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[ 05. Apr 2019 ]

Zum „Schutz“ von Volk und Staat

Apell während der Schutzhaft, Foto: Klaus Eisterer, U. S. Holocaust Memorial Museum, pixabay.

Die aktuelle innenpolitische Debatte um die Einführung einer Präventivhaft samt Eingriffe in grundlegende Rechte lässt – vor allem bei der historischen Zunft – Erinnerungen an die sogenannte Schutzhaft hochkommen. Unter den Nationalsozialist*innen wurde sie zu einem der zentralen Herrschafts- und Terrorinstrumente. Artikel von Tobias Leo aus dem 20er.

 


    „Sobald im Rechtswesen eine bestimmte Gruppe unterschieden wird, ist das der erste Schritt zu einer Willkürherrschaft.“

„Der Tag der Entlassung kann jetzt noch nicht angegeben werden. Besuche im Lager sind verboten. Anfragen sind zwecklos“, ist auf einem Brief vermerkt, den der Schutzhäftling Franz Ohnmacht Anfang 1940 seinen Angehörigen aus dem Konzentrationslager Weimar-Buchenwald schrieb. Der engagierte katholische Geistliche wurde am 13. März 1938, also sofort nach dem sogenannten „Anschluss“, festgenommen. Begründung: sein Eintreten für ein unabhängiges Österreich in akademischen Vorträgen. In Wirklichkeit wurde er stellvertretend für den Linzer Bischof Johannes M. Gföllner festgenommen, einem entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus.

Massenhaft gibt es ähnliche Beispiele aus dieser Zeit: „In Feldkirch wurde eine Frau in Haft genommen, weil sie einem Zwangsarbeiter einen Apfel und ein Hemd gab. Der Mann, den sie pflegte, denunzierte sie“, erzählt Klaus Eisterer, Professor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, dessen Großvater selbst drei Monate in Gestapo-Haft war. Das Dritte Reich habe zwar vorgespiegelt, ein Rechtsstaat zu sein, in Wirklichkeit sei es ein System vollkommener Willkür gewesen. Dabei sei es häufig vorgekommen, dass jemand zunächst vor einem Gericht freigesprochen, danach aber ohne jegliche richterliche Kontrolle in Schutzhaft genommen und in ein Konzentrationslager eingeliefert wurde.

Die Schutzhaft wurde nicht von den Nazis erfunden, jedoch aufgegriffen und zu einem der zentralen Herrschafts- und Terrorinstrumente um- und ausgebaut. Im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert versuchte die Politik, soziale und politische Unruhen im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung im Vorhinein zu erkennen. Das Ziel war, das große Ganze durch organisierte Beobachtung der Bevölkerung zu schützen gegen „aufwieglerische“ Pläne und „politische Verbrechen“. Als Maßnahme wurde bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts in allen deutschen Ländern eine politische Polizei eingerichtet. Hauptsächlich waren es linke Bewegungen, im Zuge des Bismarck'schen Kulturkampfes auch Katholik*innen, die ins Visier der Behörden gerieten. 1878 wurde in Berlin die „Dienststelle zur Überwachung der Anarchisten und Sozialisten“ gegründet, 1899 die „Zentralstelle für die Bekämpfung der anarchistischen Bewegung“.

Der Begriff der Schutzhaft wurde 1848 erstmals im preußischen „Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit erwähnt“. Dabei waren polizeiliche Behörden befugt, „Personen in polizeiliche Verwahrung zu nehmen, wenn der eigene Schutz dieser Personen oder die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sittlichkeit, Sicherheit und Ruhe diese Maßregel dringend erfordern.“ Die Einschränkung, dass die festgenommene Person am nächsten Tag wieder freizulassen sei, wurde 1851 im „Preußischen Gesetz über den Belagerungszustand“ revidiert. Es war somit möglich, eine Person ohne richterliche Kontrolle unbefristet in Haft zu nehmen. Dieses Gesetz galt bis zur Einführung der Weimarer Verfassung 1919, unter Kaiser Wilhelm II. wurde es umfangreich angewandt. Zu einem großen Teil waren davon Kommunist*innen betroffen, eines der prominentesten Opfer war Rosa Luxemburg, die von 1916 bis 1918 in Schutzhaft saß. Auch in der Weimarer Republik war es in eingeschränkter Form noch möglich, ohne Verurteilung und richterlicher Kontrolle in Haft zu geraten.

Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, war die Übernahme der politischen Polizei einer der ersten und entscheidenden Schritte zur Festigung des NS-Staates. Zunächst, aufgrund einer Verordnung Anfang Februar 1933, war die Schutzhaft noch auf drei Monate begrenzt und Betroffene hatten ein Beschwerderecht. Das änderte sich schlagartig, denn zum Ende des Monats wurden aufgrund der sogenannten Reichtagsbrandverordnung sämtliche Grundrechte außer Kraft gesetzt. Außerdem hob sie auch die Grenzen der polizeilichen Arbeit auf. Aufgrund dieser Verordnung herrschte ein permanenter Ausnahmezustand, der bis zum Ende des NS-Regimes nie aufgehoben wurde. Vollkommen willkürlich wurden zu Beginn nun auch von SA- und SS-Verbänden Verhaftungen durchgeführt. Anfangs wurde die Haft sowohl in staatlichen Gefängnissen als auch in Konzentrationslagern vollzogen, später ausschließlich in Letztgenannten.

Im weiteren Verlauf wurde die politische Polizei, in der NS-Zeit die Gestapo, von der gewöhnlichen Polizei komplett abgetrennt und eine mächtige, von der Justiz völlig unabhängige und autonom agierende Sonderbehörde geschaffen. Sukzessive wurde nun alles bekämpft, was der nationalsozialistischen Ideologie im Wege stand. Waren anfangs vor allem politische Gegner*innen aller Couleur Ziel der Gestapo, kamen nach deren Ausschaltung Schritt für Schritt immer weitere Gruppen dazu: Juden*Jüdinnen, Sinti und Roma, „Asoziale“, „Arbeitsscheue“, Homosexuelle, unangepasste Jugendliche sowie all jene, die nach Ansicht der Nazis die sogenannte „Volksgemeinschaft“ schädigen würden. Zu Kriegsbeginn ging die Gestapo dann über, Häftlinge, die sie für gefährlich hielt, zu ermorden.

„Hier sieht man, welch hohes Gut ein Rechtsstaat ist“, sagt Eisterer und mahnt durchaus mit dem Blick auf die Gegenwart: „Wenn dieser auch nur in Ansätzen in Frage gestellt wird, muss dem eine klare Absage erteilt werden. Sobald im Rechtswesen eine bestimmte Gruppe unterschieden wird, ist das der erste Schritt zu einer Willkürherrschaft.“


Dieser Artikel von Tobias Leo erschien zuerst in der Innsbrucker Straßenzeitung 20er vom April 2019, hier bearbeitet von no-racism.net.
Fotos: U.S. Holocaust Memorial Museum, pixabay.