das Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds, aber auch über militante Rechtsextremisten, die im Nachgang der Berichterstattung auf Linksunten u.a. wegen dem Fund von Rohrbomben verhaftet wurden.

Klassische Medien nutzten Recherchen und Leaks auf der Plattform



Zu nennen sind auch Recherchen über rechtsradikale Verbindungen bei deutschen Burschenschaften, die auf dem Portal veröffentlicht wurden. Zuletzt gab es auch Leaks zum Umfeld der rechtspopulistischen AfD. So tauchten auf der Plattform nicht nur die Parteitagslisten auf, sondern auch die Chat-Protokolle der Partei aus Sachsen-Anhalt, über die klassische Medien breit berichteten.

Die Rolle von linksunten.indymedia im Kampf gegen den organisierten Rechtsextremismus ist nicht zu unterschätzen. So ist das Verbot, das mitten im Bundestagswahlkampf kommt, nicht nur ein „Schlag gegen Linksextremisten“, sondern Repression gegen Strukturen, die sich aktiv gegen Neonazis und Rechtsradikale stellen.

Fraglich bleibt natürlich, ob das Verbot der Seite überhaupt durchsetzbar ist. Indymedia hat eine internationale dezentrale Serverstruktur, die nicht einfach auf Beschluss des BMI abzuschalten ist. Dies sah übrigens auch der Innenminister bei der Pressekonferenz so.

Die historische Rolle von Indymedia



Das Indymedia-Netzwerk ist 1999 bei den Protesten in Seattle entstanden. Indymedia war eine der ersten Plattformen im Internet, die es Menschen erlaubte, selbst Beiträge und Nachrichten im Internet zu veröffentlichen. Dem Netzwerk kommt dabei eine historische Rolle für in Sachen „Ende der medialen Einbahnstraße“ zu. Als Vorreiter dieser Kulturtechnik spielte das Netzwerk vor dem Aufkommen von Blogs und sozialen Netzwerken eine tragende Rolle unter anderem bei der unabhängigen Berichterstattung vom G8-Gipfel in Genua 2001 und war für ein paar Jahre das wichtigste Informationsmedium für die linke außerparlamentarische Bewegung.

Mit der besseren Verfügbarkeit von eigenen Internetseiten und anderen Plattformen schwand auch die Bedeutung von Indymedia. In Deutschland spaltete sich zudem die schrumpfende Community. Aus dieser Spaltung ging im Jahr 2009 linksunten.indymedia.org hervor.



Anmerkung von einem von no-racism.net:
* Die Aussage, Linksunten stelle "selten auch für menschenverachtende Postings, in denen Gewalt gegen Menschen verherrlicht wurde" eine Plattform da, muss mit Vorsicht genossen werden. Sicher wurden dort immer wieder Anschlagserklärungen veröffentlicht, und auch zweifelhafte Kommentare gepostet, vor allem wenn es gegen Nazis oder rassistische Politiker_innen ging, doch wurden von den Moderator_innen menschenverachtende Postings meist versteckt. Ich kann mich an viele Kommentaren erinnern, die vor allem von Neonazis gepostet wurden, in denen wie zuletzt nach dem Mord in Charlottesville durch einen neonazistischen Anhänger von US-Präsident Trump zahlreiche Kommentare veröffentlicht wurden, die - wie bei Indymedia üblich und dem Prinzip des Open Publishing folgend - im Nachhinein versteckt wurden. Ebenfalls erinnere ich mich an Kommentare von Rassist_innen, vor allem bei Berichten über Flüchtlinge und Migrant_innen, die im Mittelmeer ertranken. Diese waren kurz zu sehen, doch sehr bald wurden sie von den Moderator_innen versteckt. Wenn ich da an viele kommerzielle Plattformen und Medien denke, auf die es mich gelegentlich verschlägt - von Neonaziseiten will ich gar nicht erst reden -, gibt es sehr wohl einen gravierenden Unterschied. Denn dort werden zahlreiche menschenverachtende Postings oft einfach stehen gelassen und menschenverachtenden Diskussionen wird ein breites Forum geboten. Bei linksunten.indymedia.org war dies, soweit ich es beurteilen kann, kaum der Fall. Da die Seite derzeit nicht aufrufbar ist, gibt es leider derzeit keine Möglichkeit, dies mit Beispielen zu belegen.

gekürzter Artikel von Markus Reuter, zuerst veröffentlicht am 25. August 2017 auf netzpolitik.org:: netzpolitik.org