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[ 04. May 2004 ]

Institutionelle Rassismen

Dieser Text entstand in Zusammenhang mit dem Projekt "Institutionelle Rassismen", das 1997 in Wien veranstaltet wurde. Helmut Draxler gibt hier einen kleinen Einblick ins Themenfeld institutioneller Rassismen.

 

Der Staat konstituiert die Nation. Er kontrolliert, weist ab, bestraft, sperrt ein, schiebt ab und fühlt sich im Recht: durch internationale Verträge, Drittstaatenregelungen oder Waffenbrüderschaften. Er ist Dein wahrer Freund und Helfer, denn "das Boot ist voll". Das Boot, in den frühen 90er Jahren zur völkischen Metapher der Nation geworden, privilegiert Dich und die Deinen. österreicher, Deutsche, Franzosen zuerst. Wer dann? Du hast persö–nlich sicher nichts gegen "Ausländer", kennst selber welche, findest sie sympathisch und ißt gerne beim Griechen. Das ist oft gesagt: JedeR nach seinen/ihren Bedürfnissen. JedeR, wo sie/er hingehört. Aber: Ich ist immer auch gleich Wir, denn: "Wir sind das Volk". Der individuelle Gutmensch ("Ich als Deutscher") und der strukturelle Rassismus/Nationalismus/Antisemitismus sind keineswegs Gegensätze. Vielmehr liegt in dieser Beziehung das Modell einer völkischen Demokratie begründet, wie es sich zunehmend auch dort durchsetzt, wo bis vor kurzem noch andere Gesetze galten, z.B. in Frankreich. Dort wird das Recht des Bodens - d.h. der Ort, an dem eineR geboren wird, gilt als bestimmend für die Staatsbürgerschaft - zunehmend eingeschränkt durch das Recht des Blutes und der Abstammung nach deutschem Muster.

Unter institutionellem Rassismus ist daher die Verschränkung der völkischen Alltagsraison mit dem staatlichen Rassismus der Europäischen Migrationsregimes zu verstehen. Zum letzteren gehören die Verschärfung bzw. faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl (in Deutschland 1993), die rigorose Anwendung der rechtlich unklar definierten Schubhaft, die jemand, dessen Aufenthaltsstatus nicht länger als legal aufgefaßt wird, als Strafe für das nicht pflichtversessene Ausreisen aufgebrummt bekommt, bevor sie/er abgeschoben wird und die unter dem Euphemismus "Innere Sicherheit" betriebene Hatz auf die zuvor schon gesellschaftlich, medial und politisch Ethnisierten und Illegalisierten. Der alltägliche und der staatliche Rassismus bedingen und "befruchten" einander, wie in den offiziellen Reaktionen auf die Pogrome der letzten Jahre deutlich zu sehen war: Stets sind die Opfer als Täter oder zumindest als Problem eingeschätzt worden, siehe Hoyerswerda, Rostock, Mülln, Solingen, Mannheim, Oberwart, Lübeck u.v.a.

Für die politische und in dem hier zu besprechenden Fall künstlerische Praxis sind diese Konstellationen nicht leicht zu thematisieren. Allein die Sprecherpositionen als einerseits kritisch auf den Staat bezogen, andererseits aber als selbst privilegierter Teil des völkischen Kollektivs führen leicht zu patronisierenden Fürsprecher-Einstellungen gegenüber denen, die nicht "dazu" gehören. Zwischen gutwilliger, aber folgenloser Aufklärung und konkreten, hilfreichen Aktionen muß ebenso unterschieden werden wie zwischen einer öffentlichen Konfrontation mit dem herrschenden Migrationsregimes und der kulturellen Verwertung von persö–nlichen Leidenserfahrungen.

Krenn/Ressler peilen in ihrer Arbeit ein Ineinandergreifen von Aufklärung und Intervention an. Die Plakate auf dem Kubus vor der Wiener Oper zeigen eine typische Wiener Fassade, wie sie an vielen Häusern in der unmittelbaren Umgebung auch vorhanden ist. Nur diese Fassade ist die Fassade eines Wiener Polizeigefängnisses, das vor allem für Schubhäftlinge vorgesehen ist. Speziell für die touristischen Flaneure (und nicht nur die!) wird die ästhetisierte Betrachtung der Stadt gebrochen: Die Stadt ist nicht für alle da. "Nicht weit von hier" wird der staatliche Rassismus vollzogen und alle sollten es wissen. Als einer Intervention in den städtischen Raum ist an dieser Arbeit interessant, daß sie überhaupt für sechs Wochen an der Stelle stehen konnte. Gegenüber der städtischen Bürokratie wurde von den Künstlern mit Kunst argumentiert, um letztlich eine politische Botschaft zu plazieren. Das ist bezüglich der gängigen Kunst und Politik-Diskussion eine empfehlenswerte Strategie. Während der sechs Wochen wurden auf den Kubus sowohl freundliche als auch aggressive Kommentare (Herunterreißen der Plakate z.B.) hinzugefügt. Als künstlerische Strategie handelt es sich um ein konfrontatives und partizipatorisches Modell, bei dem im Unterschied zu politischen Informationsständen zwar Leute zu den Texten auf dem Kubus sich äußern konnten und einige auch interviewt wurden, aber keine kontinuierliche Diskussion mit ihnen stattfand.

Begleitendes Material zu den Zuständen in den Schubhaftknästen gab es im Ausstellungsraum des WUK. Dokumentiert wurden Hungerstreiks, Selbsttötungen als letzter Ausweg vor der Abschiebung sowie der Einsatz von Brechmitteln seitens der Polizei gegen angebliche Dealer (um verschluckten Stoff zu erbrechen). Das läßt die Stimmung in diesen Knästen erahnen, von den alltäglichen Zumutungen einer Schubhaft (sinnloses Warten auf die Abschiebung) einmal abgesehen.

Trotz seines Wahnsinns zeigt der staatliche Rassismus doch Konsequenz. Allerdings ist er nur der sichtbarste Teil des Komplexes "Rassismus und Antisemitismus". Er erlaubt auch für Deutsche die oppositionelle "Wir gegen ihn"-Einstellung. Die alltäglichen, gesellschaftlichen Rassismen sind viel unauffälliger, für die davon Betroffenen allerdings umso härter zu spüren. Im Anstarren in der U-Bahn genauso wie im bemühten Lächeln den "süßen" Kindern gegenüber. Nur nicht zu viele davon. In der Multikulti-Werbung, die unterschiedliche "Kulturen" nebeneinander darstellen will und dabei den als Türken orientalisierten älteren Herrn neben einem jungen Punk zeigt. Alle müssen sich bemüœhen, Differenzen anzuerkennen, nicht nur die Deutschen, scheint die Botschaft zu sein. Oder in der Gegenüberstellung einer blonden deutschen Frau mit Hund (sie ist einsam und braucht deshalb ein Tier) und einer als türkisch gekennzeichneten Frau mit fünf schwarzhaarigen Kindern (Überbevö–lkerung, Du weisst schon!). Vielfach zeigt sich das rassistische Elend erst, wenn in guter Absicht fabuliert wird. Gesellschaftliche Rassismen sind für Deutsche nicht an "Andere" delegierbar, sondern erst einmal in und bei sich selbst auszumachen. Apropos österreicher: "Österreicher, Ihr seid Deutsche!" sangen Laibach vor 10 Jahren und hatten recht damit. muß das weiter erklärt werden? Die "Deu(i)tschen" fungieren in Österreich immer noch als Abwehr und Delegierung der eigenen Schuld an Antisemitismus und Shoa.


KEIN MENSCH IST ILLEGAL!

HELMUT DRAXLER